Mittwoch, 31. März 2010

The Book of Eli

USA 2010 - Regie: Albert Hughes, Allen Hughes - Darsteller: Denzel Washington, Gary Oldman, Mila Kunis, Jennifer Beals, Ray Stevenson, Tom Waits, Malcolm McDowell, Michael Gambon, Frances de la Tour, Joe Pingue - FSK: ab 16 - Länge: 118 min.

Synopsis:
Im Jahre 2044 wissen nur noch die Wenigsten, was ein Fernseher einst war und die Kulturtechnik des Lesens ist ein Privileg weniger geworden. Eine religiös motivierte Nuklearkatastrophe hat die Vereinigten Staaten in eine barbarische post-apokalyptische Landschaft verwandelt, in der die letzten Kulturgüter weniger Bedeutung haben als ein Schluck Wasser. Diese Landschaft durchmisst ein einsamer Wanderer: Eli (Denzel Washington), der ein geheimnisvolles Buch mit sich führt. Ein Mann mit einer Mission. Auf dem Weg nach Westen muss er sich mit marodierenden Banden, Vergewaltigern und Plünderern auseinandersetzen, bis er in einer Kleinstadt auf den Despoten Carnegie (Gary Oldman) trifft, der seit vielen Jahren nach einem bestimmten Buch sucht, das ihm eine neue Herrschaftsideologie zur Verfügung stellen soll. Als herausfindet, dass Eli das letzte Exemplar dieses Buches besitzt, beginnt ein Kampf auf Leben und Tode.

Kommentar:
Die Brüder Allen und Albert Hughes haben bereits mit dem gefloppten Ripper-Movie From Hell gezeigt, dass sie ein Gespür für expressive Bildästhetik, Ambiente und Bildsprache besitzen. In The Book of Eli hatten sie es bedeutend schwerer, diese Qualitäten auszuspielen, da die Endzeit-Thriller von Mad Max über Postman bis Waterworld die ästhetischen Bausteine der Post-Apocalypse bereits durchdekliniert haben. Auch die narrativen Eigenschaften des Films sind nicht sonderlich bemüht: der missionarische Eifer Elis erinnert an Kevin Costners Postman, nur fällt er nicht ganz so pathetisch aus. Das Rollenschema Elis ist dagegen ganz den Omnipotenz-Fantasien des Italo-Western angepasst: ein kampftechnisch perfekter, gnadenloser und überlegener Einzelgänger erleidet auf dem Höhepunkt der Handlung eine Niederlage, wird außer Gefecht gesetzt und kehrt schlussendlich dramatisch zurück. Auch diese Muster sind bekannt, nur dass sich in The Book of Eli der finale Plot-Twist in einer Gewaltorgie entlädt, an der der Held nicht mehr unmittelbar beteiligt ist.
Interessanter als das Genre-Patchwork ist da schon die Suche der Hughes-Brüder nach einer Aussage, denn das geheimnisvolle Buch, das Eli mit sich führt, ist nichts anderes als die Bibel, die den zivilisatorischen Verfall der Gesellschaft rückgängig machen soll. Carnegie ahnt, dass Menschen, die dem Kannibalismus und zynischer Gewalt frönen, eine mythologische Orientierung benötigen, nur dass Carnegie sie nutzen will, um seine Macht auszubauen. Eli dagegen will das Wort Gottes einer zivilisatorisch intakten Gemeinde auf der Gefängnisinsel Alcatraz überlassen, weil dort gut funktionierende Buchpressen für ein Revival der guten, alten amerikanischen Wertegesellschaft sorgen sollen.
Das ist ein recht dünner Faden, der die Geschichte zusammenhalten soll und auch die Überraschung, die den Zuschauer am Ende erwartet, kann nicht recht begeistern. Deutlich spannender wäre es gewesen, den Urgrund des nuklearen Infernos auszuspinnen oder zu ergründen, warum Endzeit-Visionen immer wieder eine fast schon pathologische Angst vor dem Zusammenbrechen der elementarsten Regeln des Zusammenlebens heraufbeschwören. Wenn Eli am Ende die Worte der Genesis (warum eigentlich nicht das Neue Testament?) aus dem Gedächtnis rezitiert, als wären sie die Welterklärungsformel schlechthin, provoziert der Film sogar Unbehagen und den Verdacht, dass fundamentalistische Basics unbefragt als Heilsmittel präsentiert werden sollen.
The Book of Eli geizt nicht schauspielerischer Präsenz, obwohl Denzel Washington ein wenig an Man on Fire erinnert und Gary Oldman eine weitere Variante des vom Wahnsinn angekränkelten Bösewichts präsentiert, aber die Dialoge zwischen Gut und Böse bleiben seltsam unausgereizt, sodass man von einer verpassten Chance ausgehen muss. Da war der übel beleumundete Postman deutlich differenzierter.

