Mittwoch, 24. Dezember 2008

Best of all movies 2008


2008 im Rückblick

Ein Jahr ist schnell vorbei und so mancher wird sich schon nicht mehr an die OSCAR-Verleihung im Frühjahr erinnern: Kopf an Kopf wetteiferten „No country for old men“ und „There will be blood“ um die Gunst der Juroren. (Fast) auf der Strecke blieb der Film von Paul Thomas Anderson, während die Brüder Joel und Ethan Coen mit ihrer stilsicheren Hommage an vergangene Zeiten alles abräumten.

Während die Coens nur knapp drei Jahrzehnte zurückblickten, begab sich P.T. Anderson ins frühe 20. Jh. und zeichnete unbarmherzig jene Mentalität nach, die in unseren Zeiten zu einer weltweiten Finanzkrise geführt hat: Maximierung der Rendite, Gier und Amoralität beherrschen die Hauptfigur während der Suche nach immer mehr Öl für die frühkapitalistische Industrie. Neben den nahe liegenden politischen Implikationen versteckte Anderson in seinem Film eine zynische Umbewertung der alten Fordschen Moralbegriffe wie zum Beispiel Ehrbarkeit und Familienzusammengehörigkeit, über die er ein gelegentlich fast opernhaftes Drama in bester shakespearscher Tradition legte. Verrat, Mord und Untergang, alles in einer Bildersprache, die an die besten Filme Stanley Kubricks erinnerte. Ein Jahrhundertwerk.
Im Filmclub schaffte es der Film nicht einmal in die Top Twenty und wenn man gewissenhaft unsere ‚Liste der schlechtesten Filme’ aufstellen würde, dann würde dieser Film leider dort landen. Selbst meine Bestnote konnte ihn nicht vor dem Fall in die Mülltonne bewahren, während meine angewiderten Mit-Juroren ein netten, aber harmlosen Film wie „Vitus“ auf Platz 8 beförderten.

Kommen wir zum Sieger: „No country for old men“.

Es war das Jahr der Coen-Brothers, wie wir noch sehen werden. In einer Kritik schrieb ich: „Und so ist der Oskargewinner zweifellos ein Meisterwerk, aber eins, das auch eine große Leere hinterlässt, denn der zynische und garantiert empathiefreien Witz, mit dem die Coens ihre Figuren betrachten, wird hier auf die Spitze getrieben.“ Das kann man auch für „Burn after reading“ Platz 20)  so stehen lassen. Persönlich habe ich den OSCAR-prämiierten Coen-Film aus stilistischen Gründen hoch bewertet, inhaltlich wurde er zumindest bei mir von anderen Filmen deutlich überrundet. Im Filmclub verteidigte er zäh ein ganzes Jahr seine Führungsposition.

Als Überraschungszweiter kam Ben Afflecks Neo-Noir-Film „Gone Baby gone“ zu Platz und Rang. Der Film gehört zwar nicht zu den hellsten Sternen am Kinohimmel, ist aber mehr als ein gutes Stück Genrekino: Was ist Recht, was ist Gerechtigkeit? Gute Frage, gutes Regiedebüt von Ben Affleck, den die meisten nur als Darsteller kennen.

Die BBC-Produktion „Earth“ gehörte in Deutschland zu den meistgesehensten Filmen des Jahres 2007. Über 3,5 Millionen Menschen wollten im Jahr des Knut eine nicht ganz unsentimentale Eisbären-Geschichte sehen – wir auch.

