Dienstag, 8. November 2016

Eye in the Sky

„Eye in the Sky“ gehört zu den Filmen, die bemerkenswert sind und trotzdem nicht in den Kinos landen. In Deutschland kann der britische Militär-Thriller ab Oktober auf DVD und Bluray gesehen werden – eine Direct-to-DVD-Produktion, die facettenreicher ist als die heftig diskutierte TV-Adaption von Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“. Gavin Hood verhandelt in seinem Film kein abstraktes  moralisches Dilemma, sondern handfeste Fakten: weltweit kommen beim militärischen Einsatz von Drohnen Tausende unbeteiligter Zivilisten um.

In „Terror“ ging es um die moralische No-Win-Situation eines Bundeswehr-Piloten, der ein von Terroristen entführtes Flugzeug voller Zivilisten abschoss, bevor es in ein mit 70.000 Zuschauern gefülltes Stadion gelenkt werden konnte. Was immer der Pilot tut: es sterben Menschen. Und er muss seine Entscheidung allein treffen.

In „Eye in the Sky“ jagt Colonel Katherine Powell (Hellen Mirren) eine Gruppe somalischer Al-Shabaab-Terroristen, die sich in einem Safe House in Nairobi getroffen hat. Als klar wird, dass die Gruppe unmittelbar vor der Ausführung eines Sprengstoff-Attentats steht, drängt Powell darauf, die Attentäter mit einer Reaper-Drohne auszuschalten. Auch in Hoods Film wissen alle, dass dabei unschuldige Menschen sterben werden. Doch anders als in „Terror“ wird dies von Software-Experten in Prozenten berechnet. Kollateralschaden von 65%: nicht gut. 45%: vertretbar. Am Ende entscheidet in Gavin Hoods Film der, der für die richtigen Zahlen sorgt.


„Eye in the Sky“ verhandelt dies, ohne die Akteure einseitig zu bewerten. Die militärische Lage ist genauso komplex wie die Bewertung der rechtlichen und der politischen Konsequenzen. Gavin Hood dreht zwar mit maximaler Wirkung an der Spannungsschraube, unterwirft sein fiktives Personal aber nicht einer Schwarz-Weiß-Dramaturgie, in der die Bösewichter gleich zu Beginn feststehen. Und er erzählt davon, dass unerwartete Zufälle alle Pläne über den Haufen werfen können. Denn vier Faktoren werden entscheidend sein: die politische Legitimierung der Aktion und die Kill Quote bei den Zivilisten, die moralische Krise des Reaper-Piloten - und ein kleines Mädchen, das Brot verkauft. Es ist dieses kleine Mädchen, das dem Zuschauer bereits am Anfang des Films verrät, auf welcher Seite die Macher von „Eye in the Sky“ stehen.


Tödliche Entscheidungen am Monitor

Gavin Hoods Film spielt überwiegend in geschlossenen Räumen. Trotzdem sieht man auf zahllosen Monitoren buchstäblich alles, was man sehen will. In der global vernetzten Welt von „Eye in the Sky“ werden sekundenschnell die Informationen ausgetauscht. Es sind nicht nur die Bilder des Reapers, der permanent das Zielobjekt im Fadenkreuz seiner messerscharfen HD-Aufnahmen erfasst, sondern es sind auch die Bilder eines Ornithopters, der in das Safe House eindringt und alles zeigt, was im Inneren vorgeht. Gesteuert wird die Mini-Drone, die wie ein kleines Insekt aussieht, von dem einheimischen Field Agent Jama Farah (Barkhad Abdi). Er ist der Einzige, der physisch vor Ort ist.
Die militärischen und politischen Entscheidungsträger operieren in Räumen, die ebenso vollgestopft sind mit Monitoren und Rechnern. Sie verlassen sich auf Spezialisten, die rasend schnell mit Gesichterkennungssoftware die potentiellen Opfer identifizieren, auf Piloten, die tausende Kilometer entfernt mit einem Joystick in der Hand auf den letalen Befehl warten und die Lage einschätzen sollen. Und tatsächlich sind es dann jene am Ende der Befehlskette, die sich Gedanken über die Moral machen. Alle anderen verfolgen ihre eigenen Interessen.

