Mittwoch, 25. September 2019

The Loudest Voice - Russel Crowe spielt ein Sexmonster

Beim Casting für die Showtime-Serie „The Loudest Voice“ hätte ich bei der Besetzung der Hauptrolle eher an John Goodman gedacht, tatsächlich spielt aber Russell Crowe den Ex-CEO Roger Ailes, der als Macher von Fox News zwanzig Jahre lang nicht nur den Medienmarkt, sondern auch die Politik in den USA aufmischte.

Viele amerikanische Zuschauer werden „The Loudest Voice“ nicht mögen. Dass Russell Crowe für seine Darstellung eines Mannes, der Frauen sexuell ausbeutete und nicht ganz unwesentlich an Donald Traums Aufstieg beteiligt war, einen EMMY verdient hat, ist allerdings nach wenigen Folgen klar.



Dem konservativen Amerika eine Stimme geben

Lange war Roger Ailes in einer tief gespaltenen Gesellschaft ein Objekt des Hasses und der Verehrung. Alles, was links und liberal ist, hat den 2017 verstorbenen und wegen sexueller Belästigung geschassten Ex-CEO von Fox News angeekelt verabscheut. Denn Ailes hat für alles gekämpft, was die Liberalen anwidert: für den Irakkrieg, gegen Barack Obama, für Donald Trump.
 Die andere Hälfte wird vielleicht immer noch einen Mann verehren, der ihr Weltbild zu einem emotionalen Erlebnis gemacht hat: ihre Wut über den Jobverlust, ihre Angst vor der Zukunft, ihre Vorurteile gegen andere Ethnien, ihre anti-elitären Reflexe.

Ailes war der Mann, der den kleinen Leuten fernab der Ostküste und den Erzkonservativen nicht nur eine Stimme gab, sondern auch die Überzeugung, dass sich ihr Weltbild richtig und gut anfühlt. Als CEO von Fox News schmeckte Ailes das TV-Programm mit rassistischen Einlassungen, anti-demokratischen und frauenfeindlichen Kommentaren und einem pechschwarzen Konservativismus ab. So richtig weiß man nicht mal, ob der fette Mann tatsächlich geglaubt hat, was er seine Redakteure und Moderatoren in die Köpfe der Zuschauer hämmern ließ. 

Es gibt Historiker, die davon überzeugt sind, dass Ailes kurz davor war, sich auf die Seite der Demokraten zu schlagen, bevor er dann doch für Rupert Murdoch (Simon McBurney) den Cable-News-Sender Fox News zu einem Sprachrohr der konservativen Kräfte des Landes machte. Für andere war Ailes ein Opportunist, dem es nur um Geld und Macht ging. Entscheidend ist, was er tat: Ailes trieb zuletzt auch die Republikaner vor sich her, wohl wissend, dass die Macht des Fernsehens politische Karrieren zerstören oder zum Erfolg führen kann. Und mehr noch: Ailes glaubte, dass er mit Fox im Rücken bestimmen könne, wer Präsident werden soll.


Selbst wenn sie nicht wissen, was sie wollen

In „The Loudest Voice“, der siebenteiligen Miniserie von Showtime, spielt ihn Russell Crowe, den man in seinem Fat Suite fast nicht erkennt, wären da nicht die Augen. Crowe legt eine brillante Performance hin, die so facettenreich ist, dass man fasziniert erlebt, wie Alies' Charme und sein brutales Charisma seine Mitarbeiter mitreißen und abstoßen konnte und wie manipulativ und zerstörerisch Ailes alle niedermachte, die seinen Kurs nicht bedingungslos unterstützten. Ailes‘ sexuelle Agenda (blond, Leder, Fellatio) führt dank Crowes Darstellung zu einem perfiden Selbstmodell, in dem sich Ailes genauso ambivalent als fürsorgliche Vaterfigur inszeniert und gleichzeitig jeden Widerstand bricht, um Frauen sexuell ausbeuten zu können. Wer sich nicht fügte, wurde wie Gretchen Carlsen, die ihn später zu Fall brachte, erbarmungslos gemobbt.

