Mittwoch, 18. September 2013

The Dead

Kinofilme erzählen nicht nur Geschichten, ihre Entstehung und Verwertung ist gelegentlich spannender als der Film selbst. „The Dead“ gehört in diese Kategorie: als Genrebeitrag ist er nie richtig in die Kinos gekommen, wurde auf Bluray und DVD im englischsprachigen Raum schnell zum Bestseller und kann mittlerweile sogar auf YouTube in HD-Qualität ganz legal angeschaut werden. So erzählt der Film von Howard J. und Jonathan Ford auch etwas über jene Filmdistribution, die fast gänzlich ohne Kino auskommt.

„The Dead“ ist ein Zombiefilm von Howard J. und Jonathan Ford – der erste, der auf dem afrikanischen Kontinent spielt. Gedreht wurde auf 35mm u.a. in Burkina Faso, Ghana und in der Sahara. Das Drehbuch schrieben die Ford Bros. gemeinsam, Howard übernahm die Regie, die Kamera führte sein Bruder Jonathan. Als Hauptdarsteller wurden der Kanadier Rob Freeman (Saving Private Ryan, TV: u.a. The X-Files, The Outer Limits) und der ‚Tom Cruise Westafrikas’, Prince David Osei, gewonnen. Für den bemerkenswerten Soundtrack sorgte Imran Ahmad („The directors wanted there to be a strong spiritual component to the film“).

Bekannt wurden die beiden britischen Filmemacher zuvor durch preisgekrönte Commercials für Nestle, Guiness, Unilever und Proctor & Gamble. Mit „The Dead“ erfüllten sich die beiden Werbespezialisten 2010 nun einen Jugendtraum: “We used to watch a lot of horror movies,” berichtet Howard J. Ford. “George Romeros Dawn of the Dead, Lucio Fulcis Zombie Flesh Eaters and Sam Raimis Evil Dead and they all became instant favorites. They had an incredible impact on us. We watched Dawn of the Dead in a little room above our local fish-and-chips shop and I remember that unnerving feeling on the way home afterwards.“ 

Klar, der eigene Film über Untote musste irgendwann mal her.


Minimalistischer Zombie-Film

Zwanzig Jahre später erzählen die Fords die Geschichte des US-Air Force Ingenieurs Brian Murphy (Rob Freeman), der als Einziger einen hektischen Evakuierungsflug überlebt: das Flugzeug stürzt an der westafrikanischen Küste ab und Murphy muss sich durch eine lebensfeindliche Landschaft voller Zombies kämpfen. Ringsherum sind die Dörfer bereits verwüstet, das Militär ist auf dem Rückzug. Murphy macht einen Pickup flott und versucht, eine weit entfernte Militärbasis zu erreichen. Während einer Autopanne wird er von dem afrikanischen Sgt. Daniel Dembele (Prince David Oseia) vor Zombies gerettet. Nach anfänglichem Misstrauen setzen die beiden Männer die Fahrt gemeinsam fort. Dembele ist desertiert und sucht seinen Sohn, der möglicherweise einen Zombieangriff auf sein Heimatdorf überlebt hat. Die Odyssee beginnt.

Das alles hört sich nach einem Romero-Plot an. Ist es auch, nur ein wenig schlichter, was sicher auch dem Budget geschuldet ist. Der Altmeister selbst hat mit seiner Major Production „Land of the Dead“ (2005) nur eingeschränkt gute Erfahrungen gemacht und dann etwas bescheidener mit „Diary of the Dead“ (2007) einen im positiven Sinne artifiziellen und medienkritischen Found-Footage-Film gedreht, ehe er sich mit „Survival of the Dead“ (2009) nicht mehr ganz auf der Höhe präsentierte und den bereits in „Day of the Dead“ verhandelten Diskurs ‚Können Untote’ assimiliert werden?’ erneut aufgriff und etwas ermüdend von seinen Figuren diskutieren ließ. 


Viel gesprochen wird in „The Dead“ nicht. Der Film fährt seine Geschichte auf ein Buddy- und Road-Movie herunter, in dem die Handlungselemente und Dialoge fast minimalistisch auf das Allernotwendigste beschränkt werden. Geschildert wird ein First-Time-Szenario: alles ist für die Figuren neu, niemand kennt die Ursachen der Seuche, es geht nur ums pure Überleben. Wenn Dembele seinen Weggefährten scharf wegen der dubiosen Rolle der Amerikaner in den Bürgerkriegswirren seines Landes attackiert, dann ist der reflexive Rahmen des Films bereits abgesteckt.

Natürlich werden in „The Dead“ zwischendurch immer wieder Untote erschossen oder mit einem Buschmesser enthauptet, aber was „The Dead“  auszeichnet, sind nicht die Splattereffekte oder die Old School-Zombies, die langsam durch Wüste und Savanne schlurfen, sondern das restlos entschleunigte Erzähltempo, das die Ford Bros. vorlegen. 

