Samstag, 9. Februar 2013

Django Unchained

„Django Unchained“  ist ein Neo-Western und ein Märchen: die Reise eines weißen deutschen Kopfgeldjägers und eines Sklaven, die zu einer Reise von Vater und Sohn wird, einer Reise in ein böses Märchenland, das Candyland heißt, wo ein großer schwarzer Big Daddy (diesen Namen gibt Tarantino im Film aber einer anderen Figur, ausgerechnet einem weißen Sklavenhalter, gespielt von Miami Vice-Ikone Don Johnson) und ein sadistischer weißer Mann warten.

„Django Unchained“  referiert nicht direkt über Dinge, die außerhalb seines filmischen Kosmos liegen. Das tun die wenigsten Filme, aber Filme von Quentin Tarantino tun dies noch weniger – auch dort, wo sich in der Eingangsszene der schwarze Sklave Django fast majestätisch die Pferdedecke von den Schultern gleiten lässt, womit Tarantino den von Peitschenhieben zernarbten Rücken zeigen kann. Hier wird historische Wirklichkeit nachgebildet, aber auch ihre mediale Inszenierung, die uns allen sehr vertraut ist [1].
Um dorthin zulangen, wo man etwas über die Art und Weise erfährt, mit der Tarantino die Welt und ihre Geschichte(n) sieht, muss man vorher herabsteigen in den Kaninchenbau. Dort, wo Tarantino uns klar machen möchte, dass er eigentlich nur von anderen Filmgeschichten erzählt und auch diese ohne andere Filme sowieso nicht möglich gewesen wären. Diese verborgenen Regeln der Tarantino-Filme legen sich dann wie eine Textur über den Film, die den Tarantino-Look einerseits zum schnellen Konsum ausbreitet und bei näherem Hinsehen dem geschulten Nerd einige Einblicke in ein Denken gewährt, das irgendwo zwischen brillantem formalen Können und einer naiven Verspieltheit angesiedelt ist.
Also, dort im Kaninchenbau erhalten wir dann das Versprechen, dass alles gut wird und Tarantino die böse Welt nach seinen Regeln wieder zusammensetzt und dass Rache und Vergeltung einem richtig gut tun können. So hat Quentin Tarantino in
Inglorious Basterds mit vermeintlich naiver Selbstherrlichkeit Hitler und den deutschen Faschismus annihiliert und in „Django Unchained“  erhalten nun die schwarzen Sklaven späte Genugtuung. Während in Inglorious Basterds ein Kino abgefackelt wird, fliegt in „Django Unchained“  ein weißes Herrenhaus in die Luft. Es wird Zeit, dass Tarantino nun einen Film dreht, in dem die Indianer die Weißen von ihrem Kontinent vertreiben – am besten erzählt in jenem mythologischen Westernkosmos zwischen 1865 und 1900, in dem bereits so viele Geschichten über wahre und erdachte Geschichte phantasiert worden sind.

Einführung in das Erwerbsleben

1858: der deutsche Zahnarzt „Doctor King“ Schultz (Christoph Waltz) hält in tiefster Nacht zwei Sklavenhändler auf, die einen Trupp Nigger mit sich führen. In gepflegter, fast schon manierierter Sprache outed sich Schultz als potentieller Käufer eines des Sklaven, der offenbar wichtige Informationen besitzt. Die Sklavenhändler sind wenig geneigt, auf einen Handel einzugehen, und Schultz schießt unter großem Bedauern einen der beiden vom Pferd, während er dem Pferd des anderen einen Kopfschuss verpasst. Dann schließt er mit dem Überlebenden, der mit gebrochenen Beinen unter seinem toten Pferd liegt, eine Transaktion mitsamt Verkaufsurkunde ab. Der Sklave, den Schultz befreit, ist Django (Jamie Foxx).
Beide erreichen danach eine kleine texanische Stadt. Dort ist ein Nigger auf einem Pferd politisch ziemlich inkorrekt. Schultz lässt den Sheriff rufen, dann erklärt er Django, dass der eigentlich kein Zahnarzt, sondern Kopfgeldjäger ist und Django benötigt, um drei Verbrecher zu identifizieren, die er seit längere Zeit jagt. Nach diesem kurzen Arbeitsgespräch erschießt Schultz den Sheriff vor den Augen der entsetzten Stadtbevölkerung und erklärt dem Marshall und dem schnell herbeigeeilten Lynchmob mit großer rhetorischer Virtuosität, dass der ehrenwerte Sheriff in Wirklichkeit ein gesuchter Verbrecher sei und ihm nun 200 Dollar zuständen. Dead or alive. So lautet die Regel.