Gleich zu Beginn der ersten Episode ist er bereits tot, spricht aber aus dem Off zum Zuschauer: „Ich glaube an die Macht des Fernsehens. Wenn es den Leuten gibt, was sie wollen. Selbst wenn sie nicht wissen, was sie wollen.“

Irgendwie klingt das nach der Philosophie der Apple-Gründers Steven Jobs, der ja auch wusste, welche Produkte die Menschen brauchen – bevor sie es selbst wussten. Aber bei Fox ging es nicht um iPhones, sondern um Nachrichten. Und Ailes glaubte zu wissen, dass die Mehrheit im Lande den Medien nicht mehr traut und er zog daraus seine Konsequenzen: „Die Leute wollen nicht informiert werden – sie wollen sich informiert fühlen.“

Mit den handwerklichen und ethischen Qualitätskriterien des Journalismus hat dies nichts mehr zu tun. Ailes‘ Credo stellte vielmehr alles auf den Kopf: Wer versucht, den Menschen beizubringen, wie sie denken sollten, wird scheitern. Wer ihnen zeigt, wie sie fühlen sollen, wird jedoch gewinnen. Und erreichen kann man dies nur, wenn man Nachrichten nicht mit Fakten stützt, sondern die passenden Nachrichten am besten gleich selbst erfindet. Ailes war also der Erfinder der „Fake News“, bevor man den Begriff kannte, und wie alle Populisten log er, was das Zeug hielt – und bezichtigte gleichzeitig die seriösen Medien der Lüge.

Tom McCarthy (
Spotlight) und Alex Metcalf sind die Showrunner von „The Loudest Voice“. Die Miniserie basiert auf Gabriel Shermans Sachbuch „The Loudest Voice in the Room.“ Sherman hat auch einige Drehbücher für die Serie geschrieben. Als Regisseure holte man u.a. Kari Skogland und Stephen Frears mit an Bord.
Ungewöhnlich ist, dass die Serienmacher Gabriel Sherman als Figur gleich mit in die Serie geschrieben haben. Aber das passt. Sherman war einer der Ersten, die systematisch analysierten, wie Fox direkt in die US-amerikanische Politik eingriff. 

Gegliedert wurden die sieben Episoden nicht nach Titeln, sondern nach Jahreszahlen, und zwar den Jahren, in denen einschneidende Ereignisse die amerikanische Gesellschaft erschütterten. „The Loudest Voice“ beginnt im Jahr 1995, als Roger Ailes bei CNBC rausflog und von Rupert Murdoch angeheuert wurde, um möglichst schnell Fox News zum führenden Newssender im Cable TV zu machen. Ailes sollte frontal die etablierten Networks ABC, CBS und NBC angreifen. Die Konkurrenz lachte nur höhnisch.
Die erste Episode zeigt, wie Ailes nicht in 12, sondern in nur 6 Monaten Fox News mit einem ideologisch auf Linie gebrachten Personal aufbaut, darunter auch der skrupellose Vice-President Brian Lewis (Seth MacFarlane). Etwas später fährt Ailes die höchsten Zuschauerquoten aller Nachrichtensender ein.

Alle weiteren Episoden greifen Schlüsselereignisse der jüngeren amerikanischen Geschichte auf: „2001“ zeigt, wie Ailes nach Nine-Eleven erkennt, dass man den Schmerz und die Hysterie im Lande instrumentalisieren kann, um den Irakkrieg zu legitimieren. 
„2008“, die dritte Episode, erzählt von Roger Ailes‘ Medienkampagnen gegen Barack Obama. Aber Ailes kann trotz der geballten Macht, die Fox News bereits besitzt, weder Obamas Wahl noch seine Wiederwahl verhindern.


Gelegentlich hat man das Gefühl, dass die politischen Zusammenhänge zu knapp angerissen werden. Und wenn immer wieder schnell montierte Einspieler typische Fox-Beiträge teasern, wird der Zuschauer, auch wenn er Englisch beherrscht, den Inhalten ebenso wenig folgen können wie den Nameneinblendungen, die ärgerlich sind: zu kurz, um sie lesen zu können. Hier muss man als Zuschauer doch ein fundiertes Hintergrundwissen besitzen, um den Kontext zu verstehen, zumal die Zeitsprünge in der Serie oft den Faden zu den vorangegangenen Ereignissen kappen.



