Samstag, 12. Februar 2011

Welcome


(O: Welcome), Frankreich 2009, Länge: 110 Minuten, Regie / Drehbuch: Philippe Lioret, D: Vincent Lindon, Firat Ayverdi

Es sind die kleinen, scheinbar unspektakulären Filme, die uns in die Realität zurückholen und zum Hinschauen zwingen, dort, wo man selten hinsieht.
Philippe Liorets „Welcome“ ist eine dieser Perlen. Und keineswegs Minderheitenkino für die späte Nachtstunde: Fast 1,5 Millionen Franzosen haben „Welcome“ gesehen und 2009 wurde sogar eine Sondervorführung des Films vor der Französischen Nationalversammlung organisiert. „Welcome“ erzählt zwar von einem Einzelschicksal, auf den zweiten Blick geht es aber um die humanitäre Verfassung unseres Nachbarlandes: Dort reicht es schon, dass ein französischer Bürger einen jungen Kurden zum Essen einlädt und schon stürmt die Polizei seine Wohnung. Menschen zu helfen ist in unserem EU-Nachbarland verboten und je länger man mit zunehmender Fassungslosigkeit Philippe Liorets Migranten-Tragödie sieht, desto weniger glaubt man, was man sieht. Ein Irrtum.

Das ist kein politischer Film. Ich habe nur eine Geschichte gesucht (Philippe Lioret)
In „Welcome“ erzählt Lioret (Die Frau des Leuchturmwärters, 2004; Keine Sorge, mir geht’s gut, 2006) ganz unprätentiös die Gesichte des jungen irakischen Kurden Bilal Kayani (Firat Ayverdi), der sich drei Monate zu Fuß vom Norden des Iraks bis ins französische Calais durchgeschlagen hat, um von dort aus illegal nach England zu gelangen. Dort lebt seine Freundin Mina mit ihrer Familie.
In Calais warten bereits die gut organisierten Schlepper auf ihre Kunden. Der erste Versuch Bilals scheitert: die in einem Lkw versteckten Migranten fliegen auf, weil sich Bilal kurz vor dem Ersticken die Plastiktüte vom Kopf reißt, die verhindern soll, dass man die Illegalen mithilfe von C02-Warnmeldern entdeckt. 
Da der junge Kurde nicht in ein Kriegsgebiet abgeschoben werden darf, gehört er nun zu den Geduldeten, die mit keiner Hilfe zu rechnen haben. Bilal ist verzweifelt, bis ihm die rettende Idee einfällt: er will den Ärmelkanal durchschwimmen. Um dies zu schaffen, nimmt er bei dem zunächst unfreundlichen Schwimmlehrer Simon Unterricht. Der ganz und gar unpolitische und mehr mit seiner Scheidung beschäftigte Franzose lernt durch Bilal die ausweglose Lage der Migranten kennen und macht alsbald eine erstaunliche Erfahrung: humanitäre Hilfe ist in Frankreich eine Straftat.

Umstrittene Fakten
Trotz des Publikumserfolges und der Sondervorführung des Films vor der Französischen Nationalversammlung wurde eine nach dem Filmtitel benannte Gesetzesvorlage der Sozialisten abgelehnt, die es zum Ziel hatte, humanitäre Hilfeleistungen für Migranten zu entkriminalisieren.
Der politische Hintergrund ist klar, aber in Hinblick auf die Faktenlage umstritten. Unbestritten ist, dass logistisch perfekt organisierte Schlepperbanden seit Jahren erfolgreich einen Menschenhandel mit Millionengewinnen bestreiten, gegen den sich die Europäische Gemeinschaft mit einem einheitlich abgestimmten rechtlichen Rahmen zu Wehr setzen will.
Auf der einen Seite stehen die legitimen Ansprüche einer geregelten Einwanderungs- und Migrationspolitik , auf der anderen Seite gibt es in Frankreich jedoch den ominösen Artikel 622-1 des französischen Einwanderungs-, Aufenthalts- und Asylrechts (CESEDA), der besagt, dass »Jeder, der in Frankreich einem illegalen Einwanderer bei der Einreise, Weiterreise oder bei dessen Aufenthalt hilft oder versucht zu helfen, mit fünf Jahren Gefängnis und 30.000 € Bußgeld rechnen muss«. In der politischen Praxis scheint sich 622-1 folglich nicht nur gegen kriminelle Schlepperbanden zu richten, sondern auch gegen die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen (NGO), die in Frankreich humanitäre Hilfe leisten. So wurde im vergangenen Jahr von den NGOs berichtet, dass es allein 2009 zur Festnahme von 5000 ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern kam.

