Donnerstag, 30. Juni 2011

Bluray-Review: The Walking Dead

In den USA ein Serienhit
2010 produzierte der US-Pay-TV-Sender AMC zusammen mit Frank Darabont die Serie „The Walking Dead“. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Comic von Robert Kirkman und Tony Moore und enthält in der ersten Staffel neben dem Piloten fünf weitere Episoden.
Darabont (der mit „The Shawshank Redemption“, 1994, „The Green Mile, 1999 und „The Mist“, 2007 drei kongeniale Stephen King-Verfilmungen als Regisseur und Drehbuchautor gestaltete) ist Executive Producer der Serie, zudem arbeitete er am Drehbuch für die ersten drei Folgen und führte Regie beim Piloten.
Die Dreharbeiten für die zweite Staffel haben im Juni begonnen, geplant sind 13 Episoden. Angeblich soll Darabont bei den Autoren kräftig durchgemischt haben, während die Gerüchteküche vermeldet, dass man sich um Stephen King bemüht, der zumindest eine Episode der zweiten Staffel schreiben soll.
Erzählt wird die Geschichte des Polizisten Rick Grimes (Andrew Lincoln), der nach einem Schusswechsel mit Gangstern schwer verletzt im Krankenhaus liegt und den Ausbruch einer Zombie-Pandemie zunächst nicht mitbekommt. Als er erwacht, hat sich die Welt verändert: Untote haben die großen Städte überrannt und Grimes durchstreift das Land auf der Suche nach Überlebenden.

Handwerklich hervorragend
„The Walking Dead“ wird voraussichtlich im Herbst in Deutschland auf DVD und Bluray erscheinen. Im Folgenden wird allerdings der bereits in Großbritannien erhältliche 2-Disc-Set besprochen, der zu einem moderaten Preis erhältlich ist.

Wer von „The Walking Dead“ einen toughen Zombie-Splatterfilm erwartet, sollte besser die Finger von Staffel 1 lassen. Filmfreunde, die allerdings die Art und Weise schätzen, mit der Frank Darabont Geschichten erzählt, sollten auf jeden Fall zuschlagen. Im Mittelpunkt der Episoden, die einer zusammenhängenden Storyline folgen, steht ganz eindeutig die Figurenentwicklung. Der nicht unbedingt originelle Plot (was man in diesem Genre auch nicht unbedingt erwarten sollte) interessiert sich dafür, wie Menschen im Angesicht der Apokalypse miteinander um's Leben kämpfen – oder auch nicht. Denn Grimes, der rasch eine große Gruppe von Nicht-Infizierten findet, macht bald die Erfahrung, dass die Not die Menschen nicht unbedingt zu besseren Exemplaren ihrer Gattung macht.
Darabont, und das ist der fette Pluspunkt der Serie, lässt sich Zeit beim Erzählen, entwickelt sorgfältig die Figuren und auch die mit den folgenden Episoden betrauten Regisseure übernehmen diese Handschrift. Dies dürfte hartgesottenen Undead-Nerds nicht immer gefallen, aber gerade diese Erzählweise sorgt in jeder Episode für eine beklemmende Spannung.
Wenn Grimes und seine Mitstreiter allerdings die Walking Dead stoßen, geht es schonungslos zur Sache und nicht nur einmal wird die Ekelgrenze kräftig überschritten.

Stilistisch ist die in den Staaten überaus erfolgreiche Serie erfreulich konventionell, aber sorgfältiges Inszenieren und hochwertige Kameraarbeit haben Darabont-Filme schon immer ausgezeichnet. Keine Wackelkamera, keine hysterischen 3 sec-Schnitte, keine überreizte und hektische Montage – „The Walking Dead“ wirkt im Vergleich zu der hyper-modernen Bildästhetik, wie sie etwa in „The Shield“ oder „Battlestar Galactica“ zu sehen ist, fast schon betulich.

Technisch gut, aber keine Referenz
Technisch repräsentiert der auf 16 mm aufgenommene Film nach dem Transfer auf Bluray nicht Referenzqualität. Dies liegt am gelegentlich sehr deutlichen Filmkorn, das besonders bei Totalen etwas lästig wirkt. Mitunter hat man auch das Gefühl, dass digital nachgeschärft worden ist. Insgesamt ist das Bild aber scharf und ohne Artefakte, sodass man sich an die gelegentlich auftretenden kleinen Mängel rasch gewöhnt hat. Für die Note „Gut“ reicht es allemal.

Mark up: Top-Fifty überarbeitet - nun mit Bluray-Bewertung

Die drei Bestenlisten wurden überarbeitet und aktualisiert. Filme, die auf Bluray vorliegen, werden mit einem Qualitätssiegel versehen, das den Bereich BD ++ (exzellent), BD + (gut), BD = (ausreichend, besser als DVD), BD - (enttäuschend) und BD - - (mangelhaft) umfasst.
Bei der Bewertung werden keine mildernden Umstände gewährt: ältere Filme werden genauso bewertet wie aktuelle, so dass relativierende Bewertungen ("Gemessen am Alter des Films ist das durchaus gelungen") völlig entfallen - entweder ist etwas High Def oder es ist es nicht.
Der Grund: es gibt zahllose Filme, die mehr als 60 Jahre alt und dennoch vorzüglich restauriert worden sind. Also keine Ausreden.

