Samstag, 29. August 2009

Zeiten des Aufruhrs

USA / Großbritannien 2008 - Originaltitel: Revolutionary Road - Regie: Sam Mendes - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Kate Winslet, Michael Shannon, Kathryn Hahn, David Harbour, Kathy Bates - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 119 min.

Connecticut in den Mittfünfzigern: Frank (Leonardo DiCaprio) und April Wheeler (Kate Winslet) sind Mitte 30 und leben in einem eigenen Haus in der Revolutionary Road. Frank ist ein mittelmäßiger Angestellter, der früh seine Ambitionen verloren hat, April hat eine Schauspielschule besucht, wird aber durch den mäßigen Erfolg in einem Amateurtheater ernüchtert. Beiden ist der Aufstieg in den gesicherten Mittelstand gelungen, die Banalität und Tristesse ihres sozialen Milieus ödet sie aber an. Die Ehe bröckelt. April sucht einen Ausweg und versucht Frank davon zu überzeugen, nach Paris zu ziehen, wo sie für den Lebensunterhalt sorgen will, damit Frank herausfinden soll, was er aus seinem Leben machen kann. Zunächst lässt sich Frank überzeugen, doch als ihm ein Sprung auf der Karriereleiter angeboten wird, distanziert er sich zunehmend. Aprils erneute Schwangerschaft lässt den Traum endgültig platzen, Frank beginnt eine Affäre mit einer Schreibkraft, auch April geht fremd. Als die Ehe zerrüttet ist, beginnt ein Rosenkrieg, auf dessen Höhepunkt April eine suizidale Entscheidung trifft.

Fesselnder Film, der aber nicht restlos überzeugt
„Zeiten des Aufruhrs“ basiert auf dem 1961 erschienenen Roman Revolutionary Road von Richard Yates. Auch in zahlreichen Kurzgeschichten arbeitete sich Yates an seinem Hauptthema ab, der präzisen Schilderung der Mittelmäßigkeit und des Scheiterns seiner Mittelstands-Figuren. Eine Steilvorlage für Sam Mendes, der bereits mit American Beauty (1999) eine brillante Vivisektion des American of Life vorlegte.
„Zeiten des Aufruhrs“ reicht nicht ganz an Mendes’ Meisterwerk heran, ist aber stilistisch und inhaltlich kohärent genug, um zu fesseln. Der aus meiner Sicht typische Mendes-Touch besteht darin, mit dezent eingesetzten Mitteln des Melodrams seine tragischen Figuren heroisch zu überhöhen, ohne dabei die Balance zu verlieren. Gelingt dies, begibt man sich als Zuschauer in eine stilistisch konsistente Kunstwelt, die ihre Bezüge zur sozialen Realität aber nicht einbüßt. Mendes ist daher weniger Realist, eher ein subtiler Vertreter des amerikanischen Melodrams. Persönlich favorisiere ich bei der Darstellung von Mittelstandskrisen eher den phantastischen Realismus Ang Lees („Der Eissturm“, 1997).
Mendes gelingen in „Zeiten des Aufruhrs“ schöne Szenen, zum Beispiel, wenn er die Fassungslosigkeit, den Neid und die Missgunst im Freundeskreis des jungen Paares skizziert. Auch die Eskalation der Ehekrise ist fein gezeichnet, etwa wenn Frank seiner Frau mit dem Psychiater droht (eine extreme Bedrohung, wenn man weiß, wie die amerikanische Psychiatrie in den 40er und 50er Jahren mit renitenten Ehefrauen umgegangen ist).
Etwas aus der Balance gerät der Film in stilistischer Hinsicht, wenn die Kamera April nach ihrem Abtreibungsversuch in einer ästhetisch geschmackvollen Aufnahme sinnierend am Fenster zeigt, während ihr das Blut an den Schenkeln entlang läuft. Da ist er, der Mendes-Touch, der Anflug von Heroisierung. Das hat ein Geschmäckle, nicht nur weil Mendes alles für seine brillant spielende Frau Kate Winslet zurechtrückt, sondern weil man durchaus auch die Lanze für Frank ergreifen kann, der von der Kritik überwiegend als feiger Biedermann skizziert wurde. Ich habe Leonardo DiCaprio anfangs die Rolle nicht zugetraut, besonders wegen seiner bekannten Manierismen, aber man kann (wenn man will) auch sehen, dass Frank lediglich das Opfer eines utopischen Lebensentwurfes ist, dem sich April selbst nicht stellen will. Ist die versprochene Freiheit als Bohemien in Paris wirklich so begehrenswert, wenn man zu ahnen beginnt, dass diese Grenzenlosigkeit angesichts der zu erfahrenden Durchschnittlichkeit möglicherweise zum Fiasko gerät?

Aussetzer im dramatischen Konzept
Ein wenig schwankt die Balance auch hier, aber wirklich ärgerlich ist dies nicht. Wesentlich übler sind die einzigen Schwächen des Scripts: man sieht die Kinder von April und Frank nicht, sie sind in dem dramatischen Konzept schlicht verloren gegangen – Randfiguren, die nicht ins Geschehen eingreifen; auch mit der Nebenfigur des John Givings (Michael Shannon) konnte ich nicht glücklich werden. Der Charakter wird als psychotischer Hofnarr, der unerbittlich die Wahrheit sagt, in ein gut geöltes Ensemble eingeführt, das auch ohne diese Deutungsversuche sehr triftig zeigt, worum es in diesem Film geht. Michael Shannon spielt zwar grandios, sprengt aber die Intimität des Plots.
Gelungen ist Mendes’ Film dort, wo er emotional berührt und Fragen stellt, die jeder narrativen Kunstform zu Eigen sind: Ist mein Leben auch so? Was würde ich tun? Mit welcher Figur kann ich mich identifizieren? Dies sind die elementarsten Reaktionen auf Lebensnähe in Literatur, Kino und Theater und sie finden vor jeder Reflexion über Form und Stil statt.
Kinodramen über zerrüttete Ehen legen daher, wen wundert es, den Finger auf die Wunden der Zuschauer. Mal mit zerstörerischer Aggressivität wie in der Selbstzerfleischung von Liz Taylor und Richard in „Wer hat Angst vor Virginia Wolff?“ oder in den schwer erträglichen „Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman, dessen Mixtur aus Psychoanalyse und existenzialistischer Schärfe man sich nur ungern aussetzt, weil sie ins Fleisch schneidet.
Sam Mendes verlagert das Drama in wohltuender Distanz in die 50er Jahre, in einen schützenden Raum, der nur an der Peripherie soziologisch ausgeleuchtet wird, aber so weit von uns entfernt ist, dass die vorsichtige Aufgabe dieser Distanz nicht wirklich weh tut. Die warmen Farben, die sorgfältig gewählten Interieurs und die sensible Kameraarbeit muten uns das Seelendrama lediglich in homöopathischer Dosierung zu.

Wie zu erwarten war, hatte der Film großen Nachhall und katapultierte sich mit einem exzellenten Notenschnitt gleich auf Platz 2 der Topfilme 2009. Dass ich mich persönlich nicht zu einer besseren Note durchringen konnte, liegt daran, dass einige Soaps (man möchte es nicht glauben) mit einem sehr direkten Realismus und einem Schuss Ironie das Thema aus meiner Sicht authentischer abhandeln. Man schaue sich nur einmal die Ehekrise des Dr. Greene in den beiden ersten Staffeln von von Michael Crichtons ER (Emergency Room) an. Wer die frühen Folgen der Serie kennt, weiß, was ich meine...

Noten: Klawer = 1, Melonie, BigDoc = 2, Mr. Mendez = 2,5

Pressespiegel:
„Handlungsarmut bei wenig ausdrucksstarker Filmsprache ist … eines der zentralen Probleme der Sam Mendes-Adaption des Romans »Revolutionary Road«, dessen Kernkonflikt zudem fatal nah an Mendes’ großem Erfolg American Beauty zu verorten ist.. Dennoch ist die Dramatik der Beziehung nach dieser Zeit echter Begegnung bei aller Vorhersehbarkeit schockierend: Nach deutlich zu langen ersten zwei Dritteln schöpft der Film sein Potential aus und lässt im Endspurt sogar fast logische Ungereimtheiten und aufdringliche Filmmusik vergessen“ (Kyra Scheurer in: SCHNITT).
„Das Kolorit vergangener Zeiten wird durch Milieu sowie Kulisse, Requisite und Kleidung kenntlich gemacht, doch in dem hedonistischen Lebensstil der Figuren, ihrer Ichbezogenheit, ihr Angewiesensein auf ein Dasein im behaglichen Wohlstand, der Lust, sich der Zerstreuung hinzugeben und dem fehlenden Idealismus schimmert ein moderner Zeitgeist durch“ (Arwen Haase in CRITIC.DE).
„Ein Beziehungs-Drama, das an die Nieren geht“ (Walli Müller in BR-ONLINE).
„’Zeiten des Aufruhrs’ (ist) vor allem eine überaus hellsichtige und berührende, mitunter auch bittere Betrachtung über Entfremdung, Hoffnungslosigkeit und Angst vor der Freiheit. …Es ist der Mann Frank, der diese Feigheit repräsentiert, … Es ist auch die Frau, die, wieder einmal, am Ende dafür bestraft wird. … Nicht die Träume sind schuld am Unglück, sondern dass wir aufgeben“ (Rüdiger Suchsland im FILM-DIENST).

Freitag, 28. August 2009

Watchmen - Die Wächter

Großbritannien / USA 2009 - Originaltitel: Watchmen - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Jackie Earle Haley, Malin Akerman, Billy Crudup, Matthew Goode, Carla Gugino, Jeffrey Dean Morgan, Patrick Wilson - FSK: ab 16 - Länge: 163 min

Am Ende entfernt sich ein Gott, der keiner sein möchte, gelangweilt aus unserem Sonnensystem, um in einer anderen Galaxis Leben zu erschaffen. Die Erde ist zu einer weltweiten Hippie-Kommune geworden, in der sich alle Weltenbürger friedlich und respektvoll begegnen. Für dieses Utopia mussten allerdings 15 Mio. Menschen ins Gras beißen. Ein größenwahnsinniger Superheld hat die Visionen Alexander des Großen wahr werden ließ und sich gleich das dazu passende Denkmal gebaut. Soziopathen sind die einzigen ernst zu nehmenden Moralisten in einer Gesellschaft, in der Nixon nach wie vor US-Präsident ist, während die Welt vor dem nuklearen Finale steht. Durchgeknallt? Nein, nur ein wenig, insgesamt aber eher nicht, aber dazu muss man fast drei Stunden bereit sein, sich auf eine recht extreme Erfahrung einzulassen.
Das wird vielleicht nicht auf Anhieb gelingen. Immerhin ist anzunehmen, dass nach „The Dark Knight“ der eine oder andere glaubte, dass Comicverfilmungen in stilistischer und visueller Hinsicht ihren Zenit erreicht haben. So etwas rächt sich meistens, denn das Kino lässt sich nicht aufhalten. Und so betritt in „Watchmen“ der Zuschauer ein dunkles Universum, das stilistisch und visuell fast mühelos mit Nolans Visionen mithalten kann und zu den beeindruckendsten Filmen der letzten Jahre gehört. Noch wichtiger ist, zumindest aus meiner Sicht, dass "The Dark Knight" und "Watchmen" jenseits ihrer singulären visuellen Originalität das Erzählen entdeckt haben. Und zwar ein Erzählen, das seine Figuren ernst nimmt.

Gott ist ein Amerikaner
Die „Watchmen“ von Alan Moore (Text) und Dave Gibbons (Zeichnungen) wurden 2005 als einziger Comic vom Magazin "Time" unter die 100 besten englischen Romane (!) seit 1923 gewählt. Auch sonst wurde mit Preisen nicht gespart und lange Zeit galt das Ganze als unverfilmbar. Ob Zack Snyder (Dawn of the Dead, 300) eine konsequente Umsetzung der berühmtesten Graphic Novel der 80er Jahre gelungen ist, mögen die Comic-Nerds beurteilen. Der Streit ist nicht unbeträchtlich und reicht von ‚minuziös’ bis ‚stark gerafft’. Der Umstand, dass die Schöpfer der „Watchmen“ dem Filmprojekt jegliche Unterstützung entzogen, soll als Petitesse am Rande vermerkt sein.

Begegnet man dem Film ohne jegliche Vorkenntnisse, könnte einiges daneben gehen. Den Kernplot und die wichtigsten Hauptfiguren sollte man schon vorher googeln, sonst rauscht der Prolog mit den Credits vorbei, ohne dass man auch nur ansatzweise versteht, dass hier das „Watchmen“-Universum in einer bildgewaltigen Tour de Force vorgestellt wird: von dem Auftauchen der ‚Minutemen’, eine Vigilantentruppe, die sich in Latexkostüme zwängt, aber über keine Superkräfte verfügt, bis hin zum Verbot der Superhelden durch die Nixon-Regierung – ein Verbot, das nur umgangen werden kann, wenn die tough guys von einst zu einer Zusammenarbeit mit den Behörden bereit sind. Anderenfalls drohen der Frühruhestand oder die Psychiatrie.

