Montag, 24. September 2012

Die Tribute von Panem - The Hunger Games

-->
USA 2012 - Originaltitel: The Hunger Games - Regie: Gary Ross - Darsteller: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson, Lenny Kravitz, Elizabeth Banks, Stanley Tucci, Lenny Kravitz - FSK: ab 12 - Länge: 142 min.

In Susanne Collins Jugendbuchserie „The Hunger Games“ sind die USA schlichtweg im Eimer. Der übrig gebliebene Rest nennt sich „Panem“, was an Panem et circenses („Brot und Spiele“) erinnern soll. Die Reichen und Mächtigen sind nämlich, ach ja, immer noch reich und mächtig und regieren mit harter Hand 12 Provinzen, die Dreizehnte ist nach einer Revolte vermeintlich ausgelöscht worden. Um daran zu erinnern, dass wie bei den Borg Widerstand zwecklos ist, werden Jahr für Jahr die Hunger Games veranstaltet, wobei per Los jeweils zwei Kinder oder Jugendliche aus jedem Bezirk dazu bestimmt werden, in den für’s TV prachtvoll inszenierten Gladiatorenkämpfen ihre Heimat zu repräsentieren, besser gesagt: den anderen Kids möglichst schnell den Schädel einzuschlagen. Natürlich sollen am Ende 23 der Kandidaten mit dem Tod bezahlen und der Sieger kriegt alles: Reichtum, Ehre, auf jeden Fall aber genug zu essen, denn das ist mittlerweile ein echtes Problem geworden.
Soweit der Plot einer der derzeit beliebtesten Jugendbuch-Serien. Natürlich ist „The Hunger Games“ irgendwie eine Dystopie, also eine Anti-Utopie oder besser gesagt: eine Endzeitgeschichte. Und dazu eine erfolgreiche, die Trilogie wurde eine Bestseller. 
Eine Verfilmung war nicht mehr zu vermeiden.

Nur ein Plagiat? Keine Ahnung, auf jeden Fall ein schlechter Film!

Im Filmclub ist „Die Tribute von Panem“ gnadenlos gefoppt und belegt die Liste der miesesten Filme des Jahres 2012 als bislang drittschlechtester Film. Das liegt nicht daran, dass wir einen verwöhnten Geschmack haben, sondern an der Machart des Films: die Adaption für’s Kino, die sich eng an die Vorlage gehalten haben soll, ist einfach schlechtes Kino. Der Plot ist eine weitgehend unoriginelle Variation bekannter Genremuster, die Glaubwürdigkeit der Figuren irrlichtert zwischen humanistischen Idealen und greller Überzeichnung, Kameraarbeit und Montage sind ein besonders übles Beispiel für offenbar gewollten Dilettantismus. Da wir Vier inzwischen sehr belastbar geworden sind, ist eine Gesamtnote von 4,1 schon ein Desaster – nicht für uns, sondern für den Film. Um das zu verstehen, soll etwas ausgeholt werden...
Am Anfang einer Dystopie steht immer die Apokalypse. Die bekannten desaströsen Verhältnisse auf unserem Globus (Kriege, Klimawandel, Wirtschaftskriege usw. usw.) sorgen irgendwann für den Supergau und danach regiert entweder der Pöbel oder andere Bösewichter greifen zur Macht. In der Regel wollen sie natürlich bei der Ressourcenverteilung die Ersten am Futternapf sein. Die Unterjochten und Ausgebeuteten wünschen dagegen ihren Teil vom Kuchen oder sie wollen die Herrschaftsideologie überwinden, die ihnen das Lesen verbietet („Fahrenheit 451“), die Emotionen unterdrückt („Equilibrium“), schlichtweg faschistisch ist („V wie Vendetta“) oder genetische Selektion betreibt („Gattaca“). Dsytopische Elemente enthalten auch viele Sci-Fi-Klassiker wie „Metropolis“, „Clockwork Orange“ oder „Blade Runner“ und natürlich der große alte Evergreen „1984“. Natürlich bieten sich in Dsytopien auch patriotische Gegenentwürfe an. Kevin Costner hat dies in „Postman“ vorgeführt und ist böse baden gegangen.

