Mittwoch, 2. April 2014

The Return of the First Avenger – Winter Soldier

Im Marvel-Kinouniversum gehört „Captain America“ hierzulande nicht zu den populärsten Figuren. Die Einspielergebnisse an den Kinokassen waren vor zwei Jahren grottenschlecht, nur knapp mehr als 300.000 Zuschauer wollten den Patrioten mit den Strumpfhosen sehen. Nun hat Marvel dem Superhelden einen knackigen Relaunch verpasst – und der deutsche Verleih hat den Namen gleich aus dem Filmtitel entfernt.
Für das Sequel hat man auf Steve Rogers’ Künstlernamen komplett verzichtet: in den USA heißt der Film „Captain America: The Winter Soldier“, hierzulande ‚nur’ „The Return of the First Avenger – Winter Soldier“.
Im Gegensatz dazu muss sich der US-Verleih nicht vor seinem Inlandsmarkt fürchten: „Captain America – The First Avenger“ spielte 2011 das Zweieinhalbfache seiner Produktionskosten ein. Die Portokosten, nämlich weniger als 5 Mio. US-Dollar, steuerten deutsche Zuschauer bei. Möglicherweise hat dies die deutsch-amerikanischen Beziehungen mehr verfinstert als unser zahmer Protest gegen die Verwanzung unserer Bundeskanzlerin durch die NSA.

Keine bösen Russen, sondern böse Nazis

Es könnte sogar noch ärger sein. Denn dann ist „The Return of the First Avenger“ kein Comic, sondern purer Enthüllungsjournalismus. Allerdings müssten wir in diesem Fall Schlimmstes befürchten. Denn gegen das, was S.H.I.E.L.D, der fiktive US-Geheimdienst, im Schilde führt, sind die weltweiten Aktivitäten der NSA ein Kinderstreich.
Mit dem Projekt „Insight“ sollen in „The Return“ nämlich alle US-Bürger mit S.H.I.E.L.D-Supercomputern nicht nur biometrisch, sondern dank komplexer Algorithmen auch auf ihr zukünftiges Terrorismus- und Kriminalitätspotential hin geprüft werden. Wer kein Patriot ist, wird mithilfe gigantischer Luftschiffe präventiv aus dem Spiel genommen. Die satellitengestützten Helicarrier können nämlich binnen Sekunden jegliches Ziel auf dem Boden blitzschnell orten und liquidieren. Mit anderen Worten: S.H.I.E.L.D will ca. 20 Mio. US-Amerikaner töten.

Dahinter steckt aber weniger der knarzige Nick Fury, den allerlei Bedenken quälen, sondern Alexander Pierce (Robert Redford), der Vorgänger Furys. Dieser ist als Mitglied des Weltsicherheitsrates immer noch Boss des S.H.I.E.L.D-Direktors und hat offenbar einige mächtige Politiker von seinen ultimativen Strategien überzeugen können. Im Hintergrund hat der bereits im ersten Teil als findiger Technik-Nerd in Erscheinung getretene Arnim Zola (Toby Jones) offenbar die passende Software dazu geschrieben. Allerdings existiert der Weggefährte von „Red Skull“ nur noch als reiner Geist in einer unterirdischen Computeranlage. Und das nicht mehr lange.

Das Ganze sieht ein wenig so aus, als sei es bei „Minority Report“ abgekupfert. Aber das sollte nicht stören. „The Return of the First Avenger“ kann durchaus als sardonischer Kommentar zu den aktuellen politischen Geschehnissen und den Drohnen-Einsätzen der US-Militärs und sonstiger Dienste gelesen werden, was auch von der Machern des Films beabsichtigt worden ist.

