Mittwoch, 6. März 2024

„True Detective - Night Country“ - gut, aber nicht perfekt!

Vorweggenommen: Die HBO-Serie ist der vierte Teil der „True Detective“-Anthologie - und er ist besser als die Teile 2 und 3, an die man sich kaum noch erinnert. Mit Showrunner Issa López hat nun eine Autorenfilmerin mit einer eigenen Handschrift Spuren im Franchise hinterlassen. Entstanden ist eine dichte und intensive Serie, die etwas holperig startet, dann aber mit Wucht und Konsequenz zu Ende erzählt wird. Das Serienfinale wird aber nicht jedem schmecken.

Das hat einen Grund: López wollte die erste Staffel spiegeln. Das Ergebnis: „True Detective – Night Country“ enthält eine Vielzahl von Anspielungen und Querverweisen, die sich am Ende als Fake herausstellen. Als Unreliable Narrator, also ein Erzähler, dem man nicht trauen kann, fixt López in der sechsteiligen Serie den Zuschauer geschickt mit Elementen aus der ersten Staffel an, am Ende hat nichts davon eine Bedeutung. Damit wird das Potential einer durchweg spannenden Erzählung vergeudet. Schade.

Wahnsinn und Mystery

Es ist die Hölle: In Ennis, Alaska, herrscht die Finsternis. Nicht nur metaphorisch als Präsenz des Bösen, sondern auch, weil die Polarnacht kurz vor Weihnachten alle Grenzen zwischen Tag und Nacht aufhebt. Es ist immer Nacht im „Night Country“.

Ausgerechnet in dieser Finsternis verschwinden acht Wissenschaftler der Tsalal Research Station spurlos. In der verlassenen Station findet die lokale Polizeichefin Liz Danvers (Jodie Foster) nur noch eine abgeschnittene Frauenzunge, die der vor sechs Jahren ermordeten indigenen Umweltaktivistin Annie Kowtok (Nivi Pedersen) gehörte. Und die hatte sich zahllose Feinde gemacht, weil sie die Silver Sky Mining wegen der Verseuchung des Grundwassers attackierte. Ihr Tod hat nichts geändert, denn nun protestieren noch mehr indigene Widerständler gegen die Mine, darunter Danvers Stieftochter Leah (Isabella Star LaBlanc). Die Anzahl der Totgeburten bei der indigenen Bevölkerung schnellt nämlich in die Höhe.

Ein Öko-Thriller ist „True Detective – Night Country” also auch. Oder auch nicht, denn die umweltverschmutzende Mine gehört zur Tuttle United. Und sofort klingelt es beim geschulten „True Detective“-Fan, denn in Staffel 1 deutete eine Menge darauf hin, dass in Louisiana die reiche und politisch einflussreiche Tuttle-Familie die Gründer eines mysteriösen Kultes war, der rituell Kinder vergewaltigte, um sie danach zu töten. Und auch die geheimnisvolle Spirale, die nicht nur das Symbol des vom Kult verehrten kosmischen Wesens „Yellow King“ ist, sondern auch vom FBI in den "Symbols and Logos Used by Pedophiles" gelistet wird, taucht nicht nur auf den Körpern der verschwundenen Wissenschaftler auf, sondern auch auf dem der ermordeten Annie K.

Abgesehen davon, dass der vierte Teil der Anthologie-Serie den Fans mit solchen Querverweisen das Versprechen gibt, mehr von Geheimnissen der ersten Staffel von „True Detective“ preiszugeben, ist „True Detective – Night Country” ein tiefschwarzes existentielles Drama über Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Auch alle anderen Protagonisten sind mehr oder weniger kaputt. Es gibt keine Hoffnung und, so Danvers, auch keinen Gott und kein Jenseits, das Trost spenden könnte. Übrig bleibt nur die nackte Existenz mitten im Grauen.