„Die Tribute von Panem“ ist so gesehen ebenfalls eine Dystopie und die Verfilmung des ersten Teiles der erfolgreichen Trilogie „The Hunger Games“. Der Buchreihe wurde neben einem expliziten Sadismus auch mehr oder weniger offen vorgeworfen, ein Plagiat zu sein. Stephen King hat dies in seiner ansonsten wohlwollenden Kritik[1] dezent angedeutet.
Andere Kritiker waren nicht ganz so einfühlsam und warfen Susanne Collins vor, dass sie in der von 2008 bis 2010 erschienenen Reihe ziemlich unverhüllt die hierzulande noch unter Verschluss gehaltene bzw. stark geschnittenen Todesspiel-Orgie „Battle Ship“ von Kinji Fukasaku plagiiert habe. Wie auch immer: ich habe weder Collins Bücher gelesen noch Fukasakus Film gesehen, der – wen wundert’s – als Kultfilm gehandelt wird. Ein Plagiat nachzuweisen, ist zudem nicht einfach. Das allerdings ein Buch einen Film abgekupfert haben soll, ist nicht alltäglich. Aber eins ist klar: der Vorwurf an die Autorin lässt sich ohne Begründung nicht auf die Filmemacher übertragen, macht das Ganze aber in punkto Originalität zumindest verdächtig[2].

Konglomerat bekannter Versatzstücke

In der Literatur ist der Topos eine formale Kategorie, die man im weitesten Sinne als thematische Struktur erklären kann, und zwar häufig dann, wenn etwas zum Gemeinplatz, zur stereotypen Wiederholung geworden ist. Das ist an sich noch nichts Schlimmes, Filmgenres leben davon, aber zumindest sollte man wissen, wie sich das Zeug, das wir im Kino sehen, zusammensetzt.

Die „Tribute von Panem“ basieren topologisch auf einem universellen Baustein unserer Mythologien: dem Kampf von Auserwählten bis zum Tode. Wir kennen dies aus den historisch verbürgten Gladiatorenkämpfe, die uns über zwei Jahrtausende später z.B. als Wrestling-Show wiederbegegnen. Dieser narrative Baustein ist nicht deswegen so erfolgreich, weil er an die sogenannten niedrigen Instinkte appelliert, sondern weil er in seinen verschiedenen Spielarten eine spannende Erzählung garantiert: der Held in der Extremsituation, ständig vom Tode bedroht.
Gladiatoren kennen wir aus dem alten Rom, den Rest wie gesagt aus dem Kino. Wobei das auch nicht ganz stimmt, denn das alte Rom kennen wir schließlich auch nur noch aus sündhaft teuren Filmen oder wenigstens aus der Glotze. Vielleicht hat man sich das schon vor Urzeiten an den Lagerfeuern erzählt...
Der aufgeklärte moderne Medienmensch will 3000 Jahren später natürlich einen moralischen Kern in der Geschichte, damit sich das Hinschauen moralisch rechtfertigen lässt. Spaßig an dieser kritischen Reflexion ist, dass die Medienmacher das schlimme Spektakel erst einmal ausführlich  dem Publikum vorführen, damit man hinterher die moralische Kohärenz prüfen kann. Das heißt zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: man schaut einerseits genüsslich und folgenlos dem tödlichen Thrill zu und andererseits erfährt man, dass Gladiatorenspiele natürlich übel sind, gegen die Menschenwürde verstoßen und mindestens die Folge einer faschistischen Herrschaftsideologie sind, womit der aufklärerische Teil mitsamt seiner pädagogischen Nebenarme abgedeckt ist.