Das wird nicht jeden Gore-hungrigen Horrorfan befriedigen, aber „The Dead“ gelingt das Kunststück, mit seiner Langsamkeit eine sehr dichte Atmosphäre zu schaffen. Wenn Murphy am Anfang völlig allein durch die Wüste marschiert, muss man genauso lange wie in „There will be Blood“ darauf warten, bis das erste Wort gesprochen wird. Die Einstellungen sind lang, immer wieder verliert sich die Hauptfigur in Panorama-Totalen einer menschen-, aber nicht zombie-leeren Landschaft. Das Auftanken des Pickups wird genauso langsam in Szene gesetzt wie das Töten von Untoten, die überall zu sein scheinen. Nach nur einer Viertelstunde Laufzeit hat man das Gefühl, Murphy bereits stundenlang begleitet zu haben.


Der erste neo-realistische Zombiefilm

Gelegentlich ist man sich dabei nicht sicher, ob die detailverliebte Dramaturgie nicht etwas amateurhaft wirkt. Aber das Gefühl für die Zeit, das „The Dead“ erzeugt, hat mich spontan zu dem Schluss kommen lassen, dass die Ford Bros. den ersten neo-realistischen Zombiefilm gedreht haben. Ich will nun nicht diese italienische Filmepoche zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den 1950er Jahren rekapitulieren, aber zumindest daran erinnern, was der französische Philosoph Gilles Deleuze über sie geschrieben hat: neorealistisches Kino konstruiert in seiner Abwendung von konventioneller Konstruktion und Dramaturgie eine eigene Zeit, die der inneren Bewegung der Geschichte folgt. Im Mittelpunkt steht nicht der Plot, in dem Diskurse (häufig über Dialoge) geführt werden, in dem Bedeutungen angeboten oder Erwartungen des Zuschauers befriedigt werden sollen, sondern Begegnungen und Episoden bestimmen das Narrative. 

Hakan Tanriverdi beschreibt den Perspektivwechsel bei Deleuze als Wechsel der handlungsbestimmenden Instanz: die Ort und Landschaften, in denen eine Handlung spielt, sind nicht mehr Beiwerk, sie sind determinierend. Im gleichen Maße werden die Figuren, die sich in ihr wiederfinden, fast handlungsunfähig. 
Das, was Deleuze dabei im Sinn hatte, war die Auflösung der Filmerzählung in einer „reinen Zeit“, aber das ist sehr theoretisch und soll hier nicht vertieft werden. Aber wie es Deleuze beschreibt, bringt „The Dead“ besser auf den Punkt, als ich es vermag: „...die Figur wird selbst gewissermaßen zum Zuschauer. Sie bewegt sich vergebens, rennt vergebens und hetzt sich vergebens ab, insofern die Situation, in der sie sich befindet, in jeder Hinsicht ihre motorischen Fähigkeiten übersteigt und sie dasjenige sehen verstehen lässt, was nicht mehr von einer Antwort oder Handlung abhängt. Kaum zur Reaktion fähig, registriert sie nur noch. Kaum zum Eingriff in eine Handlung fähig, ist sie einer Vision ausgeliefert, wird von ihr verfolgt oder verfolgt sie selbst“.

Im Wesentlichen funktioniert „The Dead“ mit seiner fast kontemplativen Erzählweise genauso. Die Zombies, die sich durch die Landschaft schleppen, werden zum Teil dieses Schauplatzes. Sie sind überall. Die banalen täglichen Verrichtungen wie Essen, Trinken und Schlafen werden zu extremen Herausforderungen, weil der Tod überall ist. Die nächtlichen Fahrten durch die Savanne sind eine Geisterfahrt, die Bedrohungen entkernen langsam die Protagonisten, indem sie ihnen immer mehr die Handlungsoptionen rauben.
Murphy und sein Begleiter treffen zwar auf eine Kolonie von Überlebenden, aber deren Ressourcen sind limitiert und ihr Schicksal ist besiegelt. Später scheitern Kontakte zur Außenwelt per Funk und als sie endlich gelingen und Murphy eine US-Militärbasis in Nevada erreicht, erfährt er, dass alles vergebens war: die Vereinigten Staaten sind nicht besser dran als Afrika.
Am Ende erreicht Murphy zwar die Militärbasis (seine Vision) und er findet auch Dembeles Sohn, aber die Basis wird von Zombies überrannt. Die letzte Einstellung zeigt einen buchstäblich fast seelenruhig erstarrten Helden, der einfach nur noch zuschaut. Ein kleiner, feiner Genrefilm, den man beachten sollte.