„Eye in the Sky“ spielt deshalb auch in den geschlossenen Räumen, in denen die Befehle gegeben werden. Colonel Powell, Mitglied des britischen Militär-Geheimdienstes, operiert in einer Kommandozentrale der Northwood Headquarters nahe London. Hellen Mirren spielt ihre Figur als Frau, die morgens viel zu früh neben einem schnarchenden Etwas aufwacht, im Morgenmantel in einen Schuppen geht und sich an einem Pinboard eng vernetzte Fandungsraster anschaut. Sie ist eine Jägerin, die ihre Arbeit mit nach Hause nimmt. Die Aussicht, mit einem Schlag drei der Top Five auszuschalten, die auf der Kill List für Nordafrika stehen, ist verführerisch. Auch oder gerade weil sich unter den Top-Terroristen eine seit Jahren gesuchte Britin befindet. Powell wird die einzige Figur in Gavin Goods Film bleiben, die weder moralische Hemmungen kennt noch Angst um ihren Job hat. Eine beinharte Technokratin des weltweiten Anti-Terrorkampfes.

Nur wenige Kilometer entfernt sitzen in der COBRA-Zentrale die Männer und Frauen, auf deren Entscheidung Katherine Powell warten muss. Der britische Cabinet Office Briefing Room ist ein Komitee, in dem Politiker und Militärs darüber entscheiden, wie in einer Krise zu verfahren ist.
Geleitet von Lieutenant General Frank Benson (Alan Rickman) geht es in „Eye in the Sky“ aber nicht nur um die rechtlichen Konsequenzen der Aktion. Mit am Tisch sitzen der Generalstaatsanwalt (Richard McCabe), Verteidigungsminister Brian Woodale (Jeremy Northam) und Angela Northman (Monica Dolan), Staatsekretärin und Beraterin des Premierministers, die entschlossen die Gutmenschen-Position einnimmt. 
Schon bald wird klar, dass es allen auch um Karrieren und PR geht. Wie verkauft man den Medien und der Öffentlichkeit einen Einsatz, bei dem unter Umständen einige Dutzend Zivilisten ihr Leben lassen werden? Wie sichert man sich ab, wenn das targeted killing zum Desaster wird?

Auf der anderen Seite des Planeten sitzen schließlich jene, die auf den Abzug drücken: die USAF-Piloten der Creech Air Force Base in Nevada. Lieutenant Steve Watts (Aaron Paul) gehört zu diesen Combat Commuters (Gefechtspendler), die in zermürbenden Acht-Stunden-Schichten ihren Predator (Raubtier) oder Reaper (Sensenmann) zum Ziel steuern, Aufklärung betreiben, die Hellfire-Rakenten abfeuern und anschließend mit hochauflösenden Kameras in den Leichenteilen nach den Targets suchen, die sie nur im Zusammenarbeit mit einem in Pearl Harbor stationierten Expertenteams für Geschichtserkennung eindeutig identifizieren können. Danach haben sie 12 Stunden Pause, bevor die nächste Schicht beginnt.


