Freitag, 6. September 2013

White House Down

Wenn zweimal in einem Kinosommer das Weiße Haus überfallen wird, zweimal Terroristen Zugriff auf die geheimen Codes der US-Nuklearwaffen erhalten wollen und zweimal ein Mann die Welt als Ein-Mann-Rollkommando rettet, dann kann das ziemlich langweilig werden. Antoine Fuquas „Olympus Has Fallen“ hat diese Geschichte erzählt, Roland Emmerichs „White House Down“ zieht mit Verspätung nach. Sein bester Film ist es nicht geworden, aber unterschätzt werden sollte die Version des Desaster-Spezialisten nicht: “White House Down“ ist in formaler Hinsicht ein überaus tröstender Film. Er ist nämlich altmodisch.

Der in Stuttgart geborene Regisseur knüpft auf seine Weise an die Tradition großer deutscher Emigranten in Hollywood an: zum Beispiel Filmkünstler wie Fritz Lang, die nach Hitlers Machtergreifung das Weite suchten und in den USA eine zweite Karriere starteten. Emmerich musste nicht fliehen, hatte aber in den USA das Glück, mit „Universal Soldier“ (1992) Geld zu generieren. Fortan durfte er für Hollywood die Welt in Schutt und Asche legen. Das Geld für derartige Projekte hätte ihm die deutsche Filmförderung nicht spendiert. In den USA sind Blockbuster dagegen nach wie vor der Renner an den Kassen, obwohl Spielberg, Lucas und Tarentino bereits vor dem Bis Crash der seelenlos nivellierten Millionenprojekte warnen.

Auf der Suche nach den Essentials von Mr. Emmerich fallen einige Dinge ins Auge: er liebt Hubschrauber, vorzugsweise dann, wenn sie in seinen Filmen abgeschossen werden. Er liebt die Demontage von Symbolen, etwa dann, wenn das Weiße Haus in „Independence Day“ (1996) in die Luft fliegt, in „The Day After Tomorrow“ (2004) im Schnee einer neuen Eiszeit versinkt und in „White House Down“ überwiegend weggesprengt wird. Und er unterfüttert wie Steven Spielberg seine Filme mit starken Vätern, die ihren Kindern etwas zu beweisen haben. In „The Patriot“ (2000) lässt er Mel Gibson nicht nur den Tod seines Sohnes rächen, sondern auch die junge amerikanische Nation retten. In „The Day After Tomorrow“ leistet Dennis Quaid Übermenschliches, um seinen Sohn vor dem Tod im Eis zu retten, in „2012“ muss John Cusack ebenfalls Gewaltiges tun, um mitten im Weltuntergang seine Familie in Sicherheit zu bringen. Und in „White House Down“ darf Channing Tatum seiner patriotischen Tochter zeigen, dass er ein ganzer Kerl ist, der im Alleingang den Präsidenten rettet und verhindert, dass die Welt nicht im nuklearen Holocaust untergeht.


Diesmal ein Plot mit kleinem Radius

Neu ist, dass Emmerich in "White House Down" nicht mehr global agieren lässt, sondern sich auf einen einzigen Drehort beschränkt: das Weiße Haus in Washington D.C. Diese Verknappung führt zu einer einfacheren Plot-Struktur und den Regisseur auch mitten in ein Genre, das früher Bruce Willis gut zu Gesicht gestanden hätte: den Actionfilm, in dem mächtig viel geballert wird. 

John Cale (Channing Tatum) ist als Officer der U.S. Capitol Police für den Personenschutz des Speakers of the House Eli Raphelson (Richard Jenkins) zuständig, möchte aber unbedingt in den Secret Service. Dies wird dem Ex-Marine ausgerechnet von einer Bekannten aus früheren Zeiten verwehrt, der stv. Leiterin des Secret Service Carol Finnerty (Maggie Gyllenhaal), die Cale für undiszipliniert hält. Außerdem habe er keine Hochschulausbildung! Immerhin hat Cale, der getrennt von seiner Frau lebt, seine frühreife und patriotische Tochter Emily (Joey King, „The Dark Knight Rises“) ins Weiße Haus mitnehmen dürfen. Das kann nicht lange gut gehen.
 Während sich Vater und Tochter nach dem gescheiterten Vorstellungsgespräch einer Sightseeing-Tour durchs Weiße Haus anschließen, verschafft sich ein Trupp von Terroristen Zugang zu den Sicherheitsbereichen, liquidiert brutal alle Secret Service-Agenten und bringt neben einer Handvoll Touristen und einigen Kabinetts-Mitgliedern auch den farbigen Präsidenten James Sawyer (Jamie Foxx) in seine Gewalt. Cales große Stunde ist gekommen: im Alleingang befreit er den Präsidenten, schafft es aber nicht, ihn in Sicherheit zu bringen. Als die Terroristen erkennen, dass sich Cales Tochter unter den Geiseln befindet, haben sie ein Druckmittel gegen Sawyer und Cale in der Hand.