Pressespiegel:
Margrit Köhler schreibt in BR-online: „Wer Action liebt, kommt hier auf seine Kosten, genauso aber auch der Cinephile: Er darf sich an dem mit Andeutungen und Zitaten gespickten Werk erfreuen. So ragt "The Book of Eli" mit seiner mythischen Kampfansage an Entmenschlichung und seinen christlichen Symbolismen aus den üblichen Weltuntergangsszenarien à la Roland Emmerich heraus. Trotz Sieg der Ethik harte Kost.“
Robert Zimmermann stellt auf Critic.de fest: „The Book Of Eli ist weder Literatur- noch Comicverfilmung, auch wenn die Handlung und die Figurenzeichnung letzteres vermuten lassen. Das Erstlingswerk von Drehbuchautor Gary Whitta reiht Gleichnisse und Symbolismen mit solchem Eifer aneinander, als gelte es eine weitere Bibelgeschichte mit massentauglicher Low-Level-Chiffre zu schaffen.“
Matthias Wannhoff schreibt auf Schnitt.de: „Natürlich begnügt sich The Book of Eli nicht damit, ein kulturwissenschaftliches Fass nach dem anderen aufzumachen. So gehören die gnadenlos überzeichneten Kampfszenen, deren Irrsinn am Ende auch noch mit dem gedächtnistheoretischen Subtext verknüpft wird, zu den pointiertesten Duelldarstellungen, die seit langem im Mainstream-Kino zu bestaunen waren.“
Daniel Sander resümiert in SPIEGEL-online: „Schade ist nur, dass sich der Film die meiste Zeit so schrecklich ernst nimmt. Um die Macht des Glaubens soll es gehen, um menschliche Urinstinkte, um Hoffnung in alptraumhaften Zeiten - doch innerhalb eines derart wilden Genremixes bleibt keine Zeit, auf irgendetwas näher einzugehen. Die Ideen bleiben vage und unausgegoren, was nicht so schlimm wäre, wenn sie nicht immer so schicksalsschwer vorgetragen würden. "The Book of Eli" will unbedingt spannend sein und unterhaltsam, aber auch wichtig, ein bisschen wenigstens. Doch ein bisschen wichtig, das gibt es nicht.“

Noten: Melonie = 5, BigDoc, Mr. Mendez = 4

Samstag, 20. März 2010

Quick Review: Edge of darkness (Auftrag Rache)

Großbritannien / USA 2010 - Originaltitel: Edge of Darkness - Regie: Martin Campbell - Darsteller: Mel Gibson, Ray Winstone, Danny Huston, Shawn Roberts, Bojana Novakovic, Caterina Scorsone, Frank Grillo, Gbenga Akinnagbe - FSK: ab 16 - Länge: 114 min.

