Donnerstag, 25. Dezember 2008

Der Tag, an dem die Erde stillstand

USA 2008 - Originaltitel: The Day the Earth stood still - Regie: Scott Derrickson - Darsteller: Keanu Reeves, Jennifer Connelly, Jaden Smith, Jon Hamm, Kathy Bates, John Cleese, Brandon T. Jackson, James Hong - FSK: ab 12 - Länge: 103 min.

Nach einem schlechten Film ist nur selten möglich, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Nach dem Besuch eines missratenen Remakes kann man immerhin ein wenig Trost im Kauf des Originals finden, zumal derartige Filme (50er Jahre, schwarz-weiß, nicht restauriert) heutzutage für den Gegenwert einer Packung Zigaretten zu erhalten sind. Ähnlich ist es mir nach Scott Derricksons „The Day the Earth stood still“ gegangen – für die billigste Fassung des Robert Wise-Klassikers zahlt man zwar etwas mehr als für eine Schachtel Zigaretten, aber deutlich weniger als für die aufwendig restaurierte 2-Disc-DVD-Fassung.

Zurück in die Zukunft
Als ich „The Day the Earth stood still“ in Ende der 60er entdeckte, musste man dem Fernsehen dankbar sein, dass es angestaubte Klassiker in die Programmnischen kurz vor Mitternacht schob. „Mumien, Monstren, Mutationen“ hieß ein mittlerweile legendärer Sendeplatz und die feine Ironie dieses Titels färbte natürlich auf die Wahrnehmung des Dargebotenen ab, das immer ein wenig skurril, verschroben und hausbacken wirkte.
In diesen Jahren stand das Kino vor dem Umbruch, das alte amerikanische Studiosystem war im Begriff, den Bach runterzugehen und um überhaupt wieder Leute ins Kino zu holen, waren die Studiobosse bereit, so etwas Ähnliches wie die Nouvelle Vague zu akzeptieren – nur halt auf amerikanisch. Die 70er wurden dann auch mit Coppola, Scorcese, Lucas und Spielberg sehr spannend. Der Rest war Kinomuseum. Oder besser gesagt: Fernsehmuseum, denn nur dort gab es „Formicula“, „Tarantula“, „The incredible shrinking man“, „The creature from the black lagoon“ und eben „Der Tag, an dem die Erde stillstand“ zu bewundern.
Beim ‚Erstkontakt’ beeindruckte mich der Film von Robert Wise durch seinen ambitionieren Ansatz: kein ‚Krieg der Welten’, keine fliegenden Untertassen oder riesige Killerspinnen, sondern ein dialogzentrierter Film, in dem der Botschafter einer überlegenen Zivilisation den Menschen klarzumachen versucht, dass ihre Tage gezählt sind, wenn sie die Atomenergie nutzen wollen, ohne zuvor ihre aggressive Lebensweise zu ändern. Klaatu, der Fremde, hatte in seinem Raumschiff den Roboter Gort mitgebracht, dem man nach einer eindrucksvollen Demonstration durchaus zutrauen konnte, dass er fähig ist, die Drohung wahrzumachen. In Wise’ Film wird die Zerstörung der Erde nur als Option angedeutet, denn Klaatu ist als Warner gekommen und Gort ist kein mechanischer Helfer, sondern der eigentliche Herrscher – Teil einer Roboter-Nomenklatura, die programmiert wurde, aggressive Welten zu zerstören. Was 1951 auch ohne große Kollateralschäden verhindert wurde.

Verpasste Chance
In einem Remake scheinen die Macher zu glauben, dass es schon etwas mehr sein dürfte: Folglich verwüstet ein auf Nanotechniken basierender metallischer Insektensturm große Bereich von New York, eher der Außerirdische den Supergau aufhält. Warum, wird nicht so ganz klar.
Kein Wunder: Eine Remake wird in dem Moment spannend, wenn ein bekanntes Themen variiert wird – entweder ironisch oder mutig oder beides zusammen, nur intelligent sollte es sein. Wie wir wissen, ist dies in den seltensten Fällen zu erwarten, da sich solche Filme kein Mensch anschaut. Was mit Soderberghs manierlichem Versuch, „Solaris“ zu adaptieren, hinreichend bewiesen wurde (obwohl die professionelle Kritik kein gutes Haar an diesem unterschätzten Film ließ).
Scott Derricksons Film lässt von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, dass er nicht mehr sein will als 08/15-Stangenware, die mit einigen neuen Tricks und Effekten aufwartet, aber letztlich so blutleer ist wie der ‚moderne’ Godzilla von Roland Emmerich, der zwar ganze Stadtteile platt macht, aber an seiner lendenlahmen Story erstickt.