Quellen:

Original-/Verleihtitel: The Dead, GB 2010; Regie/Drehbuch: Howard J. und Jonathan Ford; Laufzeit: 104 Minuten, Altersfreigabe: FSK 18; D.: Rob Freeman, Prince David Oseia, David Dontoh

Freitag, 6. September 2013

White House Down

Wenn zweimal in einem Kinosommer das Weiße Haus überfallen wird, zweimal Terroristen Zugriff auf die geheimen Codes der US-Nuklearwaffen erhalten wollen und zweimal ein Mann die Welt als Ein-Mann-Rollkommando rettet, dann kann das ziemlich langweilig werden. Antoine Fuquas „Olympus Has Fallen“ hat diese Geschichte erzählt, Roland Emmerichs „White House Down“ zieht mit Verspätung nach. Sein bester Film ist es nicht geworden, aber unterschätzt werden sollte die Version des Desaster-Spezialisten nicht: “White House Down“ ist in formaler Hinsicht ein überaus tröstender Film. Er ist nämlich altmodisch.

Der in Stuttgart geborene Regisseur knüpft auf seine Weise an die Tradition großer deutscher Emigranten in Hollywood an: zum Beispiel Filmkünstler wie Fritz Lang, die nach Hitlers Machtergreifung das Weite suchten und in den USA eine zweite Karriere starteten. Emmerich musste nicht fliehen, hatte aber in den USA das Glück, mit „Universal Soldier“ (1992) Geld zu generieren. Fortan durfte er für Hollywood die Welt in Schutt und Asche legen. Das Geld für derartige Projekte hätte ihm die deutsche Filmförderung nicht spendiert. In den USA sind Blockbuster dagegen nach wie vor der Renner an den Kassen, obwohl Spielberg, Lucas und Tarentino bereits vor dem Bis Crash der seelenlos nivellierten Millionenprojekte warnen.

Auf der Suche nach den Essentials von Mr. Emmerich fallen einige Dinge ins Auge: er liebt Hubschrauber, vorzugsweise dann, wenn sie in seinen Filmen abgeschossen werden. Er liebt die Demontage von Symbolen, etwa dann, wenn das Weiße Haus in „Independence Day“ (1996) in die Luft fliegt, in „The Day After Tomorrow“ (2004) im Schnee einer neuen Eiszeit versinkt und in „White House Down“ überwiegend weggesprengt wird. Und er unterfüttert wie Steven Spielberg seine Filme mit starken Vätern, die ihren Kindern etwas zu beweisen haben. In „The Patriot“ (2000) lässt er Mel Gibson nicht nur den Tod seines Sohnes rächen, sondern auch die junge amerikanische Nation retten. In „The Day After Tomorrow“ leistet Dennis Quaid Übermenschliches, um seinen Sohn vor dem Tod im Eis zu retten, in „2012“ muss John Cusack ebenfalls Gewaltiges tun, um mitten im Weltuntergang seine Familie in Sicherheit zu bringen. Und in „White House Down“ darf Channing Tatum seiner patriotischen Tochter zeigen, dass er ein ganzer Kerl ist, der im Alleingang den Präsidenten rettet und verhindert, dass die Welt nicht im nuklearen Holocaust untergeht.


Diesmal ein Plot mit kleinem Radius

Neu ist, dass Emmerich in "White House Down" nicht mehr global agieren lässt, sondern sich auf einen einzigen Drehort beschränkt: das Weiße Haus in Washington D.C. Diese Verknappung führt zu einer einfacheren Plot-Struktur und den Regisseur auch mitten in ein Genre, das früher Bruce Willis gut zu Gesicht gestanden hätte: den Actionfilm, in dem mächtig viel geballert wird. 

John Cale (Channing Tatum) ist als Officer der U.S. Capitol Police für den Personenschutz des Speakers of the House Eli Raphelson (Richard Jenkins) zuständig, möchte aber unbedingt in den Secret Service. Dies wird dem Ex-Marine ausgerechnet von einer Bekannten aus früheren Zeiten verwehrt, der stv. Leiterin des Secret Service Carol Finnerty (Maggie Gyllenhaal), die Cale für undiszipliniert hält. Außerdem habe er keine Hochschulausbildung! Immerhin hat Cale, der getrennt von seiner Frau lebt, seine frühreife und patriotische Tochter Emily (Joey King, „The Dark Knight Rises“) ins Weiße Haus mitnehmen dürfen. Das kann nicht lange gut gehen.
 Während sich Vater und Tochter nach dem gescheiterten Vorstellungsgespräch einer Sightseeing-Tour durchs Weiße Haus anschließen, verschafft sich ein Trupp von Terroristen Zugang zu den Sicherheitsbereichen, liquidiert brutal alle Secret Service-Agenten und bringt neben einer Handvoll Touristen und einigen Kabinetts-Mitgliedern auch den farbigen Präsidenten James Sawyer (Jamie Foxx) in seine Gewalt. Cales große Stunde ist gekommen: im Alleingang befreit er den Präsidenten, schafft es aber nicht, ihn in Sicherheit zu bringen. Als die Terroristen erkennen, dass sich Cales Tochter unter den Geiseln befindet, haben sie ein Druckmittel gegen Sawyer und Cale in der Hand.