Der Charme der Monster

Christoph Waltz und Quentin Tarantino sind füreinander gefundenes Fressen. Keiner spielt Tarantino-Filmmonster mit so erlesenem Charme und kultivierter Sprache wie Waltz. Nun sind es bereits zwei erlesene Mistkerle und ein Ende ist nicht abzusehen. In „Inglorious Basterds“ spielte Waltz den SS-Standartenführer Landa mit so ausgesuchtem Charme, dass man wie in keinem anderen Film nicht nur ins schwarze Herz des Faschismus blicken, sondern auch auf emotionale Weise verstehen konnte, warum sich Kultur und Monstrosität eben nicht als unversöhnliche Gegensätze gegenüberstehen. Auch in „Django Unchained“ lässt Tarantino den Deutsch-Österreicher Christoph Waltz einen zynischen Menschenjäger so charmant spielen, dass einem fast warm ums Herz wird. Immerhin wird das Monster diesmal eine moralische Metamorphose durchlaufen. Das ist doch schon mal ein Fortschritt.

Gleich zu Beginn erzählt uns Tarantino die einführende Waltz-Episode in so ausgesucht altmodischen Bildern, dass man versucht ist, dies als Kommentar zu lesen. Kadrierung und Kameraführung und dazu die klassische anmutende Montage der ersten Sequenzen haben fast nichts mit den vielzitierten Spaghetti-Western zu tun, von wenigen Reiß-Zooms mal abgesehen, sondern viel mit der offenen Bildsprache eines John Ford. Das ist natürlich auch dem großartigen Robert Richardson zu verdanken (u.a. bevorzugter Kameramann von Oliver Stone und Martin Scorsese, für Tarantino: Kill Bill – Volume 1 & 2 und Inglorious Basterds). Und da sitzt man im Kino und sieht, wie ein Regisseur in aller Seelenruhe das Kino entschleunigt und einen Erzählraum konstituiert, wie man ihn lange nicht mehr im Mainstream-Kino gesehen hat. Tarantino etabliert bereits zu Beginn die formalen Gesetze seiner Geschichte, dann beginnt er damit, sie zu erzählen. Tarantino hat Stil und man sieht das.

Auch das Musikkonzept ist in „„Django Unchained“ “ interessant: natürlich gibt es wieder einmal nur wenige Original-Kompositionen, dafür eine Collage bekannter Themen (nicht nur aus Western) aus Django, Ein Fressen für die Geier, Brutale Stadt u.a., aber mehr als früher bekommt die Musik nun eine dramaturgische Funktion, die Musik und Bilder zu einem konzertanten Erlebnis zusammenfügen: Dialoge werden nicht zugekleistert, erst recht nicht, wenn Waltz spricht. Dafür gibt es Ouvertüren und Zwischenspiele, ehe am Ende die Tracks wieder ganz konventionell die Bilder paraphrasieren. Gelegentlich wird die Musik auch kontrapunktierend eingesetzt, etwa wenn Richie Havens Freedom mit der Tür ins Haus fällt.

Der Edel-Spaghetti-Western als Bildungs- und Erziehungsroman
Man sieht: „Django Unchained“ ist keineswegs humorlos, aber es ist ein giftiger Humor, den sein Regisseur versprüht. Nicht immer ist das für den Zuschauer leicht nachzuvollziehen, denn wenn der von Don Johnson gespielte weiße Plantagenbesitzer Big Daddy mit seinem kapuzenbewehrten Lynchmob den Wagen von Dr. King Schultz überfällt, muss man schon wissen, dass der Ku-Klux-Klan erst 1865 gegründet wurde, also nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Aber das sind nur Petitessen.  Entscheidend ist, dass Schultz und sein Protegé eine Reise durch ein imaginiertes Amerika antreten, das voller Symbole und Verweise ist.

