Samstag, 30. März 2024

„Three-Body” – die chinesische Serie über die Trisolaris-Trilogie

Dass die Trisolaris-Trilogie von Liu Cixin irgendwann verfilmt werden würde, war klar. Brandaktuell ist die Netflix-Adaption „3 Body Problem“, die den ersten Roman "Die drei Sonnen" seit dem 21.3. im Schnelldurchlauf präsentiert. Was wohl nicht jeder weiß: die Chinesen waren mit einer eigenen Serie deutlich schneller!

Bereits Anfang 2023 ging in China „Three Body“ an den Start, eine Serie, die von Tencent Video und dem nationalen Television Channel CCTV produziert wurde. Netflix ist momentan zwar in aller Munde, wurde aber nur Zweiter. Die folgende Rezension beschäftigt sich ausschließlich mit der chinesischen Serie, die es in Deutschland bei Rakuten Viki zu sehen gibt. Urteil: Absolut empfehlenswert. Die chinesische Serie ist richtig gut!

Bitte kommt und bringt uns um!

Liu Cixins Trisolaris-Trilogie gehört zu den wirkmächtigsten Science-Fiction-Romanen der letzten Dekaden. Immerhin war Barack Obama begeistert. Die Geschichte einer Alien-Rasse, die ausgerechnet von zivilisationsmüden Menschen eingeladen wird, um die Menschheit auszulöschen, ist tatsächlich originell, aber nur eingeschränkt logisch. Trotzdem wird der 1963 geborene Autor nach der Trisolaris-Trilogie (2007-2010) zu den Größen des Genres gezählt – wie etwa Isaac Asimov oder Arthur C. Clarke. Ideen hat Liu Cixin, Erfolg auch, über die Erzähltechnik darf allerdings gestritten werden. Der Rezensent war von „Die drei Sonnen“, dem ersten Teil der Trilogie begeistert, von den Fortsetzungen kaum noch: zu viel Fiction, zu wenig Science.

Die Geschichte: 1966 erlebt die junge Astrophysikerin Ye Wenjie, wie ihr Vater während der Kulturrevolution von den Roten Garden umgebracht wird. Der Physiker hatte sich mit dem Urknall und Einsteins Relativitätstheorie beschäftigt – eine bourgeoise Sünde. Nur mit viel Glück überlebt Ye Wenjie die vom „Großen Führer“ ausgelöste Welle der Gewalt. Die als Konterrevolutionärin nunmehr geächtete Ye Wenjie (Stichwort: Sippenhaft) landet aber nicht in einem Straflager, sondern in der geheimen Militärbasis „Rotes Ufer“. Dort werden mit einem Radioteleskop feindliche Satelliten beobachtet und später zerstört. Tatsächlich ist das Rote Ufer aber ein extrem geheimes SETI-Projekt, mit dem die Chinesen ferne Alien-Zivilisationen finden wollen.

Aber dies erfährt Ye Wenjie erst, als sie sich das Vertrauen der Partei erarbeitet hat. Dann entdeckt sie ein Signal und schickt eine nicht autorisierte Botschaft ins Alpha Centauri-System, die acht Jahre später von einem offenbar pazifistischen Alien beantwortet wird - und eine Warnung enthält: sofortiger Abbruch der Kommunikation. Anderenfalls würde die Erde okkupiert und die Menschheit ausgelöscht werden. Die immer noch schwer traumatisierte Ye Wenjie antwortet dennoch, weil sie hofft, dass die Aliens das Scheitern der menschlichen Zivilisation verhindern können. Ein tödlicher Irrtum.

„Three Body“ verzichtet nicht auf diesen Prolog, baut ihn aber deutlich später mit Flashbacks in die Handlung ein. Denn die Astrophysikerin wird auch in den Jahrzehnten nach dem First Contact eine wichtige Rolle spielen, nur verrät die Serie in der ersten Staffelhälfte nicht viel davon. Überwiegend halten sich Showrunner und Autor Tian Liangliang und die Regisseure Yang Lei und Vincent Yang sehr eng an den Roman „Die drei Sonnen“, den ersten Teil der Trilogie. Anders als in der Netflix-Serie erfindet Tian Liangliang auch keine neuen Figuren oder cancelt bekannte. „Three Body“ ist old school und nimmt Werktreue sehr ernst.

