Dienstag, 15. Januar 2019

True Detective 3 kopiert sich auf hohem Niveau

Sie können einem leidtun. 2013 schufen Showrunner Nic Pizzolatto und Regisseur Gary Fukunaga einen Meilenstein der Seriengeschichte, der 2014 on air ging: „True Detective“ erzählte gleichzeitig straight und mäandernd die Geschichte zweier Cops, die in einem düsteren Südstaaten-Crime Plot einem Pädophilen-Ring nachspüren, am Ende einen monströsen Schurken zu Strecke bringen, aber dann doch mit leeren Händen dastehen und immerhin ziemlich beste Freunde werden. 

So etwas lässt sich nicht so einfach wiederholen. Im zweiten Anlauf verhob sich Nic Pizzolatto ohne Fukunaga ein wenig. Die Serie wird mittlerweile als Flop gehandelt, obwohl sie die besseren Quoten erzielte. Im dritten Anlauf wollen HBO und Pizzolatto wieder Glanz und Glorie der ersten Staffel wieder auferstehen lassen.



HBO will wieder in die Erfolgsschiene

Als Buddys waren Woody Harrelson und Matthew McConaughey als Marty Hart und Rust Cohle nicht nur wegen der philosophisch-mystischen Monologe Cohles ein kriminalistisches Traumpaar, in dem Woody Harrelson alles andere als nur ein Stichwortgeber seines belesenen Partners war. Die erste Staffel von „True Detective“ kann man getrost als Jahrhundertserie bezeichnen, darf aber nicht vergessen, dass sie mehr Nominierungen erhielt als Preise gewann. Stattdessen räumte „Fargo“ alles ab. Bei den 66th Primetime Emmy Awards erhielt Regisseur Gary Fukunaga wenigstens den Preis für Outstanding Directing für die Episode „Who Goes There“. „Fargo“ war alles andere als schlecht, hatte wohl aber die Art von Humor, die man sehen wollte – ziemlich schwarz, aber eben nicht pechschwarz.

Die zweite Staffel von „True Detective“ bestritt Pizzolatto dann ohne seinen kongenialen Partner, der nur noch als Executive Producer dabei war. HBO hätte wissen müssen, dass man den grandiosen Meilenstein nicht würde toppen können, wollte – Business as usual – aber unbedingt nachlegen. Mittlerweile bereuen es die Verantwortlich. Ohne Fukunaga geriet Nic Pizzolatto außer Rand und Band und lieferte zwar ein visuelles Meisterwerk ab, verzettelte sich aber in einer Mischung aus Verzweiflung und Größenwahn in ein Handlungs- und Figurengeflecht, das man nach jeder Episode eine halbe Stunde später wieder vergessen hatte.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ein US-Kritiker aufopferungsvoll akribische Analysen von TD 2 lieferte und ich knapp 200 Seiten herunterlud, was die Sache nur schlimmer machte. 
Damals erfand ich in meiner Kritik den Begriff „Two-Shot-Serie“, um das Dilemma zu beschreiben: Der Zuschauer „benötigt nämlich mindestens ‚zwei Schüsse’, um die Geschichte in TD 2 einigermaßen in den Griff zu bekommen. Pizzolatto erzählt sie hyperkomplex aus den unterschiedlichen Perspektiven seiner vier Hauptfiguren, die mit gut zwei Dutzend weiterer Nebenfiguren verbunden sind. Von den unwichtigen Nebenfiguren soll erst gar nicht die Rede sein. 
Der erste Schuss der Zuschauers: 1x das Ganze anschauen, die Stimmung aufnehmen und sich hoffnungslos verirren, danach nach einem guten Episode Guide suchen, alles ausdrucken und mit dem Text in der Hand (ca. 20 Seiten pro Episode) die Serie noch einmal anschauen und simultan die Interpretationen studieren. Das ist kein Witz. Das ist „True Detective“ (Season 2).“
 
Mein Ratschlag: fokussiert und straigt erzählen, einfach statt barock, ironisch statt pathetisch. Tatschlich liefert „True Detective“ 3 diese Eigenschaften ab wie bestellt. Wieder erzählt Nic Pizzolatto die Geschichte, erneut ist Gary Fukunaga nicht dabei. Fukunaga hat inzwischen einen gewaltigen Karrieresprung hingelegt, steht als neuer Bond-Regisseur im Fokus und plant einige sehr exklusive Projekte.
Nic Pizzolatto
ist Showrunner geblieben, darf diesmal nicht scheitern. Die dritte Staffel hat er weitgehend wieder selbst geschrieben, aber mit David Milch einen künstlerischen Aufpasser an die Seite gestellt bekommen. Regie in den ersten beiden Episoden führte Jeremy Saulnier, in vier weiteren Episoden wird der erfahrene Daniel Sackheim („The X-Files“, „The Walking Dead“, „Better Call Saul“) am Set sein. Nun in zwei Episoden führt Pizzolatto selbst Regie. Als Executives sind u.a. Fukunaga, aber auch Harrelson und McConaughey dabei.