Man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass Tarantino die Hälfte des Films im Stile eines Entwicklungsromans erzählt: Django erhält von dem außergewöhnlich gebildeten Schultz nicht nur eine zynische Einführung in die professionellen Eigenarten seines Business und die Kunst des Schießens, sondern auch einen Crashkurs in Mythologie zwecks moralischer Aufrüstung: Nachdem Schultz Django zugesagt hat, ihm bei der Befreiung seiner Frau Broomhilda zu helfen, erzählt ihm der Zahnarzt aus Düsseldorf einen wilden Mix aus den Nibelungensage und nordischen Mythen, und zwar von Siegfried und seiner Geliebten Brunhilde (nicht Kriemhild!), die der tapfere Mann mit viel List und Kampfesmut aus den Fängen eines gefährlichen Drachen befreien muss. Ein ziemlicher Bullshit, aber als Analogie zur Sklaverei frech montiert, wobei Tarantino noch etwas Blaxploitation untermischt: Djangos Frau heißt ausgerechnet Broomhilda von Shaft. In Tarantinos Diegese ist Djangos Frau die Frau von John Shaft, dem schwarzen Private Eye in dem gleichnamigen Blaxploitation-Kultfilm. Soviel zu den kleinen Spielereien von Quentin Tarantino, aber ähnlich wie in Inglorious Basterds wird auch in „Django Unchained“ der Verweis- und Zitatcharakter unterlaufen – es gibt buchstäblich nichts, was nicht irgendwie Zitat oder Verweis wäre [2]. Man hüte sich also vor übertriebenen Deutungen, es wäre der Weg der Buffs und Nerds, der allerdings nicht aus dem Kaninchenbau hinausführt.

Dieser ‚Entwicklungsroman’, der natürlich ganz nebenbei ein klassisches Buddy-Movie ist und dazu führen wird, dass auch der Mentor sich den Konsequenzen der Reise ins Herz der Finsternis stellen muss, führt Django und seinen Ziehvater nach einer Zeit des gemeinsamen Jagens (und Geldverdienens) zu Einlösung des Versprechens: beide finden heraus, dass sich Broomhilda (Kerry Washington) als Sklavin auf der Plantage Candyland [3] befindet. Um dem Plantagenbesitzer Calvin Candie (grandios gespielt von Leonardo DiCaprio) ein Geschäft schmackhaft zu machen, täuschen Django und Schultz ein Interesse am Kauf eines Mandigo-Kämpfers vor – Django mimt dabei den Kampfsportexperten des Zahnarztes. In Wirklichkeit aber wollen die beiden dem Sklavenhalter en passant Broomhilda abluchsen.

Mit dem Beginn des zweiten Teils des Films endet die Reise durch das imaginierte Amerika zwar nicht, dafür aber der straffe Inszenierungsstil Tarentinos. Die Handlung wird aus den Außen- und die Binnenräume verlegt und der Film zerfasert in alle denkbaren Richtungen – sei es nun der lange, brutale Kampf zweier Sklaven bis zum Tod des Verlierers, sei es ein netter Cameo-Auftritt von Franco Nero, seien es die langen Gespräche Calvin Candies, die es mit seinen Gästen führt. Diese schließen sogar eine Einführung in die Phrenologie ein, mit der Candie anhand eines Sklavenschädels den Gästen die Bereitschaft der schwarzen Rasse zur Unterwürfigkeit erklären will. Dem deutschen Zuschauer könnte angesichts des Bedürfnisses Candies nach einer wissenschaftlichen Erklärung der rassistischen Ideologie ein Licht aufgehen, so er denn seine eigene Geschichte kennt. Und das geht so: Der deutsche Akademiker und Profikiller Schultz, der sich bestens in Mythologien auskennt, trifft hier auf den mit Halbwissen ausgestatteten pseudo-intellektuellen Sklavenhalter – erneut öffnet sich Tarantinos Kosmos für eine Querverbindung, hier für einen Verweis auf die NS-Eugenik: Pseudo-Wissenschaft als Legitimierung des Genozid. Aber das ist bei weitem nicht alles, denn das von Leonardo DiCaprio schrecklich gut gespielte Monster fragt abschließend: „Warum töten sie uns nicht?“ Das hat schon was, denn in Tarantinos Diegese ist dieses Versäumnis natürlich umgehend nachzuholen – wie in Inglorious Basterds. Aber vorläufig hat Schultz dem Ganzen nur seine Bildung, seine List und am Ende seinen Derringer entgegenzusetzen. Wären da nicht der alte Haussklave Stephen und wäre da nicht Django.