Mittwoch, 29. Juni 2011

Die kommenden Tage

Deutschland 2010 - Regie: Lars Kraume - Darsteller: Bernadette Heerwagen, Johanna Wokalek, Daniel Brühl, August Diehl, Susanne Lothar, Ernst Stötzner, Jürgen Vogel, Vincent Redetzki - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 129 min.

Es kam wie es kommen musste: auch im Filmclub gab es heftige Kontroversen über „Die kommenden Tage“. Dem einen war es zu wenig SF-like, dem anderen sagten die konventionellen Figuren nicht zu. Da ging es uns eben auch nicht besser als den Filmkritikern, die sich in überwiegender Anzahl entschlossen haben, den Film zu verreißen. Dabei wurde nicht immer zimperlich verfahren. So kam einer meiner ehemaligen Berufsgenossen offenbar zu dem Schluss, Details des Films umzubiegen (ach ja, eigentlich bin zu höflich: man muss schon von fälschen reden), um den Film in den gewünschten Kontext hineinzuzwingen. Man möge entschuldigen, wenn ich hier nicht Ross und Reiter nenne.
Warum diese Aufregung?

Eine politische deutsche Familiengeschichte
 „Die kommenden Tage“ ist (möglicherweise) ein politischer Film. Ich weiß zwar selbst nicht ganz genau, was dies genau ist, aber wir können uns darauf einigen, dass Regisseur Lars Kraume, der auch für das Drehbuch verantwortlich ist (wie schön: Autorenfilm! Hat ihm bei der Kritik allerdings auch nicht geholfen), eine Geschichte erzählt, die uns zeigt, wo unser Land im Jahre 2020 möglicherweise ankommen könnte. Es ist eine Geschichte über den Terrorismus, über Bundeswehrsoldaten, die für ein schwer zu vermittelndes Interessengemenge in fremden Ländern längst nicht mehr ‚zivil‘ agieren, sondern handfest zu den Waffen greifen. Natürlich, um Ressourcen zu verteidigen (wem auch immer sie gehören mögen).
Wir sehen auch, wie Europa sich vor den Wirtschaftsflüchtlingen aus Afrika und Asien abschottet, eine hohe Mauer baut und sie von FRONTEX (nur am Rande: die gibt’s tatsächlich, das ist nicht Science Fiction) verteidigen lässt.
Kraume zeigt uns, dass dies leider nicht hilft, dass in deutschen Städten Notunterkünfte wie Pilze aus dem Boden schießen und dass sich in den Supermärkten die Regale leeren (vermutlich, weil die Dritte-Welt-Länder kein preiswertes Obst mehr liefern), während in der Gesellschaft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht.
„Die kommenden Tage“ erzählt auch vom Irrwitz des Terrorismus – sehr subjektiv, nicht immer befriedigend, aber durchaus schlüssig in Zeiten, in denen nur noch wenige begreifen, warum auch junge Deutsche zum Islam konvertieren und sich dem Dschihad anschließen.
Und das alles, die disparaten Teile, oft nur durch kurze Einstellungen angedeutet und nicht weiterverhandelt, und die konsistenten, werden durch ein episches Konstrukt zusammengehalten, das man kurz und bündig eine deutsche Familiengeschichte nennen darf.
Das ist nicht neu. Ich darf dezent daran erinnern, dass Edgar Reitz in zweiten Teil seines seines Epos „Heimat“ nichts anderes getan hat, als relativ zeitnah eine Familiengeschichte zu erzählen, um die Geschichte der Sechziger zu entkernen.
Michael Haneke hat dagegen in „Das weiße Band“ den Blick auf die deutsche Geschichte gleich um 100 Jahre zurück verlegt. Das scheint sicherer zu sein und wohl am sichersten ist es, gleich die „Buddenbrocks“ zu verfilmen, denn wenn Filmemacher von der jüngeren Vergangenheit berichten oder gar einen Science Fiction-Film über unsere nahe Zukunft machen, scheint sich die Masse der Kritiker dezent zurückzuziehen.

Es ist interessant, wie 1993 der SPIEGEL den grandiosen Flop (Heimat I und sein Schabbach in den Zeiten des Nationalsozialismus hatten noch 4 Millionen gesehen, das Fortspinnen der Geschichte in den 60er Jahren wollte kaum mehr als eine Million Zuschauer sehen) von „Heimat II“ mit einem Rekurs auf die Verflachungstendenz in den Medien kommentierte: „Kein Wunder also, dass zur Sendezeit der Reitz-Chronik Schwachsinnsstreifen wie "Manta Manta" oder die Unterhaltungsschabracke "Das Traumschiff" mit einem Vielfachen der Zuschauer davonfuhren. Im Zeitalter des Fast-food-TV ist bündige Kürze gefragt, statt der Unerklärbarkeit der Welt das patente Sinnsurrogat, statt des Lebens langen Atems die Kurzatmigkeit zwischen zwei Cliffhängern, den Spannungshebern der Serie.“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13682401.html).

