Der Horror-Science Fiction-Film „A Quiet Place: Tag Eins“ ist ab 20 Dezember 2024 in einer Reihe von Streaming-Portalen zu sehen. Die Geschichte einer Alien-Invasion, in der jeder den Tod findet, wenn er sich nicht absolut ruhig verhält, wird in Michael Sarnoski Film aber nicht weitererzählt. Sie springt stattdessen mit neuen Figuren in der Zeit zurück zum ersten Tag der Invasion.
Wer Action und Horror erwartet, wird sie in Sarnoskis Film finden. Überwiegend dezent und definitiv nicht voyeuristisch. Das Prequel resp. Spin-off ist im Kern aber ein Melodram, das zwei ungleiche Figuren zusammenführt und von Tod, Abschied und etwas Hoffnung erzählt. Das muss man nicht sehen, sollte es aber, wenn man so eine Genre-Melange mag.
Die Aliens sind gehandicapt – sie sind blind
Wenn man sich über Böse-Aliens-erobern-die-Welt-Horror-Science Fiction-Filme wundert (oder ärgert), dann fragt man sich, was sich Filmemacher sich mit ihren immergleichen Klischees gedacht haben. Die Aliens, die sich sabbernd, grunzend und klackernd auf Menschenjagd begeben, sind meistens deshalb zu uns gekommen, weil ihr Planet irgendwie zugrunde ging oder weil sie boshafte Neo-Imperialisten sind, die sich andere Planeten aneignen wollen. So wie es Trump mit Grönland und Kanada vorhat. Man fragt sich, was uns so sehr an Filmen fasziniert, in denen wir alle ausgerottet werden (sollen).
Würden die Aliens ein tödliches Virus auf uns loslassen, könnte man immerhin von der Effektivität des Tötens sprechen. Im Prequel „A Quiet Place: Tag Eins“ werden die Menschen (wie auch in den anderen Quiet Place-Filmen) aber einzeln von den blitzschnellen Monstern umgebracht. Und die suchen sehr methodisch nach den allerletzten Überlebenden.
Allein in New York City leben fast 10 Mio. Menschen. Wenn man im Kino innehält und sich fragt, wie viele Aliens man braucht, um quasi in Handarbeit Menschen zu töten, erreicht man die Grenze der Plausibilität. Schafft ein Alien 10 Exemplare unserer Gattung pro Tag und lernt beim Töten hinzu, dann sind es 300 pro Monat und man muss über 30.000 seiner Artgenossen auf die Erde karren, um allein New York City menschenfrei zu machen. Das ist sehr unwahrscheinlich. Science-Fiction sollte wenigsten ansatzweise glaubhaft sein, anderenfalls werden die Filmemacher zu Märchenonkeln.
Sind die Aliens zudem gehandicapt, wird die Story endgültig auf den Prüfstand der Logik gestellt. In der „A Quiet Place“ Trilogie sind die Aliens nämlich blind und wasserscheu. Die letztgenannte Animosität führt in „A Quiet Place: Tag Eins“ immerhin zu einer spannenden Szene. Samira (Lupita Nyong’o, Oscar als beste Nebendarstellerin in „12 Years A Slave“) und Eric (Joseph Quinn, „Stranger Things“), die beiden Protagonisten in dem Prequel“, fliehen in dem unterirdischen Abwassersystem der Stadt vor einem dieser klackernden Aliens, das so geil auf das Töten ist, dass es einen Tauchgang wagt und dabei jämmerlich ertrinkt. Das ist schon erschreckend, denn mit solchen Aliens kann man garantiert nicht kommunizieren und verhandeln.
Die Sache mit der Blindheit und der extremen Geräuschempfindlichkeit der bösartigen Besucher ist eine ziemlich abwegige Plot-Idee. Seit über 600 Millionen Jahren besitzen alle Wirbeltiere Augen, die wohl klügste Innovation der erdgeschichtlichen Evolution.
„Das Auge jagt mir noch heute einen kalten Schauer über den Rücken“, soll Charles Darwin gesagt haben. Aber es ist egal, ob die Augen durch natürliche Selektion entstanden sind oder durch ein gemeinsames Bauprinzip. Eher ist wohl die Homogenität des Auges zu bewundern, obwohl es immer noch Lebewesen gibt, die nicht mit der menschlichen Linse mithalten können. Und die erlaubt uns das Sehen in UHD. Sicher auch eine Optimierung, die durch Mutationen entstand, so wie es Darwin beschrieb. Und: es gibt sogar Einzeller wie den Dinoflagellaten Erythropsis pavillard, die eine Linse, einen Glaskörper und eine Netzhaut besitzen. Nur Krasinskis Aliens sind blind.
Was macht die Stille mit uns?