Synopsis:
Thomas Craven (Mel Gibson) ist Detektiv bei der Mordkommission des Boston Police Departments. Als sein einziges Kind, die 24-jährige Emma (Bojana Novakovic), vor seiner Haustür erschossen wird, ist jeder davon überzeugt, dass Craven das eigentliche Ziel des Anschlags war. Erst als er in der Wohnung seiner Tochter eine Pistole findet, die ihn zu Emmas vor Angst fast schon wahnsinnig gewordenen Freund führt, ahnt Craven, dass seine Tochter liquidiert wurde, weil sie einem Komplott auf die Spur gekommen ist. Die Spur führt Craven zur nuklearen Forschungseinrichtung NORTHMOOR.
Kommentar:
2003 war Mel Gibson als Supporting Actor in The Singing Detective  zuletzt auf der Leinwand zu sehen. Es folgten umstrittene Regiearbeiten (The Passion of the Christ, Apocalypto), nun ist der 54-jährige Australier wieder in einer seiner Paraderollen zu sehen: halb verrückt (Conspiracy Theory) vor Trauer und Wut, hart und gnadenlos (Payback) und absolut gradlinig in seinen Auffassungen von Freundschaft, Loyalität, Recht und Ordnung (The Patriot). Wie immer, sieht man von früheren Arbeiten (Lethal Weapon-Zyklus) ab, gibt sich Gibson völlig humorlos und unironisch, was in Edge Of Darkness allerdings plausibel ist, dazu kommt eine gehörige Portion Pathos und eine peinliche Redneck-Mentalität, etwa, wenn Craven sich verächtlich über Veteranen mit post-traumatischem Stresssyndrom äußert: Man komme, so Craven, aus dem Krieg so heraus wie man in ihn hineingegangen ist. Harte Jungs mögen dies gerne hören, ansonsten ist das ärgerlich.

Edge Of Darkness basiert auf einer britischen Thriller-Serie aus dem Jahre 1986. Martin Campbell führte bereits in der sechsteiligen BBC-Serie Regie. Neu im Team sind die Drehbuchautoren William Monahan (Departed, 2006) und Andrew Bovell, denen es überraschenderweise überhaupt nicht gelungen ist, den Stoff in der Griff zu bekommen. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob eine Mischung aus Taken (96 Hours) und klassischem Paranoia-Thriller auf der Höhe der Zeit ist, nicht aber darüber, dass das Script keinen überzeugenden Erzählrhythmus findet. Gibson bekommt einfach zu viel Zeit spendiert, um am Stand voller Trauer aufs Meer zu starren oder sich in rührseligen Flashbacks an die Kindheit seiner Tochter zu erinnern.
Diese pathetische und kalkulierte Inszenierung schenkt dem Star des Films jede Menge Closeups und Gibson nutzt sie auch, aber das wirkt angestrengt und es ist keineswegs respektlos, wenn man feststellen muss, dass das Sujet ziemlich ausgereizt ist und Plots à la ‚Ein Mann sieht rot’ einfach frischer inszeniert werden müssen, um dem Genre etwas Neues hinzuzufügen.
Nicht weniger anstrengend sind die Bösewichter in Edge Of Darkness und ausnahmsweise sei hier die Auflösung verraten: das Nuklearunternehmen baut im Auftrag mysteriöser Dienststellen der US-Regierung dreckige Nuklearbomben, die nach einem Einsatz nicht auf ihren Urheber zurückverfolgt werden können. Nachdem eine Aktivistengruppe dank Emma Kenntnis von dem Projekt erlangte, werden alle Mitwisser von professionellen Killern aus dem Weg geräumt, natürlich im Auftrag des aalglatten und sadistischen Institutsleiter Jack Bennett (Danny Huston). Die am Komplott beteiligten Regierungsbeamten machen sich zwar Gedanken über das Ausmaß der Gewalt, sind aber genauso korrupt wie ein beteiligter US-Senator, der dummdreist die Medien belügt – zusammengenommen ein Haufen von Übertätern, die kein Klischee auslassen und denen das Script keinen Dialog gestattet, der annäherungsweise intelligent sein könnte.