Niemand will es gewesen sein

Gavin Hood inszeniert dieses zunächst rein technische Szenario als irrwitzige Kommunikation auf Speed. Aber es ist nicht die temporeiche Montage, die zwischen den Schauplätzen rasant hin- und herspringt und dem Film einen außerordentlichen Thrill gibt. Es ist vielmehr die ungeheuere Komplexität der Entscheidungsfindung, die durch die ungeheuere Komplexität der daran beteiligten Technologien nicht gerade leichter wird. In der COBRA-Zentrale verliert ein völlig genervter Frank Benson beinahe die Nerven, als die Terroristen aus dem Safe House weiterziehen. In ein Viertel, in dem die kenianische Spezialeinheit nicht eingesetzt werden kann. Die vor einem großen Monitor versammelte Runde ist sich zunächst einig, dass ein präventiver Hellfire-Einsatz nicht in Frage kommt.
Zu einer dramatischen Wendung kommt es, als Jama Farah mithilfe seines Ornithopters die Einrüstung eines Selbstmord-Kommandos vorführt. Targeted Killing ist nun eine Option.
Während Angela Northman, die Beraterin der britischen Premiers, eine tödliche Mission kategorisch ablehnt, beginnen die anderen die politische Befehlskette abzuarbeiten, um die Verantwortung nach oben weiterzureichen. Der britische Außenminister (Iain Glen) muss auf dem Klo ein Gespräch annehmen und verweist auf seinen amerikanischen Kollegen. Der gibt begeistert dem Abschuss seinen Segen. In London ist das COBRA-Team erleichtert – alle sind rechtlich abgesichert. Nur im fernen Nevada weigert sich völlig überraschend der USAF-Pilot Steve Watts, den Abzug zu drücken: vor dem Zielgebäude breitet plötzlich ein kleines Mädchen auf einem Verkaufsstand ein Dutzend Brote aus.

Nun ist „Eye in the Sky“ beim klassischen Dilemma angekommen: Rechtfertigt die Verhinderung einer brutalen Terroraktion den Tod unbeteiligter Zivilisten? 

Gavin Hood gibt den Figuren in diesem tödlichen Drama zwar den Raum, um ihre Position zu vertreten. Über den Dingen steht der Regisseur nicht, auch nicht der Scriptwriter Guy Hibbert. Beide haben bereits ganz am Anfang des Film dezidiert Partei ergriffen, als sie das kleine Mädchen Alia Mo'Allim (Aisha Takow) als Opfer der Al-Shabaab-Milizen zeigen. Sie lernt heimlich, beschützt von ihrem Vater, Mathematik. Sie liest Bücher. Alles ein No-Go im Reich der Fundamentalisten. Genauso wie das Spielen mit einem bunten Reifen.
Man ahnt es: hier ist der potentielle Kollateralschaden zu sehen. Und wenn Alia später vor dem Zielobjekt ihre Brote ausbreitet, ist ihr roter Tschador kein Zufall – „Schindlers List“ lässt grüßen. „Eye in the Sky“ lässt auch optisch keine anonymisierten Opfer zu.

Die Ereignisse überschlagen sich und Gavin dreht erbarmungslos an der Suspense-Schraube. Im fernen England und in den USA wird hektisch das Schicksal eines Mädchens verhandelt. Alia wird arglos zum Spielball der Politik und einer Berechnung der maximalen Kill Zone rund um das Haus, während im Inneren die Terroristen ihren Selbstmord-Kandidaten die Sprengstoffgürtel anlegen. Und dann fällt auch noch die Batterie des Ornithopters aus.
Rund um den Globus beginnt sich die Arithmetik des Anti-Terror-Kampfes in Bewegung zu setzen. Die Einschlagstelle der Hellfire und die zusätzliche Wirkung der Sprengstoffgürtel werden berechnet, ebenso die Opfer des geplanten Terroranschlags, von dem keiner weiß, wann und wo er stattfindet. Und je präziser die Zahlen in den Augen der Entscheider werden, desto biegsamer wird ihre Moral. Während die Amerikaner nicht die geringsten Bedenken haben, ringt man in London um die Prozente, so als könne man damit die Kontrolle über eine Situation erlangen, die sich per se der Kontrolle entzieht. Und ausgerechnet die zuvor moralisierende Angela Northman gibt zu bedenken, dass es propagandistisch sinnvoller sein könne, einen Terroranschlag mit 80 Toten zuzulassen und medienwirksam zu verwerten, anstatt den Tod eines Mädchens vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Eine Schlüsselszene und das moralische Waterloo.

