Dienstag, 8. Februar 2011

„Salt", „Knight and Day", „Red": Der Niedergang des Actionkinos


Überprüft man die Maxime *Höher, schneller, weiter“ auf ihre Praxistauglichkeit, wird man feststellen, dass sie im sportlichen Wettbewerb auf unüberwindliche Hürden stößt, während sie im kulturindustriellen Komplex zeitlich befristet durchaus funktionieren kann. Man starrt wie gebannt auf die jeweils neuen Superlative, besonders auf das technisch Machbare, solange, bis man die hochauflösende Qualität der digitalen Informationen für wichtiger als die Ästhetik des gestalteten Bildes hält, solange, bis man bizarr übersteigerte Plots für bedeutsamer als eine einfühlsame Reflexion der eigenen Lebensbefindlichkeiten einschätzt. Und das solange, bis sich der Affenzirkus trotz aller Anstrengungen nicht mehr steigern lassen und am Ende im Grotesken, in der Wiederholung und im Selbst-Referentiellen erstickt.
Dabei gilt eine Regel: man kann nicht damit aufhören! 
Unausweichlich ist dann jedoch, wie die Erfahrung lehrt, ein Ermüdungseffekt, der sowohl jene einschließt, die aktiv am Steigerungswahn mitwirken, als auch jene, die als Rezipienten passiv dem Geschehen beiwohnen. Schieben wir bei derartigen Betrachtungen die ökonomischen Härten der Arbeitswelt und den glitzernden Schein der Welt des professionellen Sports beiseite und betrachten zuvörderst das Kino, so verstärkt sich der Eindruck, dass die tempogeladene Rastlosigkeit des Actionskinos bereits anankastische Züge trägt.
Höher, schneller, weiter: Gäbe es eine Psychopathologie des Kinos, so würde in ihren Beschreibungskanon eben jene Zwanghaftigkeit aufgenommen werden müssen, die in steter Gleichmäßigkeit Filme auf den Markt schaufelt, die auf ordinäre Weise dumm sind.

Wiederholung als Geschäftsprinzip
Solche Thesen setzt man nicht ungestraft in die Welt. Es gilt also zwei Arbeitsfragen zu beantworten: Was ist dummes Kino und sind jene, die es schaffen, selbst dumm?
Bevor man sich als Cineast jedoch in der Pose intellektueller Selbstbemitleidung verströmt, sollte man die Forderung der großen Phänomenologen Husserl ernst nehmen: „Zu den Sachen!“. In unserem Fall möchte ich Signifikantes an Filmen wie „Salt“, „Knight an Day“ und „Red“ abarbeiten, um zu zeigen, dass das Actionkino voll und ganz auf dem Schlauch steht.

„Salt": eine CIA-Agentin wird von einem russischen Überläufer beschuldigt, ein Maulwurf in Diensten des russischen Geheimdienstes zu sein. Beim Versuch, sich zu rehabilitieren, deckt sie eine Verschwörung auf, die die atomare Zerstörung der Vereinigten Staaten zum Ziel hat. Die Hauptfigur rennt um ihr Leben und ballert wie wild.
„Knight and Day": ein Geheimagent wird verdächtigt, eine neue Super-Batterie auf eigene Rechnung zu verscherbeln. Beim Versuch, sich zu rehabilitieren, decken er und seine unfreiwillige Partnerin eine ungeheuerliche Verschwörung auf. Die Hauptfiguren rennen und ballern wie wild.
„Red": ein pensionierter CIA-Agent soll von einem Elite-Killerkommando liquidiert werden. Bei der Suche nach den Hintergründen entdeckt er eine ungeheuerliche Verschwörung, die er mit einigen bereits in Rente gegangenen Ex-Kollegen aufdeckt. Die Hauptfiguren rennen und ballern wie wild.

Dererlei Plots lassen sich reduktionistisch auf die erwähnten Kategorien des Grotesken, der Wiederholung und des Selbst-Referentiellen herunterbrechen. 
Grotesk ist der hybride Comic-Charakter der Figuren. Angelina Jolie wirkt in „Salt“ wie eine jedes Maß vermissende Potenzierung des „24“-Helden Jack Bauer; Tom Cruise ist in „Knight and Day“ als augenzwinkernd-ironische Variante des gleichen Typus nur unwesentlich erträglicher, während in „Red“ ein Killerquartett (Bruce Willis, John Malkovich , Morgan Freeman, Helen Mirren) bizarr überzeichnet wird, ohne dass sich das Lachen einstellen will, während sich gleichzeitig ein Gefühl der Lächerlichkeit quälend breit macht. Auch hier stellt sich die Frage: ist das Medium lächerlich oder sind wir es bereits, die wir alles klaglos über uns ergehen lassen?

Mit der Wiederholung und dem Selbst-Referentiellen macht sich in der Rede über Kino ein analytischer Ansatz aus der Systemtheorie breit, der sich erstaunlicherweise mit der ahnungsvoll-intuitiven Wahrnehmung von Filmen gleichschaltet. Nur selten trifft elaborierte Theorie so treffsicher das Gefühl der Leere, das sich in uns nach dem Betrachten dummer Filme breit macht.
In „Red“ erkennt man die Wiederholung an dem Umstand, dass der Plot nichts weiteres als eine unverschämt lieb- und humorlose Variante des Films „Space Cowboys“ ist, während „Knight and Day“ das Buddy Movie nicht um eine weitere Variante bereichert, sondern sattsam bekannte Vorbilder zitiert. Der Teebeutel wird nicht zweimal, sondern immer und immer wieder aufgegossen.
Das alles spüren wir und erstaunlicherweise benötigt die Kulturindustrie eine gewisse Zeit, um in uns das Gefühl des wohlig Vertrauten durch einen zunehmenden Widerstand zu ersetzen, der zwar die Wiederholung des Immergleichen als lästig empfindet, dem aber bereits die reflexive Potenz abhanden gekommen ist, die vonnöten wäre, um zu erklären, wo dieses Gefühl des Widerstands denn herrührt. Anders gesagt: man fühlt sich verarscht, kann aber nicht mehr beschreiben, wie denn eine denkbare Alternative auszusehen hätte.