Allerdings teilte das Magazin dann auch saftige Hiebe aus, die darin gipfelten, dass Reitz dann doch wohl zu elitär und versponnen ein Bild der 60er und 70er entworfen habe. Ich kann mir nicht helfen: Heimat II hielt ich immer für den besten Teil der Reitzschen Trilogie, weil in die bittersüßen Liebesgeschichten und die kleinen Problemchen der Münchener Künstler-Schickeria immer wieder viel Zeitgeist der Sechziger eindiffundierte. Auch der Kommentar Reitz´ zum Elend des deutschen Terrorismus hatte mehr zu erzählen als der trotz aller berechtigten Kritik unterschätzte „Baader-Meinhof-Komplex“.
Was lernt man daraus? Es ist schwer kalkulierbar, unter welchen Bedingungen ein Sujet, in dem Politisches und Geschichtliches neben durchaus auch melodramatische Einzelschicksale gestellt wird, den Zuschauer emotional und intellektuell erreicht. Und es ist noch schwerer zu verstehen, warum die deutsche Kritik geradezu aufgeregt mit Schimpfkanonaden herumfuchtelt, wenn es ein Filmemacher überhaupt versucht. 

Zwei Schwestern
Film ist zunächst einmal nicht analytisch, auch nicht, wenn es um Politik und Zeitgeschehen geht. Er infomiert auch nicht unmittelbar, auch wenn sich dies der eine oder andere wünscht. Zur Grammatik der Narration gehört zunächst die Kunst, sich geschmeidig konventionellen Erzählmustern anzupassen und dann in diese Disparates einzuschmuggeln, was an den Sollbruchstellen wenigstens irritiertes Innehalten auslösen sollte.
Das gelingt Kraume recht gut. Er steckt den Rahmen der Kernerzählung mit einem Prolog und einem Epilog ab, die beide im Jahre 2020 spielen und lässt im Off eine seiner Hauptfiguren erzählen: es ist die etwas naivere der beiden Schwestern Laura (Bernadette Heerwagen) und Cecilia Kuper (Johanna Wokalek). Während also Laura im Zug sitzt und gen Süden reist, erzählt sie im Off davon, wie in Europa die Zivilisation verteidigt wird und dabei den Bach runtergeht. Kraume blendet zurück auf das Jahr 2012 und auf die Familie, die zumindest den Alt-Sechzigern immer schon als verdächtiger Schoß des Übels galt. Nun gibt es aber bei den Kupers keine Alt-Nazis, nein, der Herr Papa arbeitet im weitesten Sinne für Kunden aus der Energieindustrie, während im Fernsehen die Nachrichten vom zweiten Golfkrieg über den Bildschirm flimmern.
In dieser Familie wird Politik von der Eltern nur am Rande registriert, dafür gerät anderes aus den Fugen: Laura und Cecilia wissen nicht, ob ihr Vater (Ernst Stötzner) tatsächlich auch der biologische Vater ihres ganz offensichtlich drogenabhängigen Bruders ist, die Mutter (Susanne Lothar) reagiert gereizt, überfordert und resigniert auf den sich anbahnenden Zerfall der Familie. Und ein und aus geht auch Cecilias Freund Konstantin (August Diehl): frech, renitent und anmaßend.
„Doch die Erzählstruktur ist zu verstrickt, viele Handlungsstränge verlaufen ins Nichts, andere Themen werden nur oberflächlich angekratzt, große Zeitsprünge und Auslassungen sorgen für Verwirrung. Gerade am Ende wird alles aufgefahren, was nur geht, die Dramatik steigt ins Unermessliche und auch das ist einfach zu viel des Guten. Der fulminante, übertriebene Schluss macht die gesamte Geschichte zunichte und unglaubwürdig. Man verlässt das Kino völlig geplättet mit vielen offenen Fragen und fühlt sich von diesem wuchtigen Film fast erschlagen. Dennoch gelingt dem Film eine durchaus realistische Schilderung der Zukunft (Julia Binder, Bayern 3)“.

Aus diesem Ensemble werden sich die beiden Hauptstränge der Geschichte herausschälen: Cecilia wird aufgrund ihrer sexuellen Abhängigkeit dem zunächst nur als Spaß-Protestierer auftretenden Konstantin bald zu den „Schwarzen Stürmen“ folgen, einer Untergrundbewegung, die sich rasch zu einer gewaltbereiten Terrorbewegung entwickelt; die eher brave Laura, eine Promotionsstudentin, die sich nicht von ungefähr mit Evolutionsbiologie beschäftigt (da wirft halt gelegentlich auch mal eine hübsche Dialogzeile ab), wird sich in den schwer kranken Aussteiger Hans (Daniel Brühl) verlieben. Hans (er hat tatsächlich zuvor bei Lauras Vater in der Anwaltskanzlei gearbeitet, was man, nun ja, durchaus als über-konstruiert empfinden darf) droht zu erblinden und hat seinen schicken Anzug mit wetterfester Kleidung getauscht, um sich an der Schwelle zum Sehverlust als Hobby-Ornithologe seinen privaten Neigungen hinzugeben. In einer untergehenden Welt, wie er selbst konstatiert.
„Man fragt sich, welchen 2000-Seiten-Roman Kraume hier auf zwei Stunden eindampfen musste. Dabei hat er sich die disparaten Handlungsstränge und die arg verquasten Dialoge alle selbst ausgedacht“ (Philipp Bühler, Berliner Zeitung).

