Dienstag, 25. Januar 2011

Top Ten 2010 - Part II

Top 11 - 20
Wie versprochen hier der Rückblick auf die Plätze 11 – 20 unserer Jahresbestenliste.
James Camerons „Avatar“ landete überraschend nur auf Platz 11. Warum überraschend? Der entscheidende Grund liegt in den Noten nach der Erstaufführung im Club, wo ein Mitglied den Film mit einer doch recht herben 3,5 abstrafte. Ich selbst vergab nur eine 2,5, schrieb dann aber enthusiastische Kritik und korrigierte mich quasi dank der durch das Schreiben zusätzlich gewonnener Einsichten in die Struktur des Films. Dies widerum führte dazu, dass auch der missmutige Kritiker nach der Lektüre der Kritik am liebsten eine bessere Note gegeben hätte – doch das kam zu spät, da nun mal der erste Eindruck zählt. Eine posthume Nachbewertung des Films hätte ihn vermutlich auf den geteilten 1. Platz katapultiert, aber Regel ist Regel und darin besteht auch der Reiz eines Clubs, der spontan und unmittelbar seine Eindrücke verarbeitet. Heute, also ein Jahr später, ist noch klarer geworden, dass Cameron das ungewöhnliche Kunststück fertiggebracht hat, einerseits perfektes Popcorn-Kino vorzulegen, dies aber raffiniert mit einigen kulturkritischen Implikationen spannend aufzuladen. Letzteres dürfte auch den Arthouse-Fan ansprechen und dank dieser Mischung bleibt der Film ein spannungsgeladenes Stück Kino, das man sich wohl noch einige Male anschauen kann.
Packend war auch das Regiedebüt von Cary Fukanaga, der à la „City of God“ mit „Sin Nombre“ ein hartes und realistisches Gangdrama ohne versöhnlichen Ausgang inszenierte. Die unterschiedlichen Handlungsfäden werden durch den Versuch einiger Hundert Mexikaner zusammengehalten, die per Güterzug versuchen, illegal in die Staaten zu gelangen. Für den Europäer ist Fukanagas Film wie der Blick durch ein verbotenes Schlüsselloch. Man schaut hindurch und studiert gefahrlos eine von Stammesriten, barbarischen Moralcodes und exzessiver Gewalt streng reglementierte Welt, in der die Initiationsrituale fast noch schlimmer sind als die Verbrechen, die von der Gang verübt werden. Zivilisation ist alles andere als ein sicheres Gut, nur in der westlichen Demokratie halten Gewalt und Terror noch nicht in diesem Umfang Einzug in die Gesellschaft. Zumindest glaubt man dies. 14 Tage vor der Niederschrift dieser Zeilen haben in meiner Heimatstadt zwei 12-Jährige einen 10-Jährigen überfallen und mit Klappmessern versucht, dem Kind das Geld abzunehmen. Der Boden der Zivilisation ist dünn.
Mit „Brooklyn’s Finest” von Antoine Fuqua landete ein Cop-Film auf Platz 13. Früher hätte man von einem Kriminalfilm gesprochen, aber die Tendenz, den klassischen Genrebegriffen Sub-Genres hinzuzufügen, ist in diesem Fall gerechtfertigt, besonders in Hinblick auf die stilistischen Veränderungen, die von Robert Altman über den Autoren Paul Haggis zu den modernen Exemplaren des Genres führen. Die Auflösung der linearen Erzählweise durch Flashbacks und Cross-Cutting hat das Publikum adaptiert. Auch die komplexen Erweiterungen dieser Schemata durch multiple Handlungsstränge, die auf fast magische Weise am Ende zusammengeführt werden, sind akzeptiert worden. Ich persönlich finde dies gelegentlich aber schon wieder verbraucht. Oder profaner formuliert: ausgelutscht. „Brooklyn’s Finest” variiert diesen Stil sehr virtuos und insgesamt kommt auch veritables Kino dabei heraus, allerdings zahlt man dafür den Preis, dass alles am Ende etwas zwanghaft und schicksalhaft wirkt. Ich denke, dass die Zeiten der linear erzählten straighten Story nicht vorbei sind.
„Precious“ von Lee Daniels wird wie „Sin Nombre“ von dem voyeuristischen Entsetzen getragen, das uns beim Blick in eine fremde, brutale Welt überkommt. Als Sozialdrama über eine schwer übergewichtige Analphabetin, das von der Mutter misshandelt und vom Vater vergewaltigt wird, schafft es der Film irgendwie alle sentimentalen Cinderella-Motive zu vermeiden. Genauso ‚irgendwie’ ist dies auch ein typisch amerikanischer, der trotz seiner fast dokumentarischen Qualitäten den ‚American Dream’ schürt, obwohl die meisten Kritiker der Meinung waren, dass eben dies nicht der Fall ist. Keine Aufregung: in seiner Essenz ist der ‚American Dream’ ja nicht Schlimmes und Filme dieser Art erträgt man besser, wenn man am Schluss etwas Licht am Ende des Tunnels sieht. „Precious“ wurde ohne Kontroversen im Club sehr gut aufgenommen: alle gaben dem Film eine 2,5.