„Watchmen“ katapultiert uns in ein alternatives Universum im Jahre 1985: die Superhelden der 30er Jahre sind in Rente gegangen, ihrer technisch aufgerüsteten Nachfolger-Generation wurde wegen exzessiver Selbstjustiz dank des Keene-Acts in den 70zigern die Rote Karte gezeigt. Nur der nach einem Strahlenunfall zum gottähnlichen Wesen mutierte Physiker Jon Osterman (Dr. Manhattan) und Adrian Veidt (Ozymandias, der „klügste Mensch der Welt“) sind der Öffentlichkeit seither bekannt. Den Vietnam-Krieg hat Dr. Manhattan (nomen est omen) im Alleingang gewonnen und die Herren Bernstein und Woodward sind wegen ähnlicher Interventionen auch nicht zum Zuge gekommen. Richard Nixon strebt also seine fünfte Amtszeit ungefährdet an, allerdings steht der Kalte Krieg unmittelbar vor der Tür. Alle Hoffnungen ruhen auf Dr. Manhattan, der Teleportation und Telekinese beherrscht und Zeit und Raum nur noch Marginalien registriert. Als ein vermummter Killer auftaucht und einen alten Mitstreiter, den zynischen „Comedian“, aus dem Fenster eines Wolkenkratzers wirft, werden die „Watchmen“ nachdenklich. Der letzte illegal aktive Vigilant „Rorschach“ (Jackie Earle Haley, u.a. „Little Children“) deutet den Vorfall als Komplott gegen die Gruppe und versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Nur zögerlich schließen sich der unsichere und labile Dan Dreiberg (Night Owl II) sowie die traumatisierte Laurie Juspeczyk (Silk Spectre II) dem extrem gewalttätigen Streetfighter Rorschach an.
Schon in Christopher Nolans „The Dark Night“ war die moralische Integrität des Helden arg gefährdet. Batmans Kampf gegen den „Joker“ schilderte Nolan als langsame Verwandlung des dunklen Ritters in einen prä-faschistischen Big Brother, dessen Ambivalenz nur durch die zerstörende Gewalttätigkeit eines anti-zivilisatorischen Gegenspielers gerechtfertigt werden konnte. Die meisten „Watchmen“ haben dagegen auch ohne derartig omnipotente Bösewichter die Grenzen eines zivilen Moralcodex überschritten: Rorschach verwandelte sich nach der brutalen Hinrichtung eines pädophilen Mörders in einen sadistischen Racheengel, der das Gespür eines Phillip Marlowe mit den Psychosen eines Travis Bickle wirkungsvoll ergänzt; der von den Medien gefeierte Dr. Manhattan („Gott ist echt, und er ist Amerikaner!“) kann sich zwar mühelos an mehreren Orten aufhalten, verliert aber immer mehr seine Emotionen und seine Empathie. Am Ende deutet er wie ein kirre gewordener Dr. Spock den Massenmord an Millionen Menschen mit einer pastoral-verschwurbelten Rhetorik als logisches Problem, lässt den entlarvten Strippenzieher am Leben und pulverisiert sogar einen renitenten Zeugen, bevor er sich angewidert in eine ferne Galaxis teleportiert.

Snyder setzt nicht nur ästhetisch neue Maßstäbe
Dass dies alles nicht als grelles Panoptikum daherkommt, liegt an zwei Eigenschaften des Films. Beide kommen unerwartet. „Watchmen“ ist zum einen Erzählkino in seiner uneigentlichen Bedeutung, es wird geredet und philosophiert, die Figuren erkunden ihre Beziehungen, rücken sie gerade, Vergangenes wird erinnert und Verdrängtes ans Tageslicht befördert.
Das Drehbuch von David Hayter (X-Men 1+2) und Alex Tse nimmt sich Raum und Zeit für unschiedlichen Facetten der Figuren und man wundert sich zunehmend, dass die komplexe Struktur der unterschiedlichen Handlungszweige und Flashbacks so gut funktioniert und langsam, wirklich ganz langsam, eine ungeheure Spannung erzeugt. Aber das ausgebremste Tempo macht Sinn, denn irgendwann sind alle Binnenperspektiven offen gelegt und es wird klar, warum es die eher schwächeren und labilen Watchmen und -women sind, die sich ihre menschlichen Instinkte bewahrt haben, während sich die Hauptfiguren als Psychopathen outen. Wer Action im Minutentakt erwartet hat, muss diese Hürde in dem immerhin 162 min langen Film nehmen. Und er sollte dabei genau hinschauen.

Das dieses Spektakel gelingt, liegt daran, dass Zack Snyder die eher morbide Ästhetik seiner vorherigen Arbeiten straff organisiert hat und in den Dienst der Story stellt. Und das wiederum ist Erzählkino in seiner eigentlichen Bedeutung. Die Sets und auch die digitalen Effekte überzeugen nicht nur durch eine opulente Detailfreude und raffinierte Überraschungen, sondern stellen eine dichte Atmosphäre her, die das Innere der Figuren im Äußeren widerspiegelt, zum Beispiel dann, wenn Dr. Manhattan seine Ex Laurie auf den Mars teleportiert und in einem gigantomanischen gläsernen Raumschiff empfängt, das nicht mehr von dieser Welt ist. Ein Konstrukt irgendwo zwischen Jules Verne und Spielbergs „Close Encounter“-Starships: fragil und immer von der Zerstörung bedroht. Die schmuddelig-verregneten Szenen, in denen der düstere Rorschach dem Übeltäter nachspürt, spiegeln sich in einer stimmigen noir-Ästhetik, während die Szenen, in denen Nixon und Kissinger über den Weltuntergang sinnieren, im „Strangelove“-Look eines Stanley Kubrick gehalten sind, ohne dass dies zu einem augenzwinkernden Zitat missrät.

Überhaupt gibt es eine Reihe von Anspielungen und nicht nur die für Snyder so typischen Slow-Motions erinnern gelegentlich an die Maxtrix-Ästhetik. Man hat aber nie das Gefühl, dass hier à la Tarantino mit einem Stil-Mix aus dem post-modernen Fundus jongliert wird, denn in „Watchmen“ ist der Stil zu eng mit dem Inhalt verzahnt: Jeder der Watchmen hält eine singuläre Deutung der Welt bereit und immer sorgen die Bilder für eine verblüffende Umsetzung dieser unterschiedlichen Lesarten. Wenn der wie Shakespeares Hamlet ständig unsicher grübelnde Night Owl II und die von einem Vergewaltiger gezeugte Silk Spectre II ihre Kostüme anlegen und aus Trainingsgründen eine Streetgang windelweich prügeln, um danach mit dem zynisch-verzweifelten Rorschach ins letzte Gefecht zu ziehen, ist dies kein Auftritt von Superhelden, sondern die Revolte der Durchschnittlichen und Kaputten gegen die Hybris der Übermenschen. Menschlich ist der, der selbst gelitten hat, und auch dies wird in einem der letzten Bilder fast en passent versteckt. Man muss nur genau hinschauen. Fazit: Snyders Verfilmung des "Watchmen"-Kosmos ist auch inhaltlich absolut stringent und all dies kann man auch ohne zitatensichere Kinobildung (die allerdings auch nicht schaden kann) unmittelbar spüren und erleben.

Freigegeben ab 16
Allerdings ist „Watchmen“ nichts für feingeistige Kinofreunde. Die exploitations-freudige Darstellung von Gewalt und Sex dürfte dem einen oder anderen auf den Magen schlagen. Sex unter Superhelden, o.K., aber berstende Knochen, die durch die Haut getrieben werden, das ausgiebige Spalten eines Kopfes mit einem Schlachterbeil, das Abtrennen von Armen mit einem Flex-Schneider, Hunde, die sich an einer Kinderleiche verköstigen und andere Ruppigkeiten lassen einen über die hierzulande ab 16 Jahren erteilte Altersfreigabe staunen.
Snyders Begründung sind flau, und das ist noch geschmeichelt: „Nichts ist schlimmer als diese alltägliche, ab 13 Jahren freigegebene Gewalt in Actionfilmen, in denen niemand wirklich verletzt wird oder niemand stirbt. Das finde ich gefährlich, besonders für die Kids. Ich aber will den Punkt beim Zuschauer erreichen, an dem er sich selbst beim Genuss der schrecklichsten Szenen ertappt und sich fragt, ob etwas mit ihm nicht stimmt. Dann wird es wirklich interessant, dann denkt er vielleicht auch über die ganze andere Gewalt nach, die er in anderen Filmen einfach so als Unterhaltung konsumiert.“
Das reflexive Potential von Gewaltdarstellungen hat schon vor über achtzig Jahren der deutsche Filmtheoretiker Siegfried Kracauer verteidigt. Der Theoriepapst vertrat die Ansicht, dass die Bilder des Grauens "den Zuschauer befähigen (sollen), ... das Grauen zu köpfen, das sie spiegeln". Genauso gut kann man behaupten, dass sie den Zuschauer lediglich auf neue Schocks vorbereiten und zu seiner Abhärtung beitragen.
Das Subversive, das Snyder in seinen grellen Schockszenen behauptet, gehört meiner Meinung nach zum geläufigen Business As Usual. Regeln, die auch die Kritikergilde gut kennt, aber unterschiedlich auslegt.
Man muss über die Lobeshymnen für „Watchmen“ nicht staunen, sie sind gerechtfertigt. Aber bitteschön nicht vergessen, dass Zack Snyder nach dem auch aus meiner Sicht unsäglichen „300“ mit dem Stigma leben musste, die faschistische Führerkultur in gewalthuldigende Bilder gegossen zu haben. Mittlerweile hat Filmkritik mur noch wenige Adressaten, aber wenn man liest, was Nerds in ihren Forumsgruppen über Snyders letzten Film angesichts dessen Opulenz schrieben, entsteht schnell der Eindruck, dass derartig Feinsinniges an ihnen abgeperlt ist – so wurde von ihnen Ästhetik als Inhalt gefeiert, während der Inhalt nicht so dechiffriert wurde wie gewünscht. Auch in „Watchmen“ kann man allerlei hineininterpretieren, was nicht genehm ist, und der Hinweis eines Zunftkollegen, dass das Comic-Opus einige Zuschauer ohne explizite Kinobildung emotional überfordern könne, ist verräterisch und legt die Stirn des Verfassers in Sorgenfalten.
Hop oder Top?
Schieben wir das Akademische beiseite. "Watchmen" hat eine ungeheure Präsenz, eine Wucht, die man nur selten im Kino erlebt. Ungeachtet meiner klitzekleinen Bedenken wird es wohl dazu kommen, dass man in ein bis Jahrzehnten „The Dark Knight“ und „Watchmen“ als Meilensteine der Kinogeschichte feiern wird. Zu Recht.

Noten: BigDoc = 1, Klawer = 1,5

"Watchmen" wurde im Filmclub auf Bluray vorgestellt. Etwas anderes kommt nicht in Frage. Nur am Rande: erst kürzlich habe ich mir noch einmal den Klassiker "Der Dieb von Bagdad" angeschaut, der mit Douglas Fairbanks sen. in der Hauptrolle der erste Film war, der die Millionen-Dollar-Grenze überschritt. Ob das Kino einen Kampf zwischen Realismus und den Spektakeln der Jahrmarktsbude austrägt, will ich nicht diskutieren. 85 Jahre nach dem "Dieb von Bagdad" haben die Schauwerte vielleicht die Nase vorn, aber sie haben ihre Naivität eingebüßt. Die burlesken Comic-Verfilmungen der 80er Jahre wollte ich mir nicht antun - mittlerweile sind die Comics aber erwachsen geworden und trotzdem haben sie den Charme der Jahrmarktsbude mit ihren verbotenen Sensationen nicht eingebüßt. Man sieht es mit weit aufgerissenen Augen, aber nach ein paarTausend Filmen auf dem Buckel freut man sich, dass es immer wieder etwas zum Staunen gibt.

Mittwoch, 26. August 2009

Inglourious Basterds

USA / Deutschland 2009 - Regie: Quentin Tarantino - Darsteller: Brad Pitt, Diane Kruger, Eli Roth, Mélanie Laurent, Christoph Waltz, Daniel Brühl, Samm Levine, Eli Roth, B.J. Novak, Til Schweiger - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 154 min.