Bestandsaufnahme, Science Fiction und Melodram - zu viel des Guten?
Kraume hat zugegebenermaßen sehr viel in den Grundaufbau seiner Geschichte hineingepackt. Die Figuren sind allesamt miteinander vernetzt, ihre Lebensgeschichten  tragen trotz der vielfältigen Facetten etwas Typologisches und Lehrbuchaftes in sich. Daran kann man sich kritisch abarbeiten, besonders auch weil die politischen Analogien unschwer auch als private sichtbar werden und leicht zu entziffern sind: der Weg der Emanzipation, wie immer sie auch ausfallen mag, ist besonders im deutschen Kino immer auch eine Befreiung von der Familie und hin zu der Familie. Dies gilt offenbar für Aussteiger und Angepasste.
Cecilia wird mit den „Schwarzen Stürmen“ einen radikalen Gegenentwurf zur restaurativ-konservativen Familien-Keimzelle finden: sexuell libertär, verschwörerisch, am Ende autoritär-faschistisch; Laura will und wird mit dem rührend sensiblen Hans eine nette Kleinfamilie gründen, die fähig, sich hermetisch gegen die Außenwelt abzuschirmen, auch wenn man dazu nicht unbedingt in eine Hütte in den Alpen ziehen muss, wie es Hans vorschlägt.
Beide Schwestern werden (mehr oder weniger) an ihren Träumen zugrunde gehen: Laura wird sich von Hans trennen, weil eine seltene genetische Anomalie es verhindert, Kinder mit ihm zu zeugen; Cecilia wird trotz gelegentlicher Gegenwehr dem zynisch-charmanten Konstantin folgen und daran zerbrechen, dass ausgerechnet ihr Freund seine Schwester als bürgerliche Tarnkulisse missbraucht und mit ihr ein Kind zeugt.
„Wie diese Figuren für divergierende Lebenskonzepte einstehen müssen, ist allzu exemplarisch und lässt kaum Ironie erkennen – vermag aber doch zu faszinieren, denn in der eleganten Verknüpfung der Zukunftsvision mit Melodrama-Klischees gelingen Lars Kraume zahlreiche zwingende Szenen“ (Patrick Seyboth, epd-Film).

Das riecht alles, wie Seyboth richtig feststellt, ein wenig nach Melodrama und es ist nicht zu leugnen, dass der Plot seine ehrgeizigen Ziele offenbar nur umsetzen kann, wenn er seine Figuren emotional auflädt und gleichzeitig das Exemplarische und Typologische an ihnen betont. Zum Glück gelingt es Kraume, die Erzählstränge plausibel zusammenzuhalten und dabei die Glaubwürdigkeit der Figuren nicht einzubüßen.
Das liegt natürlich auch an den Darstellern. Während Johanna Wokalek nach ihre Gundrun Ensslin im „Baader-Meinhof-Komplex“ durchaus im Fach geblieben ist und August Diehl den abgezockten und sexuell omnipotenten Terroristen mit deutlicher Anlehnung an die Baader-Figur spielt (was keineswegs unplausibel ist), haben mich
Bernadette Heerwagen und Daniel Brühl noch mehr überzeugt – ihre Figuren laufen am wenigstens Gefahr, im Rollenklischee zu landen, ihre Glaubwürdigkeit wird durch ihre Fragilität und ihre Verletzlichkeit überzeugend begründet.
Und überhaupt ist Kraume dann am besten, wenn es nicht knallig zugeht.
„Der schlechteste Film mit der besten Besetzung: Lars Kraumes Film „Die kommenden Tage“ versammelt die Creme der deutschsprachigen Film- und Theaterszene, Stars wie August Diehl, Bernadette Heerwagen, Johanna Wokalek und Daniel Brühl. Was braucht man da noch ein gutes Drehbuch?... Die Dekadenz aber, von der „Die kommenden Tage“ erzählt und die in der mit einer reichen Kunstsammlung dekorierten Lounge-Wohnung ihre Schaltzentrale hat, besitzt durchaus ein Vorbild in der Wirklichkeit. Es ist eine maßlos gewordene Förderkultur, die das Teure und Pompöse über das künstlerisch Überzeugende stellt. Die Qualität eines Drehbuchs, die Überzeugungskraft eines Regiekonzepts, spielen beim Deutschen Filmförderfonds keine Rolle mehr. Welches Prestige will man damit gewinnen? Wie lange soll die Party noch weitergehen? Auf internationalen Festivals kann man einen Film wie diesen kaum unterbringen.“ (Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau. Programmatische Überschrift der Kritik: „Zu ernst um gut zu sein“.

Und damit nähern wir uns auch der Crux des Ganzen? Was will uns „Die kommenden Tage“ eigentlich erzählen? Fangen wir mit etwas anderem an: zunächst verbucht Kraumes Film bei mir einen Pluspunkt aufgrund des Umstandes, dass es ihn überhaupt gibt.
Das ist eigentlich skandalös, denn offenbar ist dies kein qualitatives, sondern ein rein quantitatives Argument. Aus gutem Grund: Ich mache keinen Hehl daraus, dass mir das Elend des deutschen Kinos seit Jahrzehnten auf den Geist geht. Bereits der Nachkriegsfilm hat aus meiner Sicht inmitten der restaurativen Grundstimmung im Lande filmhistorisch komplett versagt und sich einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte verweigert. Und auch der Neue Deutsche Film der Sechziger blieb trotz seines unverkennbar großen Potentials eine Fußnote. Ich will mich auch nicht zu einer elitären Kritik an den aktuellen deutschen Box-Office-Hits versteigen. Stattdessen die These: abgesehen von einigen Ausnahmen (auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, ja, es gibt sie, ich will dies nicht leugnen) schweigen das filmgeförderte deutsche Kino und das TV-Fernsehspiel, wenn es um Dinge geht, die die Menschen offenbar doch bewegen: Globalisierung, Arbeitslosigkeit, Finanzkrise, deutsche Kriegseinsätze im Ausland.
 
