Dienstag, 3. September 2013

DVD-Review: Il Mercenario – Der Gefürchtete

Regie: Sergio Corbucci; Darsteller: Franco Nero, Jack Palance, Tony Musante; Originaltitel: Il Mercenario; Produktionsland und -jahr: Italien, 1968; Länge: 102; Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch; FSK: ab 16

Zwei Jahre nach der Neuauflage des Kult-Italowestern hat Koch Media „Il Mercenario“ erneut auf den Markt gebracht. Damit will der Vertrieb in seinem DVD-Segment auf den von „Django unchained“ ausgelösten Boom aufsetzen und empfiehlt Sergio Corbuccis Revoluzzer-Western unter dem Label „Western Unchained“ als Teil einer Quentin Tarantino-Top Twenty-Liste.

Über die Werbemasche kann sich jeder seine Meinung bilden, gelohnt hat sich das Ganze auf jeden Fall, denn „Il Mercenario“ (1968) präsentiert sich mit einem fabelhaften Bild und einer längeren Dokumentation mit durchweg interessanten Kommentaren zur Entstehungsgeschichte des Films. Denkt man an die zurückhaltende Aufnahme der Bluray-Edition von Corbuccis „Django“ und die bedenkliche Qualität, die sein zeitgleich produzierter „Leichen pflastern seinen Weg“ auf DVD vorzuzeigen hatte, dann kann sich der Freund des Spaghetti-Western nur freuen. „Il Mercenario“ besitzt streckenweise, aber nicht durchgehend, einen High Def-Look, der angenehm überrascht. Zumindest, wenn man die DVD auf einem Player mit guten Upscaling-Qualitäten abspielt. Das liegt nicht nur an der überzeugenden Schärfe, sondern auch an dem filmischen Look, der einfach „rund“ ist (und hier ist ausdrücklich eben nicht das Filmkorn gemeint): Farben und Kontrast stimmen, da verzeiht man schon gerne die eine oder andere Unschärfe, die häufig auch das Ergebnis einer laxen Kameraarbeit gewesen ist.
Sergio Corbuccis Film gehört zu den wenigen Italo-Western, die sich dauerhaft ins kollektive Filmgedächtnis eingebrannt haben. Persönlich halte ich den Film für witziger und schlagfertiger als Corbuccis anderes Meisterwerk „Il Grande Silenzio“ (Leichen pflastern seinen Weg, 1968), aber das sind Kleinigkeiten, denn beide Filme haben das Genre aus den Niederungen eines vermeintlich brutal-zynischen Schumddelkinos herausgehoben, auf jeden Fall nachhaltiger als der etwas überschätzte „Django“, der in formaler Hinsicht allerdings genauso stilprägend war wie Sergio Leones früher entstandene Dollar-Trilogie.


Die Kapitalisten sind nie im Arsch

Was „Il Mercenario“ wohl noch mehr als der religiös-symbolische „Il Grande Silenzio“ in den 1970er Jahren zum Gegenstand cineastischer Debatten machte, war der direkter auszulesende politische Impetus des Films: Corbucci erzählt die Geschichte des mexikanischen Underdogs Paco Roman (Tony Musante), der Anfang des 20. Jh. in einer Mine schuftet und dann mit einer privaten Revolution loslegt, die nur wenig mit den Vorbildern Pancho Villia und Emiliano Zapata zu tun hat. Er raubt Banken aus und plündert, hängt die reaktionären Minenbesitzer auf und feiert alles kräftig mit Tequila. Unterstützt wird er nach anfänglichen Reibereien von dem Söldner Sergej Kowalski (Franco Nero), der für eine Tagesgage die nächsten Coups plant und sich dank der ihm zugestandenen Privilegien fast in einen weiteren Ausbeuter verwandelt.
Für den reflexiven Part sorgt die Mexikanerin Columba (Giovanna Ralli), die Pacos Hedonismus überwinden will, um ihn zu einem tugendhafteren Revolutionär zu machen. Die Bösewichter werden von der obligatorischen und eisern systemtreuen Offizieren und ihren Truppen, den Minen- und Großgrundbesitzern und einigen korrupten Mitläufern des Regimes repräsentiert. Nicht zu vergessen der Oberbösewicht Ricciolo (Jack Palance), der mit Paco und Kowalski noch eine Rechnung offen hat.