»All das hätte sich so auch 1943 zugetragen haben können. Es könnte sich hier auch um einen Typen handeln, der Juden bei sich versteckt und dabei erwischt wird. Doch das Traurige ist, dass das heute passiert, 200 km von Paris entfernt« (Philippe Lioret)

Der traurige Witz an der Sache ist, dass der französische Minister für Einwanderung Eric Besson die Existenz von 622-1 leugnet und behauptet, dass ein sogenannter »délit de solidarité«, ein Solidaritätsdelikts, allein deswegen nicht existiert, weil er gegen französisches Recht verstoßen würde. Und Besson, der nach eigenen Angaben von „Welcome“ sehr berührt wurde, reagierte empört auf Liorets ‚Juden-Vergleich’, was durchaus pikant ist, da sich die französische Filmemacherin Rose Bosch mit „Le Rafle“ (Die Razzia) ausgerechnet in diesen Tagen ein peinliches Thema ausgesucht hat: die Kollaboration des Vichy-Regimes mit den Nazis, ein heißes Eisen, zu dem Jacques Chirac 1996 feststellte: „An jenem Tag beging Frankreich, Heimat der Menschenrechte, einen nicht wiedergutzumachenden Schaden und lieferte seine Schützlinge an ihre Henker aus.“ Einige tausend französische Polizisten hatten Mitte 1942 über 13000 zum Teil von der Zivilbevölkerung denunzierte Juden verhaftet, interniert und den Deutschen zum Abtransport in die Vernichtungslager überlassen. Vor diesem Hintergrund ist „Welcome“ natürlich ein unbequemer Film. Aus gutem Grund.

Auflösung der Zivilgesellschaft
Lioret nutzt die Figur des unpolitischen Schwimmlehrers Simon, der die Migranten eher mit diffuser Ablehnung und Misstrauen betrachtet, um unaufdringlich zu zeigen, wie sich eine zivile Gesellschaft zuerst den Rändern auflösen kann.
Ganz am Anfang sehen wir Simon und seine Ex-Frau Marion in einem Supermarkt. Der Geschäftsführer hat einen ruppigen Wachdienst angeheuert, um zu verhindern, dass Migranten in seinem Markt legal einkaufen. Marion ist empört, Simon reagiert gleichgültig. Erst als Simon damit beginnt, Bilal gegen Bezahlung das Schwimmen beizubringen, beginnt er, sich für das Schicksal der Migranten zu interessieren. Und nur wenig später wird es Marion sein, die Simon davor warnt, sich zu stark zu engagieren.
„Welcome“ ist kein hölzerner Thesenfilm und glücklicherweise versagt sich Lioret die nahe liegende Option, die Geschichte Simons als die einer zunehmenden Politisierung zu erzählen. Simon bleibt auf sympathische Weise indifferent und damit glaubwürdig. Als er Bilal und einen seiner Freund in seiner Wohnung übernachten lässt, findet er vor Furcht und Misstrauen keinen Schlaf. Simon sieht dennoch spontan-empathisch das Einzelschicksal, ihn rührt Bilals ungebrochene Sehnsucht nach der fernen Freundin, erst recht, als dieser erfährt, dass Mina zwangsverheiratet werden soll.
Diese eher väterliche Freundschaft führt Simon zunächst ahnungslos immer mehr an die Randzonen der Gesellschaft: er sieht, wie die Hilfsorganisationen, die im Hafen die Migranten mit Essen und Kleidung versorgen, gewalttätigen Repressionen ausgesetzt sind. Wenn er nachts durch Calais fährt, muss er beobachten, wie militärisch gekleidete Kräfte eines unbekannten Einsatzkommandos bewusstlos geschlagene Migranten durch die Straßen schleifen. Er sieht dies, sagt nichts, aber tut das, was er glaubt tun zu müssen.
Die Folgen bleiben nicht aus. In Simons Leben löst sich in kleinen Schritten die Normalität auf: Nachbarn beschweren sich, weil er fremdartig aussehende Männer in seine Wohnung lässt, es folgen Denunziationen und Razzien, bei denen die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl seine Wohnung durchsucht und ihm erklärt wird, dass allein schon der Kontakt zu Irakern und Afghanen ihn ins Gefängnis bringen kann. Die Druck- und Drohkulissen sind ungeheuerlich und als Zuschauer kämpft man mit seinen Zweifel: zu unglaublich sind zivilen Auflösungserscheinungen im Mutterland der Aufklärung, im Herzen einer demokratischen europäischen Nation, die unser Nachbar ist.

