Mittwoch, 2. Dezember 2015

True Detective 2 – Der Vorhof der Hölle

Bevor die Hauptfiguren herausfinden, was wahrhaftige Detektive sind, müssen sie durch die Hölle gehen. Polarisiert hat bereits Nic Pizzolattos erste Staffel. Wer sie geliebt hat, wird von der zweiten entweder restlos enttäuscht oder völlig begeistert sein. Dazwischen existiert keine Grauzone, in der man es sich bequem machen kann. Und wer die philosophiegetränkten Geschichten schon beim ersten Mal nicht gemocht hat, wird sich nun erst recht bestätigt fühlen. Nicht ganz zu Unrecht, denn der Showrunner hat mit der neuen Serie die Latte vermutlich zu hoch aufgelegt. 

Direkt ins Herz des Bösen

Die erste Staffel von „True Detective“ war das Serienereignis des Jahres 2014. Selbst das kongeniale „Fargo“ musste sich gewaltig strecken, um der prall mit Bedeutungen abgefüllten Serie von Nic Pizzolatto auf Augenhöhe begegnen zu können (...gewann allerdings die meisten Preise). „True Detective“ war und ist ein Solitär: Zu wortgewaltig waren Matthew McConaughey und Woddy Harrelson – angesiedelt zwischen Existenzfragen, philosophischem Nihilismus und einer bildgewaltigen Mythologie, die direkt ins Louisianas schwarzes Herz des Bösen führte.

Der Hype um die zweite Staffel, die erneut als Mini-Serie mit abgeschlossener Handlung realisiert wurde, fiel bereits im Vorfeld unrealistisch aus. Es war nicht zu erwarten, dass man einen Geniestreich beliebig oft wiederholen kann. Es kam, was viele befürchtet hatten: viele Kritiker und Zuschauer wandten sich im vergangenen Sommer enttäuscht ab.
Regisseur Cary Fukunaga fehlte in der Fortsetzung, agierte aber ebenso wie die beiden Hauptdarsteller der 1. Staffel, Matthew McConaughey und Woddy Harrelson, als Executive Producer. Pizzolatto schrieb für TD 2 alle Drehbücher. In der zweiten Staffelhälfte ließ er sich von Scott Lasser unterstützen. 
Bereits nach den ersten Folgen war aber das Dilemma nicht mehr wegzudiskutieren: die zweite Staffel wollte aus den großen Schuhen ihres Vorgängers heraustreten, anders sein und doch originell bleiben. Ersteres ist gelungen, aber die Originalität wurde teuer erkauft. Schlicht und einfach auf den Punkt gebracht: Die Geschichte der zweiten Season ist völlig überladen und lässt sich eigentlich nur anschauen, wenn man gleichzeitig eine Gebrauchsanleitung in der Hand hält oder sich alle Folgen ohne große Unterbrechung in einem Rutsch anschaut.

Worum geht es?
„True Detective 2“ spielt in Vinci, einer fiktiven Kleinstadt, in der es „mehr Arbeitsplätze als Einwohner gibt“. Vinci liegt im Nirgendwo zwischen Los Angeles und San Diego, die hochindustrialisierte Topografie des kleine Nests in Südkalifornien wird durch Highways und Freeways mit diesen Metropolen verbunden. Dieses Netzwerk frisst sich wie ein Krebsgeschwür in die Landschaft. Und es soll größer werden. Der Ex-Gangster Frank Semyon (Vince Vaughn) hat im großen Stil in ein Projekt investiert, das weiträumige Parzellen für den weiteren Ausbau des Straßensystems aufgekauft hat. Ein lukratives Investment, für das man notfalls auch die Böden vergiftet, um billiger an das Land zu kommen. 
Denn unter der mäandernden Oberfläche der Schnellstraßen wuchert ein ganz anderes Krebsgeschwür: Industrie und Handel, die Verwaltung, die Polizei und die herrschende Elite von Vinci sind über zahllose Querverbindungen mit dem organisierten Verbrechen verknüpft, das schon längst seine Finger im Spiel hat. Und als Semyons Mittelsmann Ben Caspere ermordet wird, sind plötzlich auch seine Millionen futsch. Das Kartell teilt ihm lapidar mit, das Geld nie erhalten zu haben.