Ein naiver Tagträumer

Roland Emmerich ist ein im positiven Sinne naiver Regisseur. Seine Filme gleichen den Tagträumen pubertierender Kids. Mitten in der Normalität wächst in seinen Filmen ein Heldentum, das eher durchschnittliche Typen in Übermenschen verwandelt und die Kinder an ihrer Seite erleben lässt, was ihre Väter wirklich zu leisten imstande sind. Spielberg machte es häufig ähnlich, Emmerich setzt stärker auf den „Boah ey!“-Effekt: bei ihm dürfen nicht nur die Väter, sondern auch die Kids im Zentrum der globalen Geschichte aufschlagen und plötzlich auf Augenhöhe mit dem mächtigsten Mann der Welt agieren.
Das wirkt ein wenig infantil, ist erzähltechnisch aber geschickt. Emmerich setzt emotionale Bindungskräfte frei, die nicht nur dem jugendlichen Publikum, sondern mit Sicherheit auch Erwachsenen heimliche Wünsche erfüllen. 
So erhält auch in „White House Down“ auch Kind ein beachtliches Heldenformat: Emily, die es vor dem Überfall geschafft hat, eine Video-Interview mit dem von ihr verehrten Sawyer zu machen, schafft es, vor ihrer Gefangennahme mit dem Smartphone die ersten Videos auf You Tube zu uploaden. Das macht sie zum Medienstar und führt rasch zur Identifizierung der Terroristen: es sind nicht die erwarteten Al Qaida-Bösewichter, vielmehr hat eine Söldner-Truppe aus rechten Fanatikern, Soziopathen und Mitgliedern von Elite-Einheiten, die von ihren militärischen Führern im Stich gelassen worden sind, das Blutbad im Weißen Haus angerichtet. Strippenzieher ist ausgerechnet Carol Finnertys Chef Martin Walker (James Woods), dem es weniger um die gefordert 400 Mio. US-Dollar Lösegeld geht: der an einem letalen Hirntumor leidende Secret Service-Leiter will sich dafür rächen, dass sein Sohn, der bei einer verdeckten Operation im Nahen Osten ums Leben gekommen ist, sinnlos ums Leben gekommen ist. Walker will die Nuklearwaffen scharf machen, um den Dauerkrisenherd endlich platt zu machen.

Naiv wirkt auch Roland Emmerichs Drang, in seinen Filmen politische Botschaften zu verbreiten, die zudem auch noch pathetisch und hyperdramatisch in Szene gesetzt werden. In „White House Down“ konterkariert er raffiniert Klischees, ohne wirklich weh zu tun: es sind nicht die erwarteten Islamisten, die das Weiße Haus erobern und auch keine Nordkoreaner wie in „Olympus has Fallen“, der Feind kommt vielmehr aus den eigenen Reihen und die wahren Drahtzieher der Aktion sind jene Männer, die eine geplante Friedensinitiative des US-Präsidenten im Nahen Osten verhindern wollen. 
Es ist natürlich der berüchtigte militärisch-industrielle Komplex, vor dem bereits der scheidende US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1961 vergeblich warnte. Jonathan Demmes Remake „The Manchurian Candidate“ (2004) hat Ähnliches als Paranoia-Thriller auf die Leinwand gebracht hat, ein Film, der besser ist als sein Ruf. Im Falle von "White House Down" von politischen Akzenten sprechen zu wollen, ist natürlich Unfug. Die Bösewichter in Blockbustern besetzen weitgehend austauschbar dramaturgische Leerstellen. Es ist nicht zu befürchten, dass bei den von Emmerich in „White House Down“ adressierten Konzernen der Rüstungsindustrie nun die große Massenpanik ausbricht.



Großer Formalist des Blockbuster-Kino

Aber Emmerich sollte man nicht daran festmachen. Auch wenn der Deutsche mit wahrer Zerstörungswut über seine Sujets herfällt, waren seine Filme bislang auf fast altmodische Weise entschleunigt. Emmerichs Filme haben eine gemeinsame Textur, die mehr ist als gutes, solides Handwerk. Rhythmus und Szenenauflösung vermeiden Hektik und Unübersichtlichkeit, die durchschnittliche Einstellungslänge wirkt im Vergleich mit den modernen Actionfilmern und ihren verwackelten Two Second Shots bereits antiquiert - bei Emmerich sieht der Zuschauer immer, was passiert und wie sich die Figuren im Raum zueinander beziehen. 
Auch die Organisation der Story mit sorgfältig herausgearbeiteten Nebenfiguren und folgenrichtigen Sub-Plots lässt jüngere Genre-Kollegen immer noch alt aussehen: Emmerichs Filme gleiten flüssig und angenehm verständlich am Zuschauer wobei und repräsentieren ein klassisches Erzählkino, das in den letzten Jahren in den großen Major Productions langsam den Bach runtergegangen ist. Und so dürfen die Kollegen von „Quotenmeter“ völlig zu Recht feststellen, dass Emmerich stilistisch in den 90er Jahren „stehen geblieben ist“, weil nix wackelt und man alles erkennen kann, was auf der Leinwand passiert. Ich kann nur hoffen, dass dies ironisch gemeint war...

