Mittwoch, 11. März 2009

The Wrestler

USA 2008 - Regie: Darren Aronofsky - Darsteller: Mickey Rourke, Marisa Tomei, Evan Rachel Wood, Mark Margolis, Todd Barry, Wass Stevens, Judah Friedlander, Ernest Miller, Dylan Summers - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 105 min.

Als ich Darren Aronofsky „The Fountain“ gesehen hatte, war ich felsenfest davon überzeugt, dass dieser größenwahnsinnige Regisseur sich ins Abseits geschossen hatte - tödlich in einer Branche, die nur selten ein Comeback gestattet. Mit einem versponnenen Esoterik-Film, der bewusst alle narrativen Regeln zerschlug, hatte Aronofsky sich nicht einmal im Scheitern als verkanntes Genie à la Orson Welles präsentiert, sondern nur als jemand, dem es gelungen war, für prätentiöses und verschwurbeltes Kunstkino tatsächlich Produktionsgelder aufzutreiben.
Das allerdings war ein Kunststück.
„The Wrestler“ ist so gesehen tatsächlich ein gelungenes Comeback – und gleich ein Dreifaches: es ist die Rückkehr eines Filmemachers ins Erzählkino, es ist die Rückkehr eines Schauspielers aus der Gosse und es ist die Wiederauferstehung des poetischen Realismus in der Filmkunst.

Stil als Camouflage
Mickey Rourke ist Randy "The Ram" Robinson. In den 80er Jahren war “The Ram” einer der großen Stars des US-Profi-Wrestlings. Nun ist er dreißig Jahre älter und tritt nur noch in kleinen Hallen auf, fernab vom Glamour der großen Shows und auch fernab vom Big Business. Was er nun verdient, reicht nicht einmal mehr, um den Trailer zu bezahlen, in dem er mehr haust als wohnt.
Mit grobkörnigen Bildern und beweglicher Handkamera erzählt Aronofsky eine Geschichte, in der auf den ersten Blick der Abstieg schon vollzogen ist: Randy ist fertig, sein Körper ist restlos ausgeplündert und zerschunden von unzähligen Kämpfen. Um sich überhaupt noch dem Publikum präsentieren zu können, muss Randy viel Geld ausgeben, um sich mit Steroiden und anderem Zeugs eine vorzeigbare Physis zu verschaffen – und fast genauso viel Geld geht über den Tisch für Medikamente, die nur die Aufgabe haben, die Nebenwirkungen der Aufbaupräparate in Grenzen zu halten. Es ist die Inszenierung des Körpers, der keineswegs virtuell erlebt wird, wie einige Kritiker vermuteten, sondern der sehr real sein muss, um alles auszuhalten, was Randy ihm antut. Aronofsky zeigt dies genauso lapidar wie er die professionelle Vorbereitung der Wrestler auf so genannte Hardcore Matches zeigt, genau abgesprochene Brutalitäten, in denen Blut fließen muss. Nach den Ringschlachten ziehen Helfer im Locker Room den Akteuren Glasscherben und Stacheldraht aus dem Fleisch oder auch die Klammern von Tackerpistolen, mit denen Geldscheine an die Stirn geklammert wurden. Fast beiläufig wird man Zeuge, wie Randy nach so einem Kampf mit einem Herzinfarkt zusammenbricht.