Ein naiver Tagträumer

Roland Emmerich ist ein im positiven Sinne naiver Regisseur. Seine Filme gleichen den Tagträumen pubertierender Kids. Mitten in der Normalität wächst in seinen Filmen ein Heldentum, das eher durchschnittliche Typen in Übermenschen verwandelt und die Kinder an ihrer Seite erleben lässt, was ihre Väter wirklich zu leisten imstande sind. Spielberg machte es häufig ähnlich, Emmerich setzt stärker auf den „Boah ey!“-Effekt: bei ihm dürfen nicht nur die Väter, sondern auch die Kids im Zentrum der globalen Geschichte aufschlagen und plötzlich auf Augenhöhe mit dem mächtigsten Mann der Welt agieren.
Das wirkt ein wenig infantil, ist erzähltechnisch aber geschickt. Emmerich setzt emotionale Bindungskräfte frei, die nicht nur dem jugendlichen Publikum, sondern mit Sicherheit auch Erwachsenen heimliche Wünsche erfüllen. 
So erhält auch in „White House Down“ auch Kind ein beachtliches Heldenformat: Emily, die es vor dem Überfall geschafft hat, eine Video-Interview mit dem von ihr verehrten Sawyer zu machen, schafft es, vor ihrer Gefangennahme mit dem Smartphone die ersten Videos auf You Tube zu uploaden. Das macht sie zum Medienstar und führt rasch zur Identifizierung der Terroristen: es sind nicht die erwarteten Al Qaida-Bösewichter, vielmehr hat eine Söldner-Truppe aus rechten Fanatikern, Soziopathen und Mitgliedern von Elite-Einheiten, die von ihren militärischen Führern im Stich gelassen worden sind, das Blutbad im Weißen Haus angerichtet. Strippenzieher ist ausgerechnet Carol Finnertys Chef Martin Walker (James Woods), dem es weniger um die gefordert 400 Mio. US-Dollar Lösegeld geht: der an einem letalen Hirntumor leidende Secret Service-Leiter will sich dafür rächen, dass sein Sohn, der bei einer verdeckten Operation im Nahen Osten ums Leben gekommen ist, sinnlos ums Leben gekommen ist. Walker will die Nuklearwaffen scharf machen, um den Dauerkrisenherd endlich platt zu machen.

Naiv wirkt auch Roland Emmerichs Drang, in seinen Filmen politische Botschaften zu verbreiten, die zudem auch noch pathetisch und hyperdramatisch in Szene gesetzt werden. In „White House Down“ konterkariert er raffiniert Klischees, ohne wirklich weh zu tun: es sind nicht die erwarteten Islamisten, die das Weiße Haus erobern und auch keine Nordkoreaner wie in „Olympus has Fallen“, der Feind kommt vielmehr aus den eigenen Reihen und die wahren Drahtzieher der Aktion sind jene Männer, die eine geplante Friedensinitiative des US-Präsidenten im Nahen Osten verhindern wollen. 
Es ist natürlich der berüchtigte militärisch-industrielle Komplex, vor dem bereits der scheidende US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1961 vergeblich warnte. Jonathan Demmes Remake „The Manchurian Candidate“ (2004) hat Ähnliches als Paranoia-Thriller auf die Leinwand gebracht hat, ein Film, der besser ist als sein Ruf. Im Falle von "White House Down" von politischen Akzenten sprechen zu wollen, ist natürlich Unfug. Die Bösewichter in Blockbustern besetzen weitgehend austauschbar dramaturgische Leerstellen. Es ist nicht zu befürchten, dass bei den von Emmerich in „White House Down“ adressierten Konzernen der Rüstungsindustrie nun die große Massenpanik ausbricht.



Großer Formalist des Blockbuster-Kino

Aber Emmerich sollte man nicht daran festmachen. Auch wenn der Deutsche mit wahrer Zerstörungswut über seine Sujets herfällt, waren seine Filme bislang auf fast altmodische Weise entschleunigt. Emmerichs Filme haben eine gemeinsame Textur, die mehr ist als gutes, solides Handwerk. Rhythmus und Szenenauflösung vermeiden Hektik und Unübersichtlichkeit, die durchschnittliche Einstellungslänge wirkt im Vergleich mit den modernen Actionfilmern und ihren verwackelten Two Second Shots bereits antiquiert - bei Emmerich sieht der Zuschauer immer, was passiert und wie sich die Figuren im Raum zueinander beziehen. 
Auch die Organisation der Story mit sorgfältig herausgearbeiteten Nebenfiguren und folgenrichtigen Sub-Plots lässt jüngere Genre-Kollegen immer noch alt aussehen: Emmerichs Filme gleiten flüssig und angenehm verständlich am Zuschauer wobei und repräsentieren ein klassisches Erzählkino, das in den letzten Jahren in den großen Major Productions langsam den Bach runtergegangen ist. Und so dürfen die Kollegen von „Quotenmeter“ völlig zu Recht feststellen, dass Emmerich stilistisch in den 90er Jahren „stehen geblieben ist“, weil nix wackelt und man alles erkennen kann, was auf der Leinwand passiert. Ich kann nur hoffen, dass dies ironisch gemeint war...