"Welcome" ist in jeder Hinsicht ein unbequemer Film. In vielen Szenen sprechen die Illegalen ihre Muttersprache, der Zuschauer muss sich mit Untertitel abfinden. Trotz einer konventionellen Storyline, Love-Story und Scheidungsdrama inklusive, kommt keine Sentimentalität auf. Zu hart, zu dokumentarisch ist Liorets Erzählstil, der in Interviews nicht müde wurde, seine Abneigung gegen politische Filme zu bekunden. Den harmlosen Geschichtenerzähler nimmt man ihm nicht ab, wohl aber den Filmemacher in bester Tradition des politisch-realistischen Kinos. Lioret führt uns unsere Hilflosigkeit im Umgang mit der Migrationsproblematik vor und nach Sarrazin sollten wir uns davor hüten, mit dem dicken Finger auf unsere Nachbarn zu zeigen. In kurz angerissenen, aber schmerzhaften Szenen zeigt uns "Welcome" aber auch, dass das Denunziantentum und die Willfährigkeit der staatlichen Vertreter, die ja nur ihre Pflicht tun, offenbar in jeder Gesellschaft darauf warten, dank veränderter politischer Bedingungen und einem entsprechenden Zeitgeist wieder aus den Löchern kriechen zu können. Es gehört zu den Stärken des Films, dass Lioret all dies  unaufdringlich erzählt, als langsamen Prozess einer Vergiftung zivilen Denkens, bei dem einem Angst und Bange werden kann. 
Ein anderer Schock erwartet den Zuschauer am Ende. Lioret versagt uns ein tröstendes Happy-End und Bilals Schicksal erfüllt sich 800 m vor der englischen Küste. Fast hätte er es geschafft.

Quellen:
Rencontres – das deutsch-französische Magazin: http://www.rencontres.de/Aktualitaet.74.0.html?&L=0 - 16629

Preise:
  • Preise der Ökumenischen Jury
  • Label Europa Cinemas
  • Publikumspreis
  • Lux Preis
  • Bestes Drehbuch
  • Special Prize of the Young Jury
  • Grand Prize for Dramatic Feature (Großer Preis für Filmdrama)
  • Lumière Award für besten Film
  • Burgas Municipality Award 'Silver Sea-Gull'

Im Filmclub wurde "Welcome" regelrecht gefeiert und mit Bestnoten überhäuft:
Noten: BigDoc = 1,5, Mr. Mendez = 1, Melonie =1, Klawer = 1,5

Dienstag, 8. Februar 2011

„Salt", „Knight and Day", „Red": Der Niedergang des Actionkinos


Überprüft man die Maxime *Höher, schneller, weiter“ auf ihre Praxistauglichkeit, wird man feststellen, dass sie im sportlichen Wettbewerb auf unüberwindliche Hürden stößt, während sie im kulturindustriellen Komplex zeitlich befristet durchaus funktionieren kann. Man starrt wie gebannt auf die jeweils neuen Superlative, besonders auf das technisch Machbare, solange, bis man die hochauflösende Qualität der digitalen Informationen für wichtiger als die Ästhetik des gestalteten Bildes hält, solange, bis man bizarr übersteigerte Plots für bedeutsamer als eine einfühlsame Reflexion der eigenen Lebensbefindlichkeiten einschätzt. Und das solange, bis sich der Affenzirkus trotz aller Anstrengungen nicht mehr steigern lassen und am Ende im Grotesken, in der Wiederholung und im Selbst-Referentiellen erstickt.
Dabei gilt eine Regel: man kann nicht damit aufhören! 
Unausweichlich ist dann jedoch, wie die Erfahrung lehrt, ein Ermüdungseffekt, der sowohl jene einschließt, die aktiv am Steigerungswahn mitwirken, als auch jene, die als Rezipienten passiv dem Geschehen beiwohnen. Schieben wir bei derartigen Betrachtungen die ökonomischen Härten der Arbeitswelt und den glitzernden Schein der Welt des professionellen Sports beiseite und betrachten zuvörderst das Kino, so verstärkt sich der Eindruck, dass die tempogeladene Rastlosigkeit des Actionskinos bereits anankastische Züge trägt.
Höher, schneller, weiter: Gäbe es eine Psychopathologie des Kinos, so würde in ihren Beschreibungskanon eben jene Zwanghaftigkeit aufgenommen werden müssen, die in steter Gleichmäßigkeit Filme auf den Markt schaufelt, die auf ordinäre Weise dumm sind.

