Samstag, 9. April 2011

Splice - Der Pressespiegel

Der Pressespiegel zeigt, das Splice insgesamt als außergewöhnlicher Beitrag zum Horrorfilm-Genre gewürdigt wird. Für alle, die denen Film verabscheuen, habe ich etwas aus dem einzigen Veriss zitiert, den ich finden konnte.

"Der Film ist so verstörend wie David Cronenbergs Exkurse in die filmische Genetik und so abgründig wie der horreur noir des Guillermo del Toro - er ist als Produzent einer der Paten des Projekts."
Anke Sterneborg (sueddeutsche.de)

"Den Feind nicht mehr in der fremden Kreatur, sondern im eigenen Innersten zu verorten, ist darum eine ebenso hellsichtige wie beunruhigende Pointe. Und wie schon in James Whales unerreichtem "Frankenstein" aus dem Jahr 1931 gehören die Sympathien des Publikums zu Recht dem missverstandenen Geschöpf, das idealisierte Wunschprojektionen und grausame Willkür ertragen muss. Denn erst Drens Fähigkeit zu Mitgefühl und Liebe machen sie so bedrohlich für ihre Gegenüber, die sich den eigenen emotionalen Defiziten nicht stellen können. So ist es letztlich kein intellektuelles Versagen, das den Horror heraufbeschwört, sondern die Unaufrichtigkeit des Herzens."
David Kleingers (SPIEGEL online)

"Nach vielen Jahren Pause meldet sich Regisseur Vincenzo Natali ("Cube") wieder zurück und wandelt auf den Spuren des kanadischen Kult-Regisseurs David Cronenberg ("Die Fliege") - allerdings ohne je dessen nachhaltige Wirkung zu erreichen. Das Thema seines Films ist brisant, weil in der Realität bereits zum Greifen nah. Die Unachtsamkeit, mit der die Wissenschaftler im Film Genexperimente durchführen, wirkt jedoch aufgesetzt, und den Charakteren fehlt es an der notwendigen Tiefe, damit ein richtig fesselnder Film daraus würde."
Wolfram Hannemann (Stuttgarter Nachrichten)

"'Splice' ist ein Monsterstück in klassischer Frankensteinmanier, besticht also weniger durch blutrünstige Szenen als durch den psychologisch ambivalent gestalteten Charakter der Bestie, der diese eben nicht nur als Monster erscheinen lässt. Aber auch den beiden anderen Protagonisten wohnt eine meisterhafte Ambivalenz inne, die so manches Mal zur alten Frage führt: Wer ist hier eigentlich das Monster, die Kreatur oder ihre Erschaffer?"
Iris Benker (Stuttgarter Zeitung)

 "David Cronenberg hätte diese Dreiecksbeziehung in eine düstere Parabel über das Familienleben überführt; Vincenzo Natali macht daraus einen Monsterfilm, dessen Figuren zwar charmant sind, jedoch nur wenig zur Empathie einladen. Das verhilft dem Film jedoch zu einer gewissen Distanz zu seinen Zuschauern, die irgendwie jenen Abstand, der zwischen Dren und ihren Eltern herrscht, wiederholt: Man weiß nie, ob man Angst oder Mitleid haben soll mit dem Wesen und den Menschen um es herum."
Stefan Höltgen (SCHNITT)

"Splice ist über weite Strecken so etwas wie die Konkretisierung der psychosexuellen Subtexte des Frankenstein-Stoffs. Verhandelt wird sehr direkt Psychoanalyse: Dren ist einerseits die monströse Materialisierung des real unterdrückten Kinderwunschs Elsas ... wie von Freud’schen Ödipus- und Kastrationskomplexen. Langsam entwickelt sich eine in mehr als nur einem Sinne monströse Subjektivität. In der Psychoanalyse – als einem System, dessen Abstraktionsvermögen sich direkt aus der tiefsten Innerlichkeit des Individuums speist – hat Natali vielleicht sein zwangsläufiges Sujet gefunden."
Lukas Foerster (critic.de)

Splice – Das Genexperiment


Deutscher Titel: Splice – Das Genexperiment, Originaltitel: Splice, Produktionsland: Kanada, Frankreich, USA, Länge 103 Minuten.