Was zur Hölle hat Samuel L. Jackson in dem Film zu suchen?

Stephen ist der verabscheuungswürdigste Neger-Charakter in der Geschichte des Films (Samuel l. Jackson).

Vielleicht stimmt das nicht und in Wirklichkeit trifft dieses vernichtende Urteil auf die Macher von Vom Winde verweht zu, die Hattie McDaniel jene „Mammy“ spielen ließen, die in ihrer ruppigen Art fast wie ein mütterlicher Hausdrache über das weiße Herrenmädchen Scarlett herrschte. Wenn man „Django Unchained“ verstehen will, sollte man sich danach das David O. Selznick mit zehn Oscars überhäuftes Südstaaten-Epos noch einmal anschauen, das (bis in die deutsch Synchronisation) wie ein rassistisches Pamphlet wirkt und Farbige, eben abgesehen von jener „Mammy“, als debile Kretins präsentiert.  
Die Jovialität, mit der 1939 einer Negerin eine Rolle ‚fast auf Augenhöhe’ zugestanden wurde, wird in Tarantinos Film ins Bizarre übersteigert. In „Django Unchained“  ist Candies Haussklave Stephen (Samuel L. Jackson) nicht nur ein Kollaborateur, sondern er ist es, der das Wort ‚Nigger’ häufiger benutzt als jeder Weiße. Stephen ist es denn auch, der Schultz durchschaut und Candie klar macht, dass es bei dem lukrativen Geschäft nicht um einen Kampfsklaven, sondern um die hübsche Sklavin Broomhilda gehen soll, deren Preis an sich so elend ist, dass Candie für ein derartiges Geschäft Schultz und seinen Begleiter nie vorgelassen hätte.
 

Tarantino muss gewaltigen Spaß dabei gehabt haben, diesen ‚Nigger’ als heimlichen Herrscher von Candyland zu präsentieren – jener dominiert dank einer Melange aus jahrzehntelanger Erfahrung und grausamer Intelligenz, die ihn so unentbehrlich machen, dass er in vollem Umfang jedwede Freiheit besitzt, die er sich wünscht – meilenweit über den anderen Niggern stehend und erst recht über dem White Trash, dem Tarantino in vielen Szenen mit vulgär-zynischen Charakterisierungen den Krieg erklärt. Aber Stephen, dessen dramaturgische Funktion zunächst so schwer zu durchschauen ist, ist mehr als ein Kollaborateur – er personifiziert die Infamie, mit der es Rassismus und Faschismus geschafft haben, aus Opfern Mittäter zu machen. Stephens Figurenzeichnung konterkariert auf boshafte Weise die privilegierten jüdischen Sonderkommandos in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern, Männer, die häufig den Verstand verloren oder sich umbrachten und in Auschwitz immerhin einen Aufstand organisierten [4]. Stephen ist so gesehen das schlimmste Monster in „Django Unchained“ .
„Willst Du Deine Frau zu retten, indem Du mein Handwerk lernst? Das ist mein Handwerk: ich töte Menschen und ihre Leichen verkauf’ ich für Geld!“ (Dr. King Schultz zu Django)
 

„Django Unchained“  ist auch eine Geschichte vom Sündenfall und von der moralischen Metamorphose. Zunächst der Sündenfall: Django erlebt sein Waterloo in einer Schlüsselszene des Films. Schultz, Django und Candies Tross sehen sich auf der Plantage um und stoßen auf eine Truppe Weißer, die vor einem Baum stehen, auf den sich der Mandigo-Sklave D’Artagnan (man beachte den Verweis auf Alexandre Dumas, den Schultz später anbringen wird) geflüchtet hat. D’Artagnan will nicht mehr kämpfen, aber Candie rechnet ihm freundlich vor, dass er seinen Kaufpreis noch nicht eingespielt hat: „Weißt Du überhaupt, was Kompensation heißt?“ Der weiße Pöbel geifert vor Lachen. Schultz erträgt das Ganze nicht und will den Sklaven freikaufen, doch Django zeigt Härte und lehnt dies ab. Allein das Verhältnis von Schultz und dem Nigger Django ist schon Provokation genug und Candie lässt D’Artagnan von den Hunden zerfleischen, um Djangos Reaktion zu beobachten. Als Candie fragt, ob Schultz Derartiges nicht gewohnt sei, aber Django offenkundig doch, erwidert dieser: „Ich bin einfach Amerikaner und mehr gewohnt als er!“ Django hält sich an den Plan und lässt alles geschehen.