In Deutschland herrscht ein Zeichenverbot. Hakenkreuze dürfen nur im Kontext historischer Dokumente, wissenschaftlicher Arbeiten und in Werken, die der (Film-)Kunst zuzurechnen sind, gezeigt werden. Prophylaktisch wurden daher vom deutschen Verleih alle Hakenkreuze aus der Werbung für Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“ entfernt, was uns ganz nebenbei mitteilt, dass dieser Film garantiert kein Kunstwerk ist.
Verbote haben den Zweck, entweder unbotmäßiges Verhalten oder Gefahren für den Einzelnen und die Gemeinschaft abzuwenden. Die ‚Schere im Kopf’ macht nur dann Sinn, wenn dem Abzuwendenden eine ernstzunehmende Bedrohlichkeit unterstellt werden kann. Dies muss auch – anders ist es nicht zu erklären – wohl auch im vorliegenden Fall so sein.
Man kann es nur schwer anders deuten: das bloße Zeigen nationalsozialistischer Symbole scheint so bedeutend bedrohlich zu sein, dass das nazistische Symbol so behandelt wird, als sei es ein Krankheitserreger, der rasch überspringen kann. Doch welche ‚Krankheit’ könnte es in einem Land, dessen Menschen sich nicht nur in den zwei Jahrzehnten nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges eher als Opfer-, denn als Tätervolk begriffen haben, auslösen? Was muss verdrängt und gebannt werden? Und zwar so lange, bis auf den ursprünglichen symbolischen Gehalt ein weiterer aufgepfropft wird, der uns nichts anderes als die Anstrengungen der Verdrängung zeigt und uns nahe legt, eine gewisse Distanz zu dem Verbotenen einzuhalten? [1]

Schallende Ohrfeigen – immer eine Frage des Stils
Welche Ängste auch immer berührt wurden: in Tarantinos Film tauchen die Hakenkreuze wieder auf. Überlebensgroß. Jenseits des Marketing gab es keine Berührungsängste. Als Produktionsstandort war sich Deutschland nicht zu schade, Tarantinos Film mit fast 8 Mio. € zu fördern, was vereinzelt heftige Kritik nach sich zog. Der größte Anteil stammt aus dem Deutschen Filmförderfonds; gedreht wurde in der Sächsischen Schweiz und im Studio Babelsberg – wenn es um Wirtschaftsförderung und Arbeitsplätze geht, ist man hierzulande beinhart und kann sich durchaus erfolgreich der traumatisch verschlüsselten Inhalte ‚böser’ Symbole entziehen. Vielleicht ist in diesem Fall das Primat des Ökonomischen ausnahmsweise der bessere Weg für uns gewesen, obwohl man sich nicht ganz sicher kann, dass der Film so hingebungsvoll gefördert worden wäre, wenn man geahnt hätte, welche schallenden Ohrfeigen uns Quentin Tarantino verpassen würde.

Da erzählt jemand, der als genre-fixierte Kino-Ikone rasch zum Meister des Trash umstilisiert wurde, eine Geschichte, in der 1944 im besetzten Frankreich jüdische Elite-Killer der US-Army genussvoll Wehrmachtssoldaten mit Baseball-Schlägern den Schädel zu Brei schlagen, tote Nazis skalpieren und den wenigen Überlebenden überdimensionale Hakenkreuze in die Stirn schneiden. Hier taucht es auf, das stigmatisierte Symbol, uns es soll gemäß der pädagogischen Absicht des Lt. Aldo Raine (Brad Pitt), der die Einheit hinter der Front kommandiert, für alle Zeiten zeigen, wes Geistes Kind der Gemarterte gewesen ist. Für die „Basterds“ gibt keinen Unterschied zwischen Wehrmacht und SS, auch keinen zwischen Tätern und Mitläufern: alle, die eine Nazi-Uniform getragen haben, sind Nazis. Sie werden entweder getötet oder sie müssen das Kains-Mal für immer auf der Stirn tragen.
Keine schlechte Idee: die Mitglieder einer Herrenrasse, die den zur Vernichtung preisgegebenen Juden zwar unterstellte, sie seien allein durch ihre Physiognomie als solche zu erkennen, die aber dennoch nicht darauf verzichten konnte und wollte, die zum Tode Verurteilten vorher durch den symbolischen Judenstern zu markieren, werden nun selbst gekennzeichnet. Fast muss man hämisch grinsen, wenn man Tarantino unterstellt, dass er in seinem Film listig das unterläuft, was in diesem Land als politisch korrekt gilt. Allerdings erscheint es mehr als zweifelhaft, ob dies Tarantinos Ambitionen im Kern erfasst.

Quentin Tarantino wird immer noch als verspieltes Kinokind wahrgenommen, ein nicht ganz ernst zu nehmendes Enfant terrible, das aus seiner Liebe zu Spaghetti-Western und fernöstlicher Kampfkunst einen trashigen Stil-Mix formt, zwar einen morbiden Humor besitzt, aber unfähig ist, seriöse Statements abzuliefern. Über Tarantinos Filme, die nach „Reservoir Dog“ (1992) und dem Masterpiece „Pulp Fiction“ (1994) entstanden, kann man sich streiten. Ich halte sie eher für zweitrangig. Mit „Inglorious Basterds“ ist Tarantino aber ein großer Wurf gelungen, für den mir der abgewetzte Begriff ‚Meisterwerk’ nicht zu schade wäre, wenn sich nach längerem Nachdenken und anfänglicher Begeisterung nicht erhebliche Zweifel einschleichen würden.

Der amerikanische Journalist Daniel Mendelsohn hat Tarantino in „Newsweek“ eine ungeheure Banalisierung und Verzerrung der historischen Ereignisse vorgeworfen. Mendelsohn beklagt sich über die Verdrehung der Rollen: in Wirklichkeit haben die Nazis die Juden gefoltert, in Tarantinos Film würden nun die Juden die Nazis foltern, um in einer cineastischen Gewaltorgie seine Rachephantasien auszuleben: „…the visceral pleasure of revenge… In Inglourious Basterds, Tarantino indulges this taste for vengeful violence by—well, by turning Jews into Nazis. In history, Jews were repeatedly herded into buildings and burned alive (a barbarism on which the plot of another recent film, The Reader, hangs); in Inglourious Basterds, it's the Jews who orchestrate this horror… Tarantino, the master of the obsessively paced revenge flick, invites his audiences to applaud this odd inversion—to take, as his films often invite them to take, a deep, emotional satisfaction in turning the tables on the bad guys. ("The Germans will be sickened by us," Raine tells his corps of Jewish savages early on.) But these bad guys were real, this history was real, and the feelings we have about them and what they did are real and have real-world consequences and implications. Do you really want audiences cheering for a revenge that turns Jews into carboncopies of Nazis, that makes Jews into "sickening" perpetrators?”
Andere Kritiker werfen Tarantino Obszönität und moralische Ekelhaftigkeit vor. Diese Vorwürfe sind nicht leicht von der Hand zu weisen, aber wer sich dieser Lesart anschließt, muss gleichzeitig die Frage beantworten, ob das ‚seriöse’ Kino mit seinem Bemühen, das Unmenschliche mit realistischen Plots und einer psychologisch motivierten Erzählweise abzubilden, nicht schon längst an Grenzen gestoßen ist.
Wer sich nach Hirschbiegels „Untergang“ gefragt hat, was das Ganze soll, und in Stephen Daldrys „Vorleser“ die fatale Unausweichlichkeit des Verstricktwerdens hineingelesen hat, die Mitläufern und Befehlsempfängern den Widerstand unmöglich gemacht hat, stößt aus meiner Sicht an Grenzen, die für die historische Deutung weitaus fataler sind: entweder wird er Opfer einer zweifellos nicht beabsichtigten Mythologisierung des „Dämons“ oder er fällt in das geistige Milieu der 50er und 60er Jahre zurück, die den Deutschen die Entlastung anbot, sie alle seien vom absolut und nicht zu deutenden „Bösen“ (verkörpert durch ein Handvoll Verbrecher) verführt und somit zu Opfern gemacht worden.
Ich wage hier einfach mal die These, dass dieser Mythos die realistische Erzählweise bis zu einem gewissen Grade kontaminiert und im sechsten Jahrzehnt nach dem Holocaust fast zur Sprachlosigkeit verurteilt hat. Aus dieser Misere kann (muss aber nicht) der Wille zur stilistischen Ohrfeige hinausführen. Filme wie „Operation Walküre“ schaffen das garantiert nicht, so sauber recherchiert, politisch korrekt und moralisch kompatibel sie auch sein mögen.

Exorzismus in fünf Kapiteln
Das Erstaunlichste an „Inglorious Basterds“ ist sein Verhältnis zur erzählten Zeit und der Beziehung zwischen Reden und Handeln. Das war schon immer so und wer nun einen actionreichen Film erwartet oder nach einem ‚Original-Tarantino’ verlangt (wie dies ein Kritiker tatsächlich formulierte), wird enttäuscht. Meistens wird geredet wie in „Reservoir Dogs“ oder zuletzt in „Death Proof“. In „Inglorious Basterds“ gelingen Tarantino mit diesem Stilmittel meisterhafte Szenen, die dann wieder von fürchterlich faszinierenden Verspieltheiten abgelöst werden, in denen Joseph Goebbels über das Kino und Landa über Strudel schwadronieren dürfen. Wohin führt uns dies?

„Kapitel 1: Es war einmal... In einem von Nazis besetzten Frankreich“
Quasi der Prolog: Tarantino benötigt fast eine halbe Stunde, um den Besuch des SS-Standartenführers Hans Landa (Christoph Waltz) bei einem Milchbauern als Dialogszene zu inszenieren, mit der er meisterhaft demonstriert, wie sich Sprache in ein Instrument des Terrors verwandelt. Landa präsentiert sich als perfekt französisch sprechender und angenehm kultivierter Bürokrat, der höflich die Vorzüge der dargebotenen Milch preist, dann ins Deutsche wechselt und seine Rolle als „Judenjäger“ mit einer beiläufigen Nonchalance beschreibt, die nicht nur dem Bauern den Angstschweiß ins Gesicht treibt.
Waltz spielt das Ganze entsetzlich gut. Er schnürt den Bauern LaPadite mit seiner Bonhommie („Bitte verzeihen Sie mir mein rüdes Eindringen in Ihren Alltag“) so ein, dass sich der sadistische Kern umso gnadenloser enthüllt. Wer von der Frage gequält wurde, warum die humanistische Bildungsgeschichte vieler Nazis mühelos mit einer barbarischen Vernichtungsideologie unter einen Hut gebracht werden konnte, erhält hier zwar keine Antwort, aber Anschauungsunterricht. Tarantino zeigt in der endlos zerdehnten Szene, dass die verfeinerten Umgangsformen Landas lediglich eine Steigerung des Genusses sind, die der pathologische Sadist formvollendet ausleben will. Neben dem Pathologischen gibt es kein Geheimnis, keinen Mythos – wir sehen das, was Seeßlen „praktische sadistische Herrschaftspraxis“ nennt. Nichts an der Szene ist trashig. Im Gegenteil: Tarantino zelebriert in der fast klassisch geschnittenen Szene eine fast theaterhafte, auf Darsteller und Dialog konzentrierte Dramaturgie, die durch ihr banales Vorspiel einen absurden Touch erhält.
Stilistisch erinnert die Szene entfernt an die Ermordung der Farmerfamilie McBain durch Henry Fonda in „Once upon a time in the west“, und zwar durch den Score, der in einer Mischung aus bekannten Morricone-Tracks und einigen Takten Beethoven besteht. Ansonsten beherrscht sich Tarantino: Es gibt keine SS-Männer in wallenden Staubmänteln, keinen Spaghetti-Western-Look, nur eine (ähnlich wie bei Leone) sich am Ende der Szene eruptiv entladende Brutalität, als Landa die unter dem Boden versteckte jüdische Familie Dreyfus von seinem Kommando durch die Dielen hindurch erschießen lässt. Nur ein Mädchen kann entkommen, Shosanna. Auf sie legt Landa persönlich an, lässt sie aber lächelnd entkommen (die Szene, in der Landa diese Entscheidung seinem Fahrer erklärt, ist in der deutschen Kinofassung nicht enthalten).
Im Prolog ist Tarantino in Höchstform. Die Szene ist ein Meisterstück, das den Zuschauer das Gefühl gibt, der Essenz des Terrors nahe gekommen zu sein.