Dass Emmerich das Handwerk versteht, massentaugliche Unterhaltung für die ganze Familie zu machen, zeigt auch das clevere Unterfüttern seiner Plots mit komischen oder humorvollen Einlagen. In „White House Down“ darf der Touristenführer den Besuchern erklären, dass sie sich gerade in jenem Bereich befinden, der in „Independence Day“ in die Luft geflogen ist. Später verdeutlicht er den bösen Jungs, welchen unschätzbaren Wert eine gerade zerstörte Ming-Vase besitzt. Und während Cale und Sawyer mit der Präsidenten-Limousine zu fliehen versuchen und unter heftigem Beschuss sind, muss der Präsident erst einmal „Night of the Living Dead“, den Lieblingsfilm seiner Tochter am Panel des Autos ausschalten. Auch die offiziell geleugneten Geheimgänge, durch die John F. Kennedy seine Gespielinnen ins Weiße Haus schmuggeln ließ, gibt es und sie retten natürlich dem Präsidenten und seinem neuen Personenschützer das Leben.

Das kommt unterhaltsam und flott daher, stopft aber nicht das gewaltige Erzählloch, in das der Film fällt. Emmerichs Schauplätze waren früher globaler, weit verzweigter, differenzierter in der Plotstruktur. „White House Down“ spielt dagegen in einem Haus, einem zugeben großen Haus, aber dies zwingt den Plot in das enge Korsett eines „Die Hard“-Dauergeballers, an dem das erste Drittel des Films förmlich erstickt. Der Rest bedarf dann einiger erzwungen wirkender Plotwendungen, um das Ganze auf die erforderliche Laufzeit zu trimmen. Das ermüdet rasch, auch wenn der Film in seiner zunehmenden Zerstörungswut durchaus die erwarteten Schauwerte abliefert.

Das wird durch die Darsteller einigermaßen abgefedert: Channing Tatum macht seine Sache ordentlich, wird aber von einem gut aufgelegten Jamie Foxx glatt an die Wand gespielt – kein Wunder, zeigt Emmerich hier ein Obama-Double, das endlich so auftritt, wie es vom realen Vorbild erwartet wurde: keine sinnlosen Kriege mehr, Friedenspolitik statt Friedensrhetorik und eine moralische Integrität, wie sie auch im Handbuch einer familientauglichen Disney-Produktion stehen könnte. James Woods spielt dagegen den desillusionierten Verräter glaubwürdig und ohne plakativen Fanatismus, während Joey King gelegentlich zu dick aufträgt, aber die Figur des altklugen Teens insgesamt doch gut aussehen lässt.

Ganz zu retten vermag das den Film aber nicht. „White House“ hat zwar Humor, aber keine Ironie. Die wenigen Momente, die eine intelligente Distanz zwischen zu dem dick aufgetragenen Pathos des Filmfinales hätten herstellen können, sind dann doch eher Kalauer. Und die Kunst, das Naive in seinen Filmen mit einem Schuss Tragik abzuschmecken, hat Roland Emmerich in diesem Film ganz verlernt. Am Ende geht alles herzzerreißend banal zu: das Töchterlein rettet fahnenschwingend das weiße Haus vor dem finalen präventiven Luftangriff, als wahrer Strippenzieher wird der amtierende Präsident (dies ist ein verschlüsselter Spoiler!) entlarvt, Papa kriegt seinen Job als Bodyguard des echten Präsidenten, mit dem ihn nun eine ordentliche Männerfreundschaft verbindet, und die Tochter darf gleich mit zum ersten Dienstflug. Das ist heftig. Und ganz zum Schluus macht der Präsident wieder mal ‚sein Ding’: im Tiefflug auf das Lincoln Memorial zufliegen. Irgendwie ist Roland Emmerich doch ein wahrer amerikanischer Patriot, auch wenn das
Street Fighting Man" der Stones im Abspann einige Fragen offen lässt.
Ähnlich rustikal und grob gestrickt hat Emmerich in „The Day After Tomorrow“ den Klimawandel inszeniert, aber der vor fast zehn Jahren als Öko-Trash rezipierte Film erweist sich bei erneutem Hinsehen heute beinahe als prophetisch. „White House Down“ steht ein ähnliches Schicksal nicht bevor.


Originaltitel: White House Down, USA 2013; Länge: 131 Minuten. Altersfreigabe: ab 12 Jahren. R.: Roland Emmerich, Drehbuch: James Vanderbilt.D.: Channing Tatum, Jamie Foxx, Joey King, Maggie Gyllenhaal, James Woods, Richard Jenkins.

Noten: BigDoc = 3