Mittwoch, 10. Februar 2010

Crossing Over

USA 2009 - Regie: Wayne Kramer - Darsteller: Harrison Ford, Ray Liotta, Ashley Judd  - FSK: ab 16 - Länge: 113 min.

Im Labyrinth
Wie bei jeder Kunstform löst auch im Kino die Beziehung zwischen ideengeschichtlichen und ökonomischen Interessen einen Zwang zur Innovation aus. Abseits von den technischen Sensationen begegnet diese Weiterentwicklung dem Zuschauer auch in der mitunter zwanghaften Transzendierung klassischer Erzählformen. Zu ihnen gehören Episodenfilme und als Subgenre eine Gattung, die durch Robert Altmans Short Cuts, Steven Soderberghs Traffic, Stephen Gaghans Syriana und Pauls Haggis’ L.A. Crash abgesteckt werden. Sie gehören zu einer Spezies, die ich hypothetisch als ‚narratives Labyrinth’ bezeichnen möchte, da in der Regel scheinbar unzusammenhängende Erzählstränge am Ende des Films zusammenlaufen und zunächst Heterogenes im Thema zusammenführen. Wirklich gelungen ist dies meiner Meinung neben Soderbergh und Gaghan nur Paul Thomas Andersons mit seinem Film Magnolia.

In Wayne Kramers „Crossing Over“ wird dieses komplexe Story-Telling bis zum Exzess ausgereizt: Max Brogan (Harrison Ford) führt als Beamter der Einwanderungsbehörde Razzien durch, um illegal arbeitende Migranten abzugreifen. Sein Kollege Hamid (Cliff Curtis) hat iranische Wurzeln und wird sich in einen Ehrenmord verstricken, dem nicht nur seine Schwester zum Opfer fällt, sondern auch ihr Geliebter, der gefälschte Green Cards verhökert. Hamid ist es auch, der vier Kids einer koreanischen Gang bei einem Ladenüberfall erschießt, den Fünften, dessen angespannte Beziehung zu seinem Vater wir zuvor ausführlich beobachten konnten, aber laufen lässt, um ihm die Einbürgerung und die Verwirklichung des American Dream zu ermöglichen. Weiterhin versucht eine australische Schauspielerin, sich ihre Green Card zunächst beim Geliebten von Hamids Schwester zu beschaffen, dann aber wird sie von einem Beamten der Einwanderungsbehörde (Ray Liotta) für die gleiche Leistung zum Sex erpresst. Dessen Ehefrau (Judd Ashley) wiederum setzt sich für ein muslimisches Mädchen ein, dass in einem Schulreferat Verständnis für die Dschihad-Terroristen erkennen lässt und dies am Ende mit der Ausweisung büßen muss. Und schließlich gibt es noch einen britischen Musiker mit jüdischem Hintergrund, der ebenfalls mit Tricks und Finessen versucht, sich eine Arbeitsgenehmigung in den Staaten zu verschaffen.

Reden oder zeigen?
Kompliziert? In der Tat: es ist das narrative Labyrinth, das leider öfters daran krankt, dass der Drehbuchautor gottähnliche Omnipotenz besitzt und die Protagonisten wie in einer griechischen Tragödie schicksalshaft wabernden Tragödien aussetzt, die notwendigerweise immer den schlimmstmöglichen Ausgang nehmen. Dem innovativen Stil wohnt etwas Gekünsteltes inne, eine grelle Theatralik, die suggeriert, dass fast alles mit allem verwoben ist und jede kleine Handlung zu großen Nachbeben führt. Das erinnert ein wenig an die Chaostheorie und den berühmten Schmetterlingseffekt. „Crossing Over“ macht da keine Ausnahme und so wird Max Brogan, der seinen Job mit einer dauerhaft zerknirscht-desillusionierten Mimik erledigt, auch einer jungen Mexikanerin nicht helfen können, deren Leiche am Ende nur wenige Meter vor dem Grenzzaun zwischen den USA und Mexico gefunden wird.