Dies liegt ganz wesentlich am Script von David Scarpa, der sich zwar weitgehend an die zentralen Elemente des alten Klassikers hält, aber nicht die Plausibilität der Handlungsverknüpfungen prüft und unkritisch Dinge übernimmt, die vielleicht in den 50zigern funktionierten, aber nicht mehr heute. Völlig unglaubwürdig wirkt zum Beispiel die Szene, in der Klaatu, der Fremde, seine wabernde Sphäre (kein wirklich origineller Einfall im Vergleich zu einem konventionellen Spaceship) verlässt, um ausgerechnet in dem Moment von einem Schuss niedergestreckt zu werden, als er einer Wissenschaftlerin die Hand reicht. Ein nervöser Finger, ein Schießbefehl? Auf jeden Fall benehmen sich die US-Militärs, die nach der Landung der Sphäre ihr Arsenal ausgepackt haben, wie unprofessionelle Idioten auf einem Selbstmordkommando.

Und dass die Wissenschaftlerin Helen Benson (Jennifer Connelly) nach diesem aggressiven Erstkontakt und einer gründlichen Erstversorgung des angeschossenen Alien abends einfach nach Hause fährt, um ihrem Sohn das Abendbrot zuzubereiten, ist angesichts ihres Status als Geheimnisträgerin und Mitglied einer elitären Forschergruppe einfach nur dämlich. Entsprechend dämlich und peinlich sind die Versuche des Militärs, die Sphäre zu zerstören und den riesigen Roboter dingfest zu machen, obwohl es klar ist, dass die Technologie der Fremden der unsrigen um Lichtjahre voraus. Man traut ihnen ja einiges zu, den Amis, aber suizidale Dummheit sollte schon psychologisch plausibel gemacht werden, ansonsten bleibt es, was es ist: mieses Handwerk, mieses Script.

Ähnlich wie im Film von Robert Wise ist es die Begegnung Klaatus mit Helen und ihrem zunächst widerborstigen Sohn, die am Ende die völlige Zerstörung der Erde verhindert. Im Remake sorgt ein physischer Zusammenbruch des ansonsten übermächtigen Klaatu dafür, dass er heimlich Kontakt zu Helen aufnimmt. Diese Plotwendung verschlägt einem erneut den Atem, aber die Story muss halt weitergehen. Sie lässt kein Innehalten zu, weder in ihren schlechten noch in ihren guten Momenten.
Als Helen den wortkargen Klaatu mit einem ‚wahren’ Führer der Menschheit bekannt macht, dem Nobelpreisträger Professor Barnhardt (John Cleese), verbessert Klaatu einige Formeln, die der Mensch ganz herkömmlich auf eine Schiefertafel mit Kreide geschrieben hat. Barnhardt tritt hinzu und fragt ungläubig den Außerirdischen: „Das ist möglich?“. Klaatu antwortet mit einem lapidaren Ja, was die Neugier ins Unermessliche steigert, ohne dass sie am Ende befriedigt wird. „Ich habe so viele Fragen!“, mutmaßt der irdische Professor, aber leider fehlte dem Drehbuchautor Zeit und Muße, um einige davon zu formulieren. Es fehlte wohl auch an beidem, als es darum ging, die von Klaatu ausgelöste Apokalypse im letzten Moment zu stoppen. Als Helen klar wird, dass der Außerirdische nur gekommen ist, um vor der Annihilierung der menschlichen Spezies die wichtigen Tier- und Pflanzenarten einzusammeln, fällt der vermutlich promovierten Wissenschaftlerin nichts besseres, als Klaatu zu beschwören: „Wir können uns ändern!“. Wie, wann und in welcher Hinsicht? Dem Appell fehlt ebenso die Beweiskraft wie der Vermutung, der Mensch könne imstande sein, intelligente Remakes zu machen.