Korrupt sind fast alle in Vinci. Die Oberschicht feiert Orgien mit Nutten, die zuvor unter Drogen gesetzt werden. Es wird gesoffen und gekokst und alle wollen dazugehören. Den Sumpf möglichst nicht aufräumen sollen nun die Cops Raymond „Ray“ Velcoro (Colin Farrell) vom Vinci Police Department, Antigone „Ani“ Bezzeridis (Rachel McAdams), die für den Sheriff von Ventura ermittelt, und der Highway Patrol Officer Paul Wooddrugh (Taylor Kitsch), der Casperes Leiche auf einem Parkplatz gefunden hat.
Um diese Figuren herum baut Pizzolatto ein undurchsichtiges Geflecht aus weiteren Figuren auf, die nicht nur in den Big Deal involviert sind, sondern auch noch folgenschwere Crime Plots abarbeiten müssen, die weit in die 1990er Jahre zurückreichen. 

 

Melodram und Kitsch: Die Gefühle in True Detective

Über diesen Geschichten liegt eine gewaltige Tristesse, die sich langsam wie ein schleichendes Gift in die verborgenen Motive und Ängste der vier Hauptfiguren hineingräbt. Was sie verbindet: Sie leben nicht gerne, eigentlich müssten sie tot sein, um ihren Frieden zu finden. Sie wurden in ihrer Jugend sexuell missbraucht und misshandelt (Frank, Antigone) oder sind schwer traumatisiert wie Ray und Paul.
Rays Ehe ist gescheitert, er kämpft verzweifelt um das Sorgerecht für seinen Sohn und weiß nicht, ob er dessen biologischer Vater ist. Gleichzeitig steht er auf Franks Lohnliste und erledigt für ihn dirty jobs. Vor Jahren hat Ray nach der Vergewaltigung seiner Frau von Frank einen Tipp bekommen, aber er hat danach den Falschen umgebracht. Das erfährt er, als alles fast schon zu spät ist. Auch Antigone schlägt sich mit Dämonen der Vergangenheit herum, auch sie wurde in ihrer Jugend missbraucht, ihre New-Age-Familiengeschichte ist ein Grab voller dunkler Geheimnisse. Paul dagegen leidet an einem nie völlig aufgeklärten Kriegstrauma und einer ambivalenten sexuellen Orientierung. Antigone und der Irak-Veteran sind die einzigen in Vinci, die nicht durch und durch moralisch verkommen sind.

„True Detective 2“ orientierte sich zwar unübersehbar am Film Noir, an Vorbildern wie David Lynchs „Mulholland Drive“ oder Roman Polanskis „Chinatown“. Aber nicht nur. Von der Kritik bislang fast völlig übersehen wird der Einfluss des Melodrams. Dessen komplexe Symbolsprache, die oft herkömmliche dramaturgische Gesetze ignoriert, taucht in TD 2 unübersehbar auf und geht auch in Pizzolattos Serie zulasten der erzählerischen Konsistenz. Alle Hauptfiguren sind auf unterschiedliche Weise auf der Suche nach unbedingter Liebe, Loyalität und Freundschaft, während der Rest der Welt von nackter Gier angetreiben wird. Pizzolattos Schlüsselfiguren sind in diesem Vorhof der Hölle auf eine beinahe auswegslose Weise schwer depressiv und beinahe handlungsunfähig. Dass sie sich trotz unterschiedlicher Motive in der Mitte der Staffel darauf einigen können, den Mordfall gemeinsam aufzuklären, macht sie zwar zu „True Detectives“, aber ihr Scheitern und ihr Untergang kündigt sich schon lange vor der letzten Episode an.