Neben den Coens und den Eisbären triumphierte im Filmclub ein Darsteller, den viele nicht mehr auf dem Schirm hatten: Tommy Lee Jones. In „No country for old men“ spielt er einen philosophierenden Sheriff, in „Three Burials“ (Platz 4) macht er seinem widerborstigen Image als Cowboy in einem brillanten Spät-Western alle Ehren (er führte auch Regie) und im „Tal von Elah“ von Paul Haggis (Platz 5) legt er den langen, schmerzhaften Weg vom Patrioten zum desillusionierten Vater eines jungen Mannes hin, den zwar nicht der Irak-Krieg umbrachte, wohl aber die ungern wahrgenommene Traumatisierung Tausender junger Männer, die in ihrer Heimat kein Zuhause mehr finden.
Auf Platz 6 landete Jean Beckers „Dialog mit meinem Gärtner“ ein kleines philosophisches Sommermärchen irgendwo zwischen Tiefsinn und Kummerkasten. Typisch französisch und mit leichter Hand inszeniert.
Stefan Ruzowitzkys „Die Fälscher“ (Platz 7) sorgte mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2008 nach „Das Leben der anderen“ für eine bemerkenswerte Imageverbesserung des deutschen Kinos, das längst wieder international konkurrenzfähig zu sein scheint. Das KZ-Drama um moralisches Handeln im Angesicht des Todes, einer der besten deutschen Filme der jüngeren Vergangenheit, sahen 2,4 % der Zuschauer, die sich am Eisbärendrama ergötzt hatten. Die meisten in der Nachverwertung nach dem Oscar-Gewinn…

F.M. Murers „Vitus“ gehört wohl auch zu den Filmen, die Menschen in schlechten Zeiten sehen wollen – die Geschichte eines unverstandenen Kindgenies wurde mit dem Idealopa Bruna Ganz genregerecht abgerundet – ein netter, aber doch wohl belangloser Film, dessen Platzierung im Filmclub (Platz 8) nicht nur wegen der Abkanzelung von „There will be blood“ ein kleiner Skandal ist, sondern auch, weil er den wohl hellsten Stern am Kinohimmel verdrängte: „The dark knight“ von Christopher Nolan landete zugrunde benotet auf Platz 9 - die Batman-Verfilmung, die in der berühmten Internet Movie Database mittlerweile auf Platz 4 in der Liste der ‚besten Filme aller Zeiten’ liegt, glänzte in jeder Beziehung: als politische Allegorie im Angesicht der zu Ende gehenden Bush-Ära, deren Kampf gegen das Böse zu einer grandiosen Entwertung der Bürgerrechte führte, als den Atem verschlagender Schauspielerfilm mit einem (fast) alle Dimensionen sprengenden Heath Ledger, als finessenreiches ästhetisches Spektakel. Nur wenig fehlt und der ‚dunkele Ritter’ wird Titanic als erfolgreichsten Film aller Zeiten verdrängen – im Filmclub reichte es gerade mal für den geteilten 7.-9. Platz.

Platz 10 erreichte ein Außenseiter, der wohl eher als DVD-Release Geld machen wird: „Mr. Brooks“ mit Kevin Costner ist für alle sehenswert, die einmal im Kopf eines Serienmörders sein möchten. Allerdings kommt man nach derartigen Exkursionen nicht ohne Schaden davon. Abgesehen von einer unklug überfrachteten Handlung knüpfte „Mr. Brooks“ sehr intelligent an das Konzept des Serienhits „Dexter“ (USA 2006) an. Von Hannibal Lecter war man fasziniert, ohne ihn so recht zu mögen – „Mr. Brooks“ dagegen provozierte Empathie: es ist schon rätselhaft, was Kino mit und in den Köpfen so alles anstellt.

Auf die weiteren Plätze gehe ich nicht weiter ein, nur eins: mein persönlicher Lieblingsfilm auf den Rängen 11-20 ist „Michael Clayton“. Mal abgesehen davon: es gab noch eine Reihe sehr interessanter Filme zu sehen, einige davon scheiterten nur knapp. Zu ihnen gehören „Der Fluch der goldenen Blume“ von Zhang Yimou, „A mighty heart“ von Michael Winterbottom, das preisgekrönte Mafiadrama „Gomorra“ (Matteo Garrone, bester europäischer Film 2008), der umstrittene „Baader Meinhof Komplex“ von Uli Edel, aber auch Julian Schnabels „Schmetterling und Taucherglocke“, der leider nur zwei Wertungen erhielt (2,5).

Mein Fazit: ein spannendes, aufregendes Kinojahr. Das Jahr 2009 wird es schwer haben, dies zu toppen. Lassen wir uns mal überraschen.
Besten Dank auch an meine Mitjuroren, die trotz meiner kleinen Seitehiebe dazu beigetragen haben, dass erneut eine lesens- und sehenswerte "Best of"-Liste zustandekam.
BigDoc