Ein Blick zurück: Im Gegensatz zur labyrinthischen Erzähltechnik gab es im amerikanischen Erzählkino seit den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Kanon der Linearität, der einer Hauptfigur folgt und die Szenen logisch aus den vorangegangenen Ereignissen ableitet. Dieser Stil war und ist überwiegend handlungsorientiert, was allerdings auch die psychologische Plausibilität der Aktionen einschließt – der Zuschauer soll verstehen, was er sieht. Die Themen werden situativ erfasst, aber nicht in face-to-face-Gesprächen theaterhaft durchdekliniert (was im Übrigen von Quentin Tarantino lustvoll konterkariert wird, insbesondere auch dadurch, dass seine mega-langen Dialoge selten einen diskursiven Tiefgang besitzen).
Die strenge Linearität gibt es allerdings schon lange nicht mehr, jede Nebenhandlung mit einem Supporting Actor sprengt dieses Konzept. Trotzdem ist der amerikanische Film bis heute durchweg zielgruppen-orientiert: er will nachvollziehbar sein, was auch bedeutet, dass sich Thema, Sujet und Idee aus dem erschließen sollen, was geschieht und weniger aus dem, was darüber gesagt wird. Die Orientierung an den Bedürfnissen des Publikums schließt also weitgehend eine dialoglastige Intellektualisierung des Themas aus (Robert Redfords Von Löwen und Lämmern bleibt eine Ausnahme) – und das gilt auch für das narrative Labyrinth.

Manchmal hilft Reden
Ich halte dies gelegentlich für eine Schwäche, die im schlimmsten Fall zu einer naturalistischen Bebilderung führt. Kramer gelingt es in „Crossing Over“ zwar, die Migrationsproblematik weitgehend glaubwürdig zu problematisieren, einige Szenen vermögen auch zu fesseln, aber letztlich geht das Thema in den verschachtelten  Handlungssträngen unter. Warum machen die Vereinigten Staaten fast ergebnislos die Grenzen dicht, obwohl die Wirtschaft nachströmende Illegale regelrecht aufsaugt? Wie begegnen sich die Ethnien und Kulturen vor dem Hintergrund der Traumatisierung von 9/11? Was ist vom amerikanischen Traum und seinem Freiheitsversprechen übrig gelieben, nachdem die Bush-Administration essentielle Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt hat? Manchmal hilft es, wenn darüber geredet wird.

Ein Beispiel: In „Crossing Over“ wäre es schön gewesen, wenn Kramer einige Handlungsstränge eliminiert und die Geschichte des islamischen Mädchens vertieft hätte, die sich kritisch mit den Motiven von 9/11 auseinandersetzt. So hätte man nicht nur den Homeland Security Act, sondern auch die nachgelagerte Protected Critical Infrastructure Information (PCII) etwas schärfer betrachten können, die im Grunde nichts anderes ist als der Aufruf zur organisierten Denunziation bei gleichzeitiger Verweigerung der Behörden, ihre relevanten Daten aufzudecken. Schön wäre es gewesen, der ermittelnden FBI-Agentin zu diesem Zweck etwas mehr Tiefe zu geben, anstatt den vielleicht nicht ganz so gut informierten Zuschauer mit einem Gefühl der Wut und Ohnmacht zurückzulassen, nachdem das Schulmädchen brutal in ein Flugzeug gesetzt wird. Das allerdings hätte etwas mehr Tiefenschärfe in den Dialogen erfordert.

Auch dramaturgisch hat Kramers Film Schwächen. In „Crossing Over“ läuft zwar ein starkes Darsteller-Ensemble auf, aber Harrison Ford wird eher in eine schlappe Episode verfrachtet, in der er zwar den Gutmenschen geben darf, aber was ihn innerlich quält, kann man nur erraten. Und ob man die Schurkenrolle unbedingt Ray Liotta übertragen muss, dessen erster Auftritt das erahnen lässt, was folgen wird, ist mehr als eine Geschmacksfrage.

„Crossing over“ lässt mich zwiespältig zurück. Kramer rollt ein Thema auf, das brandaktuell ist und Fragen formuliert, die uns auch hierzulande berühren müssen. Gleichzeitig macht der Film einen überambitionierten Eindruck, der zu viel herschenkt. Das ist das Dilemma: einerseits brauchen wir solche Filme, andererseits rumort es kräftig, wenn sie nicht perfekt sind. Vielleicht erwartet man einfach zu viel.

Noten: BigDoc = 3, Melonie = 3, Mr. Mendez = 3, Klawer = 3

Dienstag, 2. Februar 2010

Zombieland

SA 2009 - Regie: Ruben Fleischer - Darsteller: Woody Harrelson, Jesse Eisenberg, Emma Stone, Abigail Breslin, Bill Murray, Amber Heard, Robert Hatch, Jacob G. Akins, Dalton Cole, Mike White, Melanie Booth, Daniel Burnley - FSK: ab 16 - Länge: 88 min.