Wie auch der klassische Western sind auch die US-Neo-Western und jene Italo-Western, die zurzeit der ab 1910 beginnenden Mexikanischen Revolution spielen, Akteure in einem symbolischen Verhandlungsraum. Über mexikanische Geschichte lernt man wenig in „Il Mercenario“, über die Revolution eigentlich auch nicht viel, aber das wenige sitzt umso mehr. Wenn Kowalski seinem Sidekick die Revolution am Beispiel der gerade vor ihm im Bett liegenden nackten Geliebten Pacos erklärt, dann verwandeln sich Kopf, Rücken und Arsch in Kapitalisten, Mittelstand und Ausgebeutete. Dass sich der Arsch nicht auf Augenhöhe mit dem Kopf befinden kann, so erklärt Kowalski, liege am Rücken, dem Mittelstand. „Dann sind die Kapitalisten nie im Arsch“, schlussfolgert Paco.
Das sind bereits die theoretischen Höhepunkte des Films, der im Übrigen recht schonungslos vorzuführen scheint, dass Revolution ohne militärische Macht und ein politisches Programm eher zum Dilettantismus gerät, denn immer wenn Paco etwas ohne die professionelle und intellektuelle Unterstützung des gerne Chopin summenden polnischen Killers unternimmt, geht dies nachdrücklich in die Hose. „Il Mercenario“ ist daher auch eine satirische Komödie, die viele der involvierten Parteien holzschnittartig und hart am Klischee inszeniert.


Waffenfetischisten und böse Helden

Heute dürften sich nur wenige an die Wucht der Italo-Western erinnern können, die vor 40 Jahren von den kirchlichen Mediendiensten in Grund und Boden verteufelt wurden. Die überwiegend ab 18 Jahren freigegebenen Filme hatten nicht nur einen Touch von Ruchlosigkeit, sondern demontierten mit ihren einfachen Storylines auch den Psychologismus des klassischen Western, wie man sie in den 1950er und frühen 1960er Jahren aus Hollywood zu sehen bekam. Auch wenn die cineastisch interessierten und politisch am linken Rand orientierten studentischen Kinogänger sich gerne auf die nicht gerade zahlreichen ‚politischen’ Vorzeigeprodukte einschossen, so dürfte der Großteil der Kinogänger nicht daran interessiert gewesen sein. Vielmehr haben der hemmungslose Waffenfetischismus, die exzessive Gewalt und die professionelle Kälte der Djangos, Ringos und Sabatas fasziniert, Figuren, die zudem allererste Vorläufer des ‚bösen Helden’ waren. Diese sollten in späteren Jahrzehnten das Kino bevölkern, aber ihre Ahnen hießen eben Clint Eastwood, Franco Nero und Lee van Cleef, der auch großartige Schurken spielen konnte. 
Sie alle trieb etwas Gemeinsames an: das Geld, womöglich der McGuffin des Italo-Western. Franco Neros Kowalski löste damals im Kino die unbewusste Hoffung aus, der intellektuelle Killer möge sich doch aus Überzeugung der Revolution anschließen. Doch daraus wurde nichts: Kowalski bleibt in Corbuccis rohem Lehrstück der überzeugte Söldner, der aus den Glaubenskriegen der anderen seinen Profit zieht.

Interessant sind in „Il Mercenario“ daher noch zwei Aspekte: zum einen besitzt der Film eine Rahmenhandlung, in der Kowalski als Ich-Erzähler im Off fungiert und dadurch der Figur eine skeptische Tiefe verschafft, die seine illusionslose Sicht der Dinge nachvollziehbarer macht. Zum anderen hat Sergio Corbucci den Film mit einem herrlichen Gag enden lassen: immer wieder schwillt die Musik an, man sieht eine Supertotale, in der einer der beiden Helden davon reitet – doch passiert etwas Neues, der Film geht weiter, wieder schwillt die Musik an, doch erneut durchkreuzt Corbucci die Erwartungen des Publikums. 
Ich habe in den 1970er Jahren erlebt, wie die Leute im Kino reihenweise aufstanden, sich wieder hinsetzten, wieder aufstanden und als sie dann erneut wieder saßen, war der Film tatsächlich zu Ende. Das war natürlich ein Gag, aber irgendwie deutet dieses redundante Mehrfachende an, dass sich nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Helden des Films im Kreis bewegen. „Il Mercenario“ ist einer der witzigsten Italo-Western, aber in seinem Kern ist er zutiefst pessimistisch.