Weder Fisch noch Fleisch
Keanu Reeves wurde im einem Interview gefragt, ob es nicht anstrengend gewesen sei, als Klaatu ständig mit ausdrucksloser Miene herumzulaufen. Seine zustimmende Bestätigung ändert nur wenig an meinem Eindruck, dass es Reeves wohl recht gewesen sein muss, denn mehr ist wohl von ihm nicht zu erwarten, seit er in „Matrix“ die stoische Erlöserrolle verkörpert hat. Aber vielleicht ist er auch schuldlos und sollte sich besser bei den für das Script verantwortlichen Machern darüber beklagen, dass sie sich einen außerirdischen Öko-Terroristen nur als wortkarg, anti-intellektuell und absolut humorlos vorstellen können.
„The Day the Earth stood still“ ist auch in den Nebenrollen verhunzt: weder John Cleese noch Kathy Bates als US-Verteidigungsministerin können gegen die Infantilität ihrer Texte anspielen – und das sagt schon einiges. Dass der Film zumindest im ersten Drittel durchaus eine beachtliche Spannung aufbauen kann, liegt allerdings weniger an seinen Qualitäten, als vielmehr an den unrealistischen Erwartungen, die man als Cineast wieder einmal vergeblich entwickelt hat. Wem derartiges fehlt, wird auf jeden Fall einen Fall einen biederen, mäßig originellen Film von der Stange zu sehen bekommen, der auch in punkto Tricktechnik weit hinter die von Emmerich und Spielberg gesetzten Maßstäbe zurückfällt.

Noten: Mr. Mendez: 4, BigDoc: 4

Mittwoch, 24. Dezember 2008

Best of all movies 2008


2008 im Rückblick

Ein Jahr ist schnell vorbei und so mancher wird sich schon nicht mehr an die OSCAR-Verleihung im Frühjahr erinnern: Kopf an Kopf wetteiferten „No country for old men“ und „There will be blood“ um die Gunst der Juroren. (Fast) auf der Strecke blieb der Film von Paul Thomas Anderson, während die Brüder Joel und Ethan Coen mit ihrer stilsicheren Hommage an vergangene Zeiten alles abräumten.

Während die Coens nur knapp drei Jahrzehnte zurückblickten, begab sich P.T. Anderson ins frühe 20. Jh. und zeichnete unbarmherzig jene Mentalität nach, die in unseren Zeiten zu einer weltweiten Finanzkrise geführt hat: Maximierung der Rendite, Gier und Amoralität beherrschen die Hauptfigur während der Suche nach immer mehr Öl für die frühkapitalistische Industrie. Neben den nahe liegenden politischen Implikationen versteckte Anderson in seinem Film eine zynische Umbewertung der alten Fordschen Moralbegriffe wie zum Beispiel Ehrbarkeit und Familienzusammengehörigkeit, über die er ein gelegentlich fast opernhaftes Drama in bester shakespearscher Tradition legte. Verrat, Mord und Untergang, alles in einer Bildersprache, die an die besten Filme Stanley Kubricks erinnerte. Ein Jahrhundertwerk.
Im Filmclub schaffte es der Film nicht einmal in die Top Twenty und wenn man gewissenhaft unsere ‚Liste der schlechtesten Filme’ aufstellen würde, dann würde dieser Film leider dort landen. Selbst meine Bestnote konnte ihn nicht vor dem Fall in die Mülltonne bewahren, während meine angewiderten Mit-Juroren ein netten, aber harmlosen Film wie „Vitus“ auf Platz 8 beförderten.

Kommen wir zum Sieger: „No country for old men“.

Es war das Jahr der Coen-Brothers, wie wir noch sehen werden. In einer Kritik schrieb ich: „Und so ist der Oskargewinner zweifellos ein Meisterwerk, aber eins, das auch eine große Leere hinterlässt, denn der zynische und garantiert empathiefreien Witz, mit dem die Coens ihre Figuren betrachten, wird hier auf die Spitze getrieben.“ Das kann man auch für „Burn after reading“ Platz 20)  so stehen lassen. Persönlich habe ich den OSCAR-prämiierten Coen-Film aus stilistischen Gründen hoch bewertet, inhaltlich wurde er zumindest bei mir von anderen Filmen deutlich überrundet. Im Filmclub verteidigte er zäh ein ganzes Jahr seine Führungsposition.

Als Überraschungszweiter kam Ben Afflecks Neo-Noir-Film „Gone Baby gone“ zu Platz und Rang. Der Film gehört zwar nicht zu den hellsten Sternen am Kinohimmel, ist aber mehr als ein gutes Stück Genrekino: Was ist Recht, was ist Gerechtigkeit? Gute Frage, gutes Regiedebüt von Ben Affleck, den die meisten nur als Darsteller kennen.

Die BBC-Produktion „Earth“ gehörte in Deutschland zu den meistgesehensten Filmen des Jahres 2007. Über 3,5 Millionen Menschen wollten im Jahr des Knut eine nicht ganz unsentimentale Eisbären-Geschichte sehen – wir auch.