Nun die moralische Metamorphose: sie findet statt, nachdem der Plan von Schultz und Django aufgrund von Stephens Enthüllung aufgeflogen ist und Schultz mit Waffengewalt eine hohe Summe für Broomhilda abgepresst wird. Man geht um Geschäftlichen über, der Vertrag wird unterzeichnet und besiegelt. Candies Schwester Laura Lee spielt an der Harfe Beethovens „Für Elise“, während Tarantino zwischen der Vertragsabwicklung, Closeups des geschlagenen Schultz, Totalen von Laura Lee und Schultz’ Flashbacks von der Zerfleischung D’Artagnans hin- und herschneidet. Schultz springt auf: „Könnten Sie nicht aufhören, Beethoven zu spielen? Hände weg von der Harfe!“
Es folgt eine Debatte zwischen Schultz und Candie. Schultz erinnert Candie daran, dass dieser seinen zerfetzten Sklaven nach der Hauptfigur in Alexxandre Dumas’ „Die drei Musketiere“ benannt hat. Candie merkt an, dass Schultz wohl meine, dass Dumas die Ereignisse wohl nicht gebilligt hätte: „Dusseliger Franzmann.“ Worauf Schultz erwidert: „Alexandre Dumas war schwarz!“ Indem Schultz den frankophon angehauchten Candie, der nicht einmal Französisch sprechen kann, mit dessen Bildungslosigkeit konfrontiert, provoziert er die Eskalation. Schultz verweigert Candie den Händedruck und erschießt ihn stattdessen: „Tut mir leid. Ich konnte einfach nicht wiederstehen!“ Dann wird er von Candies Bodyguard erschossen und alles mündet in einem Blutbad. So endet die Reise der beiden mit einem multiplen Lernprozess, in dem der zynische Killer zum Humanisten wird und der befreite Sklave zum Killer. Das ist wohl nur bei Tarantino möglich.


„Überall ist Candyland!“ (Stephen)

Mit dem Tod von Waltz kastriert der Film am Ende ein wenig seine erzählerische Potenz – ohne den Mentor bleibt Django nur noch der von Tarantino überstilisiert inszenierte blutige Rachefeldzug à la Django, nur diesmal ohne Maschinengewehr. Alles ziemlich ironiefrei, auch wenn sich Quentin Tarantino als Nebendarsteller spektakulär in die Luft sprengen lässt. Und nachdem Django mit allen abgerechnet hat, lässt sich Tarantino endgültig gehen und gibt dem Affen Zucker: bevor Django mit Broomhilda nicht in den Sonnenuntergang, sondern in die schwarze Nacht davonreitet, lässt ihn Tarantino einige Dressurschritte mit seinem Pferd vorführen. Dann ein Flashback auf Dr. King Schultz: „Weißt Du, wie sie dich nennen werden? Den schnellsten Colt im ganzen Süden!“, und wenn Django und Broomhilda endlich davonreiten, sieht man als Letztes, wie Broomhilda eine Winchester aus dem Halfter zieht. Und nach dem Abspann mit einer Rap-Version des Django-Themas gibt es noch einen Schnitt auf eine Gruppe Sklaven: „Who was that Nigger?“, fragt einer.

Diese Überstilisierung zeigt wieder ganz den infantilen Tarantino, der mit seinen Versatzstücken spielt und aus dem blauäugigen, blonden Franco Nero-Django den schwarzen Jamie Foxx-Django macht, so als würde er dem Publikum sagen wollen: „Seht her! Das kann ich alles machen!“ Hier büßt der Film ein wenig von seiner Kraft ein und es scheint kein Zufall zu sein, dass nach dem Verschwinden von Waltz die Manierismen von Tarantino ungebrochen zum Vorschein kommen.
Aber über weite Strecken nimmt Tarantino das ernst, was den guten Corbucci-Western und den anderen von intellektuellen Filmfreunden auserwählten Edel-Spaghetti-Western in den 1970er Jahren nachgesagt wurde: nämlich dass sich hinter den schmuddeligen Bilder mehr verbirgt als das, was der Spaghetti-Western dem Augenschein nach ist. Tarantino hat diesen Filmmythos beim Wort genommen, seine Message sogar ausdrücklich beim Namen genannt [5] und dabei auch als Stilist alles richtig gemacht: er zelebriert brillante Mainstream-Unterhaltung und schiebt uns ganz nebenbei Bilder unter, die wir nicht so schnell loswerden. 