Aronofsky hält die Einstellungen lange, der Schnitt ist sparsam, die Bilder wirken nüchtern, fast distanziert. Dies ist allerdings kein vordergründiger Realismus, der Desillusionierung und sachliche Aufklärung betreibt, sondern Stil. Denn Aronofsky benutzt eine Bildsprache, die eine andere Form von Mythologisierung will als jene, die von den Sportmedien betrieben wird.
Dieser Stil konterkariert bewusst die hochaufgelösten und schnell montierten Bilder des Fernsehens und damit auch das, was Profi-Wrestling in den Staaten seit den 90er Jahren geworden ist: eine ausgefeilte Pay-TV-Show, in der raffinierte Schnitte, Verfremdungseffekte, Slow Motions und eine Picture-In-Picture-Dramaturgie dem Showkampf den authentischen Mief der Jahrmarktsbuden ausgetrieben haben. Auch wenn es einige Kritiker nicht wahrhaben wollen und lieber von testosterongeschwängerten Brutal-Events sprechen: Wrestling ist in den USA ein comicähnlicher Familiensport, der mittlerweile kind- und familiengerecht weichgespült wurde – oft wird mehr geredet als gekämpft und Story Lines werden mit szenischen Collagen aufgemotzt. Wrestling ist mehr denn je zu einer virtuellen Welt geworden, in der allzu Gewalttätiges weitgehend entschärft wurde; in Deutschland blendet das DSF aus den eingekauften Shows mittlerweile allzu heftige Hiebe aus. „The Wrestler“ kehrt dagegen zum Rummelplatz zurück, zur Jahrmarktssensation – ein Urgrund, aus dem das Kino ja auch stammt. Und damit kehrt der Film auch zur archaischen, unverhüllten Schaulust zurück, die schon immer eine Mischung aus Fiktion und physischer Realität war.

Ganz am Anfang erzählt die Stripperin Cassidy (Marisa Tomei) von „The Passion of the Christ“. Auch dies ist Hardcore, aber von ganz anderer Art. Cassidys Begeisterung scheint der barbarischen Konsequenz des Films und der heroischen Leidensfähigkeit des gemarterten Jesus eine triviale Allegorie abgewinnen zu wollen, mit der Randy allerdings wenig anfangen kann. Sein Leben besteht darin, sich sachlich und professionell auf seinen Job vorzubereiten. Als ihm ein Kollege neue Wege der öffentlichen Selbstverstümmelung erläutert, willigt er nach erstem Erstaunen ein. Randy ist „The Ram“ und er will dem Publikum immer die volle Show bieten. Man komme bitte nicht auf die Idee, dass Kino wesentlich anders sei - angesiedelt zwischen phantatischen Kunstwelten und unverhüllter Lust beim Betrachten des Realen.

Signifikanz – der bedeutsame Blick
Der poetische Realismus, eine Stilrichtung des französischen Kinos in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, war nicht nur ein Vorläufer des Neorealismus, sondern auch ein Vorbereiter der Nouvelle Vague. Es gibt eine Reihe von Regisseuren, deren Filme so gut wie vergessen sind, wenn man zum Maßstab nimmt, welche Filme von Jean Renoir, René Clair oder Marcel Carné noch bei Anbietern wie AMAZON zu haben sind. Antwort: so gut wie keine.
Der französische Filmrealismus war durchweg pessimistisch, aber in seiner Genauigkeit bei der Beschreibung des Milieus um psychologisch plausible Sozialkritik bemüht. Das realistische Moment entstand nicht durch plakative Thesen oder dokumentarische Präzision bei der Darstellung der Wirklichkeit, sondern durch eine gewisse Leichtigkeit, eine poetische Überhöhung der Figuren, die ihnen eine Bedeutung gab, die man nur durch genaue Beobachtung erhält. André Bazin nannte dies Signifikanz.
Darren Aronofsky hat in „The Wrestler“ diesen Blick, der Bedeutungen freilegt, er hat viele Elemente dieser realistischen Sichtweise übernommen: die Kamera beobachtet mit ruhiger Genauigkeit Randy bei den eher zerstreut und planlos wirkenden Versuchen, eine Beziehung zu der Stripperin Cassidy aufzubauen, das Scheitern Randys, als dieser vergeblich versucht, einen Kontakt zu seiner Tochter herzustellen, um die er sich jahrelang nicht gekümmert hat. Er zeigt illusionslos, wie deplaziert Randy mit Schürze und Kopfbedeckung hinter der Fleischtheke eines Supermarkts wirkt, obwohl er dabei nicht völlig frei von rustikalem Charme ist.
Die Milieuskizzen sind genau, die Dramaturgie ist eher flach, die Szene fließen ineinander: zum Beispiel Randy und Cassidy biertrinkend in einer Bar, sie hören den Rock der 80ziger, in dem sich Randy authentisch erleben kann, und lästern über die 90ziger. Ein dramatischer Höhepunkt ist dies nicht, es ist eine genaue Nuance, die zeigt, was Zeit mit Menschen macht. Genauso beiläufig sieht man auch, dass die Kameradschaft der Wrestler ohne den Respekt vor dem Handwerk und dem nüchternen Blick fürs Geschäftlich nicht denkbar wäre.
Jenseits des Rings gelingt Randy so gut wie nichts, im ‚wirklichen’ Leben, das nicht das Richtige zu sein scheint: er verliert nicht nur den Job, sondern zerstört auch das fast wiedergewonnene Vertrauen seiner Tochter durch Oberflächlichkeit. Er vergißt eine Verabredung. Obwohl ihm der Arzt das Kämpfen verboten hat, zieht es ihn lieber in die Halle, an den Ring. Alles wirkt plausibel und es diese Glaubwürdigkeit, die Bazin als „Exaktheit“ beschrieb, die „jenseits aller Konventionen das gleichzeitig dokumentarische und signifikante Detail“ genau wiedergibt.