„Kapitel 2: Inglourious Basterds“
„Es ist eine Rachephantasie, die sich um die historische Realität nicht kümmert, weil für Tarantino sowieso schon immer das Kino die bessere Wirklichkeit war…Diese Unverschämtheit, die Geschichte einfach zu ignorieren, hat bislang noch kein Film gehabt. Das Kino rächt sich nicht nur an jenen Personen, die, bevor sie selber sterben mussten, der Welt so viel Unheil und Tod brachten. Das Kino rächt sich an der ungerechten Wirklichkeit selber“ (Georg Seeßlen).
Lt. Aldo Raine (Brad Pitt) stellt nach der Landung der Alliierten eine Einheit aus jüdischen Soldaten zusammen, die zusammen mit ihm hinter den feindlichen Linien Nazis töten sollen: „Nazis ain’t got no humanity“ – es ist sinnlos, sie zu umzuerziehen. Jeder seiner „Basterds“ soll dem indianisch-stämmigen Raine mindestens hundert deutsche Skalps bringen.
In Berlin verliert Hitler (Martin Wuttke) die Fassung, weil die Basterds wie beabsichtigt Angst und Schrecken verbreiten – besonders durch den „Bear Jew“, der seinen Gegner reihenweise mit dem Baseballschläger den Schädel zertrümmert. Hitler lässt sich vom Gefreiten Rutz eine Begegnung mit den Basterds schildern, die er um den Preis eines in die Stirn geschnittenen Hakenkreuzes überlebt hat. Tarantino zeigt in dieser Szene im ausführlichen Splatter-Stil das Skalpieren und dann ein Gespräch Raines mit dem deutschen Feldwebel Rachtman, der den Standort einer Einheit der Wehrmacht verraten soll. Rachtman weigert sich und beleidigt die Juden in Raines Einheit, bevor ihm der „Bear Jew“ den Schädel einschlägt.
Die wütende Kritik an dem Film dürfte vornehmlich durch Kapitel 2 ausgelöst worden sein. Daniel Mendelsohn beschreibt seinen Ekel so: „In history, the Nazis and their local collaborators made sport of human suffering; here, it's the Jews who take whacks at Nazi skulls with baseball bats, complete with mock sports-announcer commentary, turning murder into a parodic "game." And in history, Nazis carved Stars of David into the chests of rabbis before killing them; here, the "basterds" carve swastikas into the foreheads of those victims whom they leave alive.”
In der ZEIT hat Jens Jessen die Kritik noch weiter getrieben und Tarantino letztlich Geschichtspornographie vorgeworfen: „Der Film setzt sich in die politisch-moralische Botschaft seines Plots nur wie in ein wärmendes Nest, in dem er nun, gegen alle Einwände geschützt, beliebig herumsauen und -metzeln kann. Oder anders formuliert: Der Gewaltexzess, um den es hier in Wahrheit allein geht, setzt die Maske der Political Correctness auf. Wer wollte sagen, irgendetwas ginge zu weit, wenn es gegen die Nazis geht? Die historische Situierung des Stoffes ist in Wahrheit nur wie die Rahmenhandlung in einem Porno: ein Vorwand, um zur Sache zu kommen. Und das ist das eigentlich Obszöne: dass die Empathie für die jüdischen Opfer und der ohnmächtige Wunsch, die Geschichte möge anders verlaufen sein, nur zum Anknüpfungspunkt einer taumelnden Orgie bluttriefender Gewalt dienen.”

Was ist mit 'Maske der Political Correctness' wohl gemeint? Und was geschieht tatsächlich? Tarantino setzt eine archaische, fast infantil zu nennende Rachephantasie in Kinobilder um. Der wütende Aufschrei der Kritiker trifft nicht zu Unrecht den Kern der Szene, die (wie Mendelsohn dies andeutet) den Opfern ihre Integrität als Opfer raubt, weil sie jüdische Soldaten als blutrünstige Monster zeigt. Doch Tarantino ist weit davon entfernt, die Bedürfnisse eines an realistischen Plots ausgerichteten Publikums zu befriedigen, das im Kino gelernt hat, nur der faktisch weitgehend korrekten Nachstellung der NS-Zeit zu trauen. Diese Verbrechen werden in „Inglorious Basterds“ jedoch nicht gezeigt – sie sind in einem vagen Erinnerungs-Traumland per se vorhanden und so vielen Umdeutungen unterzogen worden, dass man an der Ohnmacht des politisch korrekten Films ebenso verzweifeln muss wie an den möglicherweise gescheiterten Versuchen, in den deutschen Nachkriegsgenerationen einen reflektierten Umgang mit dem Faschismus herzustellen (was später in dieser Kritik zu zeigen ist).
„Inglorious Basterds“ ist weder politisch korrekt noch will er es sein: Mit ungerührter und empathiefreier Chuzpe befördert Tarantino jene lustvollen Phantasien ans Tageslicht, die die meisten Zuschauer auf die eine oder andere Weise möglicherweise in ihrer privaten Phantasiearbeit schon längst durchgearbeitet haben, aber nicht zugeben können. Anders formuliert: Tarantino gestattet es seiner fiktiven Figur Landa nicht, den Sadismus folgenlos auszuleben, ohne sich in der folgenden Szene nicht weniger lustvoll dafür zu rächen. Nazis, so lautet das Tabu, dürfen lustvoll böse sein – die Opfer allerdings nicht. Dieses Tabu wird zerstört.
„Wenn die deutsche Popmaschinerie Kitsch produziert, und das tut sie in besorgniserregender Quantität, dann ist davon immer noch ein Gutteil von der Art, die Goebbels prächtig gefallen hätte. Dass sie im Kino weiterlebten als Monster und faszinierende Unholde, gegenüber von leidenden, schwachen und chancenlosen Opfern, das wäre nach dem “Endsieg” die zweitliebste Phantasie der Nazis“ (Georg Seeßlen).

Danach entfernt sich Tarantino von den Basterds. In „Kapitel 3: Eine deutsche Nacht in Paris“ begegnen wir 1944 erneut Shosanna, die nach ihrer Flucht überlebt hat und in Paris ein Kino betreibt. Dort lernt sie den cinephilen Wehrmachtsoldaten Frederick Zoller kennen, der als Scharfschütze von einem Turm aus 250 feindliche Soldaten erschossen hat. Diese Tat wurde als Propagandafilm "Stolz der Nation" mit Zoller in der Hauptrolle verfilmt. Die Uraufführung soll in Paris stattfinden. Durch Zoller lernt Shosanna auch Joseph Goebbels kennen, der von Zoller überredet wird, die Aufführung in Shosannas Kino stattfinden zu lassen. Dort sollen auch hochrangige Nazis anwesend sein. Shosanna hat schon längst beschlossen, die Nazis im Kino mit hochentzündlichen Nitro-Filmen zu verbrennen, als sie Hans Landa begegnet, der als Chef der Sicherheit fungiert. Während eines gemeinsamen Strudel-Essens demonstriert Landa erneut seine lebensgefährlichen Verhörtechniken, erkennt aber das Mädchen nicht wieder. Man erfährt, dass Hitler und andere NS-Größen bei der Premiere anwesend sein werden.
In „Kapitel 4: Operation Kino“ treffen sich die Basterds mit der deutschen Doppelagentin und Schauspielerin Bridget von Hammersmark, um gemeinsam einen Plan auszuarbeiten, wie man das Premierenkino mitsamt der Nazigrößen in die Luft sprengen kann. Tarantino nutzt die Szene, um das Treffen in einer französischen Taverne als eine rhetorische Tour de Force zu inszenieren, in der sich einige der Basterds ein Rededuell mit dem SS-Obersturmbannführer Hellstrom (August Diehl) liefern, in dessen Verlauf sie enttarnt werden. Den anschließenden Schusswechsel überlebt außer der Doppelagentin niemand.
In „Kapitel 5: Die Rache des Riesengesichts“ begeben sich die überlebenden Basterds, angeführt von Aldo Raine, als italienische Filmcrew getarnt auf die Premierenfeier. Der ebenfalls anwesende Landa nimmt die Basterds fest, aber nur, um mit ihnen einen Deal auszuhandeln, der sein Überleben und seinen finanziellen Status nach dem Attentat und dem Zusammenbruch des Dritten Reiches garantieren soll. Landa genießt seine Rolle als Strippenzieher, der den Zweiten Weltkrieg beenden kann.
Gleichzeitig hat die Premiere von der „Der Stolz der Nation“ begonnen“. Hitler und seine Chargen genießen den (von „Hostel“-Regisseur und „Bear-Jew“-Darsteller Eli Roth für Tarantino produzierten) Metzelfilm sichtlich, bis eine Großaufnahme von Shosanna auf der Leinwand erscheint: „My Name ist Shosanna Dreyfus and this is the face of jewish vengeance! Marcel, burn it down!“
Während das Kino in Flammen aufgeht, wird Hitler von zwei Basterds mit Maschinenpistolen erschossen. Nach einigen Zwischenschnitten schneidet Tarantino offensichtlich lustvoll zurück auf Hitlers entstellte Leiche, die unter den Garben konvulsivisch zuckt. Unterdessen erreichen Raine und Landa die Front. Raine hält sich an die Vereinbarung, schneidet dem SS-Mann aber in der letzten Einstellung besonders qualvoll ein Hakenkreuz auf die Stirn: „I think this just might be my masterpiece!“.
Der im Kino zelebrierte Exorzismus ist beendet und das Kino ist zu einer Traumlandschaft geworden, in der das Unerhörte seinen Verdrängungen entkommen ist. Wirklich?

Wie die Fakten der Fiktion begegnen
Eine zentrale Frage bleibt für mich, ob Quentin Tarantinos Film, der für positiv geneigte Cineasten mit Sicherheit ein diebisches Vergnügen ist, sich in medienpädagogischer Hinsicht rasch in einen fatalen Rohrkrepierer verwandeln kann. Ich fürchte, dass Letzteres der Fall sein wird.
Zum Hintergrund dieser Hypothese: Die Frage, was Kinder und Jugendliche über den Nationalsozialismus wissen, befördert eine Reihe von erschreckenden Tatsachen ans Licht, die skeptisch stimmen müssen. Vor neun Jahren konnte man in der Frankfurter Allgemeine Zeitung nachlesen, dass 60% der ostdeutschen Jugendlichen fremdenfeindliche Übergriffe "für eigentlich nicht so schlimm halten" und mehr als 40% der Auffassung sind, dass die "Deutschen anderen Völkern überlegen seien". Dies mag nur indirekt mit der eingangs formulierten Frage zu tun haben, aber nur wenig später führte eine Untersuchung der Volkswagenstiftung zu einer nicht minder erschreckenden Erkenntnis. In der Studie "Tradierung von Geschichtsbewusstsein" wurde der Frage nachgegangen, was "ganz normale West- und Ostdeutsche aus der NS-Vergangenheit erinnern", wie sie darüber sprechen, und was sie davon auf dem Weg kommunikativer Tradierung an die Kinder- und Enkelgenerationen weitergeben.
Der Sozialwissenschaftler Helmut Welzer fasste das Ergebnis mit dem Begriff „Kumulative Heroisierung“ zusammen: die Kinder und Enkel der Weltkriegs-Generation neigen zu einer historischen Umbewertung, obwohl sie im Übrigen durchweg ‚politisch korrekte’ Grundannahmen vertreten. Die Umdeutung der familiär tradierten Episoden verlief nach einem oft wiederholten Schema: „Nicht wenige davon verändern sich auf ihrem Weg von Generation zu Generation so, dass aus Antisemiten Judenbeschützer und aus Gestapobeamten Widerstandskämpfer werden. Bemerkenswerterweise nämlich nutzen besonders die Enkel jeden auch noch so entlegenen Hinweis ihrer älteren Verwandten, um Versionen der Vergangenheit zu erfinden, in denen diese stets als integre, gute Menschen auftreten… Vor diesem Hintergrund mutet es zynisch an, wenn gewalttätigen Jugendlichen zu Aufklärungszwecken NS-Gedenkstättenbesuche verordnet werden, die sie selbst als Anschauungsunterricht ganz eigener Art verstehen. Zum Beispiel, wenn sie im Vollbesitz ihres Geschichtswissens überlebende Zeitzeugen fragen, ob sie denn die Gaskammern wirklich mit eigenen Augen gesehen haben.“
Wie gesagt: hier geht es nicht um Menschen, die den Nationalsozialismus mit unverhohlener Sympathie betrachten, sondern um Mitglieder einer Generation, die sich rational den um Aufklärung bemühten Lesarten der Historiker und auch jenen der eigenen Lehrer angeschlossen hat, tief im Inneren aber andere emotionale Gewissheiten tradiert.
Dies ist ein Dilemma, ein deutsches Dilemma. Ich habe es selbst in meinem Freundeskreis nacherleben können, als die Rolle der Hanna in der Schlick-Verfilmung „Der Vorleser“ als Beweis dafür verortet wurde, wie schwer der Widerstand gegen die NS-Verbrechen gewesen sei und wie schuldlos man sich in ihnen verstricken konnte. Man kann dem entgegenhalten, dass der von der Kritischen Theorie beschriebene ‚autoritäre Charakter’ gerade in dieser Figur sichtbar wird und das ganze Elend deutscher Geschichtsverarbeitung in der klammheimlichen Tradierung dieser Eigenschaften besteht, es ändert aber wenig daran, dass in "Der Vorleser" der Zusammenhang zwischen Schuld und Verantwortung durch die ‚einfühlenden’ Betrachtungen einiger Zuschauer in einem Grade banalisiert wird, der eine weitere Debatte fast sinnlos erscheinen lässt.