Während die erste Staffel ein waschechter Krimi mit zahllosen ungeklärten Querverbindungen zur amerikanischen Weird Fiction war, hat man in der vierten Staffel zunehmend den Eindruck, dass der stets präsente Wahnsinn in Ennis eine übernatürliche Ursache hat. Nämlich, dass das Mysteriöse und Paranormale faktisch zur Realität gehören. So werden die Leichen der Wissenschaftler, deren Torsos in einer grotesken Skulptur verschmolzen, nur dashalb gefunden, weil die ehemalige Wissenschaftlerin Rose Aguineau (Fiona Shaw) von ihrem toten Liebhaber Travis Cohle (Erling Eliasson) zum Leichenberg geführt wird. Gespenster, Fantasy, Horror oder gar Akte X mit einem Schuss Twin Peaks?
Und Cohle? Kennen wir den Namen nicht? Serienschöpferin und Drehbuchautorin Issa López gab in einem Interview mit Variety eine Antwort: der tote Liebhaber von Rose war Rust Cohles Vater. López spielt in den sechs Episoden der Serie immer wieder sehr geschickt mit derartigen Querverweisen. Und riskiert damit, dass alles zusammenbricht, wenn die letzte Episode kein befriedigendes Ende anbietet.

Auch Geheimnisvolles aus der indigenen Kultur taucht regelmäßig auf. Immer wieder erscheint wie aus dem Nichts ein einäugiger Bär. Und last but not least wird Danvers widerspenstige Partnerin Evangeline Navarro (Kali Reis) von Geistererscheinungen und merkwürdigen Sprüngen durch Raum und Zeit heimgesucht.
Mystery, die Mischung aus Fantasy und Horror, bestimmt also die vierte Staffel. „True Detective – Night Country” vermischt dies alles zu einer deprimierenden Grundstimmung. Mit „Akte X“, wie einige Kritiker meinten, hat dies natürlich etwas zu tun. Aber mehr noch, und das ist der eigentliche Brückenschlag zur ersten Staffel, jede Menge mit dem Wahnsinn, den H.P. Lovecraft heraufbeschwor. Wer dem Grauen zu nahe kommt, wird irre. Erst recht in der klirrenden Kälte von Alaska.

Die erste Staffel: ein Kampf zwischen Licht und Dunkelheit

Erinnern wir uns: 2014 schlug die erste Staffel von „True Detective“ (TD) wie eine Bombe ein und wurde als Jahrhundertevent gefeiert. HBO verbuchte in vielen Episoden über elf Millionen Zuschauer. Teilweise brach die Online-Plattform HBO Go zusammen.
Erinnern wir uns auch daran: Die Medien kündigten mit einem rauschhaften Hype an, dass TD wohl alle Preise abräumen würde, die es gibt. Tatsächlich räumten alle anderen Serien ab, auch solche, die man mittlerweile vergessen hat. Zwar verbuchte TD über 20 TV-Preise, darunter fünf Emmys. Aber weiß Gott nicht immer in den Hauptkategorien. Es war so, als hätte Einstein den Nobel-Preis für sein schickes Outfit bekommen. Warum die Serie bei den Juroren floppte, bleibt bis heute ein Rätsel.

Der Erfolg beim Publikum und den Kritikern hatte dagegen viele Gründe. Zum einen war es die spannende und bis zum Schluss mysteriöse Verknüpfung von Weird Fiction und Krimi, die in den Sümpfen von Louisiana unübersehbare Verbindungen zu der Welt von H.P. Lovecraft, Robert W. Chambers, Thomas Ligotti und anderen Weird Fiction-Autoren herstellte. Ohne diese Einflüsse hätte es keinen Rust Cohle gegeben, erklärte Nic Pizzolatto. Der Showrunner befeuerte die Story zusätzlich mit Elementen aus Fantasy, Horror und Science-Fiction und hielt eine unübersehbare Anzahl von Deutungsmöglichkeiten bereit. Die waren aber nicht willkürlich, wenn man genau genug recherchierte.