Gibt es den politischen Film?
Will man im Kino einigermaßen intelligente und provozierende Kommentare zu zeitnahen Themen sehen, muss man sich im britischen Kino bei Ken Loach (It’s a free world) und Mike Leigh (Vera Drake, Happy-Go-Lucky)  umsehen (allerdings ist die Situation des New British Cinema alles andere als viel versprechend, wenn man berücksichtigt, dass auch auf der Insel die gepriesenen Vertreter des Sozialrealismus eher ein Fall für das Cineasten-Festival als für die harte Kinokasse sind: http://www.nzz.ch/2004/06/04/fi/article9IOGA.html). 
Oder man schaut sich Frankreich um: zuletzt im Filmclub: „Welcome“, ein Film des Regisseurs Philippe Lioret aus dem Jahr 2009. Der lief zumindest im französischen Parlament.

Lars Kraume hat es wenigstens versucht, den Spagat zwischen einer Geschichte, die viele erreichen kann, und der Darstellung zeitnaher Themen in ein zugegeben anspruchsvolles Genre zu packen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sich ein deutscher Regisseur bislang an einen politischen Science Fiction-Film herangetraut hat und es geschafft hat, so zielsicher kleine verstörende Irritationen in ein mainstream-taugliches Format zu packen: die Entgleisung des in unserer Verfassung festgeschriebenen Verteidigungsauftrages unserer Bundeswehr? Zu weit hergeholt? Wirklich?  Die Angst vor den politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen, die bald ante portas stehen. Ist das zu strange angesichts der politischen Aufstände in Libyen, Tunesien und Syrien? Der unaufhörlich voranschreitende technologische Progress in einem Land, dem die Grundnahrungsmittel ausgehen? Tobt nicht seit Jahren ein Preiskampf um unsere Grundversorgung, um Lebensmittel, Energie und medizinische Versorgung, der deutlich die Unterschiede zwischen den prekären und den einigermaßen gesicherten Lebensverhältnissen abbildet? Wird uns etwas auf Dauer die Entscheidung erspart bleiben, entweder politisch zu reagieren oder uns in eine private Nische zurückzuziehen? Ich glaube nicht.
„Mutlos flüchtet sich Die kommenden Tage in Eskapismus-Ideale. Die Lösung aller Probleme findet sich ausgerechnet auf der Alm. Ein Aufbegehren gegen die eigene dystopische Vision lehnt der Film ab und entwirft trotz Systemversagen ein konservativ gezeichnetes Bild von Gut-Böse-Zuweisungen. Die Ereignisse der deutschen Gesellschaft aus den 1960er und 70er Jahren werden mit Problemen der Gegenwart vermischt, um aus beiden ein Bild der Zukunft zu stricken, das logischerweise recht unharmonisch und anachronistisch gerät.
Übrig bleibt die Frage, wem der Film als filmische Dystopie eigentlich als Warnung wovor dienen soll. Die kommenden Tage erscheint wie ein Lehrfilm, der einen leisen Appell an die gegenwärtige Regierungskoalition und gutbürgerliche Besitzstandswahrer richtet, grüne und soziale Reformen nicht zu vernachlässigen. Progressives und politisch mutiges Kino sieht jedenfalls anders aus“ (Till Boller in SCHNITT).


„Diese Negativ-Utopie mag auf den ersten Blick weit hergeholt erscheinen, in der Verdichtung der lebensweltlichen Umstände seiner Protagonisten aber erzielt Kraume hohe Plausibilität… Als Land, das man auf der ganzen Welt für seine spezifische "German Angst" schätzt und fürchtet, brachte Deutschland in den letzten Jahrzehnten erstaunlich wenig große Zukunftspanoramen hervor. Die paar aber, die gedreht worden sind, entwickelten enorme Wucht und Breitenwirkung - vom ARD-Zweiteiler "Welt am Draht", Rainer Werner Fassbinders paranoider mediengesellschaftlicher Betrachtung von 1973, bis zum ZDF-Dreiteiler "2030 - Aufstand der Alten" aus dem Jahr 2007, der vor dem Hintergrund einer überalternden Gesellschaft furios von neuen Verteilungskriegen erzählt.“ (Christian Buß im SPIEGEL).

Politische Filme mit einer Botschaft, die einer Handlungsanweisung ähneln und die uns die Welt bruchlos erklären, gibt es nicht oder sie sind Propaganda und bestenfalls Ideologie. Auf eine gewisse Weise bin ich bescheiden geworden: mir reicht es, wenn jemand nach einem Film irritiert blickt und stutzig wird. Wenn er danach eine Frage stellt, ist dies bereits der Anfang.
„Es ist bestimmt nicht wenig, was Kraume, der auch Autor und Produzent des Films ist, und diese seltene Freiheit weidlich nutzt, in seinen neuen Film hineinpackt. "Die kommenden Tage" ist zweifelsohne eines der ehrgeizigsten deutschen Filmprojekte der letzten Jahre und manche werden das alles schrecklich überladen finden, oder einfach ehrgeiziger, als es einem deutschen Film gebührt. Aber P.T. Andersons "Magnolia" und Afonso Cuarons "Children of Men", die diesen Film spürbar inspiriert haben, hat man so etwas auch nicht vorgeworfen.“ (Rüdiger Suchsland in TELEPOLIS).
„Jetzt mal ganz ehrlich, Scherz beiseite, genau genommen, wirklich, echt und ohne Scheiß: Warum sind wir eigentlich immer so schockiert davon, wenn jemand eine Wahrheit ausspricht?“ (Sophie Albers im STERN).

