Sonntag, 20. Juli 2025

Like A Complete Unknown - Biopic über den jungen Bob Dylan

Hollywood hat sich nicht getraut. Acht Nominierungen bei den „Oscars“ gab es für „Like A Complete Unknown“ - am Ende gewann James Mangolds Film nicht eine einzige Trophäe. Erstaunlich, denn selbst jene Kritiker, die den Film nicht mochten, bescheinigten Timothée Chalamet in der Rolle der Folk- und Rock-Ikone Bob Dylan eine Jahrhundert-Performance. Den Oscar für den besten Hauptdarsteller erhielt aber Adrien Brody („The Brutalist“).

Vielleicht war es zu riskant, im Trumpland einen Film über einen Sänger auszuzeichnen, der in den 1960er-Jahren zur Leitfigur der Bürgerrechtsbewegung wurde. Der Kampf gegen den Rassismus und für mehr soziale Gerechtigkeit, für Geschlechtergleichheit und gegen Krieg und Unterdrückung war und ist ein Teil der amerikanischen Kultur- und Demokratiegeschichte. Dylans Songs prägten diesen friedlichen Widerstand. Dabei interessierte sich Dylan überhaupt nicht für Politik.

Die musikalische Evolution wird zum Skandal

Bob Dylan in einem Biopic psychologisch zu analysieren, dürfte schwer sein. Der Musiker mied in realiter Interviews wie der Teufel das Weihwasser, erzählte Fake-Geschichten über seine Vergangenheit und schien Spaß daran zu haben, als wandelndes Rätsel die Musikbranche aufzumischen. Mangold, der zusammen mit Jay Cocks das Drehbuch verfasste, versuchte es erst gar nicht und verließ sich auf das Buch von Elijah Wald „Dylan Goes Electric!“. Wald konzentrierte sich in der 2015 erschienenen Biografie auf die Jahre 1961-1965 und auf Dylans musikalische Evolution und seinen Wechsel zum Rock. Und das ist auch das Thema des Films.

Im Buch und im Film ist der „Skandal“, der sich 1965 auf dem Newport Folk Festival ereignete, der dramatische Höhepunkt und gleichzeitig ein musikalischer Kipppunkt. Jahrzehntelang wurde Folk mit politischem Widerstand verknüpft, besonders in den 1930er- und 1940er-Jahren, in denen Folk die Musik des Klassenkampfs und der Gewerkschaften war. Auf Woody Guthries Gitarre stand "This Machine Kills Facists" und die Veranstalter des Newport Folk Festivals wachten jakobinisch über ihre Musikkultur. Dass Rock auch politisch sein kann, kam ihnen nicht in den Sinn. Das wäre Häresie.
Und dann trat Dylan nicht mit seiner Folkgitarre vors Publikum und sang auch nicht „Blowin‘ in the Wind“, sondern er erschien mit einer E-Gitarre und einer Band, die losrockte und die sanftmütigen Folk-Jünger in Furien verwandelte. Die Veranstalter hatten es befürchtet. Dylan wurde als „Judas“ geschimpft (tatsächlich geschah dies später), die Menge tobte und beruhigte sich ein wenig, als Dylan sich mit einem Solo-Song verabschiedete. „It’s All Over Now, Baby Blue” sang er vielsagend und verschwand danach. 

„How many years can some people exist, before they're allowed to be free?” – dies war nun Geschichte. Dylan hatte sich von einer Rolle befreit, die er nicht mehr spielen und aushalten konnte. Wie es so weit kommen konnte, ist ein weiteres Thema des Films, der ebenfalls wie Elijah Walds Buch nur von den Jahren 1961-1965 erzählt.

Das Lächeln eines schläfrigen Raubtiers 

1961: Greenwich Village, New York. Bob Dylan taucht mit Gitarre und Rucksack in der Mega-City auf. Er ist auf der Suche nach seinem Vorbild, dem legendären Folk-Singer Woody Guthrie (Scoot McNairy). Der liegt aber mit Chorea Huntington sterbenskrank im Krankenhaus und kann nicht mehr sprechen. Pete Seeger (Edward Norton), ebenfalls eine Folk-Ikone und eine Schlüsselfigur der Friedensbewegung, sitzt an seinem Bett. Dylan packt seine Gitarre aus und singt seinen „Song to Woody“. Dafür ist er nach New York gekommen. Guthrie und Seeger sind bewegt, begeistert, es ist der Anfang einer beispiellosen Karriere. 

