Mittwoch, 21. April 2010

Die Päpstin

Deutschland / Großbritannien / Italien / Spanien 2009 - Regie: Sönke Wortmann - Darsteller: Johanna Wokalek, David Wenham, John Goodman, Iain Glen, Anatole Taubman, Jördis Triebel - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 148 min.

Synopsis:
Anfang des 9. Jh. wird Johanna in einem kleinen rheinischen Dorf geboren. Das intelligente Kind ist wissbegierig und lernfähig – in den Augen ihres Vaters, des Dorfpriesters, eine Entartung. Trotzdem gelingt es dem Mädchen, das Griechisch lesen und schreiben kann und Protegé des Bischofs ist, der Sprung an die Domschule. Dort begegnet sie Graf Gerold (David Wenham), einem Edelmann am Hofe des Bischofs. Gerold lässt das Mädchen bei sich aufwachsen und verliebt sich später in die junge Frau. Als Gerold gegen die Normannen in den Krieg zieht, tritt Johanna (Johanna Wokalek) unter dem Namen Bruder Johannes Anglicus ins Benediktinerkloster Fulda ein und entwickelt dort beachtliche Kenntnisse der Heilkunde. Doch die Pest bricht aus, ihre weibliche Identität droht entdeckt zu werden. Johanna flieht nach Rom, wo sie zum Leibarzt des Papstes Sergius II. (John Goodman) aufsteigt. Als Kaiser Lothar I. das Papsttum politisch unterwerfen will, rettet Johanna mit einem mechanischen Trick, der wie ein Gottesbeweis auf Lothars Truppen wirkt, den machtlosen Gregorius. Sie begegnet erneut Gerold, entscheidet sich aber gegen ein normales Leben und für ihre Berufung. Als der Papst einer Intrige zum Opfer fällt, wird Johanna völlig überraschend per Akklamation zum Papst gewählt. Erneut droht die Enthüllung, als sie von Gerold schwanger wird.

Kommentar:
Der Weltbestseller von Donna Woolfolk Cross gehört bei den deutschen Lesern zu den beliebtesten Büchern aller Zeiten. Die opulente Saga war eine geschickte Mixtur aus Historienspektakel, Emanzipationsgeschichte und verpilcherter Love Story und konnte durchaus als durchschnittliche Unterhaltungsliteratur durchgehen. Ihr Erfolg machte eine Verfilmung unvermeidlich.
Die Produktionsgeschichte ist bekannt: der als Regisseur vorgesehene Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff beschäftigte sich über acht Jahre mit dem Projekt, wurde aber 2008 von der Constantin Film gefeuert, nachdem er sich in einem Interview kritisch über die Strategie des „Amphibienfilms“ geäußert hatte. Nachfolger wurde Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“), der das gewünschte amphibische Resultat ablieferte: nämlich ausreichend Material für eine gekürzte Kinofassung und auch für die anschließende Auswertung als TV-Mehrteiler abzudrehen.

Das Ergebnis erntete überwiegend Spott und Hohn bei der Kritik. Zu Unrecht, denn „Die Päpstin“ ist ein Artikel, der angesichts der Bilanzerwartungen der Produzenten konsequent auf den kleinsten gemeinsamen Erzählnenner heruntergebrochen werden musste, um sein Verwertungspotential möglichst effektiv auszureizen. Das ist gelungen: Kinozuschauer, die nicht allzu sehr durch historische Kenntnisse der frühen Mittelalters und seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung belastet werden und die der sowohl dem Buch als auch dem Film aufgepfropften Gender-Problematik ein gewisses Maß an Political Correctness abgewinnen können, werden mit einem unterhaltsamen szenischen Bilderbogen belohnt, der opulent in Szene gesetzt wurde, trotz einiger Kürzungen die wichtigsten Episoden des Buches enthält und den man problemlos verstehen kann. Alles hat irgendwie vertrautes Schulfunk-Niveau, nur dass man nun auch einige nette illustrative Bilder zu sehen bekommt. Sie bestätigen zudem die Erwartungen, die man vom Mittelalter halt hat: Die Hygiene ist unter aller Sau, die Kleriker halten sich nicht immer ans Zölibat und sind verfressen und machtgeil, die Bösen und die Intriganten sind bildungsfern, gehässig und neidisch, man erkennt sie überwiegend an abstehenden Segelohren, entstellten Gesichtszügen oder schwarzen Bärten. Und die Guten sind edle Ritter und gebildete Kleriker, blond oder weißhaarig, aufgeklärt und tolerant und sie kennen zum Entsetzen ihrer verstockten Umwelt sogar die alten Schriften der Antike. Und auch Johanna, die übrigens von Namensvetterin Johanna Wokalek durchaus gelungen gespielt wird, ist eine widerspruchsfreie und moralisch keimfreie Verkörperung des Gutmenschentums, sodass man nie fragt, warum ihr nicht auffällt, dass die christliche Religion bereits 800 Jahre nach Christi Tod intellektuell und moralisch völlig auf den Hund gekommen ist.
Man sollte sich daher auch nicht darüber aufregen, dass es im 9. Jh. überhaupt keinen Papst gab, sondern nur den ‚Bischof von Rom’ – solche Feinheiten sind nur für Erbsenzähler interessant. Auch ist anzuraten, den wirklich erschreckend salbadernden Off-Erzähler mit Geduld zu ertragen, immerhin sind drei Jahrzehnte Erzählstoff zusammenzuklammern.
Zudem ist Sönke Wortmann künstlerisch keineswegs gescheitert, hier waren einige Kritiker wohl im falschen Film. Wortmann behält konsequent den Stoff im Sinne einer Massenkompatibilität im Griff. Er eckt nicht an, provoziert nicht und geht einigermaßen respektvoll mit seiner Hauptfigur um: ein biederer Erzähler, der jedes Risiko und auch jedwede stilistische Anormalität wie das Weihwasser scheut, aber die 20 Millionen Euro Produktionskosten auch nicht vor die Wand fährt und für die etwas differenzierteren Gemüter in einigen Szenen immerhin andeutet, was in dem Stoff steckt.
Wenn etwa der greise Lehrer Aesculapius mit Johannas engstirnigen Vater über Platos Höhlengleichnis diskutiert, hat dank Wortmann, der auch das Skript geschrieben hat, die heimlich lauschende Johanna ihr rationales Erweckungserlebnis, das der Off-Sprecher auch sofort beflissen erklärt: Gott hat uns die Vernunft geschenkt und Frauen dürfen lesen lernen. Das ist doch eine Ansage.

Synonyme für ‚bieder’ sind übrigens: tugendhaft, ehrenwert und vertrauenswürdig. Für soviel Semantik sollten sich die Kritiker nicht zu schade sein, wenn sie Sönke Wortmann über den Tisch ziehen. Und vielleicht gibt es ja in der TV-Langfassung einen legendären Director’s Cut zu sehen, der alle intelligenten und zum Mitdenken anregenden Dialoge enthält, die aus der Kinofassung herausgeschnitten wurden. Die Constantin hat mit „Der Name der Rose“ gezeigt, wie man mit solchen Stoffen umgeht. So etwas verlernt man nicht.

Noten: BigDoc = 4
Postskriptum: Die Hartleibigen, denen all dies nicht genügt, sollten nicht auf die TV-Version warten, sondern sich in der Wikipedia über den Niedergang des Weströmischen Reiches, die Bücherverluste in der Spätantike und den Niedergang der überlieferten Geisteswissenschaften informieren. Das ist spannend wie ein Krimi, leider ohne Bilder.