George A. Romero, der Vater aller ‚Dead’-Filme (Die Nacht der lebenden Toten (1968), Dawn of the Dead (1978), Day of the Dead (1985), Land of the Dead (2005), Diary of the Dead (2007), hat eigentlich nie von Zombies gesprochen, sondern stets betont, dass es in seinen Filmen eigentlich um ‚Flesh-Eater’ geht – mit Zombies, die auch mehr dem Voodoo-Kult zuzurechnen sind, hätten seine Filme nicht das Geringste zu tun. Da ist es schon eine kleine, feine Provokation, wenn Ruben Fleischer seinen ersten längeren Film „Zombieland“ nennt und in seinem schnellen, witzigen Road-Movie nicht einmal nach dem Ursprung der blutigen Seuche und der Zukunft der menschlichen Spezies fragt. Das ist auch nicht nötig, denn um Zombies geht es nicht wirklich in Fleischers Film: in „Zombieland“ liegt Amerika zwar in Trümmern und die Untoten haben gewonnen, aber bei genauem Hinsehen sehen wir einen Familienfilm, in dem aus erzieherischen Gründen den Wankenden nicht nur gelegentlich der Kopf weggeschossen werden muss.

Regeln für’s Leben nach dem Tod
Damit wir wissen, worum es geht, erklärt uns der junge Columbus (Jesse Eisenberg) in der spritzig-schlagfertigen Eingangssequenz nicht ganz ironiefrei seine goldenen Überlebensregeln. Ihnen hat er es allein zu verdanken, dass er in einer post-apokalyptischen Welt so lange überlebt hat. Für Columbus steht Fitness an allererster Stelle, denn die Dicken (und im Amerika sind viele Menschen dick) sind sogar für torkelnde Zombies zu langsam und werden als Erste gefressen. Und wie zum Beleg der aus Erfahrung gewonnenen Lebensweisheiten zeigt uns Fleischer in einem ur-komischen Credit-Trailer gleich dazu die entsprechenden Trainings- und Survival-Situationen, vorzugsweise in Super-Slow-Motion – und demonstriert im weiteren Verlauf der Handlung deren universelle Gültigkeit im Alltagsgebrauch.

Zu ihnen gehört auch die Erkenntnis ‚Genieße die kleinen Dinge’, aber sie steht an letzter Stelle, denn Columbus muss dies zu einem erst noch lernen und ist zum anderen womöglich nicht wegen seiner Grundsätze am Leben geblieben, sondern dank seines menschenscheu-verklemmt-paranoiden Charakters, der in Menschen schon die Zombies sah, als sie noch gar keine waren. Da passt man sich halt schnell an - Columbus ist zwar beschädigt, aber ein durchaus liebenswerter Loser, der auch dort Zombies erwartet, wo sich jedermann eigentlich sicher fühlen sollte: zum Beispiel auf der Toilette, wo man gerade genüsslich einen Comic liest, oder auf dem Rücksitz eines Autos, das man zuvor garantiert abgeschlossen hatte.
Und so pilgert er furchtsam, aber bewaffnet, allein über die Highways, stromert an unzähligen Autowracks vorbei und bevorzugt leichtes Gepäck, bis er von Tallahassee (Woody Harrelson) aufgelesen wird. Der ist der coolste und furchtloseste Zombie-Killer unter den überwiegend verspeisten Mitgliedern seiner Spezies; ein schnodderiger Zyniker, der sich unterschiedlicher Gerätschaften bedient, um Zombies in ein garantiert vegetarisches Jenseits zu befördern. Weiter geht’s im schwarzen Van, wohin, ist eigentlich egal, denn obwohl man Reiseziel(e) im Auge hat, dürften diese genauso bedeutungslos sein wie einer von Hitchcocks McGuffins.

In Ruben Fleischers „Zombiefilm“ ist bereits nach der ersten Viertelstunde erkennbar, dass wir es nicht mit einem weiteren Rip-Off des Gore- und Splatter-Genres zu tun haben, sondern mit einem Buddy-Movie, in dem es natürlich darum geht, dass man sich erst einmal überhaupt nicht mag. Um dann herauszufinden, dass man ohne den anderen gar nicht mehr kann. Fleischer montiert dies in schnellen, wortwitzigen Dialogen und gelegentlichen überlebenswichtigen Bewährungsproben, die zeigen, dass wahre Männerfreundschaften nicht nur unter völlig ungleichen Gesellen am besten blühen, sondern auch dort, wo man von den Stärken und manchmal auch unvermeidlichen Schwächen des anderen profitieren kann. Bei Tallahassee sind es die Twinkys, eine hierzulande wohl eher unbekannte Gebäcksorte, für die man nicht unbedingt sterben möchte. Man kann dies natürlich auch anders sehen und diese Kleinigkeiten machen den charmanten Witz des Films aus.
Das liegt auch an Woody Harrelson, der so ungeniert und leichtfüßig spielt, dass man fast schon vermuten darf, dass dieser Mann beim „Zombie Kill of the Week“ die Rolle seines Lebens gefunden hat. Vermutlich hat sich Fleischer für diese Lockerheit auch einiges abgeguckt, denn wie bei Tarantino werden Columbus’ ‚Rules of Engagement’ immer wieder in großlettrigen Schriftzügen eingeblendet, wobei eine Silbe auch mal wegknicken darf, wenn sich herausgestellt hat, dass aus aktuellem Anlass die Regel ein klein wenig modifiziert werden musste.