Postscriptum

Interessante Lektüre bietet ein Schrift der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Mit Bilder bewegen – der politische Film heute“.
Im einleitenden Aufsatz „Die Wiederkehr des politischen Films“ gewährt Jan Hans einen (vielleicht zu optimistischen) Ausblick. Interessant sind seine Kriterien:
„Aus dem Programm des „politischen Films“ der 1970er Jahre sind drei Aspekte in der Diskussion geblieben:
• die Idee, dass Politik nicht auf der großen Bühne und in den Abkommen und Verträgen anschaulich wird, sondern in den Formen, in denen sie in den Lebensverhältnissen der Einzelnen greifbar wird („das Politische ist das Private“);
• die Vorstellung, dass es vor allem darum geht, ein Thema im allgemeinen Medienrauschen überhaupt sichtbar zu machen, es dem allgemeinen Diskurs zuzuführen („Öffentlichkeit herstellen“);
• schließlich der erklärungsbedürftige Satz Godards, man solle „keine politischen Filme, sondern Filme politisch machen“.

In „Das Politische, das Dokumentarische, das Utopische und der Film - Suchbewegungen mit offenem Ausgang“ schreibt Georg Seeßlen: Ein Film beginnt also politisch zu werden, wenn er die Ideologie infrage zu stellen beginnt, die in der Umwelt (im Abgebildeten), die in den eigenen Produktionsbedingungen (im Abbilden) und die in sich selbst (in der Abbildung). Eine besondere Methode dabei ist das, was man als den „transzendentalen Stil“ beschrieben hat. Der Begriff ist missverständlich, weil nur ein Teil der Regisseure und Regisseurinnen, die sich ihm verschrieben haben, damit eine spirituelle oder (wie etwa Robert Bresson) gar eine religiöse Dimension verbunden haben. Entscheidend in der Dramaturgie eines solchen Films (wir vereinfachen für den Zusammenhang, in dem wir uns bewegen) ist es, dass die Lösung eines Konflikts weder in den Bildern noch in den Erzählungen noch gar in den Charakteren liegt, sondern außerhalb des Filmes. Ein „transzendentaler“ Film zeigt das Elend der Menschen (ohne Ideologie, ohne Gerechtigkeit) und verfolgt es bis zu dem Punkt, an dem es wahrhaft unerträglich ist.
Was dann bleibt, ist nur die Empfindung der Gnade – oder die Revolte.“

Noten: BigDoc = 2, Mr. Mendez = 2,5, Klawer, Melonie = 3

Mittwoch, 8. Juni 2011

Hereafter - Das Leben danach


Es kann sein, dass man Filme macht, weil es Spaß bereitet. Besonders dann, wenn man es kann. In den zahlreichen Dokus der frisch auf den Markt geworfenen Bluray des letzten Clint Eastwood-Films Hereafter sieht man den Meister möglicherweise aus diesem Grund pausenlos lächeln. Ja, einige Mitstreiter behaupten sogar in den wie üblich vor gegenseitigem Lob überbordenden Interviews, dass nur jemand, der mehr weiß als alle anderen, so wissend lächeln kann. Und dann sieht man den über Achtzigjährigen, der kein Rentenalter kennt, immer wieder auf seinem Regieklappstuhl am Meer sitzen, entspannt den Blick in die Ferne gerichtet.
Klar ist nur, dass der Mann Spaß hat. Aber was hat er uns zu sagen? Und was erzählt er uns für Geschichten?

In Hereafter sind es gleich drei Episoden, die zusammengehalten werden müssen: da ist die französische Journalistin Marie (Cecile de France), die während eines Urlaubs von einem Tsunami erfasst wird, ertrinkt und wieder ins Leben zurückkehrt. Ihre Nahtod-Erfahrung wird die Existenz der TV-Ikone gründlich auf den Kopf stellen.
Und da sind die Zwillinge Marcus und Jason (Frankie und George McLaren), die an ihrer drogenabhängigen Mutter hängen. Als Jason auf der Flucht vor einer Streetgang vor ein Auto läuft, kann Marcus den Tod seines Bruders nicht verwinden – auch seine neue Pflegefamilie kann ihm nicht helfen. Marcus sucht verzweifelt nach Möglichkeiten, mit seinem Twin Kontakt aufzunehmen.
Der Fabrikarbeiter George Lonegan (Matt Damon) wiederum wäre in der Lage, Marcus’ Verzweifelung zu lindern – er kann mit Toten kommunizieren, betrachtet diese Gabe aber eher als Fluch denn als Segen. Das Medium entzieht sich der zuvor sehr erfolgreich praktizierten Kommerzialisierung seiner Fähigkeit und will nur noch leben, anstatt gegen Bezahlung mit den Toten zu sprechen.