Diese Melange der Gefühle und der Sehnsucht in den Griff zu bekommen, ist nicht einfach. Gleich an der nächsten Ecke lauern das Klischee und der Kitsch. Beides sollte nicht reflexhaft als negativ betrachtet werden, immerhin reden wir von den ökonomisch erfolgreichsten Stilformeln des Kino. Ich empfehle in diesem Zusammenhang Georg Seeßlens vermutlich nur noch antiquarisch zu erhaltenden Theorieklassiker
Kino der Gefühle - Geschichte und Mythologie des Film-Melodrams" (1980). Seeßlens 35 Jahre alter Text macht deutlich, warum die Figuren in einem Melodram sogar über Banales in einer seltsam überhöhten affektiv aufgeladenen Sprache reden. So reden sie auch in TD 2 und Seeßlens Satz „Die melodramatische Weltsicht ist der des Kitsches verwandt, behält sich aber die Möglichkeit des Wahnsinns vor" erklärt allemal den Stil Pizzolattos besser als vieles, was ich bislang über diese Serie gelesen habe. Die Folgen für die Storyline sind nicht zu übersehen: Symbolische Strukturierung der Handlung, Komplexität statt Einfachheit, Emotion statt Diskurs. Dennoch: Der Literaturdozent Pizzolatto dürfte schon gewusst haben, was er seinen Figuren in den Mund gelegt hat.
 
Offenbar glaubte Pizzolatto aber, den überkonstruierten Plot zu meistern. Marcus Müntefering bezweifelt dies und schreibt in seiner lesenswerten Review: In der 1. Staffel wurde die letztlich ziemlich überschaubare Story durch eine komplexe Erzählstrategie verkompliziert, TD2 hingegen wird linear erzählt. Dafür ist dieses Mal die Story so komplex, dass es beinahe unmöglich ist, zwischendurch den Überblick zu behalten. Pizzolatto verliert den eigentlichen Fall immer wieder aus den Augen, der Zuschauer den Überblick – und zeitweise das Interesse."
Das Ergebnis ist eine Two-Shot-Serie. Ich habe diesen Begriff erfunden, um Pizzolattos Narrativ besser erklären zu können. Ein „Two Shot“ ist eigentlich eine klassische Filmeinstellung, in der zwei markante Personen zu sehen sind (typisch: die beiden Killer in „Pulp Fiction“, aber z.B. auch die Helden in TD 1) – in meiner Kritik zielt „Two Shot“ aber auf den Zuschauer ab. Er benötigt nämlich mindestens ‚zwei Schüsse’, um die Geschichte in TD 2 einigermaßen in den Griff zu bekommen. Pizzolatto erzählt sie hyperkomplex aus den unterschiedlichen Perspektiven seiner vier Hauptfiguren, die mit gut zwei Dutzend weiterer Nebenfiguren verbunden sind. Von den unwichtigen Nebenfiguren soll erst gar nicht die Rede sein. 
Der erste Schuss der Zuschauers: 1x das Ganze anschauen, die Stimmung aufnehmen und sich hoffnungslos verirren, danach nach einem guten Episode Guide suchen, alles ausdrucken und mit dem Text in der Hand (ca. 20 Seiten pro Episode) die Serie noch einmal anschauen und simultan die Interpretationen studieren. Das ist kein Witz. Das ist „True Detective“ (Season 2).

Stilistisch überragend

Nic Pizzolattos zweite Staffel ist in jeder Hinsicht stilistisch ein Hingucker. Die Main Title Sequence wurde erneut vom Design Studio Elastic um Creative Director Patrick Clair kreiert. Das Team hat 2014 einen Emmy für das Main Title Design der ersten Season gewonnen und zog nun für TD 2 kein neues Kaninchen aus dem Zylinder, sondern bediente sich äußerst kreativ der bekannten Stilmittel. Elastic hat neue Standards definiert. Andere Serienmacher kupfern bereits kräftig ab.

Die Filmmusik besorgte erneut T Bone Burnett, der sich diesmal stärker an elektronischen Motiven orientierte und einen wirklich beeindruckenden, fast hämmernden Score entwickelte. Das Opening Theme ist Leonard Cohens „Nevermind“ aus seinem 2014 erschienenen Album „Popular Problems“. Wer genau hinhört, wird bemerken, dass sich der Text mit jeder neuen Episode ändert. Auch die Musik sorgt in „True Detective 2“ für kryptische Bedeutungsebenen – einen wichtigen Anteil daran hat auch die Liedermacherin Lera Lynn, die einen Großteil der diegetischen Musik komponierte und spielte (also jener Musik, die in einer fiktiven Geschichte u.a. von handelnden Figuren gespielt wird). Selbstverständlich muss man sich die Songtexte besorgen, sonst versteht man die Szenen nicht...