Damit der Plot sich auch angemessen der Gender-Problematik annehmen kann, folgt der Auftritt von Wichita (Emma Stone) und Little Rock (Abigail Breslin), zwei abgezockten Gören, die noch furchtloser sind als Tallahassee. Ein ums andere Mal überlisten die Teenies die beiden Zombiejäger und nehmen ihnen Wagen und Waffen ab, bis in einem völlig logikfreien und garantiert nicht unblutigen Showdown allen die Erkenntnis dämmert, dass sie trotz eines schwer zu vereinbaren Interessengemenges eigentlich die beste Familie abgeben, die man unter diesen erschwerten Bedingungen finden kann. Auch wenn keiner seinen wirklichen Namen nennen will und sich lieber nach einer Stadt benennt - zu intime emotionale Beziehungen können in einer kaputten Welt gefährlich sein. Aber diese kleine Portion Wahnsinn findet man im wirklichen Leben auch in besten Familien.

Familienfilm mit einem Schuss Anarchie
Wie gesagt: „Zombieland“ ist eine Familienkomödie der schrägen Art, ein Crossover mit einem Genre eingehend, das sonst entweder als schmuddeliges C-Picture oder als allegorisch aufgeladener Edel-Trash à la Romero daherkommt. Ohne Romeros Verdienste schmälern zu wollen, kommt man lachend zu dem Schluss, dass sich „Zombieland“ cool und lässig, aber formal stringent, von allen Genreaffekten freimacht und ähnlich befreiend wirkt wie Tarantinos „Inglourious Basterds“, dessen höllische Mixtur aus Trash- und seriös gemeinten Kriegsfilmen eine Zäsur gesetzt, sogar einen Schlussstrich gezogen hat.
Und ähnlich wie bei Tarantino, aber nicht ganz so exzessiv, findet auch Fleischer einen Weg zu kleinen, etwas gemeinen cinephilen Anspielungen: In der zweifellos schönsten Szene des Films sucht das Quartett die vermeintlich leer stehende Villa Bill Murrays (Bill Murray) auf. Der Schauspieler lebt, was alle überrascht, und dies verdankt er seinem Maskenbildner, der ihm einen wetterfesten Zombie-Look verpasst hat. Tallahassee, ein Nerd allererster Güte, darf zusammen mit seinem Idol, bewaffnet mit einem futuristisch anmutenden Staubsauger, ein wenig Ghostbusters spielen, bevor diesen der unverdiente Filmtod ereilt. Murray, man glaubt es zu erkennen, spielt sich die staubtrockenen Stoikerrollen seiner letzten Filme aus den Kleidern und nicht nur in dieser Szene sieht man Fleischers Talent, kleine Details und Anspielungen in pittoreske Szenen zu packen. Dass zwei Erwachsene in einer Welt, die von Monstern beherrscht wird, noch einmal wie kleine Kinder fröhlich den Geisterjäger spielen, ist mehr als ein Gag. Es zeigt etwas von der anarchistischen Freude, die in einer untergegangenen Gesellschaft aufkommen kann, in der man die Freiheit hat, alle Regeln kunterbunt neu zu definieren. Auch die Marotten.

Ach ja, Rüdiger Suchsland hat in seiner Kritik etwas herrlich Nonchalantes geschrieben:
„’Zombieland’ ist … an tieferen Aussagen nicht interessiert. Endlich einmal Kino für all jene, die ihre größten Schockmomente nicht etwa erleben, wenn die Körperfresser kommen, Glieder weggesägt werden oder Massenvergewaltigungen stattfinden - sondern wenn es auf der Leinwand einmal nicht einfach "nur um Unterhaltung" geht.“
Das ist böse, wirklich böse.


Noten: BigDoc = 2