Die Helden ohne echte Chancen sind in dieser effektvollen Spannungsspirale nicht nur der von Aaron Paul exzellent gespielte USAF-Pilot Steve Watts, der alle Möglichkeiten ausschöpft, um dem Kind eine Chance zu geben. Auch der Field Agent Jama Farah, der verzweifelt versucht, die Brote aufzukaufen, riskiert dabei sein Leben. Doch die Hellfire wird abgefeuert. Und das gerade in dem Moment, als Alia den Vorplatz verlässt. Erbarmungslos laufen die 50 Sekunden zwischen Abschuss und und Einschlag ab und mit jedem zurückgelegten Meter gewinnt Alia weitere Prozentzahlen für ihr Überleben.„Mission completed“, teilt Hellen Mirren als Colonel Powell anschließend ihrem Vorgesetzten im COBRA-Meeting mit. Zuvor hat sie kräftig an den Zahlen gedreht.

Gavin Hoods Films arbeitet aus dramaturgischen Gründen bis zum bitteren Ende mit extremen Suspense-Effekten und – was künstlerisch völlig legitim ist – diskutiert ein Thema am Beispiel einer extrem pointierten Situation. Dies wirft Fragen auf, die nicht immer beantwortet werden. Terroristen bewegen sich gezielt mit menschenverachtendem Kalkül inmitten der Zivilbevölkerung, die sie als Schutz missbrauchen. Dies sieht man in Gavin Hoods Films, gesprochen wird darüber nicht. Folgt man der zynischen Logik des Terrors, dann gehört die moralische Kontaminierung des Gegners zum großen Plan. Auch deshalb gibt es in „Eye in the Sky“ kein glückliches Ende. Es wäre auch verlogen gewesen. 


Darf man das? Die rechtlichen Grundlagen

“Sollen wir wirklich glauben, dass in der Realität ein solches Trara veranstaltet werden würde, nur weil ein einziges kleines Mädchen einer solchen Operation im Weg steht?“ (Amazon-Forum).

Ja, das ist so. Mitte Oktober veröffentlichte der SPIEGEL die Informationen eines Whistleblowers, der Dokumente auf dem Internetportal „The Intercept“ veröffentlicht hatte: Drohnenangriffe erfolgen erst nach einer außergewöhnlichen langen Entscheidungsphase, im Durchschnitt kann das Procedere in den USA 60 Tage dauern. Zuvor durchläuft der Vorschlag eine lange Befehls- und Entscheidungskette, die häufig beim US-Präsidenten endet: die sogenannte „Kill Chain“. Danach hat das Militär im Durchschnitt 58 Tage Zeit, um den Angriff durchzuführen.

Szenarien wie in „Eye in the Sky“ sind dieser Quelle zufolge nicht praxisnah – eine gezielte Vollzeitüberwachung aus der Luft ist selten möglich. Stattdessen verlassen sich die Einsatzkräfte auf geortete Handys und Computer, die Hinweise darüber geben, ob sich die Zielperson am Zielort befindet.

Zu kompliziert? Nein, die Realität ist sogar noch komplexer. Zu den Fakten gehört, dass seit 2004 allein Pakistan über 2500 Personen bei gezielten Drohnenangriffen getötet worden sind. Unbestätigten Berichten zufolge liegt die Kill Quote der zivilen Opfer mindestens bei 20%. Und in Afghanistan hat die deutsche Bundeswehr ebenfalls den einen oder anderen Drohnenangriff bei seinen alliierten Partnern bestellt. Dass man in solchen Situationen die Lage vor Ort nicht immer gründlich einschätzen kann, hat Deutschland auf spektakuläre Weise 2009 beim Luftangriff bei Kundus erfahren müssen.