Dass Emmerich das Handwerk versteht, massentaugliche Unterhaltung für die ganze Familie zu machen, zeigt auch das clevere Unterfüttern seiner Plots mit komischen oder humorvollen Einlagen. In „White House Down“ darf der Touristenführer den Besuchern erklären, dass sie sich gerade in jenem Bereich befinden, der in „Independence Day“ in die Luft geflogen ist. Später verdeutlicht er den bösen Jungs, welchen unschätzbaren Wert eine gerade zerstörte Ming-Vase besitzt. Und während Cale und Sawyer mit der Präsidenten-Limousine zu fliehen versuchen und unter heftigem Beschuss sind, muss der Präsident erst einmal „Night of the Living Dead“, den Lieblingsfilm seiner Tochter am Panel des Autos ausschalten. Auch die offiziell geleugneten Geheimgänge, durch die John F. Kennedy seine Gespielinnen ins Weiße Haus schmuggeln ließ, gibt es und sie retten natürlich dem Präsidenten und seinem neuen Personenschützer das Leben.

Das kommt unterhaltsam und flott daher, stopft aber nicht das gewaltige Erzählloch, in das der Film fällt. Emmerichs Schauplätze waren früher globaler, weit verzweigter, differenzierter in der Plotstruktur. „White House Down“ spielt dagegen in einem Haus, einem zugeben großen Haus, aber dies zwingt den Plot in das enge Korsett eines „Die Hard“-Dauergeballers, an dem das erste Drittel des Films förmlich erstickt. Der Rest bedarf dann einiger erzwungen wirkender Plotwendungen, um das Ganze auf die erforderliche Laufzeit zu trimmen. Das ermüdet rasch, auch wenn der Film in seiner zunehmenden Zerstörungswut durchaus die erwarteten Schauwerte abliefert.

Das wird durch die Darsteller einigermaßen abgefedert: Channing Tatum macht seine Sache ordentlich, wird aber von einem gut aufgelegten Jamie Foxx glatt an die Wand gespielt – kein Wunder, zeigt Emmerich hier ein Obama-Double, das endlich so auftritt, wie es vom realen Vorbild erwartet wurde: keine sinnlosen Kriege mehr, Friedenspolitik statt Friedensrhetorik und eine moralische Integrität, wie sie auch im Handbuch einer familientauglichen Disney-Produktion stehen könnte. James Woods spielt dagegen den desillusionierten Verräter glaubwürdig und ohne plakativen Fanatismus, während Joey King gelegentlich zu dick aufträgt, aber die Figur des altklugen Teens insgesamt doch gut aussehen lässt.

Ganz zu retten vermag das den Film aber nicht. „White House“ hat zwar Humor, aber keine Ironie. Die wenigen Momente, die eine intelligente Distanz zwischen zu dem dick aufgetragenen Pathos des Filmfinales hätten herstellen können, sind dann doch eher Kalauer. Und die Kunst, das Naive in seinen Filmen mit einem Schuss Tragik abzuschmecken, hat Roland Emmerich in diesem Film ganz verlernt. Am Ende geht alles herzzerreißend banal zu: das Töchterlein rettet fahnenschwingend das weiße Haus vor dem finalen präventiven Luftangriff, als wahrer Strippenzieher wird der amtierende Präsident (dies ist ein verschlüsselter Spoiler!) entlarvt, Papa kriegt seinen Job als Bodyguard des echten Präsidenten, mit dem ihn nun eine ordentliche Männerfreundschaft verbindet, und die Tochter darf gleich mit zum ersten Dienstflug. Das ist heftig. Und ganz zum Schluus macht der Präsident wieder mal ‚sein Ding’: im Tiefflug auf das Lincoln Memorial zufliegen. Irgendwie ist Roland Emmerich doch ein wahrer amerikanischer Patriot, auch wenn das
Street Fighting Man" der Stones im Abspann einige Fragen offen lässt.
Ähnlich rustikal und grob gestrickt hat Emmerich in „The Day After Tomorrow“ den Klimawandel inszeniert, aber der vor fast zehn Jahren als Öko-Trash rezipierte Film erweist sich bei erneutem Hinsehen heute beinahe als prophetisch. „White House Down“ steht ein ähnliches Schicksal nicht bevor.


Originaltitel: White House Down, USA 2013; Länge: 131 Minuten. Altersfreigabe: ab 12 Jahren. R.: Roland Emmerich, Drehbuch: James Vanderbilt.D.: Channing Tatum, Jamie Foxx, Joey King, Maggie Gyllenhaal, James Woods, Richard Jenkins.

Noten: BigDoc = 3

Dienstag, 3. September 2013

Searching for Sugar Man

Nachdem im Filmclub mit „More than Honey“ bereits ein Dokumentarfilm durch die Decke geschossen ist, erreichte Malik Bendjelloul außergewöhnliches Musik-Doku „Searching for Sugar Man“ ebenfalls Bestnoten. Die Geschichte des amerikanischen Musikers Sixto Rodriguez ist so ungewöhnlich, dass man fast neunzig Minuten lang glaubt, man habe es mit Mockumentary zu tun. Doch „Serching for Sugar Man“ ist keine Fake. Es ist die Geschichte eines außergewöhnlichen Musikers.