Zum anderen war „True Detective“ wegen der Performance seiner alles überragenden Hauptdarsteller Matthew McConaughey und Woody Harrelson und der konzentrierten Erzähltechnik von Nic Pizzolatto und seinem Regisseur Gary Fukunaga unwiderstehlich.
"Ehrenhaft wäre es, wenn unsere Spezies sich ihrer Programmierung widersetzen, mit der Fortpflanzung aufhören, Hand in Hand in die Auslöschung gehen würde." So sah Cohle die Welt und ihr Ende. Man nennt dies Anti-Natalismus. Denn eine Welt, in der sich die Menschen immer wieder in den gleichen Zeitschleifen wiederfinden und in der immer wieder das Gleiche geschieht, ist ein unerträglicher Horror: „Time ist a flat circle.“ Auch diesen ikonischen Satz wird López zitieren.

Der nihilistische Cop Rust Cohle (McConaughey) und der eher spießige, aber abgründige Marty Hart (Harrelson) lieferten sich während ihrer Autofahrten brillante Wortgefechte, trennten sich im Streit und fanden dann im Kampf gegen Licht und Dunkelheit zusammen. Am Ende waren sie zwei Freunde fürs Leben. Man muss Rust Cohle nur ein wenig mögen. Irgendwie.

Diversität und zwei rüde Frauen

Blendet man den Inhalt aus und konzentriert sich auf die Erzähltechnik in TD 1, entdeckt man ein wichtiges Stilmittel: Cohle und Hart ermittelten immer zusammen, selbst wenn sie Jahre nach ihren Ermittlungen getrennt verhört wurden. Die Handlung war deshalb so stringent, weil der Zuschauer alles immer aus der Perspektive der Hauptfiguren sehen konnte. So entstand die Grundierung für die vielen brillanten Dialoge zwischen den beiden Cops.
In TD 4 springt der Funke nie ganz über. Einmal sitzen Liz Danvers und Evangeline Navarro wie Cohle und Rust auch im Auto zusammen. Danvers fragt ihre Hass-Liebe-Freundin, ob sie an Gott glaube. Die zögert und sagt dann: „Ja.“ Die Atheistin Danvers reagiert mit beißendem Spott und schweigt dann. Was zeigt das? Ganz einfach: Die Dialoge der beiden Ermittlerinnen sind deutlich von dem magischen Niveau entfernt, das Pizzolatto und Fukunaga lässig aus dem Ärmel gezogen hatten.

"Where True Detective is male and it's sweaty, Night Country is cold and it's dark and it's female", so Showrunner Issa López, die auch alle Drehbücher geschrieben hatte. Die Serie wurde dann auch prompt als „feministischer Thriller“ gefeiert und postwendend auch wegen ihrer Diversität attackiert. Letzteres ist allerdings ein schlechter Witz, denn in TD 4 ist am Ende ein Mann die einzige Person mit moralischer Integrität. Man muss nur genau hinschauen.
Feministischer Thriller? Diese Genrebezeichnung ist für mich neu (mehr dazu hier). Nur eins: Wenn man etwas über toxische Männlichkeit und deren Dekonstruktion durch kluge Frauen erfahren möchte, sollte man sich bei Pizzolatto und Fukunaga anschauen, wie stark und selbstbestimmt Michelle Monaghan ihre Rolle als Maggie Hart spielt.