Neben den Coens und den Eisbären triumphierte im Filmclub ein Darsteller, den viele nicht mehr auf dem Schirm hatten: Tommy Lee Jones. In „No country for old men“ spielt er einen philosophierenden Sheriff, in „Three Burials“ (Platz 4) macht er seinem widerborstigen Image als Cowboy in einem brillanten Spät-Western alle Ehren (er führte auch Regie) und im „Tal von Elah“ von Paul Haggis (Platz 5) legt er den langen, schmerzhaften Weg vom Patrioten zum desillusionierten Vater eines jungen Mannes hin, den zwar nicht der Irak-Krieg umbrachte, wohl aber die ungern wahrgenommene Traumatisierung Tausender junger Männer, die in ihrer Heimat kein Zuhause mehr finden.
Auf Platz 6 landete Jean Beckers „Dialog mit meinem Gärtner“ ein kleines philosophisches Sommermärchen irgendwo zwischen Tiefsinn und Kummerkasten. Typisch französisch und mit leichter Hand inszeniert.
Stefan Ruzowitzkys „Die Fälscher“ (Platz 7) sorgte mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film 2008 nach „Das Leben der anderen“ für eine bemerkenswerte Imageverbesserung des deutschen Kinos, das längst wieder international konkurrenzfähig zu sein scheint. Das KZ-Drama um moralisches Handeln im Angesicht des Todes, einer der besten deutschen Filme der jüngeren Vergangenheit, sahen 2,4 % der Zuschauer, die sich am Eisbärendrama ergötzt hatten. Die meisten in der Nachverwertung nach dem Oscar-Gewinn…

F.M. Murers „Vitus“ gehört wohl auch zu den Filmen, die Menschen in schlechten Zeiten sehen wollen – die Geschichte eines unverstandenen Kindgenies wurde mit dem Idealopa Bruna Ganz genregerecht abgerundet – ein netter, aber doch wohl belangloser Film, dessen Platzierung im Filmclub (Platz 8) nicht nur wegen der Abkanzelung von „There will be blood“ ein kleiner Skandal ist, sondern auch, weil er den wohl hellsten Stern am Kinohimmel verdrängte: „The dark knight“ von Christopher Nolan landete zugrunde benotet auf Platz 9 - die Batman-Verfilmung, die in der berühmten Internet Movie Database mittlerweile auf Platz 4 in der Liste der ‚besten Filme aller Zeiten’ liegt, glänzte in jeder Beziehung: als politische Allegorie im Angesicht der zu Ende gehenden Bush-Ära, deren Kampf gegen das Böse zu einer grandiosen Entwertung der Bürgerrechte führte, als den Atem verschlagender Schauspielerfilm mit einem (fast) alle Dimensionen sprengenden Heath Ledger, als finessenreiches ästhetisches Spektakel. Nur wenig fehlt und der ‚dunkele Ritter’ wird Titanic als erfolgreichsten Film aller Zeiten verdrängen – im Filmclub reichte es gerade mal für den geteilten 7.-9. Platz.

Platz 10 erreichte ein Außenseiter, der wohl eher als DVD-Release Geld machen wird: „Mr. Brooks“ mit Kevin Costner ist für alle sehenswert, die einmal im Kopf eines Serienmörders sein möchten. Allerdings kommt man nach derartigen Exkursionen nicht ohne Schaden davon. Abgesehen von einer unklug überfrachteten Handlung knüpfte „Mr. Brooks“ sehr intelligent an das Konzept des Serienhits „Dexter“ (USA 2006) an. Von Hannibal Lecter war man fasziniert, ohne ihn so recht zu mögen – „Mr. Brooks“ dagegen provozierte Empathie: es ist schon rätselhaft, was Kino mit und in den Köpfen so alles anstellt.

Auf die weiteren Plätze gehe ich nicht weiter ein, nur eins: mein persönlicher Lieblingsfilm auf den Rängen 11-20 ist „Michael Clayton“. Mal abgesehen davon: es gab noch eine Reihe sehr interessanter Filme zu sehen, einige davon scheiterten nur knapp. Zu ihnen gehören „Der Fluch der goldenen Blume“ von Zhang Yimou, „A mighty heart“ von Michael Winterbottom, das preisgekrönte Mafiadrama „Gomorra“ (Matteo Garrone, bester europäischer Film 2008), der umstrittene „Baader Meinhof Komplex“ von Uli Edel, aber auch Julian Schnabels „Schmetterling und Taucherglocke“, der leider nur zwei Wertungen erhielt (2,5).

Mein Fazit: ein spannendes, aufregendes Kinojahr. Das Jahr 2009 wird es schwer haben, dies zu toppen. Lassen wir uns mal überraschen.
Besten Dank auch an meine Mitjuroren, die trotz meiner kleinen Seitehiebe dazu beigetragen haben, dass erneut eine lesens- und sehenswerte "Best of"-Liste zustandekam.
BigDoc