Stellen Sie sich einfach mal Folgendes vor: Sie haben vor 40 Jahren eine Schallplatte eingespielt, die so grausam floppte, dass Ihre Plattenfirma sie sofort rausgeschmissen hat. Und dass, obwohl Sie mindestens so gut wie Bob Dylan gewesen sind.  Weit entfernt, auf einem anderen Kontinent, bringt jemand eine von insgesamt zehn verkauften Platten als Geschenk mit. Ihre Musik wird gehört, tausendfach auf Tapes kopiert und plötzlich werden Sie zur Legende, zum Mythos. Eine ganze Generation liegt Ihnen zu Füßen – aber Sie wissen nichts davon! Natürlich sacken andere ihre Tantiemen ein, während Sie als Hilfsarbeiter auf dem Bau Ihre Familie ernähren müssen und man sich erzählt, dass Sie sich irgendwann vor Jahrzehnten während eines Konzerts auf offener Bühne erschossen haben. Unglaublich? Das ist die Geschichte von Sixto Rodriguez!

Der Mann, der ein unbekannter Star war

Dass Malik Bendjelloul für „Searching for Sugar Man“ in diesem Jahr den Oscar in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ erhalten hat, ist das Mindeste, was dieser Film verdient hat. Mit einer Collage aus atemberaubenden Bildern, vielen eingespielten Stücken von Sixto Rodriguez und einigen verblüffenden Interviews hat der schwedische Dokumentarfilmer einen Film hingelegt, der von der ersten bis zur letzten Minute voller Überraschungen steckt. Recherchen und Vorarbeiten haben Jahre gedauert. Das hat einen Grund: „Searching for Sugar Man“ ist kein Musikvideo, kein Mix aus Konzertmitschnitten und Interviews, also kein konventioneller Film. Im Gegenteil: Wir haben es mit einem Musikkrimi zu tun, der minuziös die Suche der Südafrikaner Stephen „Sugar“ Segerman und Craig Bartholomew Strydom nach ihrem verschollenen Helden rekonstruiert.


Südafrika: Dies ist das Land, dessen Apartheid-Politik in den 1970er Jahren zu einer weltweiten Ächtung führte. Isoliert und zensiert wurde nicht nur die Kultur des Landes, sondern auch eine ganze Generation junger Menschen, die in der Musik des großen Unbekannten ein Ventil gefunden hatte, um das Bedürfnis nach Veränderung, Freiheit und einem Ende der rassistischen Diktatur auszudrücken. 

Aber eine Musikikone braucht mehr als eine Gitarre. Die Texte von Rodriguez, der eigentlich immer ein Straßenmusiker gewesen ist, waren von Anfang an politisch, und zwar im Sinne einer poetischen und gleichzeitig realistischen Zustandsbeschreibung des Lebens der einfachen Menschen – der Working Poor. In den USA wollte sie keiner hören, in Südafrika waren sie offenbar so gefährlich, dass das Regime den Titelsong seines ersten Albums auf jeder einzelnen Platte zerkratzte, damit ihn niemand hören durfte.

„Cold Fact“ und „Coming from Reality“ heißen die Alben, die Sixto Rodriguez eingespielt hat, und da singt er in „The Establishment Blues“ zum Beispiel so etwas:


The mayor hides the crime rate

council woman hesitates

Public gets irate but forget the vote date

Weatherman complaining, predicted sun, it's raining

Everyone's protesting, boyfriend keeps suggesting

you're not like all of the rest.



Garbage ain't collected, women ain't protected

Politicians using people, they've been abusing

The mafia's getting bigger, like pollution in the river

And you tell me that this is where it's at.



Woke up this morning with an ache in my head

Splashed on my clothes as I spilled out of bed

Opened the window to listen to the news

But all I heard was the Establishment's Blues.


Das richtige Leben im Falschen?

„The Establishment Blues“ ist so eine Zustandsbeschreibung der 1970er Jahre, die nicht nur zu Rodriguez’ Heimatstadt Detroit passte. Es ist die Kehrseite des American Way of Life und es ist Poesie.

1998 war dann die Suche der beiden südafrikanischen Fans zu Ende und für den Zuschauer, der die Backstory nicht vorher gegoogelt hat, kommt es zu einer würdigen kriminalistischen Auflösung: Sixto Rodriguez ist nicht tot, er lebt nach wie vor Detroit. Ein bescheidener, in sich gekehrter Mann, dem es nichts zu bedeuten schien, dass man ihn um Millionen betrogen hat. Mit 56 Jahren arbeitete er immer noch hart auf dem Bau. Aber im Jahre 2000 reiste Rodriguez nach Kapstadt und wurde während eines ausverkauften Konzerts frenetisch gefeiert. Weitere Konzerte folgten und das Geld, das der stille Musiker erhielt, hat er danach zum größten Teil verschenkt.