Am schlimmsten ist jedoch die Figurenentwickung des Supporting Actors: Ray Winstone (sehr gut) spielt Captain Jedburgh, einen geheimnisvollen Einzelgänger, der von einem NORTHMOOR-Mitarbeiter einen nicht weniger geheimnisvollen Auftrag erhält. Dieser krebskranke und zum Sterben verurteilte geheimste aller Geheimagenten hätte eine der interessantesten Paranoia Thriller-Figuren des Genres werden können, nicht zuletzt auch, weil er im Alleingang entscheidet, was dem Wohl der Nation dient: ein Täuscher, ein Killer, ein Vigilant, größenwahnsinnig und absolutistisch in seinem moralischen Verdikt, ein grandiose Figur, die rudimentär bleibt, auch bleiben muss, weil sie in ihren wenigen Szenen den Star des Films an die Wand spielt. Der ist am Ende radioaktiv vergiftet worden, hat aber noch einen letzten Auftritt als blutiger Racheengel und verschwindet am Ende aus dem Film wie ein Samurai-Krieger: unbesiegt und dennoch zum Tode verurteilt wandert er mit seiner Tochter in eine Weißblende – ein auch ästhetisch peinliches Ende eines Films, dem eine Menge fehlt, um wenigstens als guter Durchschnitt durchzugehen. Wenn man sehen will, wie man reflektiert und mit einer ironischen Distanz gute Altersrollen findet, sollte sich lieber Clint Eastwood-Filme anschauen.

Noten: Melonie = 5, BigDoc = 5

Montag, 15. März 2010

SHUTTER ISLAND im Spiegel der Presse

Es ist immer wieder reizend, zu beobachten, wie sich die Kollegen aufreiben. Shutter Island hat immerhin dazu geführt, dass alle ihre Kanonen aufgestellt und sogar abgefeuert haben. Mal grobschlächtig und unhöflich, mal poetisch und versponnen. Na ja, viel besser oder schlechter bin ich in Sachen Höflichkeit auch nicht gewesen, die Posie habe ich mir allerdings verkniffen...

Gebhard Hölzl schreibt im BAYERISCHEN FERNSEHEN: „Scorsese (geht)…so weit, dass den Bildern auf der Leinwand nicht mehr zu trauen ist. Das Ergebnis ist ein wüst wuchernder Genremix, dem ein echtes Zentrum fehlt… Auf höchstem Niveau überzeugen Scorseses getreue Mitstreiter, die Cutterin Thelma Schoonmaker, Kameramann Robert Richardson und Produktionsdesigner Dante Ferretti - Optik und Handwerk stimmen. Und auch die Schauspieler gefallen durch die Bank. Dennoch bleibt echte Spannung aus, die atmosphärische Dichte fehlt. Vor allem, weil die Story hakt. So verkommt Shutter Island zum verquasten Psycho-Popcorn-Pulp.“

Sascha Keilholz schreibt auf CRITIC.DE: „Dem Zuschauer gibt die Romanverfilmung nicht nur auf der Plotebene arithmetische Rätsel auf. Je nach Gewichtung von Pluspunkten und Abzügen wird man Shutter Island endgültig bewerten. Ein wichtiger Film dieses Jahres und ein Prunkstück auf der Berlinale ist er bereits.“

Rüdiger Suchsland schreibt in TELEPOLIS: „Die wummernde Musik, die Farben wie auf einer Provinzopernbühne sollten einen also nicht verwundern: Das ist gewollt, das gehört zum Zitatenspiel. Man muss das nicht mögen. Um es zu identifizieren, muss man die Vorbilder freilich kennen. Damit ist dies nicht nur eine Analogie auf das McCarthy-Amerika der Hexenjagd, oder gar dessen subtile Verklärung in Nostalgie, sondern ein abgründiger Kommentar zu unserer Gegenwart. Auch in der stehen Vernunft und Wahn eng beieinander: Für unsere Kriege, unsere Terrorangst, unseren Sicherheits- und Gesundheitswahn findet Scorsese einen Spiegel in den fünfziger Jahren. Schwarze Aufklärung über die Nähe von Wahnsinn und Gesellschaft.“

