Montag, 10. Juni 2019

Designated Survivor - die dritte Staffel hat eine harte Agenda

Wie ein Phönix aus der Asche kam sie zurück, zuvor lieblos ad acta gelegt: „Designated Survivor, die vor anderthalb Jahren von ABC nach zwei Staffeln gecancelte Serie. Jenes Politdrama, das von einem Mann erzählt, der eigentlich kein Politiker sein will, aber plötzlich der mächtigste Mann der westlichen Welt ist.
Hatten nicht viele gesagt, dass diese Geschichte auserzählt ist? Nun ist der von Kiefer Sutherland gespielte Idealist Tom Kirkman, der kein Pragmatiker der Macht sein wollte, wieder da. In der letzten der zehn neuen Folgen holt er sich erneut seinen Therapeuten ins Weiße Haus, weil die Schuld an ihm nagt. Unmittelbar vor dem Finale der Präsidentschaftswahlen hat Kirkman zwar nicht gelogen, aber bewusst geschwiegen, um seinen größten Widersacher politisch zu vernichten. Darf das einer wie er, darf man das überhaupt? 
Das sind nicht die einzigen Fragen, die in einer Serie gestellt werden. „Designated Survivor“ wird sogar im letzten Drittel zu einer bitterbösen Anti-Trump-Brandrede. Überhaupt nicht fair, ausgewogen, objektiv und nett, sondern gallig, parteiisch und wütend.



Innovativ will „Designated Survivor“ nicht sein. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick.

Im September 2017 kam plötzlich das Aus. Der Rauswurf bei ABC war für die Fans unverständlich. Die Quoten der zweiten Staffel waren zwar zurückgegangen, aber immer noch wollten im Schnitt 4 Mio. Zuschauer die Geschichte eines Präsidenten sehen, der nie gewählt wurde. Denn Tom Kirkman (Kiefer Sutherland) war nach einem brutalen Terroranschlag auf das Kapitol das einzige überlebende Kabinettsmitglied, der Designated Survivor wurde als Präsident vereidigt. So will es die amerikanische Verfassung. Die Macht war dem biederen Minister für Wohnungsbau und Stadtplanung quasi vor, oder besser gesagt: auf die Füße gefallen.

ABC wollte diese Geschichte nicht weitererzählen. Vielleicht war die Serie auch zu kompliziert: gedreht wurde in Toronto, der Writers Room befand sich in Los Angeles und Creator David Guggenheim hatte seinem Hauptdarsteller und Executive Producer Kiefer Sutherland das Recht eingeräumt, jedes Script zu prüfen, bevor gedreht wurde. Alles anscheinend ein bisschen zu viel.

Nun also Netflix. Und der kanadische Anbieter Entertainment One. Netflix hatte dank eines Deals mit ABC bereits zuvor die Hände im Spiel gehabt und ließ nun für eine dritte Staffel zehn neu Episoden produzieren, die im Juni 2019 auch in Deutschland an den Start gingen. Nicht wöchentlich, alle Episoden wurden zeitgleich online gestellt.

Konzeptuell haben David Guggenheim, Executive Producer Jon Harmon Feldman und Showrunner Noel Baer („Law & Order: Special Victims Unit“) auf den ersten Blick wenig verändert. „Designated Survivor“ war und ist keine Light-Version von „House of Cards“, auch keine Kopie von „West Wing“ oder „Homeland“. Die Serie bedient sich
allerdings, wie David Guggenheim offen einräumte, bei diesen Vorbildern, um seine eigene Geschichte zu erzählen. 
Tom Kirkman ist wie Josh Bartlet (Martin Sheen) ein ehrlicher, gradliniger Mann: Aaron Sorkin hatte diesen Typus für „West Wing“ erfunden. Die scheinbar irreal wirkenden Verschwörungsplots haben wir in „Homeland“ gesehen und die politische Kaste in „Designated Survivor“ ist fast so verdorben, aber nicht ganz so zynisch wie in „House of Cards“, dem spektakulären Gegenentwurf zu Guggenheims Politkosmos.

„Designated Survivor“ ist formal aber nicht so raffiniert wie „House of Cards“. Die Serie folgt erzähltechnisch einem recht konventionellen, aber soliden Konzept. Immer gibt es ein zentrales politisches Thema (in der dritten Staffel tritt Tom Kirkman bei seiner ersten Präsidentschaftswahl als unabhängiger Kandidat gegen das Parteien-Establishment an), und wie üblich erzählt ein weiterer Hauptplot von einer Verschwörung und soll für physische Action sorgen. Die gibt es auch, diesmal im Kampf gegen hochgefährliche Bio-Terroristen. Eine Geschichte, in deren Mittelpunkt die Figur der EX-FBI-Agentin Hannah Wells (Maggie Q) steht und die an der Haupthandlung zunächst komplett vorbeiläuft, bis die Erzählfäden im letzten Drittel zusammengeführt werden – ziemlich verblüffend und ein wirklich gelungener Coup des Autorenteams.
Innovativ will „Designated Survivor“ nicht sein. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Jede Episode sieht genauso aus wie die vorangegangenen. Es gibt sechs bis sieben Nebenplots, während sich die beiden Main Plots langsam ihrem Höhepunkt nähern. Guggenheims Serie wirkt dabei schon ein bisschen wie am Reißbrett entworfen. Sie ist es auch, und so haben alle Mitglieder von Kirkmans Team nicht nur im Job ihre Probleme, sondern erleben auch privat emotionale Krisen – aber dies alles weniger der Figurenentwicklung, sondern der politischen Agenda der Serie.