Die Diskussion um die rechtliche Legitimität von Drohneneinsätzen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Zentrum steht die Frage, ob diese Aufklärungs- und Waffentechnik gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt.
Grundsätzlich gilt in der Praxis das humanitäre Völkerrecht, das in der Regel bei bewaffneten Konflikten zwischen Staaten gilt und etwas vage die Rechte potentieller Zivilopfer regelt. Mittlerweile muss aber auch geprüft werden, welche Konsequenzen das humanitäre Völkerrecht hat, wenn Drohnen in Ländern eingesetzt werden, die nicht an einem bewaffneten Konflikt beteiligt sind. 
Dies geschieht regelmäßig bei der Terrorismusbekämpfung in Pakistan, Afghanistan, Somalia und im Jemen.
Bereits 2010 haben die Vereinten Nationen erkennen lassen, dass sie Tötungen durch Drohnen, insbesondere „signature strikes“, die nach der Auswertung von Bewegungsprofilen und Handyaktivitäten durchgeführt werden, als Verletzung der menschenrechtlichen Standards betrachten. Unterstützt wird diese Position auch durch den Umstand, dass weder die USA noch die Briten Zahlen über getötete Zivilpersonen veröffentlichen. Gegenwärtig ist nicht zu erwarten, dass die UN derartige Aktivitäten reglementieren wird – aus ganz praktischen Gründen: die Staaten, die erfolgreich Drohnen einsetzen, würden den Vertrag niemals ratifizieren.

Natürlich ist ein Drohnenangriff in einem neutralen Land eine Verletzung der Souveränität. Allerdings werden häufig genug die Einsätze von US-Drohnen toleriert, besonders im Kampf gegen global agierende Terrororganisationen. Schließt dies automatisch die Duldung von zivilen Opfern ein? Vermutlich ja. Die Alternative wäre völlige Naivität.

Die Schlussfolgerung ist leicht zu ziehen. Das humanitäre Völkerrecht schließt in Kriegssituationen aus, dass zivile Opfer nicht in einem krassen Missverhältnis zu den erwarteten militärischen Vorteilen stehen dürfen – der sogenannte Unterscheidungsgrundsatz.
Allein der Begriff ‚Missverhältnis’ schließt - folgerichtig betrachtet - zivile Opfer nicht kategorisch aus. Doch wo beginnt dann die Verhältnismäßigkeit?

Die Befürworter der Drohneneinsätze weisen völker- und menschenrechtliche Einwände zurück. Die Begründung ist einfach: die Drohnenpiloten könnten sogar die Rechte der Zivilbevölkerung besser schützen, weil sie die Lage vor Ort einschätzen können. Dies räumt jenen, die den Abzug drücken, einen Ermessenspielraum ein.
In „Eye in the Sky“ wird dies angedeutet, allerdings sind die Möglichkeiten des von Aaron Paul gespielten Piloten zumindest im Film arg begrenzt: er verlangt eine neuerliche Berechnung des Kollateralschadens, wird aber im Endeffekt durch falsche Zahlen getäuscht (Hellen Mirren aka Colonel Powell setzt zu diesem Zweck einen Untergebenen massiv unter Druck). Am Ende setzt sich die militärische Hierarchie durch.

Auch der Schutz der Menschenrechte konfrontiert den Zuschauer, der „Eye in the Sky“ aus naheliegenden Gründen zunächst emotional bewertet, mit ungeahnten Problemen. 2001 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit dem hart umstrittenen Bancovic-Urteil, dass die Bombardierung einer serbischen Rundfunkstation kein Verstoß gegen die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gewesen ist. Während der Bombardierung kamen 16 Personen zu Tode. 

Unabhängig von den fragwürdigen militärischen Zielen kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Klage nicht zulässig sei, da die beklagten Staaten (u.a. Belgien und einige weitere NATO-Staaten) nicht zur Verantwortung gezogen werden können: die Klageführer, also die Verwandten der Opfer, und die bei der Bombardierung Getöteten unterlagen nicht der Hoheitsgewalt der beklagten Staaten. 