Zunächst sieht „es“ aus wie ein kleiner Hase, dann wie ein mutiertes Huhn auf und am Ende wie eine mythologische Chimäre, die als junge Frau auf Straußenbeinen sogar erotisches Flair verströmt: Dren, wie sie von ihren Schöpfern genannt wird, ist das Ergebnis eines Genexperiments, ein künstliches Wesen, das in einem Labor heranwächst, menschliche DNA aufweist und auch menschliche Züge entwickelt, aber dennoch immer etwas Fremdes bleibt, das sich verändert und auf bedrohliche Weise unverständlich bleibt.
Splice ist nach Cube, Cypher und Nothing der vierte Film Vincenzo Natalis, der wie einige der letzten Filme des Kanadiers erneut an einen Laborversuch erinnert: Natali steckt seine Protagonisten in ein filmisches Experiment und beobachtet, ob sie moralisch den Kopf aus der Schlinge ziehen können, obwohl sie das Andere, das sie erschaffen haben, eigentlich nicht verstehen. Dass dies schief geht, ist in diesem fast klassischen Horrorfilm am Ende keine Überraschung.

Was einen magisch anzieht, fürchtet man
Was man fürchtet, zieht einen gleichzeitig magisch an. So weit, so gut. Spannend wird es erst, wenn man den Satz auf den Kopf stellt: Was einen magisch anzieht, fürchtet man. Mit dieser kleinen syntaktischen Korrektur sind wir mitten im Horrorfilm und das, was an dieser kleinen Umstellung so irritierend wirkt, ist die Ambivalenz der Gefühle. Sie lässt uns schlussfolgern, dass wir uns gegen unsere vernunftgeleiteten Überzeugungen richten, wenn wir uns dem Schrecken archetypischer Bilder und unterschwelliger Bedürfnisse aussetzen. Und doch tun wir es gerne. Etwas zieht uns an, eigentlich wollen wir das nicht, aber da ist nun einmal ein Verlangen, das wir leider nicht ganz verstehen. Kein Wunder, dass die Filmkritik immer wieder zur Psychoanalyse greift, um das Missverstandene an der Lust mit Begriffen zu bannen.
Vincenzo Natalis Monsterfilm Splice funktioniert genau auf dieser Ebene: die ehrgeizigen Wissenschaftler Clive (Adrien Brody) und Elsa (Sarah Polley), die auch privat ein Paar sind, experimentieren mit menschlichem und tierischem Erbgut und schaffen ein künstliches Wesen, das ihnen  buchstäblich über den Kopf wächst. Während Clive, furchtsam und doch fasziniert, das illegale und heimlich in den Räumen der Forschungseinrichtung „Nucleic Exchange Research and Development“, kurz N.E.R.D., begonnene Experiment so rasch wie möglich beenden will, zeigt sich Elsa von dem niedlichen Wesen beeindruckt und setzt ihre Untersuchung fort. Sie fühlt sich magisch angezogen, aber noch gibt es keinen Grund zur Furcht.
Clive und Elsa sind Nerds, hochintelligente Außenseiter, völlig fokussiert auf ihre Arbeit, scheinbar autonom und doch abhängig von den ökonomischen Interessen des Konzerns, der sie dafür bezahlt, innovative Wege in der Zellstoffforschung einzuschlagen. Natali stößt uns mit seinen Akronymen etwas aufdringlich auf das Nerd-Motiv der genialen, aber lebensfremden Wissenschaftler: beide arbeiten bei einem Konzern gleichen Namens und auch Dren ist das gleiche Wort, nur rückwärts buchstabiert.
Als Clive und Elsa im Labor zwei amorphe Klumpen heranzüchten, scheint dies den N.E.R.D.-Bossen zu genügen. Mehr soll nicht sein: Experimente mit menschlicher DNA würde die öffentliche Meinung nicht zulassen, auch wenn das Ergebnis die Erlösung von Krebs und anderen Übeln bedeuten würde. Nun ist es Elsa, die nicht locker lässt. Sie kreuzt menschliche und tierische DNA und lässt das unbestimmte Etwas in einer monströsen Fruchtblase heranreifen. Herauskommt ein Hybridwesen, dessen verborgene Fremdartigkeit von äußeren, überwiegend niedlichen Attributen überlagert wird. Und diese lösen instinktiv und sehr schnell zutiefst menschliche Reaktionen aus: während bei Elsa mütterliche Instinkte die wissenschaftliche Objektivität ad absurdum führen, überwiegt bei Clive blankes Entsetzen über den Tabubruch. Er will das fremde Wesen töten, ehe es zu spät ist. Und von Anfang an zeigt uns Natali, dass Projektionen, verborgene Wünsche und tiefer liegende Verstörungen mehr über unsere Wahrnehmungen und Handlungen entscheiden als uns lieb sein kann.

