Montag, 15. März 2010

SHUTTER ISLAND im Spiegel der Presse

Es ist immer wieder reizend, zu beobachten, wie sich die Kollegen aufreiben. Shutter Island hat immerhin dazu geführt, dass alle ihre Kanonen aufgestellt und sogar abgefeuert haben. Mal grobschlächtig und unhöflich, mal poetisch und versponnen. Na ja, viel besser oder schlechter bin ich in Sachen Höflichkeit auch nicht gewesen, die Posie habe ich mir allerdings verkniffen...

Gebhard Hölzl schreibt im BAYERISCHEN FERNSEHEN: „Scorsese (geht)…so weit, dass den Bildern auf der Leinwand nicht mehr zu trauen ist. Das Ergebnis ist ein wüst wuchernder Genremix, dem ein echtes Zentrum fehlt… Auf höchstem Niveau überzeugen Scorseses getreue Mitstreiter, die Cutterin Thelma Schoonmaker, Kameramann Robert Richardson und Produktionsdesigner Dante Ferretti - Optik und Handwerk stimmen. Und auch die Schauspieler gefallen durch die Bank. Dennoch bleibt echte Spannung aus, die atmosphärische Dichte fehlt. Vor allem, weil die Story hakt. So verkommt Shutter Island zum verquasten Psycho-Popcorn-Pulp.“

Sascha Keilholz schreibt auf CRITIC.DE: „Dem Zuschauer gibt die Romanverfilmung nicht nur auf der Plotebene arithmetische Rätsel auf. Je nach Gewichtung von Pluspunkten und Abzügen wird man Shutter Island endgültig bewerten. Ein wichtiger Film dieses Jahres und ein Prunkstück auf der Berlinale ist er bereits.“

Rüdiger Suchsland schreibt in TELEPOLIS: „Die wummernde Musik, die Farben wie auf einer Provinzopernbühne sollten einen also nicht verwundern: Das ist gewollt, das gehört zum Zitatenspiel. Man muss das nicht mögen. Um es zu identifizieren, muss man die Vorbilder freilich kennen. Damit ist dies nicht nur eine Analogie auf das McCarthy-Amerika der Hexenjagd, oder gar dessen subtile Verklärung in Nostalgie, sondern ein abgründiger Kommentar zu unserer Gegenwart. Auch in der stehen Vernunft und Wahn eng beieinander: Für unsere Kriege, unsere Terrorangst, unseren Sicherheits- und Gesundheitswahn findet Scorsese einen Spiegel in den fünfziger Jahren. Schwarze Aufklärung über die Nähe von Wahnsinn und Gesellschaft.“

Tobias Kniebe schreibt in der SÜDDEUTSCHEN: „Schließlich erkennt man, warum Scorsese, der sich treu in den Dienst dieser Geschichte des Romanautors Dennis Lehane stellt, hier als Regisseur eine solche Fehlbesetzung ist. Shutter Island gehört zu jenen Psychothrillern, die im narrativen Kern eine große Lüge sind. Manche Regisseure blühen geradezu auf, wenn sie mit dem Publikum Katz und Maus spielen dürfen - beispielsweise Brian de Palma, Scorseses alter Weggefährte. Scorsese kann das nicht. Er ist, in seinem ästhetischen Programm und all seinen Überzeugungen, eine viel zu ehrliche Haut… Das finale Rätsel von Shutter Island bleibt ungelöst: Wie ein so großer Regisseur in einen so großen Irrtum hineingeraten konnte.“

Christian Buß lobt in SPIEGEL-ONLINE: „Der Regisseur nimmt die ziemlich klobige Krimi-Vorlage des Mystic River-Autor Dennis Lehane und verwandelt sie in eine wahre Pulp-Symphonie, in der sämtliche kollektive Traumata der Nachkriegszeit verhandelt werden: Das Kino als Zugang zum Unterbewusstsein einer Nation…. Man warf Scorsese unter anderem fehlende Logik und Eklektizismus vor. Wie ungerecht. Der Film, an dem der Regisseur ganze vier Jahre gebastelt hat, hat eine geradezu unglaubliche kompositorische Strenge: "Shutter Island" ist kein altkluges Zitatkino, kein postmoderner Anything-Goes-Zeitvertreib und erst recht kein plietsches Pointenwerk à la Finchers "Fight Club"…. Der 140-Minuten-Reigen, vielleicht der beste Film, den Scorsese seit GoodFellas gedreht hat.“


Martin Thomson schreibt in SCHNITT: „Kafka grüßt aus der Leere der Erkenntnis, die bei Scorsese ein leerer Leuchtturm jenseits der Gefängnismauern repräsentiert, in dem Williams (hier hat der Kinofreund Thomson den Namen der Hauptfigur nicht recherchiert; gemeint ist Daniels) die bewusstseinsverändernden Lobotomien und Menschenversuche vermutet, wie es sie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts tatsächlich gab. Schon André Bazin bemerkte über den metaphysischen Trugschluss bei Kafka an: »Das Drama besteht in der Erkenntnis: Gott existiert nicht, das letzte Büro des Schlosses ist leer. Vielleicht ist das die eigentliche Tragödie der modernen Welt, der Übergang der Transzendenz einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die aus sich selbst ihre eigene Vergottung erzeugt…. Nach Die Zeit nach Mitternacht, Bringing Out The Dead und Kap der Angst ist Scorsese mit Shutter Island das heimliche Meisterwerk unter seinen Zwischenwerken gelungen. Ein Film vor allem (aber nicht ausschließlich) für Cineasten und eine Wohltat angesichts der vielen Plot-Twists aus Werken der jüngeren Filmgeschichte.“


Gerrit Booms schreibt im SCHNITT über Lehane und Scorsese: „Was die beiden … geritten haben könnte, nach hochwertigen und vielseitigen Filmen wie Gangs of New York, Aviator und Departed nun Shutter Island zu drehen, wird im Zweifelsfall ihr Geheimnis bleiben. »Es ist ein Film, wie ich ihn selbst gerne schaue«, sagt Scorsese, »mit unheimlicher und bedrohlicher Bedeutung«. Und DiCaprio meint, Shutter Island arbeite »simultan auf verschiedenen Ebenen«. Doch gerade an diesen Punkten hakt die Produktion. Denn Scorsese scheint über all den Zitaten, Referenzen und Ausstattungsideen vergessen zu haben, dass sich Bedrohung eigentlich nur durch innere Logik breit machen kann. Erst, wenn etwas tatsächlich und verständlich nahe kommt, erzeugt es auch Spannung…. Mehr als zwei Stunden nur mit … Anspielungen zu füllen, ergibt aber schlichtweg keinen Sinn.“