Donnerstag, 16. November 2017

„Bones“ ging zu Ende – nur wenige schauten zu

Serien haben ein Verfallsdatum. Andere nicht: „Die Simpsons“ gibt es seit 1989, eine Ende ist auch nach 29 Staffeln nicht in Sicht. Und Soaps wie „General Hospital“ laufen ununterbrochen seit 1963 und haben es auf über 10.000 Episoden gebracht. Die Geschichte um die forensische Anthropologin Dr. Temperance Brennan und FBI-Special Agent Seeley Booth ist allerdings nach 12 Staffeln und 246 gelösten Fällen endgültig auserzählt – sie war in ihren besten Zeiten eine Perle der konventionellen Erzählkunst. Bye bye, Bones.

Das Geheimnis von „Bones“ war die Leichtigkeit des Seins. Zwar wurde zu Beginn jeder Episode eine gruselige Leiche präsentiert, aber danach konnte sich der Zuschauer sicher sein, dass er in „Bones“ garantiert nicht dauerhaft mit deprimierenden Storylines konfrontiert wird. Die FOX-Serie war in Sachen Sex und Gewalt absolut familientauglich und überforderte nicht. Beinahe jeder Fall wurde am Ende der Episode gelöst und dabei setzte das Team der leicht unterkühlten und hochintelligenten Anthropologin Temperance Brennan (Emily Deschanel) alle nur erdenklichen Verfahren der modernen Wissenschaft ein, um die kriminalistischen Rätsel zu lösen. Und am Ende des Tages war dann die Welt wieder in Ordnung.



Die Leichtigkeit des Seins

„Bones“ war eine vertikale Serie. Oder anders formuliert: eine „Progressive Complete“-Serie. Das ist eine Mischung aus abgeschlossenen Serienfolgen und einem Main Plot, der in „Bones“ überwiegend daraus bestand, dass die Lebensgeschichten der Haupt- und Nebenfiguren eine Kontinuität entwickelten. Und gelegentlich tauchten Schurken und Bösewichter episoden- oder staffelübergreifend auf, häufig auch, um das Staffelfinale mit einem gelungenen Cliffhanger zu versehen. 
„House MD“ (Dr. House) funktionierte auch nach diesem Schema, was es RTL, dem deutschen Stammsender beider Serien, leichtmachte, beliebig häufig Wiederholungen im Programm zu platzieren oder neuen Folgen mit alten zu kombinieren. Das wird vermutlich noch eine Zeit so weitergehen, nur dass es nun keine neuen Folgen mehr geben wird.

Die Leichtigkeit des Seins des Seins bestand in „Bones“ nicht darin, sich für jede neue Episode einen ausgeklügelten Fall auszudenken und ihn mit einem skurrilen Episodentitel wie „"The Headless Witch in the Woods" zu versehen. Nein, es waren eher die Lebensgeschichten der fiktiven Figuren, die mit einer Mischung aus dezentem Drama und optimistischer Grundeinstellung erzählt wurden.
Auch wenn Figuren wie Dr. Jack Hodgins (T.J. Thyne) etwa in Staffel 11 im Rollstuhl landeten, in Staffel 10 erschossen wurden wie Dr. Lance Sweets (immerhin dabei seit Staffel 3 und auf eigenen Wunsch ausgeschieden) oder wie Dr. Zack Addy (Eric Millegan) in die Psychiatrie mussten, weil sie einem Serienkiller assistierten, so meinte es das Leben generell recht gut mit den Figuren im „Bones“-Kosmos. 
12 Jahre lang konnte man zuschauen, was Angela Montenegro (Michaele Conlin), die kreative Spezialistin für Geschichtsrekonstruktion, ihr Mann Jack Hodgins, der etwas schräge und an Verschwörungstheorien glaubende Insektenkundler, oder Dr. Camille Saroyan (Tamara Taylor), die Leiterin der Forensik-Abteilung im fiktiven Jeffersonian Institut In Washington, D.C., füreinander waren, während sie aus widerlichen Leichenteilen die Geschichte des jeweiligen Opfers rekonstruierten. Sie waren loyal, voller Humor und immer gute Freunde, die zusammenhielten – komme, was wolle. Nach jeder Folge von „Bones“ wusste man, dass man solchen Menschen nie im realen Leben begegnen würde.


Natürlich funktionierten die Geschichten in „Bones“ auch, weil sie unweigerlich zu einer Reihe großer und kleiner Liebesgeschichten führten. Die wichtigste entwickelte sich zwischen der „Knochenjägerin“ Temperance „Bones“ Brennan und Seely Booth (David Boreanaz). Sie knüpfte erfolgreich an das Love Interest der FOX-Serie „X-Files“ (Akte X) an, eine Geschichte, die so faszinierend klappte, weil Mulder ja eigentlich immer Recht hatte mit seinen Theorien, während Scully trotz offenkundiger Evidenz der Beweise die Existenz Außerirdischer auch dann noch leugnete, als sie in Scharen an ihr vorbeiliefen. 