Rust Cohle und Marty Hart wurden ikonische Serienfiguren. In „Night Country“ haben wir es mit einer geschlechtsorientierten Umbesetzung dieser Rollen zu tun. Jodie Foster schlüpft unübersehbar in die Rolle des nihilistischen Rust Cohle, Kali Reis ist mit Marty Hart aber nicht ohne Weiteres zu vergleichen. Während Danvers permanent mit ihrer Stieftochter im Clinch liegt, weil sie wider besseres Wissen die ökologischen Probleme verdrängt, wird Navarro von ihren inneren Dämonen gequält – und da brauen sich ethnische Konflikte, das Scheitern ihrer beruflichen Beziehung zu Danvers und die Versetzung zu den State Troopers, der ungeklärte Mord an Annie Kowtok und die Leiden und der Suizid ihrer schizophrenen Schwester Julia (Aka Niviana) zu einer unheilvollen Mixtur zusammen. Weihnachten feiert die psychisch schwer angeschlagene Navarro auf ihre Weise: sie zettelt eine Schlägerei mit einem Dutzend Männer an und wird krankenhausreif geschlagen. Woody Harrelsons Figur war auch von inneren Dämonen getrieben, aber so kaputt wie Navarro war er nicht. Kali Reis spielt das beeindruckend gut.

Der eine oder andere Kritiker maulte, dass die Hauptfiguren keine empathische Reaktion beim Zuschauen auslösen. Wenn Jodie Forster als Liz Danvers auftritt, ist das auf den ersten Blick nachvollziehbar. Die schroffe Danvers macht es ihrer Umgebung nicht leicht. Sie spielt eine zynische Frau („Ich hasse alle“), die andere von sich abprallen lässt - ein Ekelpaket, das sich nach dem Tod ihres Sohnes Holden in einen emotionalen Panzer gehüllt hat. Ihr einziger Sozialkontakt ist eine Sexaffäre mit ihrem Vorgesetzten Ted Connelly (Christopher Eccleston). Auch Navarro hat eine ähnliche Beziehung, aber man hat nie das Gefühl, dass die Männer von den beiden Frauen emotional wahrgenommen werden.

In der monatelangen Polarnacht Alaskas und einer ohnehin schon ultra-männlichen und waffenaffinen Gesellschaft müssen sich die beiden fragilen Frauen ruppiger und rüder verhalten als Männer, um ihre Autorität nicht einzubüßen. Sie sind hard-boiled wie in den Krimis von Sara Paretsky. Die stets übelgelaunte Danvers hat es dabei mit dem undisziplinierten und korrupten Deputy Hank Prior (John Hawkes) zu tun. Dessen Sohn Peter (Finn Bennett) ist ebenfalls Cop. Er ist klug und loyal, wird aber von Danvers ausgebeutet: der Rookie muss ständig verfügbar sein. Rund um die Uhr. Bis seine Ehe ruiniert ist. Fazit: Danvers und Navarro sind so maskulin und so kaputt, dass sie kaum die Blaupause für ein zukunftsweisendes Frauenbild in einem feministischen Thriller sein können.

Ein (zunächst) fahriger Plot und sein denkwürdiges Ende

TD 4 ist als Charakterstudie also ziemlich deprimierend. Spannend erzählt wird die Geschichte allemal. Und dazu gehören auch die ästhetischen Qualitäten der Serie. Dem für Todd Fields „Tár“ (2022) Oscar-nominierte Kameramann Florian Hoffmeister gelingt es ausgesprochen gut, die permanente Finsternis im eis- und schneedeckten Ellis mit atmosphärischen Bildern ausdrucksstark zu verdichten, bis man mit jeder neuen Einstellung auch einen neuen Schrecken erwartet.
Der Soundtrack gehört mit zum Besten, was man in diesem Jahr zu hören bekam. Die Main Title Sequence mit Billie Ellish’ „Bury a Friend“ ist musikalisch ein Gegenentwurf zum Main Theme der Gruppe „The Handsome Family“ in TD 1, passt aber perfekt zur abgründigen Stimmung der Serie. Verdichtet wird diese magische und mysteriöse Textur durch den Score von Vince Pope, der bereits für López‘ dutzendfach preisgekrönten Film „Tigers Are Not Afraid“ (2017) die musikalische Untermalung komponierte.