Allerdings werden die Ereignisse anders arrangiert. In Liu Cixins Roman „Die drei Sonnen“ gibt es zwei wichtige Erzählstränge, in der Serie nur einen. Positiv: Die Timeline ist anders als im etwas sprunghaften Roman deutlich chronologischer, die Flashbacks fügen den zweiten Erzählstrang um Ye Wenjie wesentlich später, dafür aber sehr logisch in die Handlung ein. So werden die Geheimnisse der Militärbasis „Rotes Ufer“ erst in der zweiten Hälfte der Staffel enthüllt. Und wer
Ye Wenjie tatsächlich ist, erfährt man nicht vor Episode 24. Diese Erzählweise ist für alle, die das Buch nicht kennen, deutlich spannender.
Schlüsselrollen übernehmen inzwischen andere. Bei den Hauptrollen setzt
„Three Body“ auf eine klassische Buddy-Story. Ein bewährtes Stilmittel, das in der Serie gut funktioniert: Der ruppige Cop Shi Qiang soll zusammen mit dem introvertierten Nano-Wissenschaftler Wang Miao eine Reihe von Selbstmorden in der akademischen Community aufklären. Weltweit bringen sich nämlich viele Top-Wissenschaftler um. Ihre letzten Worte sind beunruhigend: Die Physik existiert nicht.

Kleinteilige Ermittlungsarbeit und ein Computerspiel, das höllisch real ist

„Three Body“ funktioniert zunächst wie ein chronologischer Krimiplot. Aber Shi und Wang sind nicht Sherlock Holmes und Watson. Ihre Zusammenarbeit basiert keineswegs auf beiderseitigem Vertrauen. Der ungebildete und ruppige Cop und der sensible Wissenschaftler mögen sich daher nicht sonderlich. Und doch werden sie am Ende ziemlich erwartbar ‚Best Friends‘. Das wird mit viel Dialogwitz erzählt, zumal sich Shi Qiang dümmer stellt als er ist, aber gerade dadurch fast immer das erreicht, was er will.

Als sich immer mehr Wissenschaftler umbringen, wird klar, das ein weltweiter Braindrain droht, der die irdische Wissenschaft und Forschung zerstören könnte. Fast täglich tagt daher ein globales Gefechtskommandozentrum, in dem die Vertreter aller Nationen ihre Aktionen koordinieren. Natürlich unter dezenter chinesischer Führung.
Eine gewaltige Macke hat das merkwürdige Gefechtszentrums schon. Wenn ein chinesischer Cop und ein kriminalistisch unerfahrener Universitätsprofessor mit kleinteiliger Ermittlungsarbeit fast im Alleingang die Akteure und Hintergründe einer weltweiten Verschwörung aufdecken können, dann nagt dies doch schon ein wenig an der Glaubwürdigkeit  einer globalen Führungseinheit, die ständig auf der Stelle tritt. Immerhin lernt man, dass sich in einer Welt ohne UNO Strukturen gebildet haben, in denen China den Vorsitz hat.

Aus dem Mystery-Krimi wird handfeste Science-Fiktion, als in Episode 7 das Computerspiel „Three Body“ auftaucht. Wang Miao und Shi Qiang sind zuvor auf die Gruppe „Grenzen der Wissenschaft“ gestoßen. Der scheinbar harmlose Debattierclub greift immer schärfer und mit Hilfe einiger Medien Wissenschaft und Technik an und macht sie für die ökologischen Katastrophen der Erde verantwortlich.
Wang und Shi erhalten überraschend von
Shen Yufei, der geheimnisvollen Anführerin der Öko-Kritiker, eine Spieler-ID und damit Zugang zu einem Computerspiel - der virtuellen Welt von Trisolaris. Mit Body Suits und VR-Brille landen Wang und Chi auf einem äußerst merkwürdigen Planeten. Trisolaris wird durch die Schwerkraft von drei Sonnen beeinflusst - ein in der Physik als Drei-Körper-Problem bekannt gewordenes Phänomen, das mathematisch nicht lösbar ist. Vorhersagen über banale Sonnenunter- und -aufgänge sind genauso unmöglich wie das Überleben und Sterben der trisolarischen Zivilisationen, die entweder verbrannt werden oder im ewigen Eis sterben. Wang Miao und Shi Qiang werden in einem Trip durch Raum und Zeit immer wieder Zeuge, wie in einem Zeitraum von knapp 100 Millionen Jahren hunderte trisolarischer Zivilisationen untergehen, aber jede nachfolgende Gesellschaft trotzdem wissenschaftliche und technologische Fortschritte macht. Bis die Trisolarier die Erde überholt haben und mit einer interstellaren Raumflotte aufbrechen, um ihre eigene Spezies vor dem endgültigen Untergang zu retten. Ye Wenjies Botschaft wurde erhört.