Aber keine Sorge: im Kino muss man sich dabei geistig nicht überanstrengen. Denn jenseits dieser Anspielungen setzt „The Return“ die Storyline aus dem ersten Teil konsequent fort. Captain America (Chris Evans) fremdelt immer noch mit der Brave New World des 21. Jh., aber die wahren Bösewichter sind nicht die Russen, wie ein Kritikerkollege vorauseilend gehorsam vermutete, als er den Kalten Krieg mitsamt dem guten alten Ost-West-Konflikt heraufziehen sah, sondern es sind nach wie vor die Renegaten-Nazis der Geheimorganisation „Hydra“. Und die kennen wir bereits aus dem ersten Teil. Heil Hydra!

Gelungener Relaunch einer komplizierten Comic-Saga

Und Captain America? Der sieht die Bedrohung klassischer amerikanischer Freiheitswerte nicht nur mit Skepsis, sondern mit Entsetzen. Kein Wunder, denn vielleicht muss man tatsächlich die letzten 70 Jahre schockgefroren verbracht haben, um das Überwachungs-Neusprech der Neuzeit wirklich mit ganz anderen Augen sehen zu können. 
Als dann Nick Fury trotz heftigem Widerstand von einem mysteriösen Killer und dessen Hilfstruppen ermordet wird (keine Sorge, dies ist kein echter Spoiler), begibt sich der erste Avenger zusammen mit „Black Widow“ (Scarlett Johansson) und seinem neuen Sidekick Sam Wilson (Anthony Mackie als „Falcon“), einem Kriegsveteranen, auf einen Feldzug, um den Strippenziehern das Handwerk zu legen. Dabei lernt er nicht nur den „Winter Soldier“, die mysteriöse Kampfmaschine des Gegners, sehr intensiv kennen, sondern erfährt dabei auch, was auch seinem alten Kumpanen „Bucky“ Barnes (Sebastian Stan) geworden ist.

„The Return of the First Avenger“ ist unterm Strich eine der besseren Comic-Verfilmungen aus dem Marvel-Universum geworden. Das Ganze wirkt wie jener Relaunch, der mit „Casino Royale“ und Daniel Craig in der Bond-Serie erfolgte: Alles ist physischer, taffer, realistischer. Die Body Action und Verfolgungsjagden könnten so auch in einem Bond-Film zu sehen sein, auf Comic-Gimmicks und Helden in Strumpfhosen muss man dagegen lange warten. 
Mit „The Return“ ist ein Teil des Marvel-Universums deutlich erwachsener geworden.
Anthony und Joe Russo (Regie) und das Autoren-Duo Christopher Markus und Stephen McFeely („The Cronicles of Narnia“ 1-3, 2005-2010, „Captain America: The First Avenger“, 2011, „Thor: The Dark World“, 2013) haben der Figurenentwicklung mehr Raum gegeben. Etwa wenn sich der eher konservative Moralist und in den 1940ern hängen gebliebene Steve Rogers und die deutlich skrupellosere Natasha Romanoff aka Black Widow Weltanschauliches um die Ohren hauen.

Die Russos sind zuletzt weniger im Kino (zuletzt sehr erfolgreich mit der Owen Wilson-Komödie „You, Me and Dupree“, 2006) aufgefallen, sondern als Produzenten und Regisseure bekannter TV-Formate. Zusammen mit den Marvel-erfahrenen Scriptwritern Markus und McFeely halten sie die Zeitlinie und die episodenübergreifende Kontinuität des „Avengers“-Plots plausibel ein, obwohl Letzterer nur kurz angedeutet wird.
Als gelungen darf man auch die Komprimierung der Original-Comics bezeichnen, denn dort schlüpfen nicht nur unterschiedliche Personen in das Kostüm Captain Americas, sondern es kam zuletzt auch zum Teamwork mit den X-Men. Diese Komplexität erspart sich Marvels Kinokosmos.