Auch narrativ funktioniert Pizzolattos Serie auf hohem Niveau. Alle Episoden beginnen mit einem ausgefeilten Cold Open und einem proleptischen Mini-Cliffhanger. Das bedeutet: ein direkter Sprung in eine Szene oder die Einführung eines Motivs, die beide nicht ad hoc den Bezug zum vorherigen Handlungsverlauf aufdecken, aber Kommendes andeuten (auch symbolisch). 
In Pizzolattos Serie gibt es zudem auch die eine oder andere Eröffnungsszene, die psychologische Deutungen einer Figur anbietet, ohne dabei alle Geheimnisse zu lüften. Dies ist spätestens seit Breaking Bad, das diese Erzähltechnik enorm verfeinert hat, zum Standard von Qualitätsserien geworden, und in TD 2 führt dies zu einigen wirklich bemerkenswerten Innenansichten.

Auch darstellerisch zeigt TD 2 eine Performance, die man outstanding nennen kann. Vince Vaughn, der ständig zerknautschte Colin Farrell, Rachel McAdams und besonders Taylor Kitsch spielen eindrucksvoll gegen das hart am Pulp entlang driftenden Script an, das im Laufe der Zeit immer mehr in einem Meer der Tränen und in metaphysischen Tiraden versinkt. Sie können aber nicht verhindern, dass aus den Figuren manierierte Kunstgebilde werden – und das hat nun rein gar nichts mit der hard-boiled-Diktion des Noir oder Neo-Noir zu tun, umso mehr aber mit dem entschlossenen Willen Pizzolattos, ein bis ins kleinste Detail durchkomponiertes Jahrhundertwerk vorzulegen.


Hieronymus Bosch der Serienkultur

Nino Frank schrieb 1946 in „The Crime Adventure Story: A New Kind of Detective Film“, dass es im Film Noir eher nicht um die Lösung des Falls geht, sondern um die psychologischen Eigenschaften der Figuren. Sie sind häufig in die Verbrechen verwickelt, die sie aufzuklären haben, und sie bewegen sich in einer Grauzone der Moral, wenn sie dies tun.
 

„My ethics are my own“, war der Wahlspruch eines der ersten literarischen hard-boiled Detectives, nämlich dem von Carroll John Daly erschaffenen Race Williams. Das könnte so oder ähnlich auch Ray Velcoro behaupten, aber er ist bereits der dekadente Nachfahre der Sam Spades und Philip Marlowes, sein Weg aus der Korruption und zurück zu einem Codex ist mit Schnapsflaschen gepflastert und der Weg zurück zur Wahrheit ist dann auch nur eine Art, am Ende möglichst rechtschaffen zu sterben.

Genau davon erzählt „True Detective 2“. Es geht nicht nur um einen Gangster, der um sein Geld betrogen wurde. Es geht auch nicht um drei Cops, die mehr oder weniger zufällig in die Lösung eines mysteriösen Mordfalls verstrickt werden. Es geht um den Untergang, das Scheitern, die vergebliche Sehnsucht und das richtige Sterben. Es verwundert deshalb nicht, dass der von Vince Vaughn großartig gespielte Gangster ein bemerkenswert gebildeter Mann ist, der Tiefsinniges zu erzählen weiß und im nächsten Moment mit kalter Brutalität seine Gegner liquidiert. Er ist sozusagen auf dem Rust Cohle-Trip, nur brutaler. 
Alle Protagonisten werden in der Stadt Vinci so oder ähnlich zu existenziellen Grenzgängern, deren bereits beschlossener Untergang nur von einigen kleinen Siegen kurzfristig aufgehalten wird. TD 2 ist Tristesse pur. Am Ende sind fast alle tot, es gibt keine Hoffnung.