Wang Miao und Shi Qiang finden heraus, dass hinter dem Computerspiel die "Erde-Trisolaris-Organisation" (ETO) steckt, die nicht nur PR-Arbeit im Sinn hat, sondern potentielle Mitglieder anwerben will. Wang und Chi wird klar, dass das Spiel  keine Fiktion ist, sondern die reale und hoffnungslos chaotische Situation eines realen Planeten im Alpha Centauri-System beschreibt.

In der Serie dauert es ziemlich lange, bis der Clou der Story aufgedeckt wird. Trotz des langsamen Pacings wird dies aber nicht langweilig, auch dann nicht, wenn man die Romantrilogie kennt. Doch was ist der Clou? Auf jeden Fall nicht eine feindliche Alien-Invasion à la "Independence Day".
Liu Cixin ist kein Systemkritiker, aber durch die Hintertür erzählt er in einem Genreroman von den historischen Verwerfungen der chinesischen Geschichte, den unzähligen Opfern der Kulturrevolution und der Traumatisierung der Überlebenden, die wie Ye Wenjie buchstäblich jeden Glauben verloren haben und Vergeltung verlangen.
Der mythische Racheengel ist ausgerechnet eine fremde raumfahrende Spezies, die wie Götter verehrt wird und von der man eine Säuberung erwartet, ohne auch nur das Geringste über sie zu wissen. Dass gehört logisch und psychologisch betrachtet zu den Schwachpunkten in
Liu Cixins "Die drei Sonnen". 

"Kommen Wissenschaft und Rationalität zurück?", fragt Ye Wenjie irgendwann. Aber dies ist eine rhetorische Frage, denn hinter den Kulissen der ETO tobt ein Fraktionskampf. Die von Shen Yufei angeführten Vertreter der „Erlösung“ streben eine Kooperation zwischen der Menschheit und den Aliens an. Die von Pan Tan angeführten Adventisten haben dagegen den Glauben an die Menschheit verloren und fordern die komplette Vernichtung ihrer eigenen Spezies durch die Trisolarier. Nur das könne die Umwelt retten.

Auch wenn sich die Serie politisch und ideologisch sehr zurückhält, wird in diesem Mehrfrontenkrieg das Dilemma Chinas
allegorisch sichtbar, nämlich die industrielle Entwicklung und den Umweltschutz unter einen Hut zu bekommen. Die ehrgeizigen Ziele des chinesischen White Paper on Climate Change sind bekannt, die Emissionen der chinesischen Kohlekraftwerke allerdings auch. Eine paradoxe Situation. Es ist daher ziemlich interessant, dass die Serie auf plakative Schurkenklischees verzichtet und die Führer der Öko-Fundamentalisten beinahe zu tragischen Figuren macht.
Spannend wird dies, als der eigentliche Strippenzieher der Adventisten auftaucht: der Amerikaner Mike Evans, der dank einer gigantischen Erbschaft viele Milliarden einsetzen kann, um bei der Vernichtung der Menschheit zu helfen. Fast zwei Episoden investierten die Serienmacher, um zu zeigen, wie aus einem idealistischen Kind, das an der Zerstörung der Umwelt verzweifelt, ein misanthropischer Eremit wird, der in einem entlegenen chinesischen Bergdorf Bäume anpflanzt. Streckenweise sieht das so aus, als wolle man den Oberschurken der Serie rehabilitieren.
Andererseits kommt die Öko-Bewegung schlecht weg, etwa, wenn die Anhänger Pan Hans als hysterisch aufgeputschte Fanatiker gezeigt werden. Nun, die Eiferer der Kulturrevolution waren kaum anders.
Liu Cixin hat dies in seinem Roman brutal beschrieben. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die Rationalität, die in China angestrebt wird, nunmehr bitteschön anders aussehen soll. Umweltschutz ja, aber keine Mystifizierung der Natur.
Die verschiedenen Formen der Irrationalität, des systemischen Terrors und der Ausmerzung Andersdenkender haben die Chinesen allerdings zu oft durchgespielt, um hoffen zu dürfen, dass sich der Irrsinn nicht irgendwann wiederholt.
Auch Ye Wenjie wäre da skeptisch. Trotzdem: es ist verblüffend, wie kritisch die Serie die Umweltsünden im eigenen Land bebildern konnte, ohne dass die Zensur den Machern in die Suppe spuckte.