Als eine öffentliche Präsentation der Zellstoffklumpen damit endet, dass sich die experimentellen Lebensformen blutig zerfleischen, wird nicht nur klar, dass es sich aus morphologischer Sicht um zweigeschlechtliche Lebensformen mit hohem Aggressionspotential handelt, sondern auch, dass N.E.R.D. einen schweren Imageschaden erlitten hat. Dren, wie Clive und Elsa ihr heimlich und immer schneller wachsendes „Kind“ nennen, kann nun nicht länger in den Räumen des Labors versteckt werden. Die Wissenschaftler schaffen es auf einen entlegenen Bauernhof und in der erneut hermetischen Enge des neuen Schlupfwinkels entsteht rasch eine morbide Stimmung aus Eifersucht, unterdrückten traumatischen Erfahrungen und sexueller Stimulierung. Während Elsa kindliche Missbrauchserfahrungen durch eine zwanghaft kontrollhafte Mütterlichkeit verarbeitet, wird Clive mit der erwachende Sexualität Drens konfrontiert, die innerhalb weniger Wochen zu einer jungen Frau heranwächst und durchaus auch wegen ihrer engelsgleichen Flügel liebenswerte Züge besitzt, wäre da nicht ihr langer Schwanz, der mit einem tödlichen Stachel versehen ist.

Klassische Motive des Horrorfilms
Hybridwesen sind klassische Figuren des Horrorfilms, wie sie Universal mit Frankenstein (1931) und The Wolf Man (1941) definierte. Während der Werwolf eher ein Betriebsunfall der Natur ist und unschwer an unkontrollierbares Triebverlangens erinnert, ist das aus Leichenteilen zusammengesetzte Frankenstein-Monster ein leeres Gefäß, dessen Verhalten durch das definiert wird, was ihm widerfährt: Menschlichkeit und Boshaftigkeit.
An die Grundkonstellation von James Whales Frankenstein erinnert auch Splice, genauso wie die Namen des Forscherteams Clive und Elsa in Whales Bride of Frankenstein zu verorten sind, nämlich in den Namen der Schauspieler Colin Clive und Elsa Lanchester. In beiden Filmen definierte Whale eine auch heute noch überraschend differenzierte Grammatik des Horrorfilms, die leider zu schnell durch die eindimensionalen Psychologie schlichter gestrickter Nachfolger verloren ging: Whales Monster ist ein Spiegel des sozialen Verhaltens und gehört so eher in eine Studie behavioristischer  Entwicklungspsychologie - es lernt aus dem, was im widerfährt. Während der Wolfsmensch sich einer psychoanalytischen Deutung anbietet, ist das Frankenstein-Monster ein Spiegel unserer sozialen Natur – und dazu gehören die menschliche Hybris und unsere sonstigen Schwächen.