Dies lässt sich mühelos auch auf Drohnenangriffe ausdehnen. Einfach formuliert: Die Verpflichtung zur Rechtspflege wird territorial bestimmt, sie lag laut EGMR im beschriebenen Fall also nicht bei den Angreifern, die die Bomben abwarfen. Obwohl nicht die militärische Aktion vom Gericht bewertet wurde, sondern die Zulässigkeit des Verfahrens, kann man das Ganze noch deutlicher auf den Punkt bringen: Man darf zwar Bomben abwerfen und Drohnen einsetzen, ist aber nicht zur Ausübung der Hoheitsgewalt auf dem Gebiet eines anderen Staates befugt – dazu würde der Schutz der Menschenrechte gehören.

Auch wenn dies haarsträubend erscheint, so ist das EGMR keine Ansammlung korrupter Richter, die sich der NATO unterwerfen. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Verfahrens ist ein fundamentaler Rechtsgrundsatz. Man darf aber auch nicht immer erwarten, dass Rechtsprechung kompatibel zum Common Sense ist. Und es dürfte klar sein, dass in Zukunft militärisch operierende Staaten ein hohes Interesses an rechtsfreien Räumen haben werden. Im Anti-Terror-Kampf haben zum Beispiel die USA dem Gegner den Kombattanten-Status entzogen, müssen sich also nicht an geltendes Kriegsrecht halten. Die Gegenseite tut dies noch weniger.
Diese Dilemmata führen zu bizarren Konsequenzen: In den USA befehden sich das Militär und die CIA auf Heftigste, wenn es um den Einsatz von Drohnen geht. Natürlich geht es auch hier um die Frage, wer die Macht erhalten soll, die jeweilige Aktionen zu legitimieren. Und dort mischen auch zivile Anbieter mit, die Kriegsdienste als Dienstleistungen verkaufen. So verwundert es nicht, dass die globale Rüstungsindustrie bereits an KI-Drohnen bastelt, die Informationen auswerten und ihre Ziele selbst auswählen können.

Gavin Hood kämpft mit seinem Film also an einer Front, die der Künstler nicht vollständig abbilden kann. Dem dramaturgisch packend inszenierten Diskurs über Ethik und Moral im Drohnenkrieg kann man aber bescheinigen, dass er es ambitioniert angegangen ist. Und am Ende überlässt er dem leider nach den Dreharbeiten verstorbenen Alan Rickman aka Frank Benson die finalen Worte: er habe ganz real gesehen - und nicht vor dem Monitor bei Kaffee und Keksen – was Terroristen anrichten können. Man solle keinem Soldaten erzählen, dass er das Leid des Krieges nicht kennt. Einfacher macht es dieses Statement dem Zuschauer nicht.


Noten: BigDoc = 1,5, Klawer = 2, Melonie = 3

Literatur

  • Dr. Robert Frau (2013): Der Einsatz von Drohnen – Eine völkerrechtliche Betrachtung
  • A. Fischer-Lescano, L. Kreck (2009): Piraterie und Menschenrechte (2009). zentrum europäische rechtspolitik (zerp), Universität Bremen
  • Volker Eick (2011): Drohnen – Unbemannt und unerkannt. Hintergrund. Das Nachrichtenmagazin, Ausgaben 4 (3), 2011
  • B. Schäfer: Der Fall Bankovic oder Wie eine Lücke geschaffen wird (2002). In: MenschenRechtsMagazin Heft 3/2002

Eye in the Sky – GB 2015 – Regie: Gavin Hood – Produzenten: Ged Doherty, Colin Firth, David Lancaster – Laufzeit: 102 Minuten – FSK: ab 16 Jahren – D.: Helen Mirren, Aaron Paul, Alan Rickman, Barkhad Abdi, Jeremy Northam, Iain Glen