„Searching for Sugar Man“ ist ein faszinierendes Zeitdokument, ein formal aufwändiger Dokumentarfilm, der gelegentlich nicht frei von Pathos ist, aber am stärksten beeindruckt der Mann selbst. Er passt irgendwie nicht in die Konzepte vom richtigen Leben, von dem Adorno bekanntlich sagte, dass es ohne keine richtiges im falschen gäbe. Immerhin hat Rodriguez neue Songs geschrieben, eine CD soll erscheinen und im Mai dieses Jahres erhielt der Bauarbeiter mit einem Bachelor-Abschluss in Philosophie von der Wayne State University in Detroit einen Ehrendoktortitel.
Man hofft im Stillen, dass das Leben des mittlerweile 71-Jährigen nun weniger hart ist, aber sicher kann man sich nicht sein. Am Ende bleibt Sixto Rodriguez, der vielleicht besser war als Bob Dylan, doch ein Rätsel.

Searching for Sugar Man, Schweden, Großbritanien 2012, Länge: 86 Minuten, Regie und Drehbuch: Malik Bendjelloul, Musik: Sixto Rodriguez

Noten: Melonie, Klawer = 1, BigDoc, Mr. Mendez = 1,5

DVD-Review: Il Mercenario – Der Gefürchtete

Regie: Sergio Corbucci; Darsteller: Franco Nero, Jack Palance, Tony Musante; Originaltitel: Il Mercenario; Produktionsland und -jahr: Italien, 1968; Länge: 102; Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch; FSK: ab 16

Zwei Jahre nach der Neuauflage des Kult-Italowestern hat Koch Media „Il Mercenario“ erneut auf den Markt gebracht. Damit will der Vertrieb in seinem DVD-Segment auf den von „Django unchained“ ausgelösten Boom aufsetzen und empfiehlt Sergio Corbuccis Revoluzzer-Western unter dem Label „Western Unchained“ als Teil einer Quentin Tarantino-Top Twenty-Liste.

Über die Werbemasche kann sich jeder seine Meinung bilden, gelohnt hat sich das Ganze auf jeden Fall, denn „Il Mercenario“ (1968) präsentiert sich mit einem fabelhaften Bild und einer längeren Dokumentation mit durchweg interessanten Kommentaren zur Entstehungsgeschichte des Films. Denkt man an die zurückhaltende Aufnahme der Bluray-Edition von Corbuccis „Django“ und die bedenkliche Qualität, die sein zeitgleich produzierter „Leichen pflastern seinen Weg“ auf DVD vorzuzeigen hatte, dann kann sich der Freund des Spaghetti-Western nur freuen. „Il Mercenario“ besitzt streckenweise, aber nicht durchgehend, einen High Def-Look, der angenehm überrascht. Zumindest, wenn man die DVD auf einem Player mit guten Upscaling-Qualitäten abspielt. Das liegt nicht nur an der überzeugenden Schärfe, sondern auch an dem filmischen Look, der einfach „rund“ ist (und hier ist ausdrücklich eben nicht das Filmkorn gemeint): Farben und Kontrast stimmen, da verzeiht man schon gerne die eine oder andere Unschärfe, die häufig auch das Ergebnis einer laxen Kameraarbeit gewesen ist.
Sergio Corbuccis Film gehört zu den wenigen Italo-Western, die sich dauerhaft ins kollektive Filmgedächtnis eingebrannt haben. Persönlich halte ich den Film für witziger und schlagfertiger als Corbuccis anderes Meisterwerk „Il Grande Silenzio“ (Leichen pflastern seinen Weg, 1968), aber das sind Kleinigkeiten, denn beide Filme haben das Genre aus den Niederungen eines vermeintlich brutal-zynischen Schumddelkinos herausgehoben, auf jeden Fall nachhaltiger als der etwas überschätzte „Django“, der in formaler Hinsicht allerdings genauso stilprägend war wie Sergio Leones früher entstandene Dollar-Trilogie.


Die Kapitalisten sind nie im Arsch

Was „Il Mercenario“ wohl noch mehr als der religiös-symbolische „Il Grande Silenzio“ in den 1970er Jahren zum Gegenstand cineastischer Debatten machte, war der direkter auszulesende politische Impetus des Films: Corbucci erzählt die Geschichte des mexikanischen Underdogs Paco Roman (Tony Musante), der Anfang des 20. Jh. in einer Mine schuftet und dann mit einer privaten Revolution loslegt, die nur wenig mit den Vorbildern Pancho Villia und Emiliano Zapata zu tun hat. Er raubt Banken aus und plündert, hängt die reaktionären Minenbesitzer auf und feiert alles kräftig mit Tequila. Unterstützt wird er nach anfänglichen Reibereien von dem Söldner Sergej Kowalski (Franco Nero), der für eine Tagesgage die nächsten Coups plant und sich dank der ihm zugestandenen Privilegien fast in einen weiteren Ausbeuter verwandelt.
Für den reflexiven Part sorgt die Mexikanerin Columba (Giovanna Ralli), die Pacos Hedonismus überwinden will, um ihn zu einem tugendhafteren Revolutionär zu machen. Die Bösewichter werden von der obligatorischen und eisern systemtreuen Offizieren und ihren Truppen, den Minen- und Großgrundbesitzern und einigen korrupten Mitläufern des Regimes repräsentiert. Nicht zu vergessen der Oberbösewicht Ricciolo (Jack Palance), der mit Paco und Kowalski noch eine Rechnung offen hat.