Dylan wird Seegers Protegé. Seeger verschafft dem ‚komplett Unbekannten‘ Zugang zu Folk-Clubs wie dem Gaslight Cafe. Dort erfährt der Musiker schnell, dass seine zum Teil düsteren Songs beim Publikum ankommen. Der Jazz-Produzent John Hammond (David Alan Basche) verschafft ihm überraschend bei Columbia Records einen Vertrag, aber auf seiner ersten Platte „Bob Dylan“ darf er nur covern, lediglich zwei eigene Songs wurden auf die Platte gepresst.

„Like A Complete Unknown“ ist kein Step-by-Step-Biopic, das gewissenhaft die biografische Timeline abarbeitet. Eine eigene Biografie lieferte Dylan erst 2004. Ansonsten blieb er ein Chamäleon. Und Chamäleons können sich halt an jede Umgebung anpassen und gelten mythologisch sogar als Sendboten Gottes. Mangold, der natürlich nicht ins Innere eines rätselhaften Künstlers eindringen konnte, liefert stattdessen subtile Außenansichten ab. Was Dylan war, zeigen seine Handlungen, sein Verhalten und seine knappen Bemerkungen.
Timothée Chalamet, der sich intensiv auf die Rolle vorbereitete, spielt Dylan nicht nur cool und selbstbewusst, sondern als dezent autistischen Mann, der mit halbgeschlossenen Augen wie ein schläfriges Raubtier wirkt, das harmlos erscheint, es aber nicht ist. Chalamets Dylan-Version ist selbstbewusst bis an den Rand der Eiseskälte, ein kreatives Genie mit unübersehbaren sozialen Defiziten. Damit hat sich Chalamet endgültig in die Oberliga Hollywoods gespielt. Leonardo DiCaprio war als Howard Hughes und J. Edgar Hoover nicht besser.

Erkennbar werden Dylans Defizite eigentlich recht einfach. In Mangolds Film trennt sich der Songwriter so gut wie nie von seiner Gitarre, die zu seinem Schutzschild wird, und die Frauen, auf die sich der Musiker einlässt, werden in der Nacht plötzlich aus dem Schlaf gerissen, weil Dylan gerade an einem neuen Song arbeitet und auch sonst kaum Rücksicht nimmt.

Dylan und die Frauen

Zwei Frauen spielen in Mangolds Film eine wichtige Rolle. Da ist die Malerin Sylvie Russo (Elle Fanning), eine Figur, die auf Dylans erster Freundin Suze Rotolo basiert. Der reale Dylan schrieb in seiner Biografie „Chronicles, Volume One“: „She was the most erotic thing I’d ever seen …She had a smile that could light up a street full of people.”
Aber Rotolo erkannte recht schnell, auf wen sie sich eingelassen hatte, nämlich auf einen Exzentriker und Egomanen: „Bob was charismatic: he was a (…) lighthouse, he was also a black hole.” Die reale Sylvie Russo hielt diese narzisstische Entwicklung für unvermeidlich: Ruhm korrumpiere halt die meisten. In Mangolds Film beklagt sie sich nach einigen Monaten: „Ich kenn‘ dich gar nicht!“ „Willst du, dass ich mich die ganze Zeit sinnvoll verhalte?“, antwortet Dylan kryptisch. Tatsächlich war es schwer, mit Dylan Gespräche zu führen.

Sylvie wird immer wieder auftauchen und bis zum Schluss der gescheiterten Beziehung nachtrauern. Rotolos immenser Einfluss auf Dylans musikalische Entwicklung ist in dem Film eine Randnotiz. Leider, denn durch die politisch engagierte Künstlerin lernte Bob Dylan nicht nur das Theater Bertolt Brechts kennen, sondern auch die Musik von Kurt Weill. Während der dreijährigen Beziehung las Dylan sehr viel und füllte seine bildungsgeschichtlichen Leerstellen. Leider bleibt James Mangolds Skizze von Suze Rotolo oberflächlich.