Und um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, wird unser Voyeurismus auch noch im Medium verdoppelt und gespiegelt: wir sehen uns dann einen Film an, in dem sich andere das Grauenhaften ihrerseits als Medienprodukt reinziehen. Damit sollen wir dann zur Einsicht gebracht werden, dass die Medien skrupellos sind, aber auch in uns das Böse zumindest als moralfreie Schaulust existiert.
Das muss nun per se nicht schlecht sein (George A. Romero hat dies in „Diary of the Dead“ ziemlich gut hingekriegt), aber in der Regel ergibt dies zumindest und todsicher ein famoses Geschäft, bei dem nur darauf zu achten ist, dass sich die Brutalitäten zumindest bei einer Jugendbuchverfilmung soweit im Rahmen halten, dass man eine milde Altersfreigabe erhält. Im Falle von „Die Tribute von Panem“ hat das gut funktioniert: mit fast schon billigen 78 Mio. US-Dollar wurde ein Film produziert, der bislang satte 685 Millionen abgeworfen hat. Moralische Erbauung und Nervenkitzel rechnen sich und man sollte sich daran gewöhnen, dass die Geschichten und ihr moralischer Kern, Sujet und Stil, all das, am Ende halt Produkteigenschaften sind.

Immer wieder die gleichen Geschichten

Wer allerdings alt genug ist, hat dies alles schon 10-20-mal gesehen oder gelesen. Wolfgang Menges Fernsehspiel „Das Millionenspiel“ setzte 1970 eine erste Duftmarke: etwa die Hälfte der Zuschauer reagierte entsetzt auf die Show, in der ein Kandidat von einer Killerbande gehetzt wird. Die anderen TV-Glotzer meldeten sich beim Sender flugs als Kandidat an! Entweder als Gejagter oder als Jäger. Der weitsichtige Menge konnte mit dem „Millionenspiel“, das draußen an der Mattscheibe von vielen für echt gehalten wurde, durchaus ein Alleinstellungsmerkmal beanspruchen, hatte er doch sehr prophetisch abgesteckt, was Quotendruck, Big Brother, Reality TV und Casting-Shows danach in den folgenden Jahren recht verschämt zu Wege brachten. Ach ja, im „Millionenspiel“ erhielt das gejagte Opfer Unterstützung durch aufrichtige Bürger" – in „Die Tribute von Panem“ werden sie „Sponsoren“ geheißen.
1982 erschien dann Richard Bachmans (aka Stephen King) „The Running Man“, was später natürlich ebenfalls verfilmt wurde („The Running Man“, 1987, R.: Paul Michael Glaser). Der Film wurde in Deutschland 1889 indiziert, ist aber gegenwärtig in einer verstümmelten FSK 18-Fassung wieder auf dem Markt.
Richard Bachman legte 1987 noch einmal das Sujet in einer Variante auf: „Todesmarsch“ (The Long Walk) handelt von einer Spielshow (!), bei der Jugendliche (!) erschossen werden, wenn sie bei einem Gewaltmarsch die geforderte Mindestgeschwindigkeit nicht einhalten können. 
Als Metzelfilm für Erwachsene wurde das Thema, allerdings mit freiwilligen Auftragskillern, in „The Tournament“ (GB 2009, R.: Scott Mann) durchdekliniert.

Platter Plot – das Scheitern des Geschichtenerzählens

„Die Tribute von Panem“ sind nichts anderes als die weitgehend entschärfte Variante eines Sujets, das eher auf den erwachsenen Zuschauer aus ist, für die jugendliche Zielgruppe daher adäquat entschärft werden musste. Man kann den Film auch marktkonform nennen. 
Natürlich gibt es Gewalt, aber Katniss (Jennifer Lawrence, u.a.: „X-Men – Erste Entscheidung“) ist eine durch und durch moralisch saubere Heldin. Nicht nur, dass sie sich freiwillig anstatt ihrer ausgelosten kleinen Schwester zu den Spielen anmeldet, sie kümmert sich während der Wettkämpfe um die Schwachen und hat ein inniges Verhältnis zur Natur. Klar, sie wird töten, aber es fällt ihr sichtlich schwer. Etwas Love Interest gibt es auch: Peeta (Josh Hutcherson, u.a.: „The Kid are All Right“), der sich schon früher in sie verliebt hat, wird ihr zur Seite stehen, so wie Katness ihm später das Leben retten will. Das wird durchaus spannend und auch psychologisch angemessen erzählt .