2001 legte Julius Schoeps, der Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam Zahlen vor, die sogar von einer nachhaltigen Zunahme anti-semitischer Tendenzen in Deutschland ausgehen, besonders dann, wenn das Thema NS-Zeit wieder einmal zum Gegenstand einer Mediendebatte wird: "Es gibt 15 Prozent offene Antisemiten in allen Altersstufen. Dazu kommen noch einmal 30 Prozent latente Antisemiten. Die flippen immer erst aus, wenn so etwas ist wie jetzt gerade. Immer, wenn in diesem Land solche Debatten waren, Historikerstreit, Goldhagen oder auch, als der Film Holocaust im Fernsehen gezeigt wurde, steigen die Übergriffe an. Dann haben wir eben 17 Grabschändungen pro Woche. Normal ist in Deutschland ein geschändeter jüdischer Grabstein in der Woche."

Vielleicht hat Welzer Recht mit seiner Feststellung, dass die Aufklärung eine kritische Grenze erreicht hat und weitere Anstrengungen eher kontraproduktiv sind. Dies wäre eine verzweifelte Konsequenz angesichts der Ergebnisse einer Untersuchung der Universität Leipzig aus dem Jahre 2002, die sich mit der Zunahme rechtsradikaler Überzeugungen auseinandersetzte: „Hier macht sich im Vergleich zu den Befragungen von 1994 und 1998 ein erschreckender Anstieg deutlich: 'Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß’ fanden 1994 im Osten nur 7%, im Westen 17%. 1998 waren im Osten 12% und im Westen 14% dieser Ansicht. Heute dagegen sind es im Osten 14% und im Westen 31% der Befragten, eine ‚dramatische Veränderung in Westdeutschland’ wie die Studie deutlich betont. Der Aussage ‚Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns’ stimmen in Ostdeutschland 8%, in Westdeutschland dagegen 22% voll zu“ (http://www.antisemetismus.net/).

Sozialwissenschaften und Filmkritik zu verzahnen, kann nicht Aufgabe dieser Besprechung sein. Warum eigentlich nicht? Etwa weil relevante Statistiken fehlen, mit denen man möglichst exakt wirkungsgeschichtliche Beziehungen zwischen einem Film und seinem Nachhall im öffentlichen Bewusstsein herstellen könnte? Dies allerdings als Frage zu formulieren, unterstellt, dass Tarantinos ausgedehnte Rachephantasie die bereits bestehenden Probleme verschlimmert. Wenn deutsche Jugendliche bereits vermuten, dass die Palästinenser-Politik der Juden mit dem Holocaust verglichen werden kann, dann ist man schlecht beraten, dies nur als Problem bildungsferner Schichten auszudeuten. Wir wissen nicht wirklich, was Bilderwelten in Köpfen anrichten können, die bereits jetzt wieder bedenklich kontaminiert sind.

Die intellektuelle Debatte über "Inglorious Basterds" hätte dann einen Skandal zum Gegenstand, wenn wir uns sicher fühlen könnten. Sicher, was die Alternativen betrifft. Leider können wir nicht sicher sein.
Möglicherweise wird bald wieder über die Katharsis in der Kunst verhandelt, vielleicht angereichert mit einem Schuss Psychoanalyse. Und möglicherweise können die "Besterds" und ihr Wechselbad aus meisterhaft eindringlichen Szenen und selbst-referentiellen, fast kindlich-naiven Exkursen über das Kino, angereichert durch mitunter schwer zu ertragende Brutalitäten, tatsächlich eine Entkrampfung herbeiführen. Dann hätte Tarantino den Weg vom Grand-Guignol zum anti-faschistischen Splatterfilm erfolgreich beschritten. Zweifel daran bleiben bestehen.
Charles Nonon, der letzte Inhaber des legendären Théâtre du Grand Guignol hat einiges ziemlich treffend auf den Punkt gebracht: „Mit Buchenwald konnten wir nie gleichziehen. Vor dem Krieg wusste jeder, dass die Geschehnisse auf der Bühne unglaublich sind. Heute wissen wir, dass solche Dinge - und noch schlimmere - wahr sein können.“
Nonon hat bald darauf sein Theater dicht gemacht. Wie immer bleiben mehr Fragen zurück als Antworten.

[1] Die verbotenen und erlaubten Inhalte kann man auf http://www.schnittberichte.com/news.php?ID=1383 betrachten. Eine Veröffentlichung in diesem Blog hätte vermutlich nicht nur urheberrechtliche Konsequenzen.

Noten: BigDoc = 2, Klawer = 2, Melonie = 3, Mr. Mendez = 5

Samstag, 22. August 2009

Zum Glück ist keiner bekloppt...

Neues aus der Anstalt
Da sich zumindest eine Leserin dieses eigentlich den schönen (Film-) künsten gewidmeten Blogs über meine Glosse amüsiert hat, die den seltsamen Technikentwicklungen geschuldet war, möchte ich hier einen erhellenden Briefwechsel mit dem NDR in leicht gekürzter Form darbieten. Fettes Lob an diese Anstalt, die sich erfreulich ernsthaft mit meiner Kritik beschäftigte, die nicht ganz frei von Frechheiten war. So schrieb ich:

"Schönen guten Morgen, gestern habe ich mit großem Erstaunen eine Wurfsendung in meinem Briefkasten gefunden, mit der Sie für Ihr digitales Bouquet werben. "Digital - aber richtig!" war schon erschreckend genug, aber als dann noch die Informationen über dynamische PMT-Umschaltung folgten, packte mich das Entsetzen.Wissen Sie eigentlich, an welche Zielgruppe Sie sich mit diesem Fachchinesisch richten? ….Viele, die eine Set-Top-Box besitzen, haben sich das Ganze von einem Techniker aufstellen lassen und wissen nicht wirklich, wie das alles funktioniert. Wenn mich Bekannte fragen, warum Sie mit ihrem digitalen SAT-Receiver die neuen HDTV-Kanäle der Öffentlich-Rechtlichen und damit die tollen Bilder von der Leichtathletik-WM nicht sehen können, dann spiegelt dies in etwa das technische Know-how Ihrer Zielgruppe wider. Da draußen leben Menschen, die Blurays in DVD-Player stopfen und daran verzweifeln. Glauben Sie nicht? Dann fragen Sie mal DVD-Ausleiher nach ihren täglichen Erfahrungen. …Genau diesen Menschen erklärt der NDR nun die reizvollen Vorzüge einer dynamischen PMT-Umschaltung und rät zu einem manuellen Sendersuchlauf (!), um sich das Programm Test-R zu Gemüte zu führen.Lieber NDR, das ist weltfremd und kundenfern. Sollten Sie nach dieser Aktion ein positives Feedback erhalten, können und dürfen Sie mich gerne informieren...."

Die Antwort des NDR (Norddeutscher Rundfunk/Sendertechnik, Abt. Technische Hörfunk- und Fernsehberatung) hier in leicht gekürzter Form:

"…Ich kann nur so viel zu diesem Thema anmerken, dass ich in meiner Tätigkeit als technischer Berater es immer wieder erlebe, dass Teilnehmer sich aus Unkenntnis die falschen Geräte kaufen und sich im Anschluss daran über eine vermeintlich schlechte Ausstrahlung des NDR-Fernsehens beschweren. Leider konnten wir bis dato auch nicht registrieren, dass sämtliche Standardfunktionen, die zum einwandfreien Empfang unserer Landesprogramme erforderlich wären, in vielen Empfangsgeräten nicht implementiert wurden. Von daher sahen wir uns genötigt, auf diese technischen Finessen hinzuweisen. Wir erwarten nicht, dass jeder Teilnehmer versteht, was es z.B. mit der dynamischen PMT-Umschaltung auf sich hat, aber als Kunde kann er mit diesem "Schlagwort" bei seinem Händler auflaufen und ein Gerät fordern, dass diese Funktion erfüllt. Mehr wollten wir im Prinzip nicht erreichen. Wie jede Mehrländeranstalt so steuern auch wir unsere digitalen Programmdatenströme mit Hilfe der so genannten dynamischen PMT-Umschaltung. Hierbei wird zu den Regionalzeiten(18:00-18:15 Uhr und 19:30-20:00 Uhr) von einem ständig durchlaufenden Hauptprogramm (bei uns Niedersachsen mit der Bez. NDR FS NDS) auf die temporären Sendeplätze der anderen NDR-Magazine hin- und zurückgeschaltet. Außerhalb der Regionalzeiten existieren diese Sendeplätze nicht und wir können dann für das gemeinsame Rahmenprogramm eine höhere Datenbitrate und somit eine gesteigerte Bildqualität anbieten. Da die Befehle zum Umschalten von den Empfangsgeräten erkannt und umgesetzt werden müssen, ist es erforderlich, dass der Empfangsdecoder den Datenstrom ständig untersucht. Erfolgt eine solche Analyse nur bei einem manuellen Programmwechsel, dann ist der Ärger vorprogrammiert. Ein Decoder, der z.B. auf NDR FS SH eingestellt ist und somit die Funktion der dynamischen PMT-Umschaltung nicht umsetzen kann, verbleibt beim Hauptprogramm Niedersachsen…"

Das war mal recht ordentlich – der NDR hatte sich nicht lumpen lassen und die Kundenbetreuung durfte als optimal bezeichnet werden. Trotzdem musste ich noch einmal nachlegen:

"...1) In Ihren Ausführungen gehen Sie nicht darauf ein, wie die DVB-C-Klientel eventuelle Probleme meistert. Das ist durchaus korrekt, weil Sie sich explizit an DVB-S-Kunden wenden. Schön wäre es dennoch gewesen, den durch Kabelbetreiber versorgten Personenkreis anzusprechen, denn wenn die Versorgung bei den Betreibern endlich einmal geklärt ist (analog, digital, HD), müssen sich viele Kunden möglicherweise eine (neue) Set-Top-Box kaufen. Und dann könnte es nicht schaden, wenn man wüsste, ob das PMT-Problem für sie relevant ist. So konnten alle DVB-C-Abnehmer die Wurfsendung gleich in den Papierkorb werfen. 2) Sie schildern den optionalen Zugriff auf ein 45min langes temporäres Paket. Warum beschreibt ein Faltblatt nicht verbraucherfreundlich an einem praxisnahen Beispiel, was der Zielgruppe für eine Sendung entgeht, wenn es mit der Umschaltung nicht klappt und was sie gewinnt, wenn Sie die Technik in Ihrem Sinne optimiert. Zum Beispiel: "Am (Datum) berichtete Landestudio (XYZ) über (Beispiel). Wer über PMT verfügte, konnte den Beitrag sehen, anderenfalls sah er (Beispiel)." Und überhaupt: wie funktioniert denn konkret das richtige Auseinanderschalten und warum genügt es nicht, NDS, HH, MV und SH in die Favoritenliste aufzunehmen und nach Wunsch manuell umzuschalten?...Viele ältere Menschen, die ich kenne, wollen ihr TV-Gerät einschalten und dort die Programmplätze mit dem Ziffernblock der Fernbedienung wählen. Dass eine Set-Top-Box eingeschaltet werden muss, an der man die Programme mit einer zweiten FB wählt, lässt sie verzweifeln. Vielleicht ist das nicht die Mehrheit, aber auch diese Menschen gehören zu ihrer Zielgruppe, die im vorliegenden Fall mit einem Jargon angesprochen wurde, das aus einer fremden Welt stammt. Noch einmal Danke und viel Erfolg bei Ihrer sicher nicht ganz einfachen Arbeit!"