„Like A Complete Unknown“ zeigt dafür eine promiskuitive Seite Dylans, der zeitgleich eine Affäre mit der später weltberühmten Folk-Sängerin Joan Baez (Monica Barbaro) eingeht. 1962, die Kubakrise ist fast auf dem Höhepunkt und an der Ostküste verlassen die Menschen in Angst vor einem sowjetischen Atombombenangriff panisch die Städte, singt Dylan im Gaslight einen düsteren Song über die Verantwortungslosigkeit der Politiker. Baez hört zu. Als Dylan fertig ist, erklärt er dem Publikum: „Schlimme Zeiten – sucht euch jemanden, den ihr lieben könnt“. Dann ist er weg. Hinter der Bühne treffen sich Dylan und Baez und lediglich ein Augenkontakt reicht und beide liegen sich in den Armen.
Dylan profitiert am meisten von dieser Love Affair. Baez ist bereits ein Star der Folkszene und öffnet einige Türen. Beide treten gemeinsam auf und das Duo, Baez mit engelhafter und Dylan mit seiner berühmten krächzenden Stimme, feiert große Erfolge. 1963 nimmt Dylan am March on Washington for Jobs and Freedom teil, was Mangold in seinem Film unterschlägt. Es ist das Jahr, in dem er mit seiner Platte 
The Freewheelin' Bob Dylan" zu einer Ikone der Bürgerrechtsbewegung und der Protestsong-Szene wird. 

Einige Monate vor dem Newport-Skandal zerbricht die Beziehung zwischen Dylan und Baez, als er die Künstlerin zu einer Tournee  nach Europa mitbringt, sie aber nicht die Bühne lässt. I just sort of trotted around, wondering why Bob wouldn't invite me onstage, feeling very sorry for myself, getting very neurotic and not having the brains to leave and go home," erzählte Baez dem Rolling Stone. Auch das erfährt man in „Like A Complete Unknown“ nicht.
Die Beiläufigkeit, mit der Dylan seine Beziehungen pflegte, wird im Film im letzten Drittel auf ruppige Weise erkennbar. Dylans aktuelle Freundin erklärt ihrem Lover: „Ich liebe dich. Macht dir das Angst?“ „Ich kenne dich erst seit kurzem“, antwortet Dylan. „Aber, ja!“ Dann verschwindet er in der Nacht. Wir sind im Jahr 1965 und Dylans Bruch mit seiner musikalischen Identität steht kurz davor.

Und was erzählt James Mangold tatsächlich?

James Mangold hat zwar formal keinen so anspruchsvollen und anstrengenden Film gemacht wie Todd Haynes mit „I’m Not There“ (2007), aber „Like A Complete Unknown“ ist differenziert genug, um den Film jenseits des regelbasierten Mainstream-Kinos zu verorten. Der Regisseur hatte bereits mit „Walk the Line“ (2005), einem diskutablen Biopic über Johnny Cash (gespielt von Joaquin Phoenix), überzeugen können. Dass er komplexe Charaktere durchdringen kann, zeigte er aber noch besser in „3:10 to Yuma“ (2007), den ich für einen der besten Noir-Western aller Zeiten halte. 
In „Like A Complete Unknown“ hat auch Johnny Cash (rustikal gespielt von Boyd Holbrook) einige Szenen. Er ist einer der wenigen, die Bob Dylan wirklich verstehen. „Mach‘ ihren Teppich dreckig!“, rät er Dylan kurz vor dessen provokanten Auftritt beim Newport Folk Festival.
 

In „Like A Complete Unknown“ erfindet Mangold das Rad nicht neu. Der Film ist ein klassischer Dreiakter. Die Einleitung hat mit der Begegnung von Guthrie, Seeger und Dylan den ersten entscheidenden Plot Point. Im zweiten Akt erleben wir Dylans Konfrontation mit dem Ruhm spätestens in den Szenen, die hysterisch kreischende Frauen zeigen, wenn der Künstler sich in der Öffentlichkeit zeigt. Es ist der zweite Plot Point, zu dem auch die Partys der Platten-Produzenten und der Musiker gehören. Sie nerven den Musiker spürbar. 
Dass Bob Dylan in dieser Zeit ein Drogenproblem hat, verschweigt Mangold allerdings. Damit umschifft er zwar die obligatorischen Drogenthemen in anderen Biopics über Musiker, ihren Aufstieg und ihren Fall. Auch dies ist ein Schwachpunkt des Films. Dylan gestand seine Heroinsüchtigkeit 1966 in einem seiner seltenen Interviews. Auch dass er damals an Selbstmord dachte, nachdem alle in als Genie bezeichneten. 
Die dritte Akt zeigt die Auflösung als Selbstbefreiung – Dylan bricht mit der Folkszene und wendet sich dem Rock zu. Es gibt aber keinen tiefen Fall. Stattdessen wird Bob Dylan zum Superstar, der sogar den Nobelpreis für Literatur erhält – und nicht zur Verleihung erscheint.