Clint Eastwoods „Invictus“ dürfte die Fans des Sportfilms ansprechen, auch wenn viele Kinogänger möglicherweise nicht einmal wissen, wer Nelson Mandela ist. Den intellektuelleren unter ihnen dürfte dafür die Rugby-Weltmeisterschaft herzlich egal. Da kommt ein geradezu klassischer Erzähler wie Eastwood gerade recht, um beide Zielgruppen zu bedienen und noch einmal ein spektakuläres Kapitel südafrikanischer Geschichte aufzuschlagen. Und tatsächlich sieht man gediegenes, handwerklich ausgezeichnetes Kino, das nicht sonderlich verstört oder aufregt. Etwas bieder ist der Film schon geraten, aber man nickt ihn ab, weil seine Moral aller Ehren wert ist. Und mal ganz ehrlich: Morgan Freeman ist wieder klasse, oder?
Auf dem 16. Platz landete „MR 73“ von Olivier Marchal. Man sieht dem Film über einen alkoholkranken und moralisch zerrütteten französischen Cop an, dass Marchal ein Fan von Jean-Pierre Melville und Henri Verneuil ist. Allerdings wird die Dramatik in „MR 73“ gelegentlich zur Melodramatik und ein Schuss Melvillscher Strenge in Form und Schauspielerführung hätte dem Projekt sicher gut getan. So fiel Marchal, der 2004 mit „36 – Tödliche Rivalen“ in Frankreich einen viel beachteten Erfolg erzielte, mit „MR 73“ komplett bei der Kritik durch. Und auch ich habe diesen Streifen mittlerweile aus meinem Filmgedächtnis gestrichen.
Auf dem 17. Platz landete die deutsche Komödie „Die Schimmelreiter“ von Lars Jessen, die offen gestanden ein wenig bezeichnend ist für die durchschnittliche Qualität der gesehenen Filme: Ganz nett, aber früher garantiert unter „ferner liefen“ angeführt.
 „Kick Ass“ von Matthew Vaughn sorgte (natürlich) für Trouble im Filmclub. Abgesehen von Mr. Mendez, der Comic-Verfilmungen grundsätzlich nicht mag, war der Rest begeistert und irritiert. Letzteres möglicherweise wegen des Vergnügens, das wir bei diesem brachial-brutalen Film hatten. „Kick Ass“ ist das ‚schwarze Schaf’ unter den Comic-Verfilmungen und im Vergleich zu dem prolligen Duktus des Films ist „The Dark Knight“ geradezu elitäres Kunstkino. Matthew Vaughn hat nur Klamauk im Sinn, aber dies gelingt ihm auf so originelle und spritzige Weise, dass die Geschichte eines verhinderten Superhelden das Bizarre und schamlos Übertriebene, das einem Comic nun mal innewohnt, verblüffend gut herausarbeitet. Dabei ist das satirische Moment des Films aufgrund der expliziten Gewaltorgien sehr ambivalent: es befeuert das eigene Geschäft an der Kinokasse und nimmt es gleichzeitig auf die Schippe. Und so hat man leider ein schlechtes Gewissen beim Hinschauen.
Das hat man auch bei dem Kandidaten auf Platz 19: „My Name is Khan“ ist ein Bollywood-Film ohne Singen und Tanzen, der aber in Amerika spielt und kräftig „Forrest Gump“ geplündert hat. Auch dieser Film schafft es trotz schärfster cineastischer Bedenken, den Zuschauer mit Charme und naivem Witz zu übertölpeln. Ob der Film ein zweites Betrachten übersteht, sei dahingestellt. Was ihn auf jeden Fall rettet, ist die rigorose Darstellung des ganz normalen amerikanischen Rassismus mitsamt der leider nicht ganz unberechtigten Terror-Paranoia, die einen muslimischen Inder, der zudem noch am Asperger-Syndrom leidet, in die Mühlen des Gesetzes und eines ungerechten Schicksals befördert. „Mein Name ist Khan und ich bin kein Terrorist“ hat jedenfalls das Zeug zum geflügelten Wort und auch die ganz beinharten Kinogänger brauchen ab und an eine Dosis mühsam unterdrückter Tränen. Lassen wir es dabei.
Last but not least schlug auf Platz 20 mit “Sherlock Holmes” ein Film auf, der gepflegtes Mainstream-Kino mitsamt einer unerwarteten Beschleunigung des klassischen Krimihelden mit sich führte. ‚Wolverine’ Hugh Jackman als Sherlock Holmes und Jude Law als Dr. Watson sind eher ein flottes ‚Hit and Run’-Team, als dass sie durch gepflegte Analysen am Kamin ihren Fall vorantreiben. Das ist Kino von der Stange und wirklich keinen zweiten Blick wert. Ich muss nur noch ein Rätsel lösen: Warum habe ich dem Film eine 2,5 zugestanden? Vielleicht hilft mir der Meisterdetektiv dabei.

