Dienstag, 15. April 2008

Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford

USA 2006 - Originaltitel: The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford - Regie: Andrew Dominik - Darsteller: Brad Pitt, Casey Affleck, Sam Shepard, Mary-Louise Parker, Zooey Deschanel - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 159 min.

Fiktionen über Jesse James sind so häufig wie Sand am Meer – ungezählte Filme, ungezählte Regisseure und ebenso viele Darsteller haben den Outlaw auf die Leinwand gebracht. Vielleicht sogar noch häufiger als es in den kinematografischen Huldigungen des anderen großen Mythos des Wild, Wild West geschah: Billy the Kid. Und wie bei vielen andren Mythen wird schließlich nicht mehr der Gegenstand selbst belangreich, sondern die Meta-Ebene der Nacherzählungen, die sich kaskadenartig auffächern und in endlosen Querverbindungen aufeinander beziehen.

Interessant: Beiden Westernlegenden wurde nachgesagt, dass sie überhaupt nicht erschossen worden sind und bis ins hohe Alter weiter lebten. Aber diesen Legenden wurde zumindest im Falle von Jesse James durch eine DNS-Probe in den 90er Jahre ein Ende bereitet. Den Mördern ging’s in beiden Fällen fürderhin schlecht: sie wurden gemieden wie die Pest und irgendwann erschossen. Und auch etwas anderes ist gleich: Sowohl um Pat Garrett als auch Bob Ford wurden besondere Beziehungen zu ihren späteren Opfern angedichtet. Und wenn eine Geschichte zum x-ten Mal erzählt worden ist, werden irgendwann auch diese Rand- und Nebenfiguren der Geschichte interessant. Je weniger man etwas von ihnen weiß, desto besser.

So ist es halt mit der historischen Wahrheit und auch im Falle von Andrew Dominiks „The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford“ sollte man erst mal zum Geschichtsbuch greifen, denn vom berühmten Outlaw und dessen bis in den amerikanischen Bürgerkrieg zurückreichende Geschichte erfährt man in dem Film nichts. Weder die Gräueltaten der Quantrill-Raiders, an denen Jesses Bruder Frank beteiligt war, noch die Massaker des „Bloody Bill“ Anderson, an denen der recht junge Jesse mitwirkte, werden erwähnt. Und genauso wenig erfährt man, dass es der Besitzer der Kansas City Time gewesen ist, der Jesse James aus politischen Gründen zu einem „Robin Hood“-Mythos verhalf.

Dominik zeigt vielmehr den Jesse James, dessen Mythos perfekt und somit beschlossene Sache ist, einen Mann, der am Ende seiner ‚Laufbahn’ depressiv und paranoid seine letzten Tage damit verbrachte, seine Bandenmitglieder misstrauisch zu überwachen und – falls erforderlich – als potentielle Verräter zu liquidieren. Und der am Ende kaltschnäuzig seine eigene Ermordung als mythengerechten Abgang plant.
Andrew Dominiks Version, den Mythos Jesse James zu erhellen, scheitert nicht, weil Dominik erst gar nicht den Versuch macht, dies zu tun. Sein Film ist keine „True Jesse James“-Story, sondern eine explizit elegische und anti-realistische Kontemplation über einen unreifen, spät-pubertierenden Jüngling, der sowohl mit sublimierten erotischen Neigungen als auch mit einer Mischung aus scharfer Intelligenz und lebensfremder Naivität an das Objekt seiner Begierde herantritt: Casey Affleck spielt den späteren Mörder des Outlaws mit einer gierigen, fast etwas schleimigen Präsenz, die man immer dann beobachten kann, wenn jemand keine eigene Persönlichkeit finden kann und nur über Adaption so etwas wie eine Identität zusammenstrickt. Dieser Bob Ford vergöttert den Mythos und scheitert an der realen Figur des Outlaws, der nur subtilen Spott für ihn übrig hat. Dies allerdings ist grandios gespielt und trotz des großen Lobes der Kritiker für die darstellerische Leistung des ‚kleinen’ Affleck muss hervorgehoben werden, dass Brad Pitt lange nicht mehr so grandios war wie in der Rolle des prä-psychotischen Killers, der schon durch ein verhaltenes Hochziehen der Augenbraue eine erneute paranoide Wahnidee signalisiert und seine Umgebung in Angst und Schrecken versetzt.

Ähnlich präsent sah man Pitt wohl zuletzt in David Finchers „Fight Club“ und wer die Interviews mit dem sehr reflektierten und auffallend intelligenten Charmeur liest, bekommt sehr schnell mit, wie distanziert und kritisch sich der Co-Produzent von „The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford“ mit den Möglichkeiten und Grenzen des Kinos auseinandergesetzt hat.

Der eigentlich Held des elegischen Noir-Western ist allerdings Roger Deakins, dessen virtuose Kameraarbeit (Oscar-Nominierung für „No Country for Old Men“) nicht nur die Arbeit der Coen-Brüder prägte, sondern auch maßgeblich für den Erfolg zahlreicher anderer Highlights der letzten Dekaden verantwortlich war.
Natürlich kann man geteilter Meinung über den einen oder anderen fast schon manieriert anmutenden Linsentrick sein und sich über extreme Unschärfebereiche mokieren, aber die visuelle Kraft, die Dominiks Film durch diesen außergewöhnlichen Kameramann erhält, prägt nach über zweieinhalb manchmal sehr lang gewordenen Stunden auch die Wahrnehmung einer unglaublich dichten Atmosphäre, die man so schnell nicht vergessen wird. Deakins gibt dem Sujet eine fast schon erotische Spannung, einen eigenen Rhythmus der Zeitwahrnehmung, der auch durch den Schnitt nicht verdorben wurde.

Die erlesenen Bilder und die Entschleunigung der Erzählung sind es auch, die am Ende dafür sorgen, dass man deutlich erkennt, um welche Art von Kino es sich hier handelt: Um eine formalistisch geprägte Ästhetisierung eines Sujet, die genauso faszinierend ist wie die Landschaftsmalerei der Renaissance, die ihren realistischen Gestus schon längst verloren hat, die man aber um ihretwillen liebt.

Noten: BigDoc = 2,5

Postscriptum:
Das Bonusmaterial der "Special Edition" des Films ist mit mit seinem schmalen Booklet ein schlechter Witz, die Single-Version des Films ist zwar vorzüglich gemastert, bietet aber nicht das geringste Bonus-Material. Man muss nicht erläutern, welche Chancen einer historischen Durchleuchtung schäbig vertan werden, wenn nicht einmal das übliche "Making of" auf die DVD gepresst wird.