Wie auch der klassische Western sind auch die US-Neo-Western und jene Italo-Western, die zurzeit der ab 1910 beginnenden Mexikanischen Revolution spielen, Akteure in einem symbolischen Verhandlungsraum. Über mexikanische Geschichte lernt man wenig in „Il Mercenario“, über die Revolution eigentlich auch nicht viel, aber das wenige sitzt umso mehr. Wenn Kowalski seinem Sidekick die Revolution am Beispiel der gerade vor ihm im Bett liegenden nackten Geliebten Pacos erklärt, dann verwandeln sich Kopf, Rücken und Arsch in Kapitalisten, Mittelstand und Ausgebeutete. Dass sich der Arsch nicht auf Augenhöhe mit dem Kopf befinden kann, so erklärt Kowalski, liege am Rücken, dem Mittelstand. „Dann sind die Kapitalisten nie im Arsch“, schlussfolgert Paco.
Das sind bereits die theoretischen Höhepunkte des Films, der im Übrigen recht schonungslos vorzuführen scheint, dass Revolution ohne militärische Macht und ein politisches Programm eher zum Dilettantismus gerät, denn immer wenn Paco etwas ohne die professionelle und intellektuelle Unterstützung des gerne Chopin summenden polnischen Killers unternimmt, geht dies nachdrücklich in die Hose. „Il Mercenario“ ist daher auch eine satirische Komödie, die viele der involvierten Parteien holzschnittartig und hart am Klischee inszeniert.


Waffenfetischisten und böse Helden

Heute dürften sich nur wenige an die Wucht der Italo-Western erinnern können, die vor 40 Jahren von den kirchlichen Mediendiensten in Grund und Boden verteufelt wurden. Die überwiegend ab 18 Jahren freigegebenen Filme hatten nicht nur einen Touch von Ruchlosigkeit, sondern demontierten mit ihren einfachen Storylines auch den Psychologismus des klassischen Western, wie man sie in den 1950er und frühen 1960er Jahren aus Hollywood zu sehen bekam. Auch wenn die cineastisch interessierten und politisch am linken Rand orientierten studentischen Kinogänger sich gerne auf die nicht gerade zahlreichen ‚politischen’ Vorzeigeprodukte einschossen, so dürfte der Großteil der Kinogänger nicht daran interessiert gewesen sein. Vielmehr haben der hemmungslose Waffenfetischismus, die exzessive Gewalt und die professionelle Kälte der Djangos, Ringos und Sabatas fasziniert, Figuren, die zudem allererste Vorläufer des ‚bösen Helden’ waren. Diese sollten in späteren Jahrzehnten das Kino bevölkern, aber ihre Ahnen hießen eben Clint Eastwood, Franco Nero und Lee van Cleef, der auch großartige Schurken spielen konnte. 
Sie alle trieb etwas Gemeinsames an: das Geld, womöglich der McGuffin des Italo-Western. Franco Neros Kowalski löste damals im Kino die unbewusste Hoffung aus, der intellektuelle Killer möge sich doch aus Überzeugung der Revolution anschließen. Doch daraus wurde nichts: Kowalski bleibt in Corbuccis rohem Lehrstück der überzeugte Söldner, der aus den Glaubenskriegen der anderen seinen Profit zieht.

Interessant sind in „Il Mercenario“ daher noch zwei Aspekte: zum einen besitzt der Film eine Rahmenhandlung, in der Kowalski als Ich-Erzähler im Off fungiert und dadurch der Figur eine skeptische Tiefe verschafft, die seine illusionslose Sicht der Dinge nachvollziehbarer macht. Zum anderen hat Sergio Corbucci den Film mit einem herrlichen Gag enden lassen: immer wieder schwillt die Musik an, man sieht eine Supertotale, in der einer der beiden Helden davon reitet – doch passiert etwas Neues, der Film geht weiter, wieder schwillt die Musik an, doch erneut durchkreuzt Corbucci die Erwartungen des Publikums. 
Ich habe in den 1970er Jahren erlebt, wie die Leute im Kino reihenweise aufstanden, sich wieder hinsetzten, wieder aufstanden und als sie dann erneut wieder saßen, war der Film tatsächlich zu Ende. Das war natürlich ein Gag, aber irgendwie deutet dieses redundante Mehrfachende an, dass sich nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Helden des Films im Kreis bewegen. „Il Mercenario“ ist einer der witzigsten Italo-Western, aber in seinem Kern ist er zutiefst pessimistisch.