Doch was will Mangold eigentlich erzählen? Ganz klar wird das zunächst nicht. Was Dylan in seinem Innersten bewegt, bleibt Spekulation. Der Musiker bleibt im Leben wie im Film ein Rätsel, mal abgesehen von seinen emotionalen Defiziten, die nicht nur seine Beziehungen zu Frauen negativ beeinflussen.

„Like A Complete Unknown“ ist auf jeden Fall ein begeisternder Musikfilm, für den Timothée Chalamet über 40 Songs einstudierte. Chalamet kommt der typischen Stimme Dylans sehr nahe, ist aber um einige Nuancen geschmeidiger. Fast alle Songs werden in dem 141 Minuten langen Film ausgespielt. Das ist ungewöhnlich, aber konsequent.

Man kann James Mangolds Film kritisieren, aber es ist schwer zu leugnen, dass er den Zeitgeist der frühen 1960er-Jahre punktgenau trifft. Mit Dylans Songs wie „Highway 61 Revisited“, „Mr. Tambourine Man", „Don't Think Twice, It's All Right” oder „It's All Over Now, Baby Blue". 
Aber in einer Zeit, in der sich die junge Generation politisch neu orientierte und pazifistisch und gesellschaftskritisch Position bezog, wurde Bob Dylan mit anderen Songs zur Legende. Mit „A Hard Rain's a-Gonna Fall", in dem viele die Warnung vor einem nuklearen Fallout erkannten, was Dylan energisch abstritt, oder mit dem Folk-Klassiker „Blowin' in the Wind“. Das programmatische „The Times They Are a-Changin” traf die Gefühle der Folk-Generation beim Newport Folk Festival 1964 mitten ins Herz. 

"Like a Rolling Stone" war 1965 bereits ein Song, der mit einer Band eingespielt wurde und er war das Ergebnis von Dylans Bruch mit den Konventionen, eine Antwort auf seine Frustration und die als fremd erlebte Verortung durch seine Fans. Das Lied über eine junge Herumtreiberin spiegelte einerseits Dylans Fähigkeit zur Selbstreflexion, andererseits auch seinen typischen Sarkasmus wider. 
„How does it feel? To be on your own. To be without a home. Like a complete unknown. Like a rolling stone?” „Like a Rolling Stone" wurde vor 21. Jahren zum „Besten Song aller Zeiten“ gewählt – natürlich vom „Rolling Stone Magazin“. 

Einige Dekaden später wird es den Zuschauern schwerfallen, Dylans Rolle während der Aufbruchsstimmung der 1960er-Jahre zu verstehen. Dylan war nicht einfach nur ein brillanter Songwriter, sondern der überirdische Kopf der Bewegung. Das eigentliche Dilemma war die Verknüpfung seiner Rolle mit einer konservativ verteidigten Musikrichtung – dem Folk. Dylan wurde dank Folk Music zum Mythos. Das konnte bei einem Künstler, der sich permanent neu erfinden wollte, nicht gutgehen. Der dramatische Aspekt des Film ist daher mit einer Frage verknüpft: Gibt es eine untrennbare Beziehung zwischen einem Künstler und seinem Werk, zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung? 
Viele Künstler bleiben, was sie sind und befriedigen die Erwartungen ihrer Fans. 
Zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung passt kein Blatt Papier. Und der Künstler surft auf der Welle der Begeisterung, bis andere den nächsten innovativen Schritt machen. Dylan konnte und wollte dies offenbar nicht. Den innovativen Schritt wollte Bob Dylan lieber selbst in die Hand nehmen.

Edward Norton ist der heimliche Star des Films

Deutlich wird das Dilemma durch eine faszinierende wie auch brüchige Männerfreundschaft, die von Dylan nicht besonders engagiert gepflegt wird. Es ist seine Beziehung Pete Seeger, der bis zu seinem Lebensende das geblieben ist, was er von Beginn an war: ein politischer Aktivist, ein Kämpfer für Gerechtigkeit. Mit 89 Jahren sang Seeger 2009 bei der Amtseinführung von Barack Obama zusammen mit anderen Künstler Woody Guthries „This Land ist Your Land.“ Und wenige Woche vor seinem Tod legte er sich mit Wladimir Putin an und verlangte die Freilassung von Greenpeace-Aktivisten.
Diese Rolle wollte Dylan nicht übernehmen. Mangold zeigt daher 
Pete Seeger als Gegenentwurf. Und Edward Norton spielt den wahren Star der politischen Folkszene brillant als warmherzigen, empathischen Förderer Dylans mit einer einfühlsamen Dringlichkeit, die in Mangolds Film fast zu kurz kommt, ganz einfach, weil sie in unseren Zeiten mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.