In Splice ist dies nicht anders, nur ist Natalis Monster nicht so naiv wie das von Whale. Es ist intelligent, lernt schnell von seinen „Eltern“, kann zwar nicht sprechen, aber lesen, ist zudem hilfsbedürftig, will kuscheln, spielt mit Puppen und tötet im Affekt – alles sehr menschliche Eigenschaften. Was Dren allerdings noch mehr von den alten Monstern aus der Frühzeit des Horrorfilms unterscheidet, ist ein Rest an Rätselhaftigkeit, ein verborgener Kern in der manipulierten DNA, der den Zuschauer ahnen lässt, dass keiner so recht wissen kann, in was Dren sich verwandeln wird: in  ein fühlendes menschliches Wesen oder ein mörderisches Biest, das fremden tödlichen Instinkten folgen wird.
Auch in Splice entscheidet der Mensch, wo es lang geht. Als Elsa bemerkt, dass sich Dren auffällig für Clive zu interessieren beginnt, verwandelt sie sich in die ‚böse’ Mutter, eine von verborgenen pathologischen Untiefen beherrschte Frau, die dem ‚unartigen Kind’ den ‚schlimmen Stachel’ amputiert. Die symbolisch aufgeladenen Konstellationen, die von Natali gelegentlich etwas dick aufgetragen werden, laufen konsequent auf das von Freud beschriebene ödipale Dreieck zwischen Dren, Clive und Elsa hinaus. Und zwangsläufig führt dies zur Realisierung inzestuöser Wünsche : Dren verführt Clive und dieser schläft mit seiner ‚Tochter’. Und letztlich, so sieht man, geht es einer neuen Lebensform doch nur um eins: das eigene Überleben und seine Fortpflanzung.

Splice ist wie viele moderne Genrefilme ein Crossover-Film, der nicht nur aufgrund seiner Ausgangssituation Elemente des Sci-Fi-Genres verarbeitet. Zu ihnen gehört natürlich die sattsam bekannte Frage nach den moralisch-ethischen Dimensionen künstlicher Lebensformen und nicht-menschlicher Intelligenz. Doch anders als in Spielbergs emotionaler Allegorie A.I.-Artificial Intelligenz taucht dieser Subtext bei Natali nur am Rande auf, auch wenn er immer mitschwingt.
Dass Splice als Genrefilm so gut funktioniert, liegt nicht nur an der intelligenten Verarbeitung klassischer und moderner Genremotive, die entfernt an Species und Alien und ganz am Ende an Rosemarys Baby erinnern, aber auch an Cronenbergs ‚Body Horror’, sondern an seiner erzählerischen Glaubwürdigkeit. Dies verdankt Natalis Film auch den überzeugenden darstellerischen Leistungen von Adrien Brody und Sarah Polley, Qualitäten, die B-Movies häufig fehlen. Brody und Polley spielen streckenweise hinreißend ihre Ratlosigkeit und neurotischen Dispositionen und zeigen, warum die Filmmonster unsere Ängste in Schreckensbilder verwandeln, Ängste, die uns abstoßen und anziehen. Das gilt auch für Delphine Chanéac, die dem ambivalenten Hybridwesen rätselhaften Charme und Komplexität verleiht, was nicht zuletzt auch den exzellenten Effekten zu verdanken ist, die beim Sitges Festival Internacional de Cinema de Catalunya mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurden.
Natalis hermetische Versuchsanordnung funktioniert aber auch genre-didaktisch: die Alpträume des Horrorfilms meinen eigentlich immer den Zuschauer , der weniger im Monster als vielmehr in den Reaktionen seiner Umgebung auch sich selbst wiederfindet. Nicht restlos überzeugen konnte mich das actiongeladene, allerdings auch furiose Ende des Films, das mehr Fragen erzeugt als Antworten gibt und mit einem Plot-Twist endet, der leider etwas vorhersehbar ist. Trotzdem steht unter dem roten Strich ein dickes Plus: Splice zeigt uns nuanciert, was uns erwartet, wenn wir das autonom Fremde eigenen Bedürfnissen unterwerfen wollen.

Postscriptum: im Filmclub ging der Film zu meiner Verblüffung völlig unter. Die Palette umfasste heftige Reaktionen wie „einer der schlechtesten Filme, die ich jemals gesehen habe“, aber auch irritiertes Unbehagen. Warum ein Film, der eigentlich sehr offensichtlich größere Qualitäten besitzt als manch anderer ‚Film von der Stange’, so abgewatscht wurde, gehört zu den gelegentlichen Rätseln unseres Expertentreffs. Für mich war dies weniger eine Enttäuschung, als vielmehr die Bestätigung, dass Horrorfilme halt funktionieren – und zwar so, wie oben beschrieben.

Noten: BigDoc = 2, Klawer, Melonie = 4, Mr. Mendez = 6.