Erzähltechnisch beginnt „Night Country“ dagegen eher fahrig als stringent. Denn gemeinsam ermitteln die beiden Protagonistinnen zunächst gar nicht oder nur widerspenstig. Viele Personen, die von ihnen verhört werden, verschwinden zu schnell aus der Handlung. Das Pacing der Geschichte kommt daher nur mühsam ins Rollen und der Plot tritt trotz einiger Schockmomente auf der Stelle. Danach wird die Geschichte aber deutlich fokussierter zu Ende erzählt. Denn für Danvers und Navarro, die nun zusammenarbeiten, besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Ermordung von Annie K und der Tod der Wissenschaftler zusammenhängen. Im Fokus steht die Suche nach Raymond Clark (Owen McDonnell), dem einzigen Überlebenden, der nun auch als Täter auf Danvers und Navarros Liste steht.
Dabei trägt die Handlung etwas zu dick auf. Zum Beispiel bei der Enthüllung, dass die Tsalal-Wissenschaftler im ewigen Eis nach dem ewigen Leben suchten. Das ist ein etwas überkonstruierter McGuffin, eher Akte X als Science-Fiction. Um mehr Forschungsgelder zu bekommen und ein Bakterium im Eis finden zu können, das den Zelltod verhindert, forcierten die Wissenschaftler aus technischen Gründen die Kontamination der Permafrostböden durch die Silver Sky Mining und fälschten deren Schadstoffdaten für die Umweltbehörde. Wirklich wichtig ist das nur für das Whodunit.

Am Ende ist TD 4 alles andere als magisch, sondern eine ziemlich konventionelle Crime Story, die von einem Rachemord erzählt, der eine entsprechende Gegenreaktion auslöst. Um das Ende nicht zu spoilern, sei nur verraten, dass López dies alles mit der „Rache der Putzfrauen“ erklärt. Ein schwarzer Humor ist dieser makabren Pointe durchaus zuzuschreiben.

Wesentlich wichtiger ist, wie Issa López von der Katharsis der beiden Frauen erzählt. Dazu gehört wie in TD 1 die Einebnung der tiefen Gräben zwischen ihnen, die Überwindung ihrer Traumata und ihr Geheimnis, denn Danvers und Navarro haben vor vielen Jahren ein Lynchmord begangen, mit dem sie klarkommen müssen. Wie das erzählt wird, ist sehr empathisch. Andere True Detective-Serien waren deutlich hoffnungsloser.

Denkwürdig ist das große Finale mit seinen zahlreichen Twists auch aus einem anderen Grund. Alle Querverweise zur ersten Staffel entpuppen sich nämlich als Fake. Als Danvers und Navarro endlich den verschwundenen Raymond Clark finden, lässt López ihn murmeln: „Die Zeit ist ein flacher Kreis und wir hängen darin fest“. Aber der ikonische Satz von Rust Cohle („Time is a flat circle“) hat in López Serie anders als in TD 1 keine tiefere Bedeutung und ist somit nichts anderes als Geplapper.

Andere Verschlüsselungen sind ebenfalls merkwürdig: Die abgeschnittene Zunge, die Danvers und Navarro im Labor finden, ist laut López eine persönliche Hommage an den japanischen Regisseur Takashi Miike, der in einem seiner Filme eine angeschnittene Zunge zeigte. Mehr nicht. Und die mysteriöse Spirale, die in TD 1 auf den “Yellow King“ hinweist, wird als Element der indigenen Kultur erklärt, sodass letztendlich alle Beziehungen zu TD 1 gekappt werden. Auf ähnliche Weise hatte Nic Pizzolatto die Fans in der 3. Staffel getäuscht. Cohle und Hart wurden dort sogar erwähnt und jeder TD-Fan rechnete damit, dass beide im großen Finale auftauchen. Aber auch Pizzolatto erfüllte diese Erwartungen nicht.