Bloß nicht mittendrin schwanger werden

„Bones“ variierte das Thema auf seine Weise. Da war eine atheistische Wissenschaftlerin mit deutlichen Empathie-Defiziten, eine Frau, die mit gnadenloser Schärfe sagte, was sie dachte, aber am Anfang der Serie in vielerlei Hinsicht kaum alltagstauglich war und nur Bahnhof verstand, wenn Booth sich und seine kopflastige Partnerin mit „Scully und Mulder“ verglich.
Seely Booth, ein ehemaliger Elitesoldat der US-Army-Rangers, der eher von seiner Erfahrung und noch mehr von seiner Intuition lebte,
blieb immer tiefgläubig und geerdet  und besaß eine moralische Integrität, der nicht einmal seine dubiose Vergangenheit als „Sniper“ etwas anhaben konnte.
Dass Seely, mal ganz rüde auf den Punkt gebracht, während seiner Militärzeit ein Killer gewesen ist, wird noch einmal in der allerletzten Folge „The End in the End“ thematisiert, aber man durfte sicher sein, dass „Bones“ seinen Figuren eine Katharsis ermöglichte, ohne die Zuschauer mit allzu deprimierenden Einsichten zu konfrontieren. 

Obwohl die beiden Hauptdarsteller der Serien ganz offensichtlich füreinander bestimmt waren und mit geschliffenen Dialogen neckten, ließen sich die Autoren bis zum Ende der sechsten Staffel Zeit, bis sie mit Bones’ Schwangerschaft aus beiden ein Paar machten.
 Danach ging es mit den Quoten bergab. Jahr für Jahr, ziemlich unerbittlich. Die Serie, die in der Regel 10-11 Mio. Zuschauer in den USA sehen wollten, verlor 2011/12 in Season 7 fast drei Millionen Fans. Am Ende wollten gerade mal drei Mio. zuschauen, wie es weiterging. Auch bei RTL sanken die Quoten des geliebten Paradepferds. Liebesdinge sollten halt offenbleiben. Wir erinnern uns: Die X-Files näherten sich ebenfalls ihrem Ende, als Scully schwanger wurde.

„Bones“ basierte locker auf den Krimis der amerikanischen Anthropologin Kathy Reichs, die in der TV-Serie als Executive Producer mit dabei war. Ein netter Gag der Serie war, dass die fiktive Hauptfigur ihre Erfinderin im Narrativ wiederspiegelte. Bones, ebenfalls Anthropologin, schreibt in ihrer Freiheit Krimis und ihre Heldin heißt – Kathy Reichs.
Ja, Humor hatte die von Hank Hanson geschaffene Serie. Und da der Serienmarkt beliefert werden muss, versuchte es Hanson mit einem Spin-Off („The Finder“) und scharte eine Handvoll exzentrischer Kriminologen um einen labilen Police Officer („Backstrom“). Beide Serien hatten nur eine kurze Lebensdauer. Manchmal spüren die Zuschauer sehr schnell, wenn ein Pferd zu Tode geritten wird.
In „Bones“ lahmte das Pferd am Ende. Aber es stürzte nicht, denn „Bones“ war inmitten einer immer komplexer werdenden Serienwelt zwischen all den zynisch-realistischen „Scandinavian noir“-Serien, ihren moralisch ambivalenten Figuren und dem intellektuell anstrengenden Worldbuilding à la „Westworld“ ein sicherer Hafen. Wie im zweiten Golden Age der konventionellen Serien, den 1970er und 1980er Jahren, wusste man bei „Bones“ immer, was auf dem Teller landen würde - eine beruhigte Version von
„CSI“, bei der die Mörder meist im finalen Verhör überführt wurden, nachdem die „Blinzler“ die erforderlichen Beweise ermittelt hatten. Und so exotisch die Crime Plots auch waren, am Ende gab es meistens als Hauptgericht Schnitzel. Das überrascht nicht sonderlich, schmeckt aber immer.

Bereits vor dem Staffelfinale machten wilde Spekulationen über ein mögliches Comeback die Runde. Die Darsteller gaben sich zugeknöpft: “We put 12 years into the show and that’s not nothing…it will be very weird and emotional to say goodbye, and then next week to be like, ‘Okay! We’re coming back!’ That’s not to say I wouldn’t consider it, but I think we need some time”, kommentierte Emily Deschanel diese Idee in VARIETY. David Boreanaz spielt mittlerweile die Hauptrolle in “SEAL Team”, seine Ex-Partnerin trauert immer noch der Serie nach. Pläne hat sie nicht, das Leben funktioniert eben anders als eine TV-Serie.
Bye Bye, Bones.