Skript mit Erfolgsgarantie?
Frankreich, Großbrittanien, USA – die Figuren in Hereafter sind kreuz und quer über den Erdball verstreut und sie alle machen Erfahrungen mit dem Tod, die sie nicht verarbeiten können. Es ist klar, dass das Schicksal sie zusammenführen wird - oder besser gesagt: der Drehbuchautor. Der allerdings scheint, auch dies verrät das Bonusmaterial recht ausgiebig, per se schon ein Qualitätssiegel zu besitzen.
Peter Morgan wurde für The Queen (2006, Stephen Frears) und Frost/Nixon (2008, Ron Howard) für den Oscar nominiert und für so ein Kaliber lassen Stars wie Matt Damon schon einmal alles liegen, um bei der Umsetzung eines Morgan-Skripts mit dabei zu sein. Erst recht, wenn der Regisseur Clint Eastwood heißt.

Der erzählt die Geschichte mit seiner bekannten ruhig-lakonischen Art und das macht durchweg Vergnügen. Zum Beispiel, wenn man sieht, mit welcher Pointiertheit Eastwood aus scheinbar harmlosen, eher bedeutungsarmen Szenen durch genaues Hinsehen und sorgfältiges Inszenieren einen verborgenen Kern herausschält, der uns eine Figur wieder ein Stück näher gebracht hat. Das kann Clint Eastwood wirklich gut und das ist auch die große Stärke seines Films – man glaubt den Figuren nicht nur ihre Nöte bis in das letzte Detail, sondern auch ihre Marotten und Verspieltheiten.
Eastwood hat offensichtlich viel Spaß an diesem Erzählen und dies tut er auf eine wunderbare entschleunigte Art und Weise, die kapriziösen Pointen aus dem Weg geht. Wenn George beispielsweise in einem Kochkurs seine Partnerin, deren Augen verbunden sind, kleine Köstlichkeiten in den Mund schiebt, um sie raten zu lassen, worum es sich handelt, dann wird dies auf eine dezent-sinnliche Weise selbst zu einer kleinen cineastischen Meisterleistung. Über so etwas freut man sich genauso wie über die Vorliebe von George für Charles Dickens, die ihn am Ende nach London führt. Klar, dies ist nur ein Drehbuchtrick, aber gleichzeitig sind es ja solche Details, die Figuren eine liebenswerte Tiefe geben.

Ja, alle spielen phantastisch und werden mit respektvoller Milde von Eastwood skizziert, auch denn, wenn es emotional ans Eingemachte geht. Dies gilt auch für die belgische Darstellerin Cécile de France, deren Charakter nach dem Nahtod-Erlebnis von ihrem Lover, dem Programmdirektor ihres TV-Senders, langsam ausgebootet wird, erst recht, als sie damit beginnt, statt der geplanten Mitterand-Biografie ein spirituell angehauchtes Buch über ihre Erlebnisse zu schreiben. Und auch die Zwillinge McLaren spielen in ihrem ersten Film beeindruckend und es ist im Making of durchaus spannend zu sehen, wie es Eastwood schafft, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, in der auch Kinderdarsteller offenbar ganz ohne Druck an ihr darstellerisches Limit geführt werden. 
Ganz klar, es macht Spaß Hereafter zu sehen.

Das letzte Bollwerk vor dem Blick ins Nichts
Diese kleine Eloge an den Meister deutet aber bereits die Kritik an, denn jenseits aller handwerklichen Petitessen muss man letztendlich auch etwas zu erzählen haben. Erst recht, wenn es um den Tod und die damit verbundenen religiösen und metaphysischen Implikationen geht, denen Eastwood in seinen Interviews über den Film eher skeptisch gegenübersteht.
Die Gewissheit des Todes ist eine universelle Erkenntnis, der Umgang der Menschen mit dieser schmerzlichen Erkenntnis ist jedoch untrennbar mit dem kulturellen Wissenskonsens verbunden, mit dem wir unsere Wahrnehmung organisieren. Während die traditionelle europäische Metaphysik bis in die Aufklärung hinein die Existenz Gottes als conditio sine qua non voraussetzte und damit die christliche Heilsbotschaft mit der Gewissheit eines Lebens nach dem Tode verband (ein Modell, das keineswegs alle Religionen teilen), führte die zunehmende Säkularisierung eine andere, aber keineswegs weniger schlichte und minder schwer beweisbare Lesart des Themas ein – einen primitiven Materialismus, dessen Vertreter eher den totalen „Check-out“ (Eastwood) vertreten: das Licht geht aus, es folgen Leere und Nichts.
Die moderne Hirnforschung geht sogar einen Schritt weiter. Sie weiß, dass die mystischen Gefühle im rechten Temporallappen sitzen und dass kosmische Glückseligkeiten nach Belieben durch entsprechende Stimulierungen  aufgerufen werden können. Diese Entzauberung der Welt drängt aus der wissenschaftlich-empirischen Weltdeutung immer stärker in das Alltagswissen vor, und damit in unseren Wissenskonsens. Doch wissen tun wir, und es tut gut, sich an Kant und Popper zu erinnern, eigentlich nur wenig.