Das wird viele (wieder) enttäuschen. Es war allerdings nicht erwarten, dass eine ambitionierte Geschichteerzählerin wie Issa López eine Kniebeuge macht und die Rätsel der ersten Staffel erklärt.
"Ich denke, es ist sehr wichtig zu sagen, dass es im selben Universum spielt. In derselben Realität, in der die Ereignisse von Night Country stattfanden, geschahen auch diese schrecklichen Morde in Louisiana. Jedes Mal, wenn es sich natürlich anfühlte, habe ich sie miteinander verbunden, einfach um ein gemeinsames Universum zu schaffen – um zu sagen: Es ist derselbe Ort", erklärte López ihre Erzählstrategie, die einen erzählerischen Mehrwert leider nicht erkennen lässt.

Letzten Endes sind alle Anspielungen nämlich nichts anderes als falsche Fährten gewesen. Das ist o.k., man kann sich so etwas ausdenken, aber López' Erklärung ist etwas billig. Nämlich dem Zuschauer zu überlassen, wie er dies deutet. López hat zahllose Leerstellen in der Serie platziert, also deutungsoffene Szenen, die den Zuschauer auffordern, über deren Bedeutung nachzudenken. Das ist immer eine Option, erklärt aber nicht die zahllosen Rätsel, die in TD 4 ungelöst auf der Strecke bleiben. Warum stürzen sich in der ersten Episode hunderte von Elchen von einer Klippe in den Abgrund? Wer oder was hat die acht erfrorenen Wissenschaftler verstümmelt? Warum trugen sie Tattoos der Spirale, obwohl diese angeblich zur indigenen Kultur gehört? Warum kann Navarro eine Orange in die Finsternis werfen, die dann umgehend wieder vor ihr liegt?
Das ist everything goes, der Zuschauer wird die Gimmicks schon irgendwie interpretieren. Das hat Kali Reis getan: für sie sind die Geister und die Magie in der Serie real. Ein Verzicht auf einige dieser Tricks und ungelösten Fragen hätte der neuen Serie trotzdem gutgetan.
Issa López sah das dezidiert anders. Es gibt im wirklichen Leben nicht immer eine Antwort auf jede Frage, erklärte  sie ihren Erzählstil. (Die Leerstellen in der ersten Staffel habe ich aus rezeptionsästhetischer Sicht hier erklärt. Willkürlich waren sie nicht.)

Am Ende ist „True Detective – Night Country“ eine geerdete Crime Story mit schlüssigen Erklärungen, einigen ungeklärten Rätseln, indigenen Geistermythen und einem Überschuss an Fantasy. Aber auch ein gelungenes Charakterdrama über Schuld und Sühne, traumatische Erfahrungen und deren Bewältigung. In TD 1 versöhnen sich Rust Cohle und Marty Hart, in TD 4 finden die beiden toxischen Frauen zueinander, nachdem sie im ewigen Eis mit den Geistern ihrer Toten konfrontiert werden: Danvers begegnet ihr toter Sohn und Navarro steht ihrer toten Mutter gegenüber. Und überhaupt kehren alle Toten zurück, um sich für erlittenes Unrecht blutig zu rächen. Natürlich darf der Zuschauer selbst entscheiden, ob er glaubt, was er sieht.

Unterm Strich ist TD 4 besser als TD 2 und TD 3, reicht aber nicht an das Original heran. Das ist auch nicht sonderlich schlimm, denn die Geschichte wird sehr atmosphärisch und spannend erzählt und fesselt nach holprigem Start bis zum Ende. Dort wartet aber eine weitere Leerstelle auf den Zuschauer: Geistermagie oder nüchterne Realität. Denn Navarro verschwindet zunächst in den Weiten Alaskas, steht dann aber plötzlich auf der Veranda von Liz Danvers. Es bleibt unklar, ob sie lebt oder als Geist zurückgekehrt ist. Wie auch immer: das sollen die Zuschauer entscheiden, meint Issa López.
Dabei kann Navarros indigener Name helfen. Der lautet nämlich übersetzt „Die Rückkehr der Sonne nach der langen Dunkelheit.“