Wieder in die düsteren Südstaaten

Natürlich wird es an dieser Stelle nach den neuen acht Folgen wieder eine gründliche Review geben. Aber meine ersten Eindrücke möchte ich dennoch zusammenfassen. Es könnte nämlich spannend sein, seine Einschätzungen am Ende revidieren zu müssen oder Recht behalten zu haben.
Die dritte Staffel kehrt zu ihren Ursprüngen zurück. Und auch eine Unterteilung in verschiedene Zeitebenen gibt es wieder. In allen spielt Mahershala Ali („Moonlight“) die Hauptrolle. 1980 als Cop Wayne Hays, der zusammen mit seinem weißen Partner Roland West (Stephen Dorff) einen verzwickten Fall aufklären soll. Zwei Kinder, ein zwölfjähriger Junge und seine 10-jährige Schwester, sind verschwunden. Recht schnell findet Hays ein zerstörtes Kinder-Fahrrad, mysteriöse Puppen und dann auch den toten Jungen in einer Höhle. 

1990 erzählt ein weiterer Flashback davon, dass der Fall erneut aufgerollt werden soll. Hays wird befragt, die Ermittler geben sich zugeknöpft und rücken erst spät den Grund heraus: angeblich gibt es Spuren, die beweisen, dass das verschwundene Mädchen lebt und offenbar an einem Einbruch beteiligt war.

Im Jahre 2015 wird Hays erneut von dem alten Fall eingeholt. Er soll ein Interview für die TV-Doku „True Criminal“ geben. Mit beginnender Demenz ist der Ex-Cop bereits darauf angewiesen, sich selbst per Tonband Anweisungen für den nächsten Tag zu geben, ohne sie würde er vergessen, was er will.

Das alles hört sich vielversprechend an. Ist es auch. Das Ganze hat aber einen Haken, an dem die Serienmacher hängen. Wäre „True Detective“ 3 nicht die dritte, sondern die erste Staffel der Anthologie, würde man von einem interessanten, aber nicht gerade überwältigenden Serienstart sprechen. 

Nun ist es aber nicht so. An HBO und seinem Team hängt bleiern die erste Serie, die sich wie erwartet nicht toppen lässt. Und der viel diskutierte Fehlschlag der zweiten Staffel erhöht den Druck noch mehr.

In dieser Situation hat Nic Pizzolatto einfach die Reißleine gezogen. Offenbar in höchster Not: er kopierte einfach in der ersten Episode die erste Staffel bis ins letzte Detail.

  • Die Main Title Sequence von Mill+ und Antibody ähnelt der von Elastic und Antibody produzierten MTS ästhetisch wie ein Klon.
  • Als Composer ist erneut T Bone Burnett für den Score verantwortlich. Das Opening Theme „Death Letter“ singt Cassandra Wilson ähnlich stimmungsvoll wie „The Handsome Family“ in Staffel 1.
  • Wie in TD 1 werden die Cops Hays und West im Auto beim Small Talk gezeigt.Nur ist das meilenweit von den großen Vorbildern entfernt.
  • Wie in TD 1 spielt ein markantes Datum eine Rolle: in der ersten Staffel finden die Ermittler die erste Leiche am Geburtstag von Cohles toter Tochter, in TD 3 beginnen die beiden Copy Hays und West ihre Suche an dem Tag, an dem Steve McQueen starb.
  • In einer Rückblende der Fall erneut aufgerollt. Wie in TD 1 von zwei verschwiegenen Männern. In TD 1 werden Cohle und Hart getrennt befragt, in TD 3 ist es zunächst Hays.
  • In TD 1 finden Cohl und Hart mysteriöse Geflechte am Tatort, in TD 3 sind es nicht weniger mysteriöse zusammengeflochtene Puppen, mit denen der Täter Hays offenbar zur Leiche des Jungen führt.
  • In TD 1 sind die Hände der weiblichen Leichen zum Beten gefaltet. In TD 3 wird der tote Junge auf gleiche Weise arrangiert.
Man darf gespannt sein, ob diese formalen und inhaltlichen Ähnlichkeiten für das Narrativ eine wichtige Rolle erhalten werden. Wenn nicht, ist es Mimikry auf allerdings gutem Niveau, denn die erste Episode von TD 3 wird straight erzählt und stellt einen transparenten Bezug zwischen den verschiedenen Zeitebenen her. Die Regie von Jeremy Saulnier zeigt ein Gefühl für Details und Rhythmus und ist handwerklich recht überzeugend.
Auch visuell überzeugt die Serie. Sie ist stimmungsvoll durchkomponiert, einige Bilder sind von erlesener Qualität. Mit Kameramann Germain McMicking hat man offenbar den richtigen Mann an Bord geholt.