Tobias Kniebe schreibt in der SÜDDEUTSCHEN: „Schließlich erkennt man, warum Scorsese, der sich treu in den Dienst dieser Geschichte des Romanautors Dennis Lehane stellt, hier als Regisseur eine solche Fehlbesetzung ist. Shutter Island gehört zu jenen Psychothrillern, die im narrativen Kern eine große Lüge sind. Manche Regisseure blühen geradezu auf, wenn sie mit dem Publikum Katz und Maus spielen dürfen - beispielsweise Brian de Palma, Scorseses alter Weggefährte. Scorsese kann das nicht. Er ist, in seinem ästhetischen Programm und all seinen Überzeugungen, eine viel zu ehrliche Haut… Das finale Rätsel von Shutter Island bleibt ungelöst: Wie ein so großer Regisseur in einen so großen Irrtum hineingeraten konnte.“

Christian Buß lobt in SPIEGEL-ONLINE: „Der Regisseur nimmt die ziemlich klobige Krimi-Vorlage des Mystic River-Autor Dennis Lehane und verwandelt sie in eine wahre Pulp-Symphonie, in der sämtliche kollektive Traumata der Nachkriegszeit verhandelt werden: Das Kino als Zugang zum Unterbewusstsein einer Nation…. Man warf Scorsese unter anderem fehlende Logik und Eklektizismus vor. Wie ungerecht. Der Film, an dem der Regisseur ganze vier Jahre gebastelt hat, hat eine geradezu unglaubliche kompositorische Strenge: "Shutter Island" ist kein altkluges Zitatkino, kein postmoderner Anything-Goes-Zeitvertreib und erst recht kein plietsches Pointenwerk à la Finchers "Fight Club"…. Der 140-Minuten-Reigen, vielleicht der beste Film, den Scorsese seit GoodFellas gedreht hat.“


Martin Thomson schreibt in SCHNITT: „Kafka grüßt aus der Leere der Erkenntnis, die bei Scorsese ein leerer Leuchtturm jenseits der Gefängnismauern repräsentiert, in dem Williams (hier hat der Kinofreund Thomson den Namen der Hauptfigur nicht recherchiert; gemeint ist Daniels) die bewusstseinsverändernden Lobotomien und Menschenversuche vermutet, wie es sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts tatsächlich gab. Schon André Bazin bemerkte über den metaphysischen Trugschluss bei Kafka an: »Das Drama besteht in der Erkenntnis: Gott existiert nicht, das letzte Büro des Schlosses ist leer. Vielleicht ist das die eigentliche Tragödie der modernen Welt, der Übergang der Transzendenz einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die aus sich selbst ihre eigene Vergottung erzeugt…. Nach Die Zeit nach Mitternacht, Bringing Out The Dead und Kap der Angst ist Scorsese mit Shutter Island das heimliche Meisterwerk unter seinen Zwischenwerken gelungen. Ein Film vor allem (aber nicht ausschließlich) für Cineasten und eine Wohltat angesichts der vielen Plot-Twists aus Werken der jüngeren Filmgeschichte.“


Gerrit Booms schreibt im SCHNITT über Lehane und Scorsese: „Was die beiden … geritten haben könnte, nach hochwertigen und vielseitigen Filmen wie Gangs of New York, Aviator und Departed nun Shutter Island zu drehen, wird im Zweifelsfall ihr Geheimnis bleiben. »Es ist ein Film, wie ich ihn selbst gerne schaue«, sagt Scorsese, »mit unheimlicher und bedrohlicher Bedeutung«. Und DiCaprio meint, Shutter Island arbeite »simultan auf verschiedenen Ebenen«. Doch gerade an diesen Punkten hakt die Produktion. Denn Scorsese scheint über all den Zitaten, Referenzen und Ausstattungsideen vergessen zu haben, dass sich Bedrohung eigentlich nur durch innere Logik breit machen kann. Erst, wenn etwas tatsächlich und verständlich nahe kommt, erzeugt es auch Spannung…. Mehr als zwei Stunden nur mit … Anspielungen zu füllen, ergibt aber schlichtweg keinen Sinn.“

Sonntag, 14. März 2010

Shutter Island

USA 2009 - Regie: Martin Scorsese - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Michelle Willi-ams, Emily Mortimer, Max von Sydow, Jackie Earle Haley, Patricia Clarkson, Jackie Earle Haley - FSK: ab 16 - Länge: 138 min.