Das Kino interessiert sich indes nicht für unseren rechten Temporallappen, sondern für unsere Träume. Und den so genannten Wissenskonsens manipuliert es ohnehin nach Kräften. Aus dem philosophischen Restzweifel schält es die Legitimierung für eine Reihe recht unterhaltsamer Spekulationen über das Danach heraus. Wohlwollend betrachtet entlastet es uns sozusagen von den Zumutungen der wissenschaftlichen Moderne – das letzte Bollwerk vor dem Blick ins Nichts. Und die allergrößten Freiheiten nimmt es sich (zum Glück) dort heraus, wo Fantasie, große Gefühle, aber auch das Traumatische, das Triviale und Irrationale gefragt sind – im Genrefilm.
Als romantische Komödie deutete Hollywood das Thema in Here comes Mr. Jordan (Urlaub vom Himmel, Alexander Hall, USA 1941): ein tödlich verunglückter Boxer wird von einem Oberengel zurück auf die Erde geschickt, wobei sich das Leben nach dem Tod als konfliktreiches Verwirrspiel entpuppt. Der äußerst erfolgreiche Film (2 Oscars, 5 Nominierungen) wurde 1978 von Warren Beatty mit Heaven can wait (Der Himmel soll warten, 1 Oscar, 8 Nominierungen) neu aufgelegt.
Ohne Sentimentalitätsverdacht experimentieren in Flatliners (USA 1990, Joel Schumacher) Medizinstudenten mit künstlich hervorgerufenen Nahtod-Erfahrungen und müssen sich danach den plötzlich sehr real gewordenen Gespenstern ihrer Vergangenheit stellen. Immerhin lässt sich Schumachers subtiler Horror als kluge Analogie zu traumatischen Verdrängungen lesen, mit denen man sich letztlich im Diesseits aussöhnen muss.
Ghost (Ghost – Nachricht von Sam, USA 1990, Jerry Zucker) gewann zwei Oscars mit einer effektvollen Sentimentalisierung des Themas: ein hilfreicher Geist kämpft nach seiner irdischen Existenz für Rache und Gerechtigkeit – clever inszeniertes Kino der Emotionen, aber nicht ganz so heiter wie seine komödiantischen Vorgänger. Kurz zuvor hatte Steven Spielberg, der Exekutive Producer von Hereafter ist, mit Always (USA 1989) eine ähnliche Konstellation endgültig aus der Komödie ins Melodram verschoben und dabei kräftig auf die Tränendrüsen gedrückt.
Immerhin, so lernt man, kann man Oscars gewinnen, wenn man im Rahmen der Genrekonventionen dem Thema Tod augenzwinkernd begegnet. Das realistische Drama dürfte es nicht so leicht haben.

The Story ist the King
Hereafter versucht diesen Brückenschlag. Der Film ist realistisch, psychologisch über weite Strecken nuanciert, aber leider auch völlig humorlos. Die Erzählgeste des Film lässt keinen Zweifel an der Realität parapsychologischer Erfahrungen. Das berührt unangenehm, erst recht, wenn in Hereafter ein Verblichener tatsächlich aktiv ins Schicksal der Figuren eingreift. Das kann man als große Albernheit oder als weises Alterswerk betrachten. Für Letzteres hat es dann doch wohl nicht ganz gereicht, denn Peter Morgans Drehbuch ist leider zu unausgegoren, um Eastwoods Wahlspruch „The story ist the king“ gerecht zu werden. Es sind auch andere vermeidbare Nachlässigkeiten, gegen die Eastwoods Ensemble deshalb anspielen muss. Zum Beispiel erfährt man nur wenig über Maries Erfahrungen im Reich der Toten und auch die Visualisierungen des Jenseits bedienen eher Klischees. Andeutungen bleiben im dichten Nebel, auch dann, wenn sich am Ende  George und Marcus begegnen und ein letztes ‚Reading’ leider nur unentschlossene Dialogzeilen abliefert. Und geradezu ärgerlich ist der Kurzauftritt von Marthe Keller als engagierte Wissenschaftlerin, die von unwiderlegbaren Beweisen für ein Leben nach dem Tod spricht und dann doch nur völlig distanzlos an den skurrilen Karriere-Epilog der berühmten Todespionierin Elisabeth Kübler-Ross erinnert. Das berühmte Licht am Ende des Tunnels ist Hereafter in diesen Szenen eher nicht.

Natürlich lässt sich einwenden, dass ein minder einfühlsamer Regisseur dieses recht fade Skript gänzlich gegen die Wand gefahren hätte. Angeblich soll es ja nicht fertig gewesen sein, aber Eastwood reichte dann doch der Rohentwurf. So etwas hört sich am Ende ein wenig nach Rechtfertigung an, die man entweder augenzwinkernd durchgehen lässt oder als ärgerlich empfinden muss. Ich denke eher, dass es ohne Maß ist, wenn man von einem großen Regisseur ständig große Filme erwartet. Clint Eastwood hat in den vergangenen zehn Jahren fast 20 Filme gedreht, von denen man die Hälfte nicht vergessen wird. Da darf es auch mal solide Hausmannskost sein. Komisch ist nur, dass man sich Ende trotzdem irgendwie angenehm berührt fühlt.

Postskriptum: Wer sich über eine klassische Episode aus der Nahtod-Forschung informieren will, dem empfehle ich „Grenzerfahrung auf dem Operationstisch“ von Gerald M. Woerlee, http://www.heise.de/tp/artikel/21/21392/1.html (27.11.2005).

Noten: BigDoc = 3