Und neben dem Zitieren der Vorbilder wird diesmal auch richtiges Erzählkino im Stile großer Western-Epen präsentiert. Mit „Django Unchained“ legt Quentin Tarantino eine trash-gefilterte politische Aussage vor, die auf das Wesen des Rassismus abzielt und weniger auf historische Genauigkeit. Das kann man ruhig einmal mit Spielbergs historisch weitgehend exakter und auch glaubwürdiger Fiktion in Lincoln abgleichen. Was beide Filme nicht erzählen: In den Jahren nach der Sklavenbefreiung war der eigentliche Gewinner dann doch der Ku-Klux-Klan und nicht der schnellste Colt im ganzen Süden. Als die Farbigen wählen durften, begannen die Massaker, allein in den Wochen vor den Präsidentschaftswahlen 1968 wurden beispielsweise in Louisiana 2000 Menschen umgebracht. Deshalb darf man nie vergessen, dass Tarantinos Films eine affektive Geschichtsrevision ist, keine faktische, und als solche ist sie selbst ein Stück Ideologie und keineswegs ideologiekritisch. „Django Unchained“  ist dennoch einer der wichtigsten Filme des neuen Jahres.

Noten: Mr. Mendez = 2, Klawer, BigDoc, Melonie = 1,5

Pressespiegel:
„Der Italo-Western war ein so beliebtes Genre, weil die Grausamkeit Figuren traf, von denen man sagen konnte, sie hätten es verdient. Das ist in „„Django Unchained“ “ genauso. Die Welt wäre zu retten gewesen, heißt das, und wenn die Geschichte anders verlief, kann einer wie Tarantino das im Kino wieder rückgängig machen. Er hat das schon einmal getan“ (Verena Lueken in: Frankfurter Allgemeine)
 

„...dies ist gerade angesichts des mitunter selbstgefälligen Liberalismus des Obama-Amerikas alles hochpolitisch - und wird in den USA auch so debattiert. Das ändert nichts daran, dass Tarantino vor allem dem weißen Amerika den Spiegel vorhält und vorführt, was die Weißen den Schwarzen einst antaten“ (Rüdiger Suchsland in: Telepolis). 


[1] Nicht nur die amerikanischen, sondern auch die deutschen Zuschauer sind auf entsprechende Weise durch „Roots“ medien-sozialisiert worden.
[2] Auf diesen Gedanken hat Benedikt Steierer in „Inglorious Basterds als kontroverser Metafilm“ hingewiesen: www.medienobservationen.lmu.de
[3] Hier passt es ausgezeichnet in Tarantinos Trash-Konzept, dass es ein literarisches Candyland gibt, nämlich in der Bizzaro Fiction von Carlton Mellick III, der so bahnbrechenden „Avant-Punk“-Bücher wie „Die Kannibalen von Candyland“ geschrieben hat.
[4] Medial verarbeitet in
The Grey Zone (2001) von Tim Blake Nelson.
[5] „Sie (die Deutschen) sind alle gezwungen worden, sich bis zur Bewusstlosigkeit immer und immer und immer wieder mit der Schuld ihres Volkes auseinanderzusetzen. Den Amerikanern ist es gelungen, irgendwie darüber hinwegzugleiten" (Quentin Tarantino).

O.: „Django Unchained“ , USA 2012; Regie: Quentin Tarantino, Drehbuch: Quentin Tarantino; Kamera: Robert Richardson, Schnitt: Fred Raskin; Länge: 165 Minuten, Altersfreigabe: ab 16, D.: Jamie Foxx, Christoph Waltz, Leonardo DoCaprio, Kerry Washington, Samuel L. Jackson, Don Johnson, Franco Nero, Walton Goggins, Quentin Tarantino, Tom Savini.