Sex und Politik als Spiele der Macht

„The Loudest Voice“ vermeidet den Fehler, gleich zu Anfang die sexuellen Übergriffe des mächtigen Fox-CEO in den Mittelpunkt des Narrativs zu stellen. Die deutsche Ausgabe der Wikipedia beschäftigt sich ausschließlich mit diesem Aspekt, eine offenbar den aktuellen Debatten geschuldete Verlagerung der Schwerpunkte. Dies ist vertretbar, trifft aber nicht den Kern. Natürlich ist der Skandal, den Ailes trotz seiner Macht nicht verhindern konnte, von großer Bedeutung. In „2016“, der letzten Episode, sagen unzählige missbrauchte Frauen gegen Ailes aus. Nicht bei der offiziellen Befragung durch die Anwälte von Gretchen Carlson, denn Ailes hatte dank eines von ihm installierten Video-Überwachungssystem jeden zu jeder Zeit unter Kontrolle. Aber all diese Frauen packten dann außerhalb des Fox-Gebäudes aus – und es waren viele: „Was hätte ich tun können? Es war Roger Ailes!“
Am Ende stürzt Ailes, weil die Fox-Moderatorin und Journalistin Gretchen Carlson monatelang die anzüglichen Gespräche Ailes‘ mit der ehemaligen Miss America auf ihrem Smartphone mitschnitt.


Trotz dieser zum Teil ungeheuerlichen Details sollte die politische Perspektive auf Ailes bei der Rezeption den Vorrang behalten, ohne den Missbrauch aus den Augen zu verlieren. Die Serie löst diese Aufgabe geschickt, weil es ihr gelingt, die Neigungen von Roger Ailes als Dialektik von Charmeoffensive und brutaler Unterwerfung langsam in die Handlung einschleichen zu lassen. Sex wird so zu Bestätigung seiner Macht: Alles mit Frauen tun zu können, ohne belangt werden zu können, gehört gewiss nicht zu den guilty pleasures, sondern ist immer noch tief verwurzelt in der erzkonservativen Kultur eines Landes, das sich am äußersten rechten Rand eine Gesellschaft vorstellen kann, wie sie in „The Handmaid’s Tale“ beschrieben wird.
Russell Crowe spielt den Schurken zunächst nicht als Monster, sondern als Obsessiven, beinahe als Opfer seiner Libido. Doch diese Sichtweise wird dekonstruiert. Das Grausen schleicht sich langsam ein. Denn mit jeder Episode werden Ailes‘ Domestizierungstaktiken, die besonders seine Geliebte Laurie Luhn (Annabelle Wallis) psychisch zermürben, als die eines machtbesessenen Ekels deutlich, das seine Opfer während des Oralverkehrs mit der Videokamera filmt. Nicht nur Laurie Luhn zerbricht daran psychisch, auch andere Frauen bleiben traumatisiert zurück. Und Luhn wird von Ailes nur unter Vorbehalt ‚entlassen‘: sie muss eine adäquate Nachfolgerin akquirieren.


In diesen Momenten löst „The Loudest Voice“ einen Kotzreiz aus. Und natürlich ist Roger Ailes letztlich nur einer der bösen alten weißen Männer, die ihre Macht ausnutzen, um als alte Säcke immer noch komfortablen Sex mit jungen Frauen haben zu können. Die Serie aber allein auf diesen Aspekt zu reduzieren, wäre falsch. Denn Roger Ailes‘ Einfluss auf die Politik und die von ihm ausgelösten Veränderungen der Medienlandschaft waren und sind wesentlich folgenschwerer. Ailes war – konsequent betrachtet – der Erfinder der Fake News, aber auch eines Infotainments, dem andere Sender bald folgten. Eine Milliarde US-Dollar Gewinn sollen die Fox News unter Ailes pro Jahr eingefahren haben.


Mit dem Erfolg wurden die Strategien des CEO immer aggressiver. „Dieser Tag wird uns definieren“, kommentiert Ailes die Flugzeuge, die in die Twin Towers gesteuert werden. Es folgte eine Strategie der Desinformation, die massiv den geplanten Irakkrieg unterstützte. Gibt es Massenvernichtungsmittel? Egal, die Zuschauer sollen laut Ailes die Realität so sehen, wie sie es sich wünschen. Ailes entschied alles im Alleingang und konnte auch nicht, so zeigt es jedenfalls die Serie, von einem gelegentlich windelweichen Rupert Murdoch aufgehalten werden.