Auf der anderen Seite skizziert Gary Ross, der mit „Pleasantville“ (1989) eine ziemlich gelungene Mediensatire hinlegte und mit „Seabiscuit“ (2003) eher konservativ angehauchtes, aber ästhetisch rundes Familienkino ablieferte, die Gesellschaft in „Die Tribute von Panem“ mit den Mitteln der grotesken Überzeichnung: Mode und Frisuren sind geckenhaft, die herrschende Oberschicht ist sichtbar mondän und dekadent, die Talkshows im Fernsehen noch zynischer als gewohnt, und der böse Diktator Präsident Snow (Donald Sutherland) ist trotz ausgesuchter Boshaftigkeit so schlicht angelegt, dass man ihn fast nicht zu fürchten hat. Für den Comic Relief sorgt wieder einmal Woody Harrelson, der als einer der Mentoren der Teilnehmer seine abgezockte Cleverness erneut hinter schusseliger Lümmelhaftigkeit verbergen darf.
Was so ärgerlich daran ist? Ganz einfach: die Geschichte, die uns erzählt wird, bedient sich muffiger Klischees und einer nicht sonderlich originellen Mischung aus ‚hartem’ Realismus und einer überzogen infantilen Medienshow. 12-Jährige dürfte dies amüsieren, aber inhaltlich ist das auch ein generelles Problem der Dystopie. Als negativer Gegenentwurf zur keimfreien Utopie, in der die Gesellschaft ihre Probleme gelöst hat, sind die Ausgangsbedingungen in einer Dystopie willkürlich gesetzt, ihre historische Genese bedarf offenbar keiner weiteren Erklärung. Es ist immer das Gleiche: Katastrophen, Wirtschaftskrisen und andere apokalyptische Katastrophen führen zu repressiven und korrupten Gesellschaften, in denen die Helden oft beim Versuch scheitern, das System von innen aufzubrechen. Dabei möchte man doch eigentlich etwas differenzierter erfahren, wie es zu ‚so etwas’ kommen kann. Leider ist dies selten der Fall und in „Die Tribute von Panem“ auch nicht. Wenn es Dystopien in Literatur und Film nicht gelingt, das Neue in einer repressiven Gesellschaft als das bereits vorhandene Alte vorzuführen, sind sie gescheitert. Mit anderen Worten: eine Dystopie, die nicht den Erfahrungshorizont des Lesers oder Zuschauers einbezieht, ist ein entgrenztes Schauermärchen.

Chaos Cinema

Wer bis jetzt durchgehalten hat, muss nun auch noch den letzten Schlag aushalten: „Die Tribute von Panem“ ist miserabel gefilmt und geschnitten. Es schien den Machern nicht zu reichen, die Wackelkamera („Shaky Cam“) durchgehend einzusetzen, die Szenen wurden auch so geschnitten, dass der Zuschauer in einen Zustand diskontinuierlichen Sehens versetzt wird. Und das nicht nur in Actionszenen. Ein schauriges Beispiel sind Schnitte in die Bewegung, nach denen die neue Einstellung deutlich unter den üblichen 30 Grad bleibt, die in der ‚altmodischen’ Continuity-Montage gefordert sind. Dies und ähnliche Verfahren führen zu einer Hektik, die in voller Absicht die Wahrnehmung von Details und kontinuierliche Bewegungsabläufen verhindert. Selbst Dialoge werden durch absurde Zwischenschnitte so zerhackt, dass die Einstellungen unter 3 Sekunden bleiben (was übrigens dazu führt, dass man hinterher nicht mehr daran erinnern kann, was man gesehen hat).
Wer mehr über die Prinzipien und Absichten des Chaos Cinema erfahren möchte, sollte den gleichnamigen Aufsatz des deutschstämmigen Filmwissenschaftlers Matthias Stork lesen (Warnung: etwas Englisch ist vonnöten), der sehr detailliert und anhand konkreter Beispiele analysiert hat, wie sich das Actionkino in den letzten Jahren ästhetisch verändert hat.[3]
Fazit: "Die Tribute von Panem" ist ein grottiger Film, dessen Erfolg an den Kassen nur dann nachzuvollziehen ist, wenn man seinen Blick auf weitere desaströse Trends in der Kinokultur richtet. Ich erspare mir das. Zumindest heute.