Pete Seeger bleibt trotzdem im Gedächtnis haften, und das macht „Like A Complete Unknown“ dann doch zu einem runden Film. Etwa, wenn Seeger seinem Protegé mit einer Parabel erklärt, welchen Einfluss eine dezidiert politische Musik auf die Gesellschaft haben kann. Seeger ist in Mangolds Film der in sich ruhende Musiker, der mit seinem Banjo eine humanistische Botschaft verbreiten will. Und da ist sein Protegé Bob Dylan, der irgendwann sagt „Ich pfeife auf die Politik“ und sich nur dann frei fühlt, wenn er das spielen kann, was er will – wobei die Menschen sich gefälligst von ihm fernzuhalten haben. 

Am Ende kann man den verzweifelten Seeger nur knapp davon abhalten mit einer Axt die Soundanlage des Newport Folk Festivals 1965 zu zertrümmern, um Dylans „elektrischer Band“ den Saft abzudrehen. Ihr Prophet hatte allen den Stinkefinger gezeigt und machte sich vom Acker. Der Mythos war zerstört. Dies war für die Puristen der Folk-Szene ein Verrat. Später sollen beide Sänger respektvoll miteinander umgegangen sein. 
Wer also den Film sieht, sollte sich die Zeit nehmen, um etwas über Peter Seeger zu erfahren. Es lohnt sich, denn der finale Crash zwischen Seeger und Dylan war keine Petitesse. Es war ein Zusammenprall. Nicht von unterschiedlichen Musikrichtungen, sondern von unterschiedlichen Lebenskonzepten.

Postskriptum: Der Verfasser dieser Rezension war nie ein Folk-Freund. Trotzdem waren Bob Dylans Songs in meiner Jugend dauerpräsent. Ich kannte sie alle. „Like A Complete Unknown“ hat mir gefallen, weil man in James Mangolds Film das Feeling der 1960er-Jahre authentisch erleben kann und weil es in der Kunst - und nicht nur in der Musik - Zäsuren gibt, die das Etablierte über den Haufen werfen. Das ist ehrlich, auch wenn die Puristen anderer Meinung sind.
Überhaupt waren die 1960er-Jahre in musikalischer Hinsicht revolutionär. Der Rock etablierte sich, der Jazz warf alle Konventionen über Bord. Der Jazztrompeter Miles Davis erschuf 1959 das legendäre „Kind of Blue“, die bis heute am häufigsten verkaufte Jazzplatte. Davis hörte aber zur gleichen Zeit, als Bob Dylan zum Rockmusiker wurde, damit auf, Hard Bop zu spielen. Er spielte Modalen Jazz und gehörte zu den Erfindern des Fusionjazz – und der integrierte Rock in seinen Sound. 
Auch Davis schockierte seine alten Fans damit und begeisterte neue. Eine komplexe Persönlichkeit, die live dem Publikum den Rücken zuwandte. Also jemand, mit der man nicht unbedingt ein Bier trinken würde. Aber seine Musik bleibt. Auch Bob Dylans Musik bleibt. Und ich wette, dass viele bis heute an seinem Mythos festhalten. Das ist legitim. Songs wie 
The Times They Are a-Changin'" sind nämlich zeitlos: As the present now will later be past."

(überarbeitete Fassung vom 21.7.2025) 

Note: BigDoc = 1,5

Trivia

  • Deine Songs sind wie Ölgemälde in einer Zahnarztpraxis - zu gewollt!", erklärt Bob Dylan seiner Freundin Joan Baez.
  • Joan Baez singt Dylans „Blowin' in the Wind" bevor Dylan ihn veröffentlicht. Baez covert also den programmatischen Song, ohne dass es jemand weiß.

USA 2024 - Original-Titel: A Complete Unknown - R: James Mangold - Buch: James Mangold, Jay Cocks - nach dem Buch von Elijah Wald „Dylan Goes Electric!“- Kamera: Phedon Papamichael - Laufzeit: 141 Min - FSK: 6 - D: Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning, Monica Barbaro, Boyd Holbrook, Dan Fogler, Norbert Leo Butz, Scott McNairy.