Erneut antwortete der NDR postwendend und nun wurde es richtig spannend:

"Zu Frage 1: Sie haben das schon richtig eingeschätzt, dass wir uns in erster Linie um die Verbreitungswege kümmern, die auch in unserer Verantwortung liegen. Das Kabel gehört nicht dazu, obwohl wir den Gesellschaften natürlich unsere Programme in der gewünschten Form zur Verfügung stellen…
Das alles interessiert den "gemeinen" Teilnehmer überhaupt nicht, wenn die Programme nur gut empfangen werden. Empfangen wird jedoch nur dann, wenn auch die Einspeisemodalitäten geklärt sind und letztendlich auch viel Geld geflossen ist. Ich habe es z.B. sehr begrüßt, dass Kabel Deutschland in letzter Minute auf den Leichtathletik-HD-Zug gesprungen ist und seinen Teilnehmern die Bilder aus Berlin ebenfalls anbietet… Kabelteilnehmer, die noch analog schauen, müssen damit rechnen, dass dieser Verbreitungsweg nach dem Ende der laufenden Einspeisperiode Ende 2012 wegfällt. Ich schätze, dass es ab dann nur noch digitales Kabelfernsehen in Standardauflösung und HD gibt. Es wird nämlich noch einige Jahre dauern, bis alle Landesrundfunkanstalten in der Lage sein werden, ausschließlich in HD zu produzieren. Somit ist die HD-Ausstrahlung der ARD ein zierliches Pflänzchen, welches erst durch gute Pflege die Chance besitzt, erwachsen zu werden. Kabelteilnehmer könnten bei Interesse am Digitalfernsehen dann diverse Digitalpakete plus den erforderlichen Decoder bei ihrem Netzbetreiber ordern…
Diejenigen, denen unser öffentlich-rechtliches Digitalangebot, das unverschlüsselt ausgestrahlt wird und somit frei empfangbar ist, ausreicht, könnten sich auf dem Markt eine entsprechende Set-Top-Box bzw. ein TV-Gerät mit DVB-C-Tuner erwerben…
Wichtig ist jedoch, dass bei entsprechendem Interesse eine Box zum Einsatz kommt, die sowohl den bisherigen als auch den neuen HD-Standard verarbeiten bzw. anbieten kann. Unabhängig hiervon sollte aus unserer Sicht jede Kabelbox die Kriterien der dynamischen PMT-Umschaltung erfüllen. Hier gab es in der Vergangenheit jedoch so gut wie keine Klagen aus der Teilnehmerschaft, weil bereits "Urgesteine" wie Premiere diese Technik nutzten und die Kabelboxen somit schon frühzeitig fit waren…
Im konkreten Fall haben wir vornherein nur die Satellitenteilnehmer ansprechen wollen. Es soll angeblich in Niedersachsen noch sehr viele geben, die noch analoge Empfangsanlagen nutzen und somit über diesen Verbreitungsweg nur das Landesprogramm aus Mecklenburg-Vorpommern erhalten. Ich persönlich bin jedoch der Auffassung, dass diejenigen, die zu Analogzeiten die gute alte Antenne genutzt haben, um ihr Landesprogramm zu sehen, das Magazin nun über DVB-T erreichen, Erhebungen hierüber gibt es angeblich nicht. Trotzdem unterstütze ich diese Aktion, weil sich immer mehr Menschen einen Fernseher mit Flachbildschirm zulegen und dieser nur seine Stärken entfalten kann, wenn er direkt aus einer digitalen Quelle gespeist wird.
Zu Frage 2: die 45minütigen Pakete, welche den Teilnehmern möglicherweise entgehen, haben auch Namen. Es sind die Landesprogramme aus SH HH und MV, die nicht empfangen werden können, wenn der Decoder den senderseitigen Befehl zum Wegschalten vom Hauptprogramm Niedersachsen zu den temporären Sendeplätzen dieser Magazine nicht ausführt. Sie haben Recht, dass ein Beispiel aus der täglichen Praxis hier für mehr Klarheit gesorgt hätte und zum Verständnis dieser komplizierten Technik möglicherweise beigetragen hätte. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass sich die meisten Teilnehmer von großartigen Erklärungsversuchen überhaupt nicht angetan waren und sich lediglich das Stichwort "Dynamische PMT-Umschaltung" notiert haben. Mit dem Zettel in der Hand sind sie dann zum Händler ihres Vertrauens gegangen. In der Regel hat das dann auch funktioniert, weil die Händler inzwischen auch von uns sensibilisiert wurden…
Natürlich könnte sich man nun fragen, was die ganze Aktion in Sachen PMT soll, wenn Niedersachsen überhaupt nicht betroffen ist. Möglicherweise möchte man diese Faltblätter auch in SH, HH und MV verteilen, denn dort kommt man mit dem Problem viel eher in Berührung. Zunächst denke ich, sollen wohl die analogen Teilnehmer zum Umstieg auf den Digitalempfang animiert werden und da kann es auch nicht schaden, dass eine Empfangsbox ein wenig mehr kann als es im Grunde genommen erforderlich wäre. Es reicht nicht aus, einzelne Programme in die Favoritenliste zu übernehmen. Wenn die PMT-Umschaltung nicht funktioniert, dann wird der Decoder auf NDR FS NDS stehen bleiben, was ja die Teilnehmer zu Zeiten des Rahmenprogramms im Grunde genommen schauen, auch wenn Sie sich auf SH, HH oder MV eingewählt haben. Man könnte lediglich durch kurzes manuelles Vor- und Zurückschalten das gewünschte Programm erhalten. Jeder Decoder schaut beim manuellen Programmwechsel in die PMT. Hier könnte eine Favoritenliste von Vorteil sein. Ziel ist es jedoch, dass der Zuschauer automatisch sein Programm erhält und dass die Umschaltung innerhalb von Sekundenbruchteilen erfolgt. Die Digitalbox, die immer dann erforderlich wird, wenn Fernseher genutzt werden, die keine Empfangseinheit für den gewählten Verbreitungsweg besitzen, hat ja in absehbarer Zeit ausgedient. Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis die letzten analogen Fernseher ausgedient haben. Immer mehr TV-Geräte mit Tunern für DVB-T, DVB-C und DVB-S (auch als Kombination) kommen auf den Markt, die dann wie früher nur mit einer Fernbedienung zu bedienen sind. Mir ist vollkommen klar, dass gerade ältere Menschen hier…überfordert sind. Dieses Fernbedien-Problem hatte ich schon zu Analogzeiten kennen gelernt. Viele Hersteller sahen sich seinerzeit gezwungen, für ältere Teilnehmer so genannte "Rentner-Fernbedienungen" mit den wesentlichen Funktionen herauszubringen. Bei zwei Fernbedienungen wird es natürlich haarig. Ich habe vielen den Tipp gegeben, den AV-Kanal des Fernsehers auf den Programmplatz 1 zu legen. Dieser Programmplatz wird in der Regel nach dem Einschalten angewählt, da der Fernseher ohnehin nur Monitorfunktion besitzt, werden die weiteren Funktionen dann über die Fernbedienung der Digitalbox ausgeführt. So könnte man sich ein wenig behelfen. Soviel zu Ihren Fragen, die ich hoffe, ausführlich beantwortet zu haben. Ich danke Ihnen für Ihre konstruktive Kritik, die ich selbstverständlich an die verantwortliche Arbeitsgruppe weiterreichen werde."

Ich hoffe damit die technische Neugier aller befriedigt zu haben, die sich als Betroffene schon selbst einmal mit der Unbill technischer Innovationen herumgeschlagen haben. Vielleicht sollten wir nicht nur Rentner-Fernbedienungen auf den Markt bringen, sondern auch Rentner-TV-Geräte. Aber wenn die gute alte Set-Top-Box laut NDR bald ausstirbt, wird alles wieder so sein wie in den guten alten Zeiten. Etwas bekommen wie aber nie mehr: eine Taste, ein einziger Kanal, ein einziges Programm. Wollen wir auch nicht.

Freitag, 21. August 2009

Aktuelles

Erfreulichweise konnte Clint Eastwoods vorletzter Film "Changeling" (Der fremde Sohn) im Club auf Blu-ray vorgestellt werden. Wer sich noch einmal an den Kinobesuch im Frühgjahr erinnern möchte, kann die Kritik unter http://bigdocsfilmclub.blogspot.com/2009/01/changeling-der-fremde-sohn.html nachlesen oder im Archiv blättern.
Immerhin hat es "Changeling" durch den Nachtrag einer Note in die Endwertung geschafft (Minimum: drei Noten). "Geschafft" ist eigentlich der falsche Ausdruck, da die Gesamtnote den Film glatt auf Platz 2. der vorläufigen Gesamtwertung für 2009 spülte!

Die Blu-ray ist übrigens eine Importscheibe aus GB. Ich kann allen Sammlern nur raten, sich regelmäßig auf http://www.bluray-disc.de/ über Importe mit deutscher Tonspur zu informieren oder gleich auf http://www.amazon.co.uk/ gezielt nach derartigen Angeboten zu suchen. Oft kann man auf der Insel (trotz Versandkosten und Zoll) billiger einkaufen als hierzulande. Den Klassiker "First Blood" erhält man derzeit für knapp € 11,- in einer Pressung, die qualitativ deutlich über der deutschen Ausgabe liegen soll.
Apropos Tonspur: auch dies ist ein Begriff, der nicht richtig ist, denn die Import-Blu-Rays besitzen in der Regel eine Menüstruktur und eine durchgehendem Untertitelung des Bonusmaterials in Deutsch und sind somit nur durch den Einleger als Importprodukt zu erkennen.

JCVD

Ironische Reflexionen eines Martial Art(-isten) – natürlich Low-Budget.

Viele Freunde hat JCVD, wie sich der ‚Universal Soldier’ und Karateexperte Jean-Claude van Damme auch auf seiner Homepage nennt, im Filmclub nicht. Es hagelte Absagen, als der Film ins Programm aufgenommen wurde. Schade, denn so entging den Abwesenden eine außergewöhnlich witzige und ironische Komödie, die zwar den einen oder anderen Durchhänger hatte, aber intelligent und subversiv genau war, um auf sympathische Weise an Filme wie „Last Action Hero“ und entfernt auch „Being John Malkovic“ zu erinnern.

Schießen, Prügeln, Strangulieren, die Eingeweide rausreißen und viele andere Scheußlichkeiten. Die Beschreibung muss sich van Damme in einem Prozess anhören: Der Prügelkönig der 90ziger streitet sich in den Staaten um das Sorgerecht für seine Tochter und die zwischenzeitliche Heimkehr in die belgische Heimat verschlägt ihn in eine kleine Poststelle, die leider gleichzeitig von einigen durchgeknallten Ganoven überfallen wird. Diese zufällige Episode wird zunächst aus der Perspektive der Außenstehende erlebt, die van Damme für einen der Täter halten, dann wird das Ganze (leider) noch einmal aus der Binnensicht der Beteiligten wiederholt.

Regisseur und Autor Mabrouk El Mechri hat mit diesen Wiederholungen und einigen Rückblenden nicht immer eine gute Wahl getroffen, aber vielleicht ist es diese handwerkliche Holprigkeit, die dem Film seinen Charme gibt. Immerhin darf der 47-jährige van Damme in einem minutenlangen Monolog über Leben und Kunst, Altwerden und Rollenmythos nachdenken, was eine Mischung aus allertrivialsten Einsichten und erhellender Reflexivität abgibt. Zu schlecht, um überzeugen zu können, zu gut, um den Kopf zu schütteln. JCVD erspart uns zum Glück auch ein Actionfinale – der Actionstar van Damme darf nur in seiner Phantasie die Bösewichter nach allen Regeln der Kunst verprügeln. Der tatsächliche Ablauf der für einige sehr tödlichen Befreiungsaktion ist viel trivialer.

Der Blick ins Bonusmaterial lohnt sich auf jeden Fall: in einer äußerst witzigen Szene taucht der Star bei einem Casting auf, bei dem es um die Hauptrolle in JCVD geht. Hier geht es der Fiktion richtig ans Leder, denn die Art und Weise, mit der van Damme die Macher davon überzeugt, dass wohl nur Jean Claude van Damme als Darsteller von Jean Claude van Damme in Frage kommt, ist fast noch lustiger als der Hauptfilm. Fiktion oder Realität – ganz ehrlich: man will es gar nicht wissen.

Noten: Klawer = 2,5, BigDoc = 3

Sonntag, 16. August 2009

Sind die alle bekloppt?

Je komplizierter die technischen Zeitläufte werden, desto sinnfreier werden die gebetmühlenartig wiederholten Beteuerungen, dass alles einfacher und benutzerfreundlicher wird. Dies gilt laut Microsoft angeblich nicht nur für VISTA, sondern nach Aussage der Unterhaltungsindustrie auch für das in die Ferne sehen (abgekürzt: TV) oder auch für die Benutzung einer elektrischen Zahnbürste, die schon in naher Zukunft vermutlich LAN-fähig ist und morgens beim Zähneputzen die aktuellen You Tube-Hits auf ein kleines, garantiert benutzerfreundliches hochauflösendes Display knallt.

Man sollte es einfach mal ehrlich aussprechen: All dies ist eine Lüge.
Nichts ist einfach und eigentlich gar nichts ist benutzerfreundlich. Das Wort ‚benutzerfreundlich’ ist nur erfunden worden, um die Idioten, die mit ihrer Unterhaltungselektronik nichts gebacken bekommen, ihr ganzes Elend noch intensiver erleben zu lassen. Man muss nur einmal selbst einige Komponenten zusammengesteckt haben, um den ganzen Wahnsinn in voller Blüte zu erleben. Nur am Rande: Um die folgenden Attacken auf unser Nervensystem zu begreifen, muss man wissen, dass die meisten unserer Zeitgenossen immer noch nicht wissen, dass man eine Bluray nicht mit dem heimischen DVD-Player abspielen kann und dass die selben Zeitgenossen angststarr vom Stuhl fallen, wenn man sie nach dem Unterschied zwischen DVB-S und DVB-C fragt – und dass, obwohl die entsprechenden Strippen aus ihrer Wand kommen und in irgendwelchen Geräten verschwinden.