Noten: Melonie, BigDoc, Mr. Mendez = 4, Klawer = 4,5


[2] Durchaus erwähnenswert ist, dass Susanne Collins für den ersten Teil „Tribute von Panem – Tödliche Spiele“ in Deutschland mit einem der begehrtesten Jugendliteratur-Preise ausgezeichnet wurde (2009) - dem Buxtehuder Bulle. 2010 erhielt die Autorin zudem beim Deutschen Jugendliteraturpreis den Preis der Jugendjury in der Altersgruppe zwischen 14 und 15 Jahre. Hier entschieden sich eine Jury aus Kids für das angesagte Stück Literatur. Wichtiger für das Franchise ist aber weniger ein deutscher Buchpreis als die harten Marktfakten: zum Zeitpunkt des Film-Release hatte Collins in den Staaten über 50 Millionen Bücher an den Mann ... respektive Mädchen und Jungs gebracht und belegte hinter Harry Potter den zweiten Platz im Ranking der Top 100 Teen Novels.
[3] Chaos cinema is a never-ending crescendo of flair and spectacle. It’s a shotgun aesthetic, firing a wide swath of sensationalistic technique that tears the old classical filmmaking style to bits. Directors who work in this mode aren’t interested in spatial clarity. It doesn’t matter where you are, and it barely matters if you know what’s happening onscreen. The new action films are fast, florid, volatile audiovisual war zones. http://blogs.indiewire.com/pressplay/video_essay_matthias_stork_calls_out_the_chaos_cinema

Dienstag, 18. September 2012

Bluray-Review: Hugo Cabret


USA 2011 - Originaltitel: Hugo - Regie: Martin Scorsese - Darsteller: Asa Butterfield, Chloë Grace Moretz, Ben Kingsley, Sacha Baron Cohen, Ray Winstone, Emily Mortimer - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 126 min. 

Paris 1931: nach dem Tod seines Vaters wird der zwölfjährige Hugo (Asa Butterfield) von seinem Onkel in die Gemäuer des Pariser Hauptbahnhofs geholt. Als der Onkel spurlos verschwindet, übernimmt Hugo dessen Arbeit: in einem schier unüberschaubaren Gewirr von Gängen, merkwürdigen Maschinen und gigantischen Zahnrädern sorgt er heimlich dafür, dass alle Bahnhofsuhren täglich aufgezogen werden. Alles, was dem Waisen von seinem Vater (Jude Law) geblieben ist, sind eine defekte mechanische Figur und ein Notizbuch mit Konstruktionsplänen. Als Hugo, der sich mit kleinen Diebstählen über Wasser hält, ausgerechnet Papa Georges (Ben Kingsley mit einer grandiosen Performance), den misstrauischen Besitzer eines Spielzeugladens, bestehlen will, wird er erwischt. Der alte Griesgram behält zur Strafe Hugos Notizbuch, was eine Reihe von Verwicklungen auslöst, die am Ende sowohl das Geheimnis der mechanischen Figur auflösen als auch Licht in die mysteriöse Vergangenheit von Papa Georges bringen. Denn dieser ist kein anderer als Georges Méliès!