Die schlechtesten Filme 2010
Was wäre ein Rückblick ohne kräftiges Abledern der Flops? Erstens macht es Spaß, zweitens bringt es alle auf die Palme, die diese Filme in ihre private ‚Best of’-Liste aufgenommen haben und drittens dient es als Beleg, dass wir uns gelegentlich zwar irritieren, aber nicht veräppeln lassen.
Miesester Film des Jahres wurde mit großem Abstand „The book of Eli“. Wir haben alle „Mad Max“ gesehen und „The Postman“ und damit ist der Bedarf gedeckt. Erst recht, wenn sich ein Film um einen post-apokalytischen Killer dreht, der die Bibel auswendig gelernt hat.
„Gegen jeden Zweifel“ von Routinier Peter Hyams ist eines jener Remakes, die man auch dann nicht braucht, wenn alle anderen Filme urplötzlich vernichtet werden. Was Michael Douglas außer seinem Honorar bewogen hat, in diesem völlig lustlosen und auch handwerklich miesen Gerichtsdrama mitzuwirken, bleibt sein Geheimnis.
„From Paris with Love“ entstand nach einer Story von Luc Besson, der schon bessere Tage gesehen hat. Hier hat jemand die platte Eindimensionalität eines Ego-Shooters in einen Kinofilm übertragen, den testosteron-geladene Mega-Prolls sicher lustig finden.
Restlos umstritten war das Abwatschen von „Louise hires a contract killer“. Ich fand diese französische anti-kapitalistische Komödie recht amüsant, blieb aber mit dieser Auffassung allein. Zwei Clubberer nagelten den Film mit jeweils 4,5 förmlich an die Wand. Ich bin sicher, dass ich den beiden keinen Film von Aki Kaurismäki zeigen darf…oupps.
Völlig von der Rolle war unserer Ansicht nach Steven Soderbergh, von dem wir viele gute Filme gesehen haben. „Der Informant“ fiel bei uns völlig durch: Matt Damon als hirnrissigen Idioten zu erleben, fanden wir alle nicht erheiternd und dass der Film eine bitterböse Farce sein soll, ist uns vor lähmender Langeweile auch entgangen.
Das waren die größten Flops des Jahres! Erwähnenswert ist noch, dass mit „Kommissar Bellamy“ der letzte Film des kürzlich verstorbenen Meister-Regisseurs Claude Chabrol durchgewinkt wurde, was auch Neil Burgers (Der Illusionist) flacher Komödie „The lucky-ones“ zuteil wurde. Es floppten auf den Folgeplätzen „Fanboys“, „Die Gräfin“, der Sci-Fi-Thriller „Pandorum“, aber völlig überraschend auch „In meinem Himmel“ von Peter Jackson.

Close but no cigar
Es ist ein Jammer: die besten Filme wurden wieder einmal nur von zwei Clubberern gesehen, was ein offizielle Wertung verhinderte. Dennoch verdienen sie es, mit viel Mitgefühl erwähnt zu werden (Noten in Klammer): „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ (1,5), einer der schönsten Filme der letzten Jahre; das unter die Haut gehen Schuldrama „Klass“ (1,5); das wunderschöne Tolstoi-Biopic „Ein russischer Sommer“ (2,25); die charmante Komödie „Mrs. Potter“ (2,5); Jason Reitmans mal bissige, mal nette Komödie „Up in the Air“ (2,5) und Steven Soderberghs epochales Che Guevara-Biopic „Che 1 & 2“ (2,5) – alles Kandidaten für Platz 1, hätte sie doch nur jemand gesehen! Und natürlich „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“

In der Jahreswertung landeten 51 Filme, das ist leider sehr wenig, da von uns früher Zahlen von 70 – 100 erreicht wurden. Auch die Noten waren früher besser und es ist schon bemerkenswert, dass wir im letzten Jahr keinen Film mit einem Notenschnitt von unter 2 dabei hatten.
Das war’s für 2010. Schauen wir mal, ob das nächste Jahr besser wird.