Wie gesagt: Alles Lügen. In Wirklichkeit wird alles komplizierter und das Fernsehen von morgen, um bei einem alltäglichen und an sich trivialen Phänomen zu bleiben, wird den so genannten Usern mindestens ein zweitägiges Block-Seminar abverlangen, damit man wenigstens ab und zu die Tagesschau sehen kann. Und wer in seinem sozialen Umfeld die Leiden eines lieb gewonnenen Freundes teilen muss, der es nach drei Tagen ‚irgendwie’ hinbekommen hat, seinen nagelneuen Festplattenrecorder an seinen Kühlschrank anzuschließen, der weiß, wovon die Rede ist.

70% aller Haushalte sind nun digital, behauptete die ARD im März dieses Jahres. Und in 13 Millionen Haushalten stehen „HD-ready-Screens“, fügt die Presseerklärung des Senders hinzu. Ich weiß wirklich nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat, denn erstens dürften die meisten Leidensgenossen hierzulande nicht wissen, was ein „HD-ready-Screen“ ist - nämlich ein LCD-TV-Gerät, das HDTV nur eingeschränkt und ohne Zusatzgerät sowieso nicht zeigen kann, es sei denn, das DVB-Modul ist eingebaut. Und zweitens ist das, was wir nach wie vor sehen, halt das so genannte SDTV, was Standard Definition bedeutet und im Techniker-Chinesisch eben 768 × 576 Pixel bei 50 Hertz Bildfrequenz bedeutet. Und die kann man wahlweise analog oder digital empfangen. Diese matschigen SD-Signale sind eine Qual, vor allen Dingen für all jene, die frohen Herzens einen brandneuen Fernseher gekauft haben, der in den Ausstellungsräumen des Händlers prachtvolle Bilder gezeigt hat, aber daheim kollabiert und nur noch ein verwaschenes Nichts präsentiert. Dieses Nichts kann man eigentlich nur dann erträglich wahrnehmen, wenn man es digital empfängt und dann vorzugsweise eben nicht auf einen HD-ready-Screen, sondern auf einen alten, aber guten Röhrenfernseher weiterleitet. Die sind nämlich genau dafür gebaut worden und können das dann auch ziemlich gut.
Die Wahrheit ist grausam, aber - nomen est omen - halt wahr: LCD-Geräte sind nur dann zum in die Ferne sehen geeignet, wenn man HDTV empfangen kann und ansonsten sollte man sie zum Abspielen von Blurays benutzen. Genau die sieht der gequälte Konsument in der Ausstellung seines Händlers - prachtvoll sind die Farben und Kontraste, natürlich extra hochgemotzt mit den so genannten Händlerleinstellungen. Alles andere ist – ich wiederhole mich gerne - eine Lüge. Folglich hat man tolle Geräte in 13 Mio. Haushalte verkauft, die für die tägliche Praxis nicht geeignet sind, um erst gar nicht von den Full-HD-Displays zu sprechen, die die SD-Signale erst recht ungenießbar machen, besonders dann, wenn sie größer als 42 Zoll sind und das SD-Signal so aufblasen, dass man alle Pixel einzeln sehen kann. Dafür sind sie alle schön flach.

Mit der Leichtathletik-WM haben ARD und ZDF nun über Nacht HDTV-Kanäle aus dem Boden gestampft, um dem Volke zu zeigen, wo technisch der Hammer hängt. Klasse, leider hat mit den 13 Mio. HD-ready-Screens nur den halben Spaß, weil sie von FULL-HD doch – gelinde gesagt – etwas weit entfernt sind. Aber selbst diesen halben Spaß kriegt man erst dann auf den Bildschirm, wenn man den guten alten digitalen SAT-Receiver, den sich 70% aller Haushalte auf Anraten der Experten gekauft haben, um zukunftssicher zu sein, umgehend einmottet und sich flugs einen HD-Receiver kauft. Wenn man dann Glück hat und beim ersten Suchlauf die neuen Kanäle findet, bekommt man zwar ein spürbar besseres Bild, ahnt aber, dass man am falschen Ende gespart hat. „Hab ich doch gewusst“, sagt Papa zur Mama. „Hätten wir mal gleich Full-HD gekauft, aber Du fandest ja die Farbe dieser Gurke so chic!“ Tja, Papa hat irgendwo gelesen, dass "HB-ready" als Qualitätssiegel mehr mit der Kompatibilität zu einem bestimmten Kopierschutzverfahren zu tun hat, denn mit der Qualität der Bilder.
Die Gurke steht nun mitten im Wohnzimmer und gehört zu jenen Investitionen, die über Nacht zum Technik-Zombie mutiert sind.

Meine Lokalzeitung jammerte auf ihre Weise: „ARD und ZDF setzen auf HDTV – aber keiner kann es sehen!“ Ja, was erwarten sie denn? Etwa, dass die Öffentlich-Rechtlichen die gute alte Röhre HD-fähig machen? Das kriegt nicht mal Harry Potter hin und ins Haus werden sie uns, den 'digitalen Haushalten', die erforderlichen HD-Receiver auch nicht tragen. Man muss halt (wieder einmal) kaufen. Und das in diesen Zeiten.

Ach ja: Kaufen. Auch so ein Thema. Erst haben sie uns den Krieg zwischen HD-DVD und Bluray zugemutet und alle verarscht, die auf das falsche Pferd gesetzt haben und nun wollen sie, dass wir wieder eine Entscheidung treffen, obwohl die Privaten schon längst angekündigt haben, dass sie auf ein gaaaanz anderes HDTV setzen – egal, ob das nun HDplus oder HDsuper heißt, mit den Geräten, die wir noch nicht einmal gekauft haben, wird das garantiert nicht zu sehen sein.
Und am Ende der Ochsentour, wenn 70% alles Haushalte wirklich und echt und tatsächlich alles Notwendige angeschafft haben, wird uns die Holographic Versatile Disc (HVD) angekündigt, die auf Laser-TV (die Japaner basteln gerade daran) in punkto Schärfe und Farbenpracht den HD-Müll von heute eben als solchen outet. Wir kaufen dann einfach die neuen Geräte, denn auf eine TeraDisc (die gibt’s ab 2010) passen ja über 140 Filme in Bluray-Qualität. Muss man haben.

Den Irrsinn auf die Spitze trieb nun ausgerechnet der biedere NDR, der familienfreundlich ‚Das Beste am Norden’ bewirbt. In einer Postwurfsendung wurden alle niedersächsischen Haushalte darüber informiert, dass auch das Dritte hierzulande nur digital über Satellit einfach super aussieht. Tief durchatmen, wir haben ja zum Glück einen digitalen SAT-Receiver…Doch halt, was ist das? „Digital, aber richtig!“ schreibt der NDR in seiner blauen Wurfsendung. Denn um den NDR störungsfrei zu empfangen, müsse es schon ein Receiver mit dynamischer PMT-Umschaltung sein. In Gottes Namen, was ist daaaas?
Zum Glück gibt es die Wikipedia!

„Die Program Map Table (PMT) enthält Informationen über die Programme. Für jedes Programm gibt es eine PMT, assoziiert mit seiner PID. Die PMTs beschreiben, welche PIDs Daten für das Programm enthalten. PMTs stellen ebenso Metadaten für die Streams und ihre einzelnen PIDs bereit. Zum Beispiel sind bei einem Programm, bestehend aus einem MPEG-2-Videostrom, die PID des Videostreams und zusätzlich die Art der Daten, also in diesem Fall MPEG-2, enthalten. Die PMT kann außerdem zusätzliche Deskriptoren zur Beschreibung der einzelnen Ströme enthalten.“

Als mich gegen Mittag mein 84-jähriger Vater anrief und verzweifelt fragte, ob er denn jetzt nicht mehr seine Heimatsendung sehen könne, sagte ich, er könne sich beruhigen. Er solle einfach mal manuell auf dem Transponder 51 mit horizontaler Polarisation auf der Frequenz 10.7438 nachschauen. Dort sei des Programm Test-R (so heißt das wirklich), dort könne er sehen, ob er PMT-tauglich sei, was bedeute, dass sich die Bouquets bei Auseinanderschalten der Regionalprogramme so aufteilen, dass er weiterhin „Neues aus Niedersachsen“ und nicht „Kühe melken in Schleswig-Holstein“ sehen könne. Dass dies vermutlich auch dann geht, wenn man schlicht und simpel NDR FS NDS manuell in seine Favoritenliste aufnimmt, habe ich verschwiegen.

Vor zwei Jahren haben die Öffentlich-Rechtlichen mit grausamer Klarheit das Ergebnis einer Studie wahrnehmen müssen, die das Durchschnittsalter ihrer Zuschauer bei 58 Jahren festlegt: http://www3.ndr.de/sendungen/zapp/archiv/film_fernsehen/zapp2054.html. Aufwärts wohlgemerkt! Die Zuschauer vergreisen und die Mehrheit besteht aus Menschen, die ein Antennenkabel in eine Gerät stecken wollen, um danach sofort loslegen zu können. Die Mysterien eines automatischen Sender-Suchlaufs bleiben ihnen ebenso verschlossen wie das Konzept einer graphischen Benutzeroberfläche, die beim Tuning verschiedene Menüs und Untermenüs auffaltet. Genau diesen Menschen erklärt der NDR nun die reizvollen Vorzüge einer dynamischen PMT-Umschaltung - eine Aktion, die nur ein weltfremder und kirre gewordener Praktikant hat lostreten können, denn bei klarem Verstand hätte man den braven Zuschauern besser erklären sollen, dass ihnen demnächst der analoge Saft abgedreht wird.
Ja, wir sind alle mitten drin im Wahnsinn und es gibt kein Entkommen. Spätestens, wenn im nächsten Jahr das analoge Lowband auf ASTRA leergefegt wird, werden Millionen Rentner auf eine schwarze Mattscheibe starren und danach auf die Straße gehen und Molotow-Cocktails werfen. Egal wohin.

Noch eins. Ich habe natürlich ein Full-HD-TV-Gerät, das auch den 24p-Cinema-Modus kann. Das ist toll. Ich gucke überwiegend Blurays auf einem 24p-fähigen Zuspieler, der beim Upscaling so gut ist, dass meine alten DVDs aussehen, als seien sie frisch gepresst. HDTV ist auch toll. Den entsprechenden Receiver habe ich für weniger als € 100,- gekauft und er funktioniert auch, nachdem ich mir die aktuelleste Firmware heruntergeladen hatte. Nach einem Monat hatte ich alle anderen Geräte endlich so gut kalibriert, dass es jetzt richtig Spaß macht. Das entsprechende Feintuning musste ich mir selbst beibringen, da der Hersteller meines In-die-Ferne-Gucken-Gerätes seine technischen Geheimnisse für sich behält, so dass die Mitarbeiterin der technischen Hotline auf die Frage nach einer bestimmten Technik antwortete: "Das ist dafür, dass Sie beim Fussball sehen können, dass der Ball im Tor ist". Das konnte ich doch vorher auch schon, oder!? Egal!
Dass meine per HDMI 1.3. verkabelten Geräte miteinander Krieg führten und nicht gleichzeitig eingeschaltet werden dürfen - geschenkt. Wenigstens lernte ich so den Mitarbeiter einer Hotline kennen, der mich anschnauzte, ich solle mich nicht bei ihm, sondern bei dem Hersteller des Endgerätes XYZ beschweren. Geschenkt!
Ich habe auch fröhlich geschmunzelt, als ich eine Bluray einlegte und folgender Bildschirmtext erschien: "Diese Bluray kann möglichwerweise auf ihrem Player nicht abgespielt werden. Bitte wenden Sie sich wegen der aktuellen Firmware an den Hersteller!". Dass man ständig die allerneueste Firmware über Netzwerkkabel und Router downloaden muss, daran habe ich mich längst gewöhnt – auch geschenkt.
Ich bin für die nächsten 6 Monaten absolut zukunftsfest aufgestellt und ich freue mich ab 2011 auch auf die neuen HDTV-Kanäle der Öffentlich-Rechtlichen, obwohl laut ARD die Umstellung noch Jahre dauern wird und ich natives HD sehen kann, wenn im Rentenalter bin. Ich freue mich auch auf die neue HVD, weil ich dann meine 500 DVDs auf eine streichholzschachtelgroße Scheibe kopieren kann.

Brauche ich das? Nein, aber es gut, so was zu haben. Man weiß ja nie…

P.S.: Würg!

Mittwoch, 12. August 2009

Twilight - Biss zum Morgengrauen

USA 2008 - Originaltitel: Twilight - Regie: Catherine Hardwicke - Darsteller: Kristen Stewart, Robert Pattinson, Billy Burke, Ashley Greene, Nikki Reed, Jackson Rathbone, Kellan Lutz, Peter Facinelli, Cam Gigadet - FSK: ab 12 - Länge: 122 min.