Opulentes Kino

„Filme haben die Macht, Träume einzufangen“, sagt irgendwann Méliès zu Hugo. Und tatsächlich könnte der Plot von „Hugo Cabret“ auch von Steven Spielberg sein. Es überraschte ein wenig, dass sich ausgerechnet Thriller-Experte Martin Scorsese (Taxi Driver, Departed, Shutter Island) getraut hat, den märchenhaften Kinderroman „Die Entdeckung des Hugo Cabret“ zu verfilmen.
Herausgekommen ist ein opulentes und fantasievolles Stück Kino, das auch Erwachsenen Spaß machen wird, obwohl Scorsese gelegentlich zu übertrieben an den sentimentalen und burlesken Stellschrauben dreht. „Hugo Cabret“ hat für seine überwältigenden 3D-Bilderwelten Anfang des Jahres fünfmal einen Oscar erhalten, wie zu erwarten in den technischen Kategorien. Scorseses Film lässt in magischen digitalen Bildern das nicht weniger magische analoge Zeitalter aufleben und dort ticken die Uhren noch mechanisch und die gigantische Zeiger einer Bahnhofsuhr sind in solchen Zeiten robust genug, um das Gewicht eines fliehenden Jungen zu halten.

Hier zitiert Martin Scorsese nicht nur eine berühmte Stummfilm-Komödie von Harold Lloyd (Safety Last, 1923), sondern zeigt das Original auch auf der Leinwald. Es sind nicht die einzigen Ausschnitte aus alten Stummfilmen. Denn eigentlich geht es in „Hugo Cabret“ um Hugos Liebe zum Film und damit um Scorseses Hommage an das Kino, und zwar das alte, fast vergessene. Scorsese feiert in 3D die wunderbare Naivität der Stummfilme und die Erfindungsgabe der frühen Kinopioniere, die mit Bildern eines Zuges ihr Publikum in Panik versetzten und auch ohne digitale Tricks eine Reise zum Mond ermöglichten. Hugos Jagd nach seinem Notizbuch wird ihn deshalb in die Welt der Brüder Lumière und mehr noch in die von Georges Méliès führen, dem großen Wegbereiter des phantastischen Kinos. Der kleine Dieb Hugo wird am Ende dem von der Filmwelt völlig vergessenen Kinoveteran zur späten Anerkennung verhelfen.
Scorsese, der uns bislang eher saftige Alpträume vorgesetzt hat, sucht diesmal das Komödiantische, wobei allerdings Charme und Leichtigkeit der Bilder die traurige Grundierung der Figuren nicht immer überspielen können. Scorsese, der lieber in die Abgründe der menschlichen Seele schaut, besitzt halt nicht die bruchlose Naivität eines Georges Méliès. 

Brillantes technisches Niveau: eine Bluray auf Referenzniveau

Nicht alles, wo Bluray auf dem Etikett steht, ist High Def. „Hugo Cabret“ ist fast schon mehr als das – man möchte nicht mit Superlativen sparen. Das Bild ist gestochen scharf, ohne unnatürlich zu wirken. Die Details der Close-ups sind überwältigend, nichts ist auch nur im Ansatz weichgezeichnet, die Gesichtsfarben wirken absolut realistisch. Auch in den Totalen des großen Bahnhofs spielt die Bluray ihre Stärken aus. Man kann sich nicht vorstellen, diesen Film in einer geringeren Auflösung zu sehen. Auch beim Farbtransfer kommt man aus dem Staunen nicht heraus, alles ist fein ausbalanciert und wirkt mit einem warmen Grundton authentisch.
Fazit: Die Besprechung bezieht sich auf die 2 D-Version des Films. Hier gibt es nichts, was auch nur ansatzweise zu bemäkeln wäre.

 Bonus

  • DVD + Digital Copy
  • Auf dem Mond geschossen (Making of, (20 min)
  • Der Kinomagier: Georges Méliès (16 min)
  • Große Effekte, kleine Maßstäbe (6 min)
  • Der Mechanische Mann im Mittelpunkt von Hugo (13 min)
  • Sascha Baron Cohen: Die Rolle des Lebens (4 min)
 


Noten: Melonie = 2, BigDoc = 2, Klawer = 2, Mr. Mendez = 2