Ein kultureller Quantensprung

In der Netflix-Serie kommt die Figur des Pan Han nicht vor. Der Streamingdienst hatte auch sonst an Werktreue kein großes Interesse, sondern nahm mit 160 Mio. US-Dollar viel Geld für die achtteiligen Serie in die Hand, um Liu Cixins Trisolaris-Trilogie marktkompatibel umzuschreiben. Ein ambitioniertes Projekt: „3 Body Problem“ wurde immerhin von den Game of Thrones-Machern David Benioff und D.B. Weiss sowie Alexander Woo (Showrunner in „The Terror“) entwickelt und umgesetzt.

“We wanted people from all over the world,” erklärte David Benioff in einem Interview. “We tried to make this a very diverse, international cast to represent the idea that this isn’t just one country’s struggle – it’s a global struggle to survive.”
Dies ist ein Allgemeinplatz und nichts Neues, denn der globale Kampf ums Überleben gehört sowohl in der chinesischen Serie als auch im Roman zum Kern der Erzählung. Dass von Benioff und Weiss viele Figuren des Romans gestrichen und neue erfunden wurden – Gender Swapping natürlich eingeschlossen – und die Schauplätze nach England verlegt wurden, hat andere Gründe. Es sind die üblichen Maßnahmen, um ein Projekt für die westlich orientierten Märkte kompatibel zu machen. Und dazu gehört keine chinesische Geschichte mit chinesischen Schauspielern und chinesischen Settings. In China wurde die Adaption daher nicht kritiklos akzeptiert, aber das ist ein anderes Thema.

Dafür waren beiden chinesischen Provider Tencent und CCTV schneller als Netflix. Am 15. Januar 2023 ging die erste Folge in China an den Start und im Stil einer Daily Soap gab es beinahe täglich eine neue Folge.
In Deutschland ist eine OmU-Version von „Three Body“ auf Rakuten Viki zu sehen, ein Streaming-Portal, das gratis asiatische Film- und TV-Produktionen anbietet. Wer romantische koreanische Jugendserien mag, die garantiert nie im Westen zu sehen sein werden, wird auf Rakuten Viki bestens bedient – ein kultureller Quantensprung ist der Besuch dieses seriellen Parallel-Universums auf jeden Fall.

Der eigentliche Quantensprung ist der Erzählstil der Serie „Three Body“. 30 Episoden, um lediglich den ersten Teil der Trilogie zu verfilmen, hört sich strange an, ist es auch. Die Überlänge der Serie konterkariert so gut wie alle gewohnten Normen, die sich nicht nur in US-amerikanischen Serien etabliert haben. Der neue Trend: acht bis maximal zehn Episoden pro Staffel. Dies bildet eindeutig einen Knick bei der Investitions- und Risikofreudigkeit ab. Stattdessen scheinen die großen Anbieter aktuell auf  kurzteilige Formate zu setzen, in denen große Budgets effektiver eingesetzt werden können. Wie bei der neuen Netflix-Serie: teuer, kurz und knackig - und mit spektakulären Effekten.

Erfreulich ist es daher, dass Rakuten Viki quasi als Gegenentwurf das chinesische Original präsentiert. Und mutig ist es auch, denn Showrunner und Autor Tian Liangliang und die Regisseure Yang Lei und Vincent Yang nehmen sich in „Three Body“ die Zeit, die Geschichte mit einem so langsamen Pacing zu erzählen, dass man streckenweise glaubt, den Rohschnitt zu sehen. Und tatsächlich: würde man einige Szenen streichen und die endlosen Dialoge straffen, könnte man die Laufzeit der Serie mühelos halbieren, ohne der Story zu schaden.

Positiv: das langsame Storytelling
führt zu einer kontemplativen Atmosphäre. Ein Worldbuilding, das zunächst gewöhnungsbedürftig ist. Natürlich gibt es in „Three Body“ reichlich Action und ungewöhnliche Settings, aber noch spannender ist die minuziöse Beschreibung der Figuren, deren komplexe Vorgeschichte weit in die chinesische Geschichte zurückreicht. Psychologisch ist die Serie dabei ziemlich detailbesessen. Man lernt nicht nur die Schlüsselfiguren auf intime Weise kennen (es gibt viele Familienszenen, in denen die Haupthandlung komplett auf der Stelle tritt), und nicht immer ist dies erfreulich, wenn sich plötzlich Abgründe auftun. Gewöhnt man sich aber an das Pacing und an die vielen sehr langen Dialogszenen, dann wird man wie in einem langsamen Sog in eine fiktive Welt hineingezogen, die überraschende Bindungskräfte erzeugt. Das wird mit jeder Folge faszinierender, man muss am Anfang nur etwas Geduld haben. Aber spätestens nach zehn Episoden spürt man, dass es erzähltechnisch perfekt ist.