Kein Blick auf die Realität
In der hermetischen Abschottung des schlechten Genrekinos mit der nicht enden wollenden Variierung vertrauter Muster, die zum Beispiel dahin führt, dass bereits ein Remake von „Total Recall“ angekündigt wird, weil es nach 20 Jahren ‚an der Zeit’ ist, den Film in neuem Gewand zu präsentieren, überstrahlt das Selbst-Referentielle als Epiphanie des Nichtssagenden schließlich das marode System industrieller Filmproduktion, wobei unter Systemtheoretikern als primäres Kriterium gilt, dass die derart beschriebenen Systeme sich im Selbstbezug stabilisieren und sich darin hermetisch von ihrer Umwelt abschließen. 
Vor diesem Hintergrund gilt als verschroben, wer ernsthaft danach fragt, warum die Kulturindustrie keine Produkte herstellt, in denen die Menschen etwas darüber erfahren, warum so viele Zeitgenossen arbeitslos um ihre Existenz bangen. Als realitätsblind gilt gar, zu fragen, warum der gemeine Pöbel in der Kunst schon längst nicht mehr erfährt, wer warum und mit welchen Mitteln herzlose Bankgeschäfte durchführt und dabei ganze Währungssysteme vor die Wand fährt.
Kultur, wenn sie denn welche wäre, müsste doch wenigstens gelegentlich die unmittelbaren Fragen unserer Existenz zu beantworten versuchen, während wir gleichzeitig ahnen, dass wirklich alles denkbar ist, nur das eben Genannte dabei in Gänze auszuschließen ist. Fragen unserer Existenz? Lachhaft! Und das Schlimmste: die wenigsten erinnern sich noch an das ihnen abdressierte Bedürfnis.

Wer ist eigentlich der Dumme?
Nun, da wir wissen, was dummes Kino ist, bleibt die Frage übrig, ob denn die, die es produzieren, auch selbst dumm sind. Sie sind es nicht, denn es ist ein großes Einfühlungsvermögen erforderlich, um zielsicher Filme zu produzieren, die massenwirksam sind und somit geeignet, die erforderlichen Rendite einzufahren. Es ist sicher kein Zufall, dass es im Business intelligente Executive Producer wie Lorenzo di Bonaventura gibt, denen als CEO erfolgreiche Filme wie Constantine, Transformers, Transformers: Revenge of the Fallen, Salt und Red gelingen. Man erkennt durchaus eine Spezialisierung und ein weitreichendes Verständnis für die Bedürfnisse der Zielgruppe(n).
Traurig und komisch zugleich ist es dann, dass Filmkritiker die reißbrettartig geplanten Industrieprodukte immer noch wie blödsinnig auf Inhalt, Ästhetik und Genretraditionen abklopfen, alles in eine auf den Regisseur bezogene Werkgeschichte hineindeuten, so als wäre es möglich, in einer Autofabrik am Ende des Montagebandes in den völlig gleichartig produzierten Vehikeln ein Charakteristikum des Einzigartigen zu finden.
So gesehen sind die Kritiker in ihrem formelhaften Durchdeklinieren bildungsbürgerlicher Traditionen kaum weniger dumm als die Konsumenten, die sich an der Kinokasse ebenso abmelken lassen wie beim Kauf hochwertiger Datenträger.

Im Bann des Ähnlichen
Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“, haben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung geschrieben und man darf sich sicher sein, dass dank der vollständigen Durchökonomisierung alles Lebensäußerungen derartiges kaum noch verstanden wird. Kulturindustrie hat den Mythos der demokratischen Teilhabe am kulturellen Geschehen so sehr verankert, dass jener, der vehement seine Wahlfreiheit im bunten Selbstbedienungsladen der Medien beteuert, längst nicht mehr die Illusion derartiger Beteuerungen erkennt. Adorno hat dies so zusammengefasst: früher durfte man nicht wagen frei zu denken; mittlerweile sei dies möglich, aber nun könne man es nicht mehr, weil man abgerichtet sei, das denken zu wollen, was man wollen soll. Und eben dies würde als Freiheit gedeutet.
Man kann dies an den leidigen Diskussionen erkennen, die entstehen, wenn man zum Beispiel einen Film von Werner Herzog im größeren Kreis verhandelt. Die Aversion, die einem entgegenschlägt, gipfelt dann immer in der Frage, was dies denn zu bedeuten hat. So, als würde sich etwas an der Aversion ändern, wenn man denn in der Lage wäre, so etwas wie Bedeutung in griffige Worte zu kleiden. Dabei wird übersehen, dass die Aversion nicht aus dem Fehlen von Deutungsinstrumentarien herrührt, sondern aus der Wahrnehmung des Andersartigen und des von der Norm Abweichenden. Dieses Abweichende können wir längst nicht mehr hinnehmen. 
Ähnlichkeit beruhigt uns und zoologisch sind wir bereits Hamster im Laufrad. Nur gelegentlich streift uns ein Gefühl der Unruhe und wir ahnen, dass das Actionkino am Ende ist und Bruce Willis sich wohl zu Recht in die Rente begeben hat.