Samstag, 19. November 2016

Show Me a Hero

In Yonkers nahe New York sollen 1987 insgesamt 200 Sozialwohnungen für zumeist farbige Bewohner aus dem berüchtigten Southwest gebaut werden. Ausgerechnet im Northeast, einem Stadtteil, in dem die Bewohner der weißen Mittelschicht angehören. Die Wutbürger gehen auf die Straße, es gibt Ausschreitungen. Die Politaffäre kostet den jungen Lokalpolitiker Nick Wasicsko nicht nur die Karriere als „jüngster Bürgermeister der USA“.

Er steht vor dem Spiegel und übt, was er sagen will: für die Medien, für den Stadtrat. Mal sachlich, mal teilnahmslos, dann enthusiastisch. Nick Wasicsko (Oscar Isaac) will als neuer Bürgermeister auch ein guter Politprofi sein. Dabei ist der junge Mann mit dem kurzen Schnauzbart eigentlich der nice guy von nebenan, der mit gerne mit seiner Freundin Nay (Carla Quevedo) knuddelt und sich ein altes Haus auf dem Berg wünscht. Von hier aus könne sie, sagt er, abends das Licht in seinem Büro sehen. Einige Wochen später wird er Todesdrohungen von besorgten Bürgern erhalten. Die schillernde Seifenblase ist geplatzt.

Montag, 14. November 2016

Dr. Strange

Wow, sagt man sich im Kino, das ist doch Magie, wenn die Häuser einer ganzen Straße um 90 Grad umgeklappt werden und die Superhelden plötzlich, statt zu klettern, auf den Hauswänden laufen, während sich die Fenster in irrwitzigem Tempo um die eigene Achse drehen. Und auch Benedict Cumberbatch hat bei seinem ersten Auftritt als Dr. Strange einige magische Momente. Leider fällt das Storytelling bei so viel Bombast dann doch etwas mager aus. „Dr. Strange“ ist kein schlechter Film geworden, aber eher Disney als Marvel.

Scott Derrickson ist bislang mit Horromätzchen wie „Deliver Us from Evil“ (Erlöse uns von dem Bösen, 2014), „Sinister“ (2012) oder misslungenen Remakes (
The Day the Earth stood still“, 2009) aufgefallen – Genreprodukten, deren Markenkern eine penetrante Unoriginalität war. Derrickson Qualitäten bestanden bislang darin, Bekanntes unerbittlich zu wiederholen und sich streng an den Kanon etablierter Genreregeln zu halten. Dass ausgerechnet einem Handwerker des Uninspirierten der 14. Film des Marvel Cinematic Universe (MCU) anvertraut wurde, verblüfft doch einigermaßen.

Dienstag, 8. November 2016

Eye in the Sky

„Eye in the Sky“ gehört zu den Filmen, die bemerkenswert sind und trotzdem nicht in den Kinos landen. In Deutschland kann der britische Militär-Thriller ab Oktober auf DVD und Bluray gesehen werden – eine Direct-to-DVD-Produktion, die facettenreicher ist als die heftig diskutierte TV-Adaption von Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“. Gavin Hood verhandelt in seinem Film kein abstraktes  moralisches Dilemma, sondern handfeste Fakten: weltweit kommen beim militärischen Einsatz von Drohnen Tausende unbeteiligter Zivilisten um.

In „Terror“ ging es um die moralische No-Win-Situation eines Bundeswehr-Piloten, der ein von Terroristen entführtes Flugzeug voller Zivilisten abschoss, bevor es in ein mit 70.000 Zuschauern gefülltes Stadion gelenkt werden konnte. Was immer der Pilot tut: es sterben Menschen. Und er muss seine Entscheidung allein treffen.

In „Eye in the Sky“ jagt Colonel Katherine Powell (Hellen Mirren) eine Gruppe somalischer Al-Shabaab-Terroristen, die sich in einem Safe House in Nairobi getroffen hat. Als klar wird, dass die Gruppe unmittelbar vor der Ausführung eines Sprengstoff-Attentats steht, drängt Powell darauf, die Attentäter mit einer Reaper-Drohne auszuschalten. Auch in Hoods Film wissen alle, dass dabei unschuldige Menschen sterben werden. Doch anders als in „Terror“ wird dies von Software-Experten in Prozenten berechnet. Kollateralschaden von 65%: nicht gut. 45%: vertretbar. Am Ende entscheidet in Gavin Hoods Film der, der für die richtigen Zahlen sorgt.

Mittwoch, 2. November 2016

Experimenter – Die Stanley Milgram Story

Irgendwann hören die Schreie auf. Der „Lehrer“ blickt den Versuchsleiter an und bittet verzweifelt, man möge den Versuch abbrechen oder wenigstens nach dem gepeinigten „Schüler“ schauen. Der Versuchsleiter bleibt ruhig: “Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen!“ Und die meisten machen weiter. Sie „bestrafen“ den Schüler weiterhin mit Stromstößen, auch wenn die Intensität bereits im bedrohlichen Bereich angekommen ist. Sie gehorchen. Befehl ist Befehl.

Das 1961 durchgeführte „Milgram-Experiment“ gehört zu den verstörendsten Experimenten der Sozialpsychologie. Michael Almereyda zeichnet den Laborversuch in seinem kaum weniger verstörenden und betont unkonventionellen Film nach. Geändert hat sich in den letzten Jahrzehnten nur wenig. Die Ergebnisse ließen auch unter veränderten Versuchsbedingungen immer den gleichen Schluss zu: Menschen sind bereit, einem unmoralischen Befehl zu gehorchen, wenn sie ihn von einer Autorität erhalten – erst recht, wenn Befehlshaber die volle Verantwortung für die möglichen Folgen übernehmen. 
Das Erschreckende: es waren keine Sadisten und Psychopathen, die lustvoll quälten, auch keine devoten Untertanen, sondern völlig normale Bürger aus allen sozialen Schichten, die sich gehorsam unterwarfen und bereit waren, andere Menschen zu bestrafen und notfalls zu töten, falls die Autorität dies verlangte. Nicht etwa wie willfährige Automaten, nein, viele der „Lehrer“ weinten, bettelten und schrien. Und sie flehten den Versuchsleiter an, das grausame Geschehen zu beenden – aber sie machten trotzdem weiter. Die meisten jedenfalls.