Die ersten Bilder des Film: zwei Männer in einem schweren Unwetter, sie nähern sich mit einem Dampfer einer Insel, die monolithisch aus dem Meer ragt und nicht Gutes verspricht. Und damit man das, was man bereits mit dem ersten Blick sieht, auch emotional möglichst alternativfrei einordnen kann, hämmert ein staccato-ähnlicher schwerer Sound dem Zuschauer gleich in der ersten Minute die Bedeutungsschwere dieses Ortes in den Kopf.
Es ist Shutter Island, eine Irreninsel mitten im Ozean, ein Schuss Alcatraz und eine unübersehbare Hommage an die 50er Jahre, denn der Film spielt nicht nur 1954, sondern er sieht auch so aus, als wäre in diesem Jahrzehnt produziert worden. Wenn U.S.-Marshal Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) und sein neuer Partner Chuck Aule (Mark Ruffalo) die weitläufigen Korridore der Psychiatrischen Anstalt für kriminelle Geisteskranke betreten haben, wähnt man sich bild- und ausstattungsästhetisch in einer Mischung aus Noir-Filmen und klassischen Hammer-Filmen mit all ihren bombastischen und dick aufgetragenen Grusel- und Schockeffekten.
Daniels und Aule sollen auf Shutter Island klären, warum eine mehrfache Kindesmörderin aus einem abgeschlossenen Zimmer des eigentlich fluchtsicheren Ashecliffe Hospital entkommen konnte. Doch die beiden Marshalls scheinen nicht sonderlich willkommen zu sein. Ihre Ermittlungen werden immer wieder behindert, auch die Befragung von Patienten, die in einem unbewachten Moment bedeutungsschwangere Hinweise geben, deutet an, dass in der Anstalt mehr vorgeht als es den Anschein hat. Und je länger die Ermittlungen dauern, desto stärker scheint Teddy Daniels nicht nur von schrecklichen Flashbacks und rasenden Migräneanfällen gepeinigt zu werden, sondern auch von der morbiden Aura der schlossähnlichen Einrichtung mit ihren steinernen Fluren und gruftigen Kellergewölben, die teilweise sehr gekonnte Spannungsbögen entstehen lässt. Und die wiederum wirken so, als würde Scorsese Spaß daran haben, ungehemmt auf der Klaviatur der Gothic Novel mit all ihren belebten, labyrinthischen Schauerstätten zu spielen. Hier grüßen nicht nur Mary Shelly, sondern auch Edgar Allen Poe, Howard Phillps Lovecraft und Romantiker wie E.T.Hoffmann, die die Beschaffenheit der Außenwelt  immer nur als Widerspiegelung der Gemütsverfassung aufscheinen ließen.
Ein Horror-B-Movie mit lustvoll-verspielten Anleihen an die Gruselromantik? Nicht ganz, denn innerhalb der Anstalt vegetieren die gefährlichsten Geisteskranken der Vereinigten Staaten nicht in freuchten Verließen vor sich hin. Das Ashville Hospital ist, so erläutert Leitende Arzt Dr. Cawley (Ben Kingsley) den Besuchern, ein Ort des Aufbruchs - keine Elektroschocks, keine Neurochirurgie, sondern Neurolepktika und sanfte Gesprächstherapie. „Geistige Gesundheit ist kein Akt des Willens – man entscheidet sich nicht einfach dafür“, konstatiert Cawley (Ben Kingsley) verständnisvoll und dennoch lässt sich sein schwer auf Daniels lastender Blick unschwer interpretieren.