„#thesystemisbroken“

Witzig war die Idee, allen Episoden ein Hashtag als Namen zu geben. „#thesystemisbroken“ heißt die erste Folge programmatisch. Die vielen kleinen und großen Geschichten der Figuren sind bisweilen schablonenhaft und vorhersehbar, aber die Serie folgt dabei einem Agenda Setting.

So schlägt sich der Beau der Serie, Adan Canto als Nationaler Sicherheitsberater Aaron Shore, nicht nur mit seiner Nominierung als künftiger Vizepräsident herum, sondern auch mit seiner Latino-Freundin Isabel Pardo (Elena Tovar), die ebenfalls im Weißen Haus arbeitet und von ihrem Lover mehr Selbstbewusstsein verlangt. Shore möchte aber nicht als mexikanischer Texaner wahrgenommen werden. So heißt eine Episode dann auch passend „#identity/crisis“.

Kai Penn als Seth Wright, der Pressesprecher des Weißen Hauses, sorgt wie immer für das Comic Relief und ist der grundehrliche Moralist, manchmal auch aufbrausende Fighter im Team. Als junger Mann hat er als Samenspender Geld verdient und nun erhält er plötzlich einen Anruf seiner biologischen Tochter.

Wieder dabei ist auch Italia Ricci als Emily Rhodes, die nun als Pressesprecherin des Wahlkampfteams für Kirkman arbeitet. Emily muss sich nicht nur mit der Krebskrankheit ihrer Mutter auseinandersetzen, sondern auch mit dem Problem der Sterbehilfe.

Neu ist Stabschef Mars Harper (neu: „ER“-Star Anthony Edwards), der verschlossen, humorlos und professionell nicht immer sein Bestes geben kann, weil zuhause eine opiatabhängige Frau auf ihn wartet. Harper wird eine Privatfehde mit der Pharmaindustrie beginnen, nachdem er erfährt, dass das hohe Suchtpotential des Schmerzmittels, das seine Frau jahrelang genommen hat, illegal verschwiegen wurde. 


Ebenfalls neu im Cast der Serie, aus dem leider viele Figuren verschwunden sind, ist auch Lorraine Zimmer (Julier White) als Kirkmans neue Wahlkampfmanagerin. Die Endfünfziger ist mit allen Wassern gewaschen, hat ruppige Manieren und holt sich für gelegentlichen Sex einen Callboy ins Bett. Privat ist sie in endlose juristische Streitigkeiten um den Unterhalt für ihre Ex-Männer verwickelt. Zimmer will um jeden Preis gewinnen und wird am Ende die Kampagne Kirkmans mit dubiosen Mitteln in Gefahr bringen.

Das LGBT-Thema repräsentieren in der Serie gleich zwei Figuren. Zum einen der schwule Social Media-Spezialist Dontae Evans (Benjamin Watson), dann auch Jamie Clayton als Sasha Booker, die transsexuelle Schwägerin von Tom Kirkman.



#truthorconsequences

Die meisten Figuren sind also überwiegend Kofferträger für gesellschaftliche Brennpunktthemen, die in der Serie unbedingt verhandelt werden sollen. Immigration, Transgender, die korrupte Pharmaindustrie und die von ihr landesweit ausgelöste Abhängigkeit von brandgefährlichen Opioiden, die Rolle der Farbigen und der demografische Wandel in den USA, der obligatorische Deep State und die Revolution der alten weißen Männer, Social Media, Fake New und Internettrolle. Sogar die Tatsache, dass die Bürger von Puerto Rico, einem Außengebiet der USA, nicht in USA wählen dürfen, obwohl sie US-Staatsbürger sind, 
wird thematisiert.
Die Agenda der Serie ist also lang, die Instrumentalisierung der Figuren für politische Botschaften ist ehrenwert, aber streckenweise eben auch etwas durchschaubar. Dass „Designated Survivor“ ohne eine Menge Soap dabei nicht über die Runden kommt, scheint unvermeidbar zu sein, gehört aber nicht zu den Stärken der neuen Staffel.