Wiederholung als Geschäftsprinzip
Solche Thesen setzt man nicht ungestraft in die Welt. Es gilt also zwei Arbeitsfragen zu beantworten: Was ist dummes Kino und sind jene, die es schaffen, selbst dumm?
Bevor man sich als Cineast jedoch in der Pose intellektueller Selbstbemitleidung verströmt, sollte man die Forderung der großen Phänomenologen Husserl ernst nehmen: „Zu den Sachen!“. In unserem Fall möchte ich Signifikantes an Filmen wie „Salt“, „Knight an Day“ und „Red“ abarbeiten, um zu zeigen, dass das Actionkino voll und ganz auf dem Schlauch steht.

„Salt": eine CIA-Agentin wird von einem russischen Überläufer beschuldigt, ein Maulwurf in Diensten des russischen Geheimdienstes zu sein. Beim Versuch, sich zu rehabilitieren, deckt sie eine Verschwörung auf, die die atomare Zerstörung der Vereinigten Staaten zum Ziel hat. Die Hauptfigur rennt um ihr Leben und ballert wie wild.
„Knight and Day": ein Geheimagent wird verdächtigt, eine neue Super-Batterie auf eigene Rechnung zu verscherbeln. Beim Versuch, sich zu rehabilitieren, decken er und seine unfreiwillige Partnerin eine ungeheuerliche Verschwörung auf. Die Hauptfiguren rennen und ballern wie wild.
„Red": ein pensionierter CIA-Agent soll von einem Elite-Killerkommando liquidiert werden. Bei der Suche nach den Hintergründen entdeckt er eine ungeheuerliche Verschwörung, die er mit einigen bereits in Rente gegangenen Ex-Kollegen aufdeckt. Die Hauptfiguren rennen und ballern wie wild.

Dererlei Plots lassen sich reduktionistisch auf die erwähnten Kategorien des Grotesken, der Wiederholung und des Selbst-Referentiellen herunterbrechen. 
Grotesk ist der hybride Comic-Charakter der Figuren. Angelina Jolie wirkt in „Salt“ wie eine jedes Maß vermissende Potenzierung des „24“-Helden Jack Bauer; Tom Cruise ist in „Knight and Day“ als augenzwinkernd-ironische Variante des gleichen Typus nur unwesentlich erträglicher, während in „Red“ ein Killerquartett (Bruce Willis, John Malkovich , Morgan Freeman, Helen Mirren) bizarr überzeichnet wird, ohne dass sich das Lachen einstellen will, während sich gleichzeitig ein Gefühl der Lächerlichkeit quälend breit macht. Auch hier stellt sich die Frage: ist das Medium lächerlich oder sind wir es bereits, die wir alles klaglos über uns ergehen lassen?

Mit der Wiederholung und dem Selbst-Referentiellen macht sich in der Rede über Kino ein analytischer Ansatz aus der Systemtheorie breit, der sich erstaunlicherweise mit der ahnungsvoll-intuitiven Wahrnehmung von Filmen gleichschaltet. Nur selten trifft elaborierte Theorie so treffsicher das Gefühl der Leere, das sich in uns nach dem Betrachten dummer Filme breit macht.
In „Red“ erkennt man die Wiederholung an dem Umstand, dass der Plot nichts weiteres als eine unverschämt lieb- und humorlose Variante des Films „Space Cowboys“ ist, während „Knight and Day“ das Buddy Movie nicht um eine weitere Variante bereichert, sondern sattsam bekannte Vorbilder zitiert. Der Teebeutel wird nicht zweimal, sondern immer und immer wieder aufgegossen.
Das alles spüren wir und erstaunlicherweise benötigt die Kulturindustrie eine gewisse Zeit, um in uns das Gefühl des wohlig Vertrauten durch einen zunehmenden Widerstand zu ersetzen, der zwar die Wiederholung des Immergleichen als lästig empfindet, dem aber bereits die reflexive Potenz abhanden gekommen ist, die vonnöten wäre, um zu erklären, wo dieses Gefühl des Widerstands denn herrührt. Anders gesagt: man fühlt sich verarscht, kann aber nicht mehr beschreiben, wie denn eine denkbare Alternative auszusehen hätte.