Schwer verdaulicher Genre-Mix
„Shutter Island“ ist besonders in der ersten halben Stunde ein schwer verdauliches Stück Kino, denn Martin Scorsese lässt kein Stilmittel aus, um ein entnervendes Horrorszenario zu entfalten, bei dem, um es deutlich beim Namen zu nennen, einfach alles zu dick aufgetragen wird. Als ob die düstere Atmosphäre der Anstalt nicht schon allein für ein schleichendes Grauen sorgen würde, müssen auch noch Blitz und Donner und ein permanent hämmernder Soundtrack die Gespräche der Handelnden metaphorisch aufladen. Das könnte man noch als Grand Guignol durchgehen lassen, aber der Plot wird zudem noch durch Flashbacks und Gesichte Daniels unterbrochen, in denen er den Schrecken seiner eigenen Vergangenheit begegnet. Der ohnehin schon schwer überladene Genre-Mix wird durch diese deutlich zu langen, mal surreal, mal realistisch inszenierten Erinnerungen und Fantasien der Hauptfigur nicht klarer, sondern immer undurchsichtiger. So gehörte Daniels nicht nur zu den Soldaten, die Dachau befreiten und in ihrer Wut als Erstes die SS-Wachmannschaft massakrierten, gleichzeitig peinigen ihn auch Erinnerungen an der Verlust seiner Familie, die einem Brand zum Opfer fiel. Langsam verfällt der Us-Marshall einem Gemisch aus selbstquälerischem Grübeln, paranoid anmutendem Enthüllungszwang und traumatischen Halluzinationen, in den schmalen Spalt zwischen real Erlebtem und Imaginiertem tröpfelt intrusiv das Verdrängte.Auch formal wird die Erzählung so stark untergraben, bis man nicht mehr weiß, ob man verzerrten Wahrnehmungen oder der Handlung beiwohnt.

Trotzdem traut man mit großen Zweifeln der Story doch noch eine Richtung, ein Thema zu. Und das hat es durchaus in sich. Unter den behandelnden Ärzten entdeckt Daniels den düsteren Dr. Naehring (Max von Sydow), in dem er einen ehemaligen KZ-Arzt wiederzuerkennen glaubt. Daniels überrascht seinen ungläubigen Partner mit der Feststellung, dass er die Anstalt auf Shutter Island schon lange im Visier habe, da das Ashecliffe Hospital nicht nur Gelder vom Ausschuss gegen unamerikanische Umtriebe erhält, sondern weil es handfeste Indizien zu geben scheint, die darauf hinweisen, dass die verbrecherischen Ärzte der Klinik im Auftrag der Geheimdienste verbotene Experimente mit Menschen anstellen. Werden im hermetisch abgeriegelten Block C im Autrag der Regierung ferngesteuerte Kampfroboter programmiert und was geschieht im weit abgelegenen geheimnisvollen Leuchtturm? Und schlimmer noch: deuten nicht alle Anzeichen daraufhin, dass Daniels methodisch mit psychotropen Drogen vergiftet wird, ein Komplott, der verhindern soll, dass die dunklen Geheimnisse der Klinik von ihm aufgedeckt werden?