Zumindest ist es einigermaßen unterhaltsam. Der Cast spielt locker einige Ungereimtheiten weg, auch im Writers Room haben die Autoren eine flüssige Erzählung hinbekommen, die recht routiniert für Spannung sorgt. Über allem schwebt aber die klar erkennbare Absicht der Macher, mitten in der Trump-Ära ein Plädoyer für ein multi-kulturelles, liberales Amerika vorzutragen, das seine Verfassung und seine Demokratie gegen die Feinde von rechts zu verteidigen.
Dazu werden nicht nur im letzten Drittel der Serie dann doch noch überraschend intelligente Werkzeuge benutzt, um diese Botschaft unüberhörbar an Mann & Frau zu bringen. Wenn die Protagonisten sich Medienberichte mit eingespielten Interviews ansehen, so sind diese nicht fiktiv. Stattdessen haben die Macher Kameracrews losgeschickt, um echte Menschen zu ihren Problemen zu befragen. Und wenn Kirkmans Schwägerin Sasha in einer Transgender-Selbsthilfegruppe sitzt, kommen echte Transsexuelle zu Wort. „Designated Survivor“ ist zum Teil Dokufiction, und das ist recht kreativ.

Angesichts dieser Agenda ist Kiefer Sutherland nicht nur ein moralischer Gegenentwurf zu der von Kevin Spacey verkörperten Trickster-Figur in „House of Cards“, sondern auch unübersehbar der fiktive Antagonist von Donald Trump. Kirkman muss sich angeekelt den schmutzigen Tricks des Wahlkampfes aussetzen und dabei gegen den populistischen Ex-Präsidenten Cornelius Moss (Geoff Pierson) antreten, dessen Wahlkampfteam keinen schmierigen Trick auslässt, um Kirkman zu diskreditieren. Und Moss, der in den vorangegangenen Staffeln noch als gemäßigter Konservativer durchgehen konnte, hat sich in der dritten Staffel nicht aus Überzeugung, sondern strategisch auf die Seite der Alt-Right-Bewegung geschlagen. Es geht also dem Zeitgeist folgend um die Macht, um Fake News und Troll-Farmen, aber auch um eine bösärtige Verschwörung der alten weißen Männer, die ein heimtückisches Eugenik-Programm ausgeheckt haben. Doch ausgerechnet unmittelbar vor der Wahl fliegt alles auf und der in Führung liegende Cornelius Moss wird zum Abschuss freigegeben.


„#truthorconsequences“ heißt die letzte Folge und in ihr muss sich Tom Kirkman mit einer moralischen Frage herumschlagen. Ihm wird ein Beweis zugespielt, der seinen Widersacher Moss vom Verdacht entlastet, Teil der Verschwörung zu sein. Kiefer Sutherland, der erneut seine Figur sichtbar angegriffen als unbedingten Moralisten und Verfechter der Wahrheit spielt, übrigens recht überzeugend, muss sich entscheiden, ob Wahrheit ein unbedingtes Gebot ist oder ob er lügen muss, um die Wahl zu gewinnen und damit Schaden von der Nation abzuwenden.

Natürlich trägt „Designated Survivor“ dick auf. Die dritte Staffel hat sich viel vorgenommen, einiges gut hinbekommen, anderes dem Zuschauer vielleicht etwas zu pathetisch und zu ironiefrei serviert. An ihrem Themenwust ist die Serie zumindest nicht erstickt. 
Unterm Strich ist Netflix damit die erstaunliche Wiedergeburt einer totgesagten Serie gelungen.
Noch erstaunlicher ist allerdings, dass weder Netflix noch die Macher halbherzig herumdrucksten. Die Serie hat eine knallharte Botschaft und sie kämpft nicht mit dem Florett, auch nicht mit dem Degen, sondern sie hat zum Hammer gegriffen und kräftig zugeschlagen.
„Designated Survivor“ ist ein sehr emotionales Plädoyer für Demokratie und Diversität und dabei sicher keine intellektuelle Feinkost. Es geht gegen den Rechtspopulismus, gegen Trump, gegen das Amerika der alten weißen Männer. Und es ist meines Wissens die erste Serie, die politische Inhalte von real betroffenen Menschen kommentieren lässt. 
Mit dem anderen Teil der USA geht die Serie dabei weder fair noch ausgewogen um, und das will sie auch nicht, vielmehr ist sie gallig, parteiisch und wütend.
Dies verändert auch die Figur des Tom Kirkman, der am Ende einen Schritt auf das System zugeht, das er eigentlich bekämpfen wollte. Sei letzter Satz lautet: „Wenn ich demnächst eine Rede halte, werde ich nur an eins denken: Ich bin ein verlogenes Stück Scheiße!“ (Original: Next time I give a speech, will there be some corner of my mind whispering "you are so full of shit?“)

Fazit: Diese Geschichte sollte weitererzählt werden.



Noten: BigDoc = 2

Trivia: 

Bei Metacritic liegt der Metascore aktuell bei 71, der User Score ist negativ. Viele Zuschauer beklagten sich über schwulen Analsex, zu viel LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) und die neue Ambivalenz der Hauptfigur.

Designated Survivor – Netflix 2019 – Creator: David Guggenheim – Showrunner: Neal Baer – Serie, 10 Episoden – D.: Kiefer Sutherland, Natascha McElhone, Adan Canto, Italia Ricci, LaMonica Garret, Tanner Buchanan, Kal Penn, Maggie Q, Paulo Costanzo, Zoe McLellan, Ben Lawson