Im amerikanischen und europäischen Serien-Business wäre dieser Erzählstil Selbstmord gewesen. Man kann sich durchaus auch über Details  in 
„Three Body“ streiten. Aber im Großen und Ganzen gehört die 30-teilige Serie mit zum Besten, was der Rezensent in den letzten Jahren in diesem Genre zu sehen bekam. Als fast buchstabengetreue literarische Adaption überzeugt „Three Body“ uneingeschränkt. Mehr Respekt vor einer Vorlage ist kaum denkbar.

Ihr seid Insekten!

Interessant ist, dass die Geschichte relativ ideologiefrei erzählt wird. Die Chinesen wissen, dass man mit Hurra-Patriotismus eigene Medienprodukte nicht international vermarkten kann. Die Zensur handelte daher moderater. In der chinesischen Version des Romans "Die drei Sonnen" musste Liu Cixin zwar nach Maßgabe durch die Zensur den Prolog und die Grausamkeiten der Roten Garden im Mittelteil unterbringen. In der Serie geschieht dies auf ähnliche Weise und die Glätte, mit der diese Phase der chinesischen Geschichte erzählt wird, ist historisch nicht korrekt. Aber sie ist wenigstens nicht der Schere zum Opfer gefallen.

Ganz am Ende kann sich Showrunner 
Tian Liangliang eine weltanschauliche Botschaft nicht verkneifen. Wang Miao und Shi Qiang entschlüsseln während eines letzten Trips ins virtuelle Trisolaris einige Aspekte der trisolarischen Gesellschaft. Die ist mittlerweile eine autokratische Diktatur ohne Kultur und Pluralität geworden - Eigenschaften, die aus Sicht der Trisolarier die eigene Überlebensfähigkeit beschädigten. Gefühle kennen die Trisolarier nun nicht mehr - ein abgenutztes Alien-Klischee, das wir seit den 1950er-Jahren kennen und dem sich auch Liu Cixin in seiner Trilogie nicht entziehen konnte. Und so lautet die letzte empathiefreie Botschaft der Invasions-Armada: „Ihr seid Insekten."
Das von den Chinesen dominierte globale
Gefechtskommandozentrum wird dagegen als Hort des Humanismus gefeiert, bis man sich fragt, ob es hier nicht im Freud'schen Sinne zu einer Gegenübertragung gekommen ist. Einfacher gesagt: das ist Beweihräucherung eines politischen Systems, das zumindest aus westlicher Sicht alles andere als ein Hort des Humanismus ist.

Zum Schluss eine Vermutung: Schlechter als die Netflix-Serie kann „Three Body“ nicht sein. Dafür ist sie einfach zu gut: die Kameraarbeit ist exzellent, der Soundtrack und die Effekte gefallen über weite Strecken. Bei den deutschen Untertiteln sollte man allerdings keine Perfektion erwarten. 
„Three Body“ hält sich so akribisch an die Vorlage, dass gelegentlich ganze Dialoge 1:1 aus dem Roman übernommen wurden. Das gilt leider auch für die vorletzte Folge mit seinem quantenphysikalischen Kauderwelsch über neundimensionale Photonen. Sie läuft völlig aus dem Ruder, und dass einige Logiklöcher nicht gestopft werden, ist ärgerlich. Dafür ist die Schlussszene grandios: Shi Qiang erklärt mit brillanter Dialektik, warum Insekten einer technologisch fortgeschrittenen Spezies überlegen sein können. Köstlich!

Bleibt zu hoffen, dass die Serie fortgesetzt wird. Und dann sollten sich die großen Streaming-Portale nicht von 30 Episoden abschrecken lassen und „Three Body“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Im Moment nervt es, wenn man „Three Body“ googelt und bei der Netflix-Serie landet. Die Streaming-Welt ist im Moment halt genauso chaotisch wie das Wetter auf Trisolaris.

Postskriptum: In der ARD-Audiothek gibt es die gesamte Trisolaris-Trilogie als Hörspiel:

Überarbeitete Fassung vom 2.4.2024


Note: BigDoc = 1,5


Three-Body – China 2023 – Production: Tencent Video und CCTV – Staffel 1 nach dem Roman “Die drei Sonnen” von Liu Cixin - Showrunner und Autor:  Tian Liangliang – Regie: Yang Lei und Vincent Yang – Laufzeit: 30 Episoden – Darsteller: Zhang Liyi, Yu Hewei u.a.