Manchurian Candidate meets Shock Corridor
Martin Scorseses neuer Film ist eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Denis Lehane (Mystic River, Gone Baby Gone). Der Kern des Plots ist abgekupfert: bereits in Samuel Fullers Noir-Klassiker „Shock Corridor“ (1963) gerät ein Journalist, der sich in eine Irrenanstalt einweisen lässt, um heimlich die Hintergründe eines Mordes zu recherchieren, in den Strudel des Wahnsinns. Am Ende überwältigt ihn eine Psychose. Gehirnwäsche, McCarthyianismus und hysterische Kommunistenangst spielten in „The Manchurian Candidate“ (1963) von John Frankenheimer eine zentrale Rolle, wobei eigentlich nie ganz klar wurde, ob der Film die Paranoia der 50er kritisch konterkarierte oder die gezeigte wahnhafte Angst unterfütterte. Erst das Remake von Jonathan Demme gab dem Thema 2004 eine zeitnahe, politisch durchaus relevante Bedeutung und wirkte dabei kaum weniger verstörend als das Original.
Manipulation, Missbrauch und Neurochirurgie in der barbarischen Psychiatrie der 30er Jahre wurde zuletzt historisch sehr exakt in Clint Eastwoods „The Changeling“ (2008) in einen Thriller-Plot eingebaut, der weniger auf ein atmosphärisches Gruselgewitter, sondern mehr auf handfesten Realismus setzte.  
Den sucht man in "Shutter Island" vergeblich. Ähnlich wie in „Shock Korridor“ packen auch Lehane und Scorsese viel Allegorisches und Metaphorisches in die Handlung, wechseln dabei aber ständig Richtung und Thema. Und während Daniels immer mehr Grund zu der Annahme hat, dass man ihn auf die Insel gelockt hat, um ihn auszuschalten, springt der Film zwischen surrealem Selbsterkundungstrip und Paranoia-Thriller hin und her, wobei Letzterer genug authentischen Stoff böte, um einen scharfen Blick auf die Zustände der US-Psychiatrie in den Nachkriegsjahrzehnten zu werfen (dazu mehr in meiner Besprechung von „The Changeling“).
Doch dies wollen Lehane/Scorsese überhaupt nicht erzählen, das Thema wird nicht einfach nur aus den Augen verloren, obwohl weitere Enthüllungen diese Deutung immer plausibler erscheinen lassen, nein, es wird vielmehr benutzt, aufgebaut und zerstört, um die Kinoerfahrungen des Zuschauers (wie man am Ende erfährt)zu dekonstruieren. Mit zunehmender Enttäuschung muss man erkennen, dass alles sogar handwerklich verhunzt wirkt. Seltsame Schnitte und formale Erzählfehler (in einer Szene sieht man, wie eine Patientin Daniels heimlich eine schriftliche Notiz zukommen lässt, während einige Einstellungen früher deutlich gezeigt wurde, dass das Gespräch von einer mit einer Spritze ‚bewaffneten’ Krankenschwester beaufsichtigt wird) trüben das Vergnügen erheblich. 
Aber erst mit dem völlig misslungenen Finale kommt dem schreibenden Scorsese-Fan endgültig die Galle hoch, denn mit einem Schlag wird alles Gesehene vom Tisch gewischt. Der finale Plot-Twist zeigt dem Zuschauer, dass er buchstäblich im falschen Film war, dass alles, was er gesehen hat, so nicht geschehen ist. Alles war nur Fake, und so viel sei hier verraten, nicht nur Daniels konnte niemandem trauen, sondern auch der Zuschauer den Bildern nicht. Und wie ein Donnergott zeigt uns Martin Scorsese, dass er in hybrider Omnipotenz eine dröhnende Kinomaschine bedient hat: Sehr her, ich habe die Macht, euch zu betrügen.

Sorry, aber das ist nicht Scorseses Welt. Mit blutigem Ernst und völlig ironiefrei befördert "Shutter Island" den Zuschauer auf einen Rummelplatz der Eitelkeiten, in dem Sujets souverän manipuliert werden, um am Ende einen Trompe-l’œil zu servieren. Unterstellt man besonders den Sujets der Noir-Filme ein gewisses kritisches Potential, was gesellschaftliche Zustände und Zeitgeist betrifft, so bedient sich Scorsese dieser eigentlich noch nicht ganz auserzählten Kinotraditionen, um sie am Ende zu verraten und das Publikum mit einem billigen Trick zu erschrecken. Noch einmal Sorry, aber das konnten die Altmeister des Thrillers doch deutlich besser. „Shutter Island“ deutet zwar gelegentlich sein Spannungspotential an, ist am Ende aber nur eine Augentäuschung und (mal abgesehen von den tadelsfreien schauspielerischen Leistungen) der erste Film Scorceses, der völlig in die Hose gegangen ist.

Noten: BigDoc = 4