Da der Verfasser leider nicht die Geschichte einer verbotenen Liebe in ihrem literarischen Gewande gelesen hat, scheint die Verfilmung von Stephenie Meyers Bestseller "Bis(s) zum Morgengrauen" doch nicht so recht in sein Fach zu fallen. Da er aber noch am Abend der Erstbesehung dem Verdacht nachgeben musste, dass Catherine Hardwickes Verfilmung geschickt die Bedrängungen durch den Eros, wie sie möglicherweise in der Zielgruppe erlebt werden, geschickt gegen diese ausspielt, bemühte sich der treue Rezensent um ein Interview mit einer Koryphäe auf diesem Gebiet: Prof. Siegmund Freud, Nervenarzt in Wien.

Für alle, die den Film und das Buch nicht kennen, ein kurzer Abriss der Handlung:
Als ihre Mutter erneut heiratet, zieht die 17-jährige Bella Swan (Kristen Stewart) zu ihrem Vater nach Forks, einer langweiligen und ungewöhnlich verregneten Kleinstadt im Staate Washington. In der Schule begegnet sie dem geheimnisvollen, bleichen, aber dennoch sehr attraktiven Edward (Robert Pattinson), der sie zweimal mithilfe unerklärlicher Fähigkeiten in gefährlichen Situationen rettet. Bella findet heraus, dass Edward ein Vampir ist, jedoch sind er und seine Familie ‚vegetarische’ Blutsauger, die sich von Tieren ernähren. Dennoch hat Edward keine geringen Probleme damit, sein Verlangen nach Bellas Blut zu unterdrücken, was ihm beim ersten zarten Kuss jedoch gelingt. Gefährlich wird es für beide, als böse Vampire Bella inmitten der friedlichen Vampirfamilie entdecken. Der sadistische James beginnt Bella zu jagen, bis das Mädchen bereit ist, sich zu opfern, damit ihrer von James gefangen genommenen Mutter nichts zustößt. Am Ende kann Edward seinen Widersacher bezwingen, muss aber feststellen, dass Bella durch einen Biss infiziert wurde und sich langsam in einen Vampir verwandelt. Doch Edward kann Bella gegen deren Willen retten und verspricht ihr ein Leben an seiner Seite, zwar nicht als Vampir, so doch als glücklicher Mensch.

BigDoc: Lieber Professor Freud, es würde wenig Sinn machen, über Mädchenphantasien zu debattieren, wenn sie weder das Buch gelesen noch den Film „Twilight“ gesehen haben. Haben Sie denn?
Freud: Ich finde, dass unter allen Ausdrucksformen der Kultur dem Kino der Vorrang gebührt, weil es vortrefflich geeignet ist, uns die verborgenen Kräfte des psychischen Apparates vors Auge zu stellen.
BigDoc: Nun geht es aber doch in dem Film nicht explizit um Sexualität, sondern um Freundschaft. Dagegen haben Sie doch Libido und Todestrieb als die mächtigsten Kräfte der menschlichen Psyche beschrieben.
Freud: Über den Todestrieb will ich nur soweit Auskunft geben, als von Edward, dem jungen Vampir, der ja in Wirklichkeit über hundert Jahre alt ist, eine dunkle Kraft auszugehen scheint, die einerseits seine innere Erschöpfung nach all den vielen Jahren widerspiegelt, andererseits jedoch von dem Wissen beherrscht zu sein scheint, dass alles, auch seine Liebe zu Bella, der Auflösung entgegenstrebt. Der Rest der Geschichte ist jedoch purer Eros, allerdings vortrefflich verhüllt, so dass sein Wirken nicht direkt erkennbar ist, aber doch machtvoll an die Pforten unserer Gefühle klopft.
BigDoc: Verhüllt? Welchen Sinn hat das?
Freud: Vieles erscheint dem Ich, dessen Strategie es ist, der Unlust auszuweichen, nicht in direkter Form. Früher dachte ich, es würde uns symbolisch im Traum begegnen. Heute geschieht dies jedoch weit wirkungsvoller im kinematographischen Raum, allerdings (lacht) weniger zur Reinigung der Seele als vielmehr dem Gelderwerbe nützend, was aber nur dann erfolgreich sein kann, wenn man den Eros als mächtiges Instrument ins Feld führt.
BigDoc: Das werden sie aber wohl kaum den Millionen Fans der Geschichte weismachen können! In dem ganzen Film gibt’s gerade mal ein zartes Küsschen!
Freud: Weismachen? Sie sollten nicht vergessen, an welche Gruppe sich das kinematographische Geschehen in diesem Falle richtet: es sind die Mädchen, und zwar in jener Lebensphase zwischen Pubertät und Erwachsenwerden, die in ihnen eine gewaltige Phantasiearbeit mit vielerlei Träumen, auch jenen im wachen Zustande, evoziert. Eine Kraft, eine Phantasiewelt, die gewaltiger ist als die der Knaben! Der muss zwar, wie ich in meinem „Abriss der Psychoanalyse“ hinreichend erläutert habe, einen ödipalen Konflikt durchleben, hat aber in der von mir beschriebenen phallischen Phase einen unbestreitbaren Vorteil, nämlich zu erkennen, über einen solchen zu verfügen! Obwohl, das muss ich hinzufügen, ihm gleichzeitig die Penislosigkeit des weiblichen Geschlechts eine höllische Kastrationsangst einjagt.
Dagegen erlebt das Mädchen ihren Penismangel oder besser gesagt ihre Klitorisminderwertigkeit als herbe Enttäuschung. Bedenken Sie die Folgen: Dies ist, wie von mir ausgeführt, ein Trauma, das sie in ihrer Charakterentwicklung enorm zurückwirft und zu einer ersten Abwendung vom Sexualleben führt, obwohl ihr tiefes Sehnen nach Erfüllung dürstet. Ein gewaltiges Ringen, das bewältigt werden muss.
BigDoc: Schön und gut. Aber, lieber Herr Professor, erstens ist die von ihnen unterstellte Dominanz des Phallischen weißgott nicht unumstritten und Ihnen als Ignoranz gegenüber dem Weiblichen ausgelegt worden, zum anderen ist nicht einsichtig, was dies mit dem - wie sagten Sie so schön - ‚kinematograhischen Geschehen’ zu tun haben soll!
Freud: In meinen jungen Jahren hatte keine Kunstform die Kraft, jene nicht unmittelbar bewussten inneren Kräfte so zu Schau zu stellen, dass sie immensen Lustgewinn beim Betrachten des Fabulierten abwerfen. Der Kinematograph stellt uns nun alles so lebensecht vors Auge, dass man fast schon den Unterschied zwischen den flimmernden Bildern und der Realität vergessen möchte.
In unserem Falle funktioniert dies so: Indem nämlich einerseits die Erfüllung der Triebansprüche zurückgedrängt wird, weil sie als Bedrohung erfahren wird, wächst doch aus eben dieser Bedrohung das Verlangen nach Erfüllung – und sei es in sublimierter Form. Indem die jungen Mädchen im dunklen Raum des Kinematographen ihre eigenen Ängste auf Bella und ihr Verlangen auf Edward zu projizieren vermögen, können sie in ihrer Phantasie dem Eintritt in die reife genitale Phase noch eine zeitlang entgehen und lustvoll sublimierend einer Geschichte beiwohnen, in der der lang ersehnte Kuss zwischen Bella und Edward das Höchstmaß der Bedrängnis verkörpert und nichts anderes als eine symbolische Ausdrucksform des Koitus ist.
BigDoc: Oupps, jetzt wird’s aber haarig. Wir reden hier von Vampiren, die nicht mal richtig essen können. Und bei Edward kann man nun wirklich nicht von erotischer Erregung sprechen.
Freud: Wollen oder können sie nicht sehen, was dort geschieht? Edward küsst Bella nicht, um seine Lust zu befriedigen – das könnte nur im hemmungslosen Aussaugen des Mädchens geschehen. Jener Impuls wohnt ihm inne, wie er gesteht. Indem er aber sich beweist, dass er ihn kontrollieren kann, folgt er nicht nur dem Gesetz seiner Sippe, nämlich sich auf keinen Fall von Menschen zu ernähren, sondern er zeigt auch, dass Triebverleugnung eine zivilisatorische Leistung ist, aus der Gutes erwachsen kann.
BigDoc: …während die bösen Vampire, besonders der sadistische James, vermutlich zeigen sollen, wie destruktiv ungezügeltes Triebleben ist?
Freud: Es scheint, als könnten Sie mir folgen!
BigDoc: Und wenn Bella am Ende gebissen und fast in einen Vampir verwandelt wird, versagt sich Edward diesen Wunsch, obwohl sich Bella eigentlich nichts sehnlicher wünscht als diese Verwandlung. Warum?
Freud: Weil Edward das frei phantasierte Ergebnis pubertärer weiblicher Anatagonismen ist, die szenisch einfühlsam nachgestellt werden, um die Spannung am Fortgange der Geschichte zu erhalten. Denn nichts wäre bedrohlicher als der Eintritt der Helden in die reife genitale Phase. Sie würde jäh die mitfiebernden Zuschauer mit ihrer eigenen Realität konfrontieren, was nicht geeignet wäre, die ökonomischen Interessen der Künstler persistierend zu befriedigen.
BigDoc: Das Ökonomische hat in Ihren Schriften doch selten eine Rolle gespielt?
Freud: Ich habe, guter Freund, einiges über die Natur des Menschen lernen müssen, was mir früher verschlossen blieb. Trotzdem hat die Beherrschung des Menschen durch den Eros nicht an Bedeutung eingebüsst. Lassen Sie mich deshalb noch sagen, dass es eine weitere mächtige Triebfeder gibt, die uns unter ihre Kontrolle bringen will. Denn wie schon mehrfach von mir ausgeführt, geht der Eintritt in die reife genitale Phase, die in der Pubertät vollzogen werden soll, nicht reibungslos vonstatten. Frühere Libidobesetzungen werden dabei unterdrückt oder verdrängt und erfahren dabei im Ich eine andere Verwendung, welche die Herausbildung unterschiedlicher Charakterzüge fördert, aber auch Sublimierungen mit Zielverschiebungen nach sich zieht.
BigDoc: Reden Sie da von psychischen Sollbruchstellen?
Freud: Dem Begriffe kann ich nichts abgewinnen. Es ist vielmehr so, dass es Fixierungen der Libido an frühere Phasen gibt, die ich als Störung bezeichnet habe und dies tue ich noch immer.
BigDoc: Hört sich kompliziert an.
Freud: Ich stimme Ihnen erneut zu. Zum Problem wird es, wenn sich der Eintritt in die reife Phase nur teilweise vollziehen lässt, weil einige Neigungen noch an prä-genitalen Fixierungen hängen, die in uns den Wunsch hervorrufen, eben zu diesen lustvollen Orten zurückzukehren. Ich nannte dies vielfach die so genannte Regression.
BigDoc: Zurück zum Film, lieber Professor!
Freud: Lassen Sie uns einen Moment innehalten: Indem Bella am Ende der Geschichte die endgültige lustvolle Vereinigung versagt wird und der männliche Held Edward uns völlige Kontrolle über den starken Impuls erfolgreich vorlebt, wird die ungeheure Spannung, die daraus erwächst, auf den weiblichen Teil des Publikums zurückgeworfen. Diese Mädchen erleben in einer Art Stellvertreterschaft lustvoll die Kontrolle über die bedrohliche und schwer einzuschätzende phallische Kraft und können sich andererseits in eine Phase zurückträumen, in der ihnen diese Kraft nicht entgegentritt. In diesem keineswegs edlen, sondern unreifen Traum, ist alles rein und doch tief durchsetzt von Symbolen des Bedrohlichen.
BigDoc: Der ganze Fun im Film besteht also darin, die männliche Enthaltsamkeit als Kontrolle und vielleicht sogar als Unterwerfung zu erleben?
Freud: Ihr Sprachschatz scheint doch sehr reduziert zu sein. Ich denke, dass hier der Begriff des ‚diebischen Vergnügens’ viel eher am Platze ist.


Soweit unser Gespräch mit Prof. Siegmund Freud. Es enthält zwar keine wörtlichen Zitate aus dem "Abriss der Psychoanalyse", fasst aber zentrale Sachverhalte dieser Schrift in der zeittypischen Sprache zusammen, wobei ich darauf hinweisen möchte, dass die Ausführungen Freuds über das Kino frei erfunden sind und nicht die geringsten Ähnlichkeit mit der Realität aufweisen.
Bleibt anzumerken, dass der mit einem Budget von 37 Mio. Dollar produzierte Film bis zum März 2009 bereits 379 Mio. Dollar eingespielt hat und hinreichend die Macht des Kinematographen unter Beweis gestellt hat.
Klawer danke ich für die kritische Durchsicht dieses Beitrages. Er bewahrte mich vor tragischen Fehlern.

Noten: BigDoc = 3, Melonie = 3, Klawer = 3, Mr.Mendez = 3,5