Weniger überzeugend ist die Buddy-Geschichte. Mahershala Ali, der sich selbst sehr energisch für die Hauptrolle ins Spiel gebracht hat, macht seine Sache gut, doch die Kritikerhymnen scheinen verfrüht zu sein. An die Performance von Matthew McConaughey und Woody Harrelson kommen weder Ali und erst recht nicht Stephen Dorff heran, dessen Rolle aber in der ersten Episode wenig Raum für Glanzleistungen zulässt.

Der Plot mit seinen kaum zu übersehenden Bemühungen, die Atmosphäre der ersten Staffel wiederzubeleben, ist entweder ein Plagiat oder eine geniale Idee, die sich allerdings erst noch einstellen muss. Eine folgerichtige Entscheidung wäre es, die Plots von TD 1 und TD 3 irgendwann in einen Metaplot einmünden zu lassen, was aber wenig wahrscheinlich ist, da die Geschichte von „True Detective“ 1 erst im Jahr 1995 beginnt. Aber weiß. Insgesamt war bein ersten Hinschauen der Versuch des Showrunners, sich selbst zu kopieren, eher ärgerlich als originell.

Wie zu erwarten war, ist auch die Kritikerzunft gespalten. Nicolas Freund schreibt in der Süddeutschen, dass Pizzolattos neue Serie nur noch bei sich selbst klaut. „Die neuen Folgen haben das True-Detective-Konzept der ersten beiden Staffeln auf das absolut Nötigste reduziert. Die Serie verlässt sich auf bewährte Versatzstücke, die aber nur noch Zitate sind, und auf eine Kriminalhandlung, die kaum der Rede wert ist.“
Nina Rehfeld ist für die FAZ dem neuen Stoff etwas zugeneigter: „Die Form stimmt, nur dem Topos fehlt es an Frische. Bisweilen wirkt „True Detective 3“ wie eine behutsame Variation der für groß befundenen Staffel eins. Aber Alis Auftritt, der subtile Ausdruck seiner Figur, die von einer tiefen Wut über den Kampf um die eigene Identität geprägt ist, ist es allein schon Wert, einzuschalten.“
Carolin Ströbele ist für die ZEIT begeistert von der dementen Hauptfigur begeistert: „Erzählerisch ist es ein gelungener Coup, einen Mann dabei zu begleiten, wie er zwischen wild hereinschießenden Gedankenfetzen plötzlich Schlüssel zur Lösung des Kriminalfalls entdeckt. Doch genau diese unberechenbaren Eingebungen flößen Hays Angst ein: Denn womöglich gab es einen guten Grund, warum er sie in die hintersten Winkel seines Gedächtnisses gesperrt hatte. Und so wird dieser Detective auf das Problem zurückgeworfen, mit dem schon Woody Harrelson als Officer Hart im ersten Teil seinen Partner Rust konfrontierte: "Fragst du dich manchmal, ob du ein schlechter Mensch bist?" Es ist keine neue Frage. Aber eine, die es wert ist, immer wieder von Neuem beantwortet zu werden.“

 
Mein Fazit ist etwas einfacher: Ich war hin- und hergerissen. Einige Szenen der Serie waren ein - allerdings gut gemachter - Abklatsch von TD 1, andere deuten eine eigene Geschichte an. Die Latte ist jedenfalls hoch aufgelegt. Falls also „True Detective“ im dritten Anlauf nur eine Kopie des einstigen Erfolgsrezepts sein sollte, wird das Vergnügen nicht gering sein.

True Detective - HBO 2018 - Showrunner: Nic Pizzolatto - Regie: Jeremy Saulnier, David Sackheim, Nic Pizzolatto - 8 Episoden - D.:
Mahershala Ali, Stephen Dorff u.a.