Nicht nur Captain America und Black Widow erhalten so mehr Tiefe, auch die Rolle des mit einem metallischen Wingpack ausgerüsteten „Falcon“ wird sorgfältig entwickelt. Immerhin ist er der erste afroamerikanische Superheld. Samuel L. Jackson tritt in „The Return“ endlich aus dem Schatten einer Nebenrolle heraus. Als faschistischer Hydra-Schurke Alexander Pierce darf Robert Redford glänzen und man sieht, dass das Ganze dem kritischen Liberalen Redford sichtlich Spaß gemacht hat. Etwa, wenn er genüsslich darüber doziert, dass „Hydra“ viel Zeit gebraucht habe, um den Menschen die demokratische Zivilgesellschaft auszutreiben. Nun, so Redford, würden sie bald erkennen, dass Sicherheit wichtiger ist als Freiheit. In „The Return“ ist dies allerdings nur ein Zwischenschritt auf dem Weg in den Faschismus.

3 D fällt sparsam aus

Als 3 D-Film funktioniert „The Return of the First Avenger“ eher bescheiden. Der Film hat überwiegend einen zweidimensionalen Look und setzt 3 D immer dann gezielt ein, wenn es sich wirklich lohnt. Beim finalen Showdown auf den drei Helicarriern spielt der Film dann aber seine 3 D-Qualitäten beeindruckend aus. Der Zuschauer sollte da schon schwindelfrei sein. Kameraführung und Montage sind erfreulicherweise eher konventionell, sodass man zu sehen bekommt, was zu sehen sein sollte. Eine unerfreuliche Ausnahme bilden einige Actionszenen, die im Ein-Sekunden-Staccato beinahe hysterisch auf den Zuschauer herabprasseln.

Mit „The Return of the First Avenger“ ist Captain America endgültig in der Jetztzeit angekommen. Ist auch die beabsichtigte Annäherung des Sujets an die klassischen Conspiracy und Paranoia Thriller der 1970er Jahre, wie etwa Alan Pakulas „Klute“, „The Parallax View“ und „All the President’s Men“, wirklich gelungen? Über weite Strecke erstaunlich gut. Ob dies von den Zuschauern auch wunschgemäß so ausgelesen werden kann, darf bezweifelt werden. Die juvenile Zielgruppe wird diese klassischen Vorbilder genauso wenig kennen wie viele der erwachsenen Zuschauer.

In den Comics musste Captain America die Konfrontation mit dem Watergate-Amerika noch aushalten und durfte arabische Terroristen killen, in der Zeitlinie der Kinoadaption bleibt dem deutlich liberaleren und reflektierten Comic-Helden dies erspart. Aber jenseits aller politisch-historischen Allegorien ist die Fortsetzung der Geschichte Captain Americas eine rundum unterhaltsame und für eine Comic-Adaption erstaunlich differenzierte Portion Mainstream-Unterhaltung geworden. Während der erste Teil den amerikanischen Patriotismus so kalauernd auf die Schippe nahm, dass man ihn beinahe wieder ernst nehmen konnte, wirkt das Sequel mit seiner CGI-Abstinenz und seinen Old-School-Elementen irgendwie altmodisch und modern zugleich. Es bleibt abzuwarten, ob die deutschen Marvel-Fans dies mögen. Im Moment scheint dies aber der Fall zu sein, denn bereits am ersten Wochenende schaute sich fast eine Viertelmillion Zuschauer die Rückkehr des Rächers an.

Und am Ende muss man wieder aufpassen, denn in den Credits verbergen sich diesmal zwei kurze Trailer. In einem taucht Thomas Kretschmann als „Baron von Strucker“ auf und damit weiß man, dass in dem fest eingeplanten Captain America 3 ein weiterer Marvel-Superschurke unser aller Freiheit bedrohen wird.

Noten: BigDoc, Melonie = 3

Captain America: The Winter Soldier – dts.: The Return of the First Avenger – USA 2014 – Laufzeit: 136 Minuten – Regie: Anthony & Joe Russo – Buch: Christopher Markus, Stephen McFeeley – D.: Chris Evans (Steve Rogers / „Captain America“), Scarlett Johansson (Natascha Romanoff / „Black Widow“) – Samuel L. Jackson (Nick Fury) – Anthony Mackie (Sam Wilson / „Falcon“) – Sebastian Stan (James „Bucky“ Barnes) – Robert Redford (Alexander Pierce / CEO Hydra USA)