Warum also sollen die Aliens in „A Quiet Place“ blind sein, wenn allein unsere irdische Vergangenheit beweisen kann, dass artenübergreifend das Auge zu den unverzichtbaren Erfolgsgeschichten der Evolution gehört? Die Invasion besonders boshafter Aliens haben „Independence Day“ oder „Invasion of the Body Snatchers“ besser hingekriegt, obwohl die Schoten in Don Siegels Klassiker (1956) erst sehen konnten, nachdem sie Kopien des menschlichen Wirts hergestellt hatten. Offenbar gelang das so beängstigend, dass die Body Snatchers zwei Remakes vom Stapel ließen.
Warum dann blinde Aliens? Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Der von dem Regisseur, Autor und Schauspieler John Krasinski entwickelte Horror-SF-Film „A Quiet Place“ (2018) zeigte mit einem subtilen Familiendrama, dass der Zusammenhalt das A und O während einer Alien-Invasion ist. Krasinski beschäftigte sich mit einer weiteren Frage: Was macht die Stille mit uns? Wie anpassungsfähig sind wir, wenn die blinden, aber mit einem perfekten Gehör ausgestatteten Aliens sofort über uns herfallen, wenn wir durch unsere Geräusche ihre Aufmerksamkeit auf uns lenken. Da kann bereits das Knarzen des Schuhwerks unser Todesurteil sein.
Es geht gar dabei nicht um das Handicap der Aliens, sondern um uns, eine Spezies, die gerne und für sie folgenlos mit allen Spielarten des Horrors konfrontiert werden möchte, dem sehr effektiven Vehikel der Angst. Warum faszinieren uns dystopische Endzeitvisionen mehr als optimistische SF-Filme wie „Arrival!? Wie gehen die fiktiven Figuren mit dem drohenden Untergang um? Resignieren oder kämpfen sie? Werden wir zu völlig amoralischen Raubtieren wie in „The Walking Dead“, die im Überlebenskampf die schwächeren Mitmenschen jagen und ausplündern? Oder wacht das Gute wie in „Independence Day“ in uns auf und lässt uns mit Empathie und grundsoliden Werten wie Solidarität, Hoffnung und viel Patriotismus dem übermächtigen Gegner entgegentreten?
Krasinskis Idee war so originell, dass der Film viele Nominierungen und einige Preise einheimste. Häufig genug für das brillante Sounddesign und den Tonschnitt, der dank der exzellenten Arbeit von Erik Aadahl (zahlreiche Oscar-Nominierungen) und Ethan Van der Ryn (Oscar für „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“) neue Maßstäbe setzte. Aadahl und Van der Ryn schafften es, dass in dem Film selbst Blätterrascheln bedrohlich klang und auch der Zuschauer vor Schreck zusammenzuckte. Anders formuliert: der Zuschauer wurde perfekt konditioniert.
Aber die Stille, die von Lee (John Krasinski) und Evelyn Abbott (Emily Blunt) und ihren drei Kindern sehr erfindungsreich ‚produziert‘ wird, entlastet den Zuschauer nicht sonderlich. Wohl auch, weil wir alle mittlerweile akzeptiert haben, dass die Welt, in der wir leben, lauter ist als uns lieb sein sollte und Stille längst nicht mehr von allen ertragen wird. Krasinski erster Film war daher auch eine Lektion über die menschliche Wahrnehmung der Realität.
Und nebenbei zog uns der erste Film der Trilogie auch in die Welt der Gehörlosen. Konsequent war daher die Besetzung einer Rolle durch die gehörlose Schauspielerin Millicent Simmonds, die Regan, die Tochter der Abbots, spielt. Dass die Abbots mit Gebärdensprache kommunizieren, ist folgerichtig und das Cochlea-Implantat ihrer Tochter sollte eine Schlüsselrolle spielen.
„A Quiet Place“ gehörte auf sehr spannende Weise nicht nur tontechnisch, sondern auch aufgrund der aufmerksamen und empathischen Erzählweise zu den besseren Science-Fiction-Filmen. Auch wenn die Monster – logisch betrachtet – etwas überkonstruiert wirkten. Mit weltweiten Einnahmen von fast 350 Millionen US-Dollar gehörte „A Quiet Place“ zu den 30 erfolgreichsten Film des Jahres 2018. Zu recht.
„A Quiet Place – Tag Eins“ ist gut, aber auch ein wenig überflüssig
Mit „A Quiet Place: Part II” produzierte John Krasinski zwei Jahre später ein Sequel, für das er erneut das Script schrieb und auch die Regie übernahm. Er selbst war nur noch in einer Nebenrolle zu sehen, während Cillian Murphy eine neue Hauptrolle übernahm und auch Millicent Simmonds als Regan zum Mittelpunkt der Geschichte wurde. „Part II“ variierte das Thema, setzte einige neue Akzente, blieb aber im Kern eine Geschichte, die sich weniger für den Kampf gegen die Aliens interessierte, sondern für die Überlebensstrategien der Menschen.