Jenseits aller Konventionen bewegt sich Aronofsky zwar nicht, aber vielleicht ist es auch kein Zufall, dass er die Handlung schließlich zu einem Hauptthema des poetischen Realismus lenkt: der Unmöglichkeit von Liebe. Nämlich dann, als Cassidy andeutet, dass sie durchaus bereit ist, ein ‚normales’ Leben mit Randy zu führen. Dies ist dann auch tatsächlich ein Wendepunkt, aber nicht der erwartete, denn Randy hat seine Rückkehr in den Ring bereits beschlossen, als ihm das Rematch eines legendären Kampfes aus seiner Vergangenheit angeboten wird. Dort im Ring, in dem er als „The Ram“ das Publikum auf sein Comeback einschwört, wird der Gimmick zur Realität, der Mythos zur Wirklichkeit, auch wenn der Zuschauer eigentlich nicht glauben kann, dass Randy diesen Kampf überleben wird. Der Mythos wird nicht dadurch real, dass Randy mit opernhaftem Pathos seine Rolle und den schönen Schein inszeniert, sondern weil er sich nur in dieser bizarren Kunstwelt etwas Selbstachtung bewahren kann. Dies hat etwas Pragmatisches an sich.
„The Wrestler“ unterscheidet sich darin von anderen Sportfilmen, die Abstieg und Rückkehr ihrer Helden als Wiederentdeckung bewährter Tugenden und Ausdruck ihrer moralischen Konsistenz feiern. So etwas gerinnt zum Klischee, wobei gelegentlich überrascht, dass man so etwas nicht ungern sieht. Der beharrliche Befehl dieser Filme lautet ‚Stand up’ und der Lohn, der am Ende winkt, ist der Erfolg. Bleibt er aus, ist man gescheitert. Dieser erzwungene Optimismus hat etwas Verlogenes, weil er die Figuren letztlich determiniert und unfrei macht. Sylvester Stallone hat in seinem etwas unterschätzten letzten Film der „Rocky“-Serie den Spagat fast geschafft. Der Held in Aronofskys Milieustudie überschreitet dagegen auch die letzte Grenze: er weiß, dass er nicht mehr gewinnen kann und dass er am Ende eigentlich keine Wahl hat. Paradoxerweise hat man das Gefühl, dass ihn gerade dies frei macht. Zuversichtlich kann einen das nicht stimmen: Das Letzte, was man im Film sieht, ist die schwarze Leinwand.

„The Wrestler“ gehört ganz sicher zu den bemerkenswertesten Filmen des Frühjahrs. Aronofksy zeigt, dass der Weg zum Inhalt über den Stil führt. Alles weitere liegt auch an Mickey Rourke, der Randy „The Ram“ ohne Mätzchen und mit einer Glaubwürdigkeit spielt, die nicht nur auf die Kongruenz von Leben und Rolle zurückzuführen ist. Rourke ist ganz einfach ein exzellenter Schauspieler, auch wenn man das fast vergessen hat. Vielleicht war es jene Kongruenz, die verhindert hat, dass er den verdienten Oskar für diese Performance erhielt.

Noten: BigDoc = 1,5, Klawer = 1,5