Kein Blick auf die Realität
In der hermetischen Abschottung des schlechten Genrekinos mit der nicht enden wollenden Variierung vertrauter Muster, die zum Beispiel dahin führt, dass bereits ein Remake von „Total Recall“ angekündigt wird, weil es nach 20 Jahren ‚an der Zeit’ ist, den Film in neuem Gewand zu präsentieren, überstrahlt das Selbst-Referentielle als Epiphanie des Nichtssagenden schließlich das marode System industrieller Filmproduktion, wobei unter Systemtheoretikern als primäres Kriterium gilt, dass die derart beschriebenen Systeme sich im Selbstbezug stabilisieren und sich darin hermetisch von ihrer Umwelt abschließen. 
Vor diesem Hintergrund gilt als verschroben, wer ernsthaft danach fragt, warum die Kulturindustrie keine Produkte herstellt, in denen die Menschen etwas darüber erfahren, warum so viele Zeitgenossen arbeitslos um ihre Existenz bangen. Als realitätsblind gilt gar, zu fragen, warum der gemeine Pöbel in der Kunst schon längst nicht mehr erfährt, wer warum und mit welchen Mitteln herzlose Bankgeschäfte durchführt und dabei ganze Währungssysteme vor die Wand fährt.
Kultur, wenn sie denn welche wäre, müsste doch wenigstens gelegentlich die unmittelbaren Fragen unserer Existenz zu beantworten versuchen, während wir gleichzeitig ahnen, dass wirklich alles denkbar ist, nur das eben Genannte dabei in Gänze auszuschließen ist. Fragen unserer Existenz? Lachhaft! Und das Schlimmste: die wenigsten erinnern sich noch an das ihnen abdressierte Bedürfnis.

Wer ist eigentlich der Dumme?
Nun, da wir wissen, was dummes Kino ist, bleibt die Frage übrig, ob denn die, die es produzieren, auch selbst dumm sind. Sie sind es nicht, denn es ist ein großes Einfühlungsvermögen erforderlich, um zielsicher Filme zu produzieren, die massenwirksam sind und somit geeignet, die erforderlichen Rendite einzufahren. Es ist sicher kein Zufall, dass es im Business intelligente Executive Producer wie Lorenzo di Bonaventura gibt, denen als CEO erfolgreiche Filme wie Constantine, Transformers, Transformers: Revenge of the Fallen, Salt und Red gelingen. Man erkennt durchaus eine Spezialisierung und ein weitreichendes Verständnis für die Bedürfnisse der Zielgruppe(n).
Traurig und komisch zugleich ist es dann, dass Filmkritiker die reißbrettartig geplanten Industrieprodukte immer noch wie blödsinnig auf Inhalt, Ästhetik und Genretraditionen abklopfen, alles in eine auf den Regisseur bezogene Werkgeschichte hineindeuten, so als wäre es möglich, in einer Autofabrik am Ende des Montagebandes in den völlig gleichartig produzierten Vehikeln ein Charakteristikum des Einzigartigen zu finden.
So gesehen sind die Kritiker in ihrem formelhaften Durchdeklinieren bildungsbürgerlicher Traditionen kaum weniger dumm als die Konsumenten, die sich an der Kinokasse ebenso abmelken lassen wie beim Kauf hochwertiger Datenträger.

Im Bann des Ähnlichen
Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“, haben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung geschrieben und man darf sich sicher sein, dass dank der vollständigen Durchökonomisierung alles Lebensäußerungen derartiges kaum noch verstanden wird. Kulturindustrie hat den Mythos der demokratischen Teilhabe am kulturellen Geschehen so sehr verankert, dass jener, der vehement seine Wahlfreiheit im bunten Selbstbedienungsladen der Medien beteuert, längst nicht mehr die Illusion derartiger Beteuerungen erkennt. Adorno hat dies so zusammengefasst: früher durfte man nicht wagen frei zu denken; mittlerweile sei dies möglich, aber nun könne man es nicht mehr, weil man abgerichtet sei, das denken zu wollen, was man wollen soll. Und eben dies würde als Freiheit gedeutet.
Man kann dies an den leidigen Diskussionen erkennen, die entstehen, wenn man zum Beispiel einen Film von Werner Herzog im größeren Kreis verhandelt. Die Aversion, die einem entgegenschlägt, gipfelt dann immer in der Frage, was dies denn zu bedeuten hat. So, als würde sich etwas an der Aversion ändern, wenn man denn in der Lage wäre, so etwas wie Bedeutung in griffige Worte zu kleiden. Dabei wird übersehen, dass die Aversion nicht aus dem Fehlen von Deutungsinstrumentarien herrührt, sondern aus der Wahrnehmung des Andersartigen und des von der Norm Abweichenden. Dieses Abweichende können wir längst nicht mehr hinnehmen. 
Ähnlichkeit beruhigt uns und zoologisch sind wir bereits Hamster im Laufrad. Nur gelegentlich streift uns ein Gefühl der Unruhe und wir ahnen, dass das Actionkino am Ende ist und Bruce Willis sich wohl zu Recht in die Rente begeben hat.