An der Kasse nahm Krasinskis von der Kritik erneut gelobte Film weniger ein als Teil 1, aber in der Gesamtsumme beider Filme war es mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar. Bereits vor der Entwicklung des zweiten Teils hatte sich Paramount Gedanken über einen dritten Teil gemacht. John Krasinski, der nach Teil I nicht mehr Regie führen wollte, es dann noch einmal tat, reichte diesen Stab im dritten Teil nun an Michael Sarnoski weiter, blieb aber Produzent.
Der Topos eines Familiendramas spielt in Part III, für den Michael Sarnoski auch das Drehbuch schrieb, spielt im Prequel keine Rolle mehr. Im Mittelpunkt steht die krebskranke Samira, die in einem Hospiz lebt und während eines Ausflugs nach Manhattan zur Zeugin der Alien-Landung wird. Ihre Katze „Frodo“ hat Samira ständig dabei. Innerhalb kurzer Zeit werden die Straßen zerstört, aber Samira und ihrem Pfleger Reuben (Alex Wolff) gelingt gemeinsam die Flucht. Während die US Air Force alle Brücken nach Manhattan zerstört, denkt Samira an eine Pizza, die sie unbedingt vor ihrem Tod essen will. Ein Wunsch, der mit glücklichen Erfahrungen während ihrer Kindheit zusammenhängt.
Als Reuben von einem Alien getötet wird, ist die kratzbürstige und zynische junge Frau allein, bis sie Eric trifft, einen Jurastudenten, der hilflos und traumatisiert der nicht sonderlich begeisterten Samira auf Schritt und Tritt folgt. Das ist die eigentliche Geschichte. Neben einige Actionszenen ist „A Quiet Place: Part II“ eher ein überraschend ruhiges Melodram, das sich ausreichend Zeit nimmt, um die Protagonisten psychologisch zu erkunden.
Lupita Nyong’o spielt die desillusionierte und abweisende Samira mit außerordentlicher Präsenz. Wenn Samira die Augen vor Entsetzen aufreißt, aber das Schreien unterdrücken muss, dann fährt auch dem Zuschauer der Schreck in die Glieder. Joseph Quinn als Samiras etwas trottliger Begleiter Eric hat dagegen eine undankbare Rolle und kann der Figur keine interessanten Nuancen verleihen.
Die Katze „Frodo“ (beim Dreh kamen zwei Katzen zum Einsatz) macht ihre Sache besser. Die eigenwillige Beziehung zwischen Mensch und Tier konnte man bereits dank Sarnoskis Trüffelschwein in „Pig“ beobachten. Auch in Sarnoskis neuem Filme spielt ein Tier eine wichtige Rolle. Pat Scola, Michael Sarnoskis Kameramann, zeigt Samiras Katze immer wieder als aufmerksamen Beobachter, der sehr aufmerksam den Aliens beim Töten zuschaut und danach ziemlich oft den Augenkontakt mit den Menschen sucht.
Der wichtigste Aspekt des Film ist daher die Figurenentwicklung und thematisch die Vertiefung einer Beziehung zwischen zwei ungleichen Menschen. Samira kann am Ende emotional die körperliche Nähe zu Eric zulassen, wobei Sarnoski zum Glück den Fehler vermeidet, die beiden Figuren eine erotische Beziehung erleben zu lassen. Erst die reduzierte Nähe zwischen Samira und Eric macht das Besondere der glücklicheren Augenblicke mitten in der Apokalypse glaubwürdig. Auch dass der Film die Geschichte nicht mit einem Happy End verlässt, ist daher eine kluge Entscheidung des Regisseurs gewesen.
An der Kasse war Sarnoskis Film angesichts eines Budgets von 67 Mio. mit über 260 Millionen Dollar erneut erfolgreich. Und das, obwohl der Regisseur das Alien-Gemetzel nicht schaulustig ausplünderte. Ob man die Fortsetzung der Geschichte wirklich braucht, bleibt eine offene Frage. Der Rezensent ordnet den Film eher in die Rubrik „Gute Filme, die man nicht braucht“ ein. Aber dies ist keine Ablehnung, denn emotional kann der Film den Zuschauer nachdenklich stimmen, und das, weil die Themen Verlust und Abschied nuanciert reflektiert werden und das Melodram ist weiß Gott nicht das schlechteste Genre, um dies zu tun.
Note: BigDoc = 2,5
A Quiet Day: Tag Eins (A Quite Day: Day One) – Idee: John Krasinski, Michael Sarnoski – Buch und Regie: Michael Sarnoski – Kamera: Pat Scola – D.: Lupita Nyong’o, Joseph Quinn, Alex Wolff.