Im Kleinen wie im Großen

In einer Nebenhandlung zeigen die Macher, wie das „System Ailes“ funktioniert: Lügen fabrizieren, die Lügen wiederholen, abwarten, bis andere über die Lügen sprechen und die Medien und die Öffentlichkeit gezwungen sind, sich des Themas anzunehmen. Am Ende wird die Lüge zur Wahrheit oder zumindest zu einem Thema, über das man ernsthaft spricht.
Als Ailes sich ein Haus in Garrison (Putnam County) kauft und seiner Frau Beth (Sienna Miller) das Lokalblatt schenkt, damit sie etwas zu tun hat, wird die Serie nicht nur exemplarisch, sondern erzält lediglich tatsächliche Ereignisse nach. Ailes heuert zunächst den jungen konservativen Journalisten Joe Lindsley (Emory Cohen) an, um das provinzielle Blatt auf Kurs zu bringen, instrumentalisiert dann aber die Zeitung, um seine eigenen Interessen als Immobilienbesitzer zu verfolgen. Innerhalb kürzester Zeit gelingt es Ailes, mit anti-elitären Hetzreden den zuvor friedlichen Gemeinderat so zu spalten, dass Gewalt in der Luft liegt.
„Garrison is the key to understanding Ailes because it’s a microcosm of what he’s spent his career doing to the country“, schrieb 2014 Jacob Weisberg in der New York Times. „He could have moved there to live and let live. Instead, in a way that seems to have been almost involuntary, he recapitulated the culture war he was already busily inciting at a national level. Within a short time of his arrival, town meetings turned ugly. Issues of patriotism, religion and political correctness overtook the normal debates about road paving and property taxes.“


Dies sind Szenen, in denen die Showtime-Serie zeigt, wie gutes Script-Writing funktioniert. Gute Recherche, adäquate Umsetzung. Als dann der Sexskandal publik wird, hilft es Ailes nicht mehr, dass sich Donald Trump öffentlich für ihn ausspricht. Ailes wird auf dramatische Weise von Rupert Murdoch und seinen Söhnen entmachtet und entlassen. Das Schmerzensgeld war mit 40 Mio. US-Dollar allerdings fürstlich bemessen. Roger Ailes blieb aber nicht der Einzige, der stürzte. 2017 muss Fox mit einigen Millionen eine Reihe von Frauen zum Schweigen bringen, die der Moderator Bill O’Reilly sexuell belästigt hatte.


Dass "The Loudest Voice" in den deutschen Gazetten nicht gut aufgenommen wurde, überraschte dann doch. Einige Argumente sind durchaus nachvollziehbar, dass die Serie aber Roger Ailes ein Denkmal setzt, wie Nina Rehfeld in der FAZ schrieb, ist blanker Unsinn. Wer weder etwas von Fox noch von Roger Ailes gehört hat, bekommt eine gut recherchierte und durchgehend spannende, manchmal etwas zu temporeiche Serie zu sehen, die zwar nicht alle psychologischen Fragen beantwortet, aber auch den gut informierten Zuschauer auf eine Reise mitnimmt, die ihn emotional fordern wird.

In der letzten Szene sitzt der inzwischen schwerkranke und überwiegend auf den Rollstuhl angewiesene Medienmacher Roger Ailes vor seinem Fernsehgerät und schaut sich eine Rede Trumps an. „Make America great again“, ruft der frisch nominierte Donald Trump seinen frenetisch jubelnden Anhängern zu. Der Spruch stammt von Ailes und der Gesichtsausdruck des alten Mannes lässt erkennen, dass er nicht glaubt, dass dieser Präsident ohne Roger Ailes dauerhaft erfolgreich sein kann.


Note: BigDoc = 1,5


Quellen: „Networker“ von Jacob Weisberg. In: The New York Times vom 12. Januar 2014.

The Loudest Voice – Showtime 2019 – 7 Episoden – Showrunner: Tom McCarthy und Alex Metcalf – nach dem Sachbuch „The Loudest Vice in the Room“ von Gabriel Sherman – Regie: Kari Skogland, Stephen Frears u.a. – D.: Russell Crowe, Seth McFarlane, Sienna Miller, Simon McBurney, Annabelle Wallis, Naomi Watts.