Reaktionen und Kritik

„True Detective – Night Country“ erhielt bei Rotten Tomatoes einen Score von 92%, aber der Audience Score spiegelte mit 56% die Unzufriedenheit der Zuschauer deutlich wider. Erklärt wurde dies mit einer falschen Metrik der Review-Plattform, aber auch mit dem „Review Bombing“. Dieses Phänomen tritt auf, wenn Zuschauer sich organisieren und in hoher Anzahl negative Votings abgeben.
“The bros and hard-core fanboys of S1 have made it a mission to drag the rating down, and it's kind of sad, considering all the 5 [star] ones,” ärgerte sich Issa López, obwohl ihre Serie mit 2 Mio. Zuschauern startete und danach mit jeder neuen Episode signifikante Steigerungen erreichte. Beim Season-Finale sahen dann 3,2 Mio. bei HBO auf den Streaming-Plattformen zu.

Erstaunlich scharfzüngig reagierte Nic Pizzolatto, der in den Credits als Executive Producer gelistet wird, faktisch aber nichts mit der Entwicklung und Umsetzung des Stoffes zu tun hatte. Pizzolatto hat aus seiner Sicht das lausigste Storytelling seines Lebens gesehen. Seine Argumente sind allerdings diffus und wenig erhellend, lassen aber vermuten, dass sich der Schöpfer der TD-Anthologie über die Diversität der Serie aufregte.

Den härtesten Verriss liefert Erik Kain auf „Forbes“ ab: „True Detective: Night Country is one of the most disappointing mystery shows ever made.” Warum? Kain ist blank entsetzt darüber, dass die beiden Hauptfiguren abstoßend sind und die Serie keine Anstrengungen unternimmt, um von derart „miserablen Menschen“ sehenswert zu erzählen. In der Totalabrechnung des Forbes-Kritikers geraten dann auch Musik und Kamera unter die Räder.

Tatsächlich war es früher nicht anders. Über die zweite Staffel schrieb ich: „Dass die Hauptfiguren in TD 2 allesamt moralisch und existenziell gebrochene Figuren sind, die an ihrer eigenen Lebensschuld zu zerbrechen drohen, legt einen undurchdringlichen Schleier der Dunkelheit über die Geschichte, die in ihrer völligen Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit nur zu ertragen ist, wenn man als Zuschauer grundsätzlich an eine depressive Weltsicht gewöhnt ist.“ Issa López hat das Rad also nicht neu erfunden…

Das Einzige, was man wirklich von der Unerbittlichkeit vieler Kommentare lernen kann, ist die Gefahr, die von einem negativen Hype und einer öffentlich präsentierten Übererregung ausgeht. Sie wird wie in einem Durchlauferhitzer exponentiell aufgeheizt und mäandert anschließend durch die Medien und die Foren, bis alle in ihren eigenen Blasen unterwegs sind. Nur am Rande: Nic Pizzolatto bietet in den Social Media mittlerweile eine Plattform an, um möglichst vielen die Möglichkeit zu bieten, ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.
Warum eigentlich? Die große Mehrheit der Zuschauer war begeistert von der Serie und fand einen Zugang zu der Story und den Figuren. Anderen gelang das nicht. So what. Debatten und Rezensionen sind sowieso nur spannend, wenn sie unterschiedliche Sichtweisen vorschlagen und begründen können. Meine Meinung: „True Detective – Night Country“ ist gut genug, um die Serie zu mögen, aber nicht konsequent genug, um sie zu lieben.

Note: BigDoc = 2

 

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True Detective – HBO 2024 – Showrunner: Issa López – Drehbuch: Issa López (drei Episoden mit Co-Autoren) – Kamera: Florian Hoffmeister – Score: Vince Pope – D.: Jodie Foster, Kali Reis, Fiona Shaw, Finn Bennett, Isabella Star LaBlanc, Christopher Ecclestone, John Hawkes, Owen McDonnell.