Dass die Hauptfiguren in TD 2 allesamt moralisch und existenziell gebrochene Figuren sind, die an ihrer eigenen Lebensschuld zu zerbrechen drohen, legt einen undurchdringlichen Schleier der Dunkelheit über die Geschichte, die in ihrer völligen Hoffungs- und Aussichtslosigkeit nur zu ertragen ist, wenn man als Zuschauer grundsätzlich an eine depressive Weltsicht gewöhnt ist.
Wenn es einen Bezug zur ersten Staffel gibt, dann ist es folgender: Das Böse – und das ist durchaus bei Pizzolatto in einem metaphysischen Sinn zu verstehen – gewinnt immer, auch wenn der eine oder andere Bösewicht auf der Strecke bleibt.
War es in TD 1 die satanische Geheimgesellschaft, die in Louisiana pädophil motivierte Mordrituale organisierte und  verschleppte Kinder einer jenseitigen Instanz opferte (was immerhin ein reales Vorbild hatte), so existiert in TD 2 ebenfalls eine Geheimgesellschaft aus mächtigen Familien, die seit Jahrzehnten dem absoluten Nihilismus frönt.
In TD 1 scheitern die Helden daran, die eigentlichen Strippenzieher zu entlarven, lediglich ein grobschlächtiger Handlanger geht am Ende drauf. In TD 2 gibt es am Ende nur die vage Hoffnung, dass man die Verantwortlichen vielleicht irgendwann zur Rechenschaft ziehen kann. In beiden Staffel liegt ein okkulter Wahnsinn über dem Ganzen, nur sehen die Helden in TD 1 am Ende wenigstens ein helles Licht.

In TD 1 verknüpfte Nic Pizzolatto die Story Arc mit raffinierten Rückblenden und intelligenten Bezügen zur Weird Fiction eines H.P. Lovecraft, was mit einem grandiosen Finale endet (trotzdem hält sich bis heute die von Kritikern und Zuschauern geteilte Auffassung, dass Pizzolatto und Regisseur Fukunaga die letzte Episode vor die Wand gefahren haben), in TD 2 entstand ein Amalgam aus Film Noir und Melodram, dessen Ende nur sprachlos macht.

Pizzolatto hat die Verknüpfungen in TD 2 bedeutungsschwanger verrätselt und dabei eine Reihe von Ködern und Codierungen ausgebreitet, die entweder in die Irre führen oder zu einer symbolischen Überfrachtung führen. Gerade Letzteres hat natürlich einige Interpreten auf den Plan gerufen, die akribisch jedes nur so geringe Detail ausgeleuchtet und interpretiert haben, so als könne TD 2 uns eine tiefere Wahrheit vermitteln. Das dürfte zunehmend schwer fallen, denn in TD 2 werden anfänglich intelligente Gedanken immer häufiger durch aufgeblasene Aphorismen, banale Scheinweisheiten und stoische Oneliner ersetzt. Völlig ironiefrei und ohne den leisesten Ansatz von Humor. Dass dies aber auch noch so erzählt wird, dass man der Geschichte nicht einmal folgen kann, ist eine Todsünde.
 

Pizzolatto hat etwas geschaffen, das ich Mega Noir nenne. Eine hyper-komplizierte Alternativwelt, in der die Figuren nicht den Gesetzen der Plausibilität gehorchen, sondern den Regeln des finstersten Genres der Film- und TV-Geschichte. Sie hängen wie Marionetten an den Spielregeln des Film Noir, allerdings aufgeblasen mit dem Pathos des Melodrams - eine Mixtur, die nicht ohne Weiteres funktioniert. Sie hängen an dem Ariadnefaden ihres Schöpfers, allerdings dürfen sie den Weg aus dem Labyrinth nur halbherzig finden. Pizzolatto führt sie allesamt, die Figuren und die Zuschauer, in ein elegant gefilmtes Zwischenreich, das womöglich der Vorhof der Hölle ist – oder bloß ein besonders gemeiner Traum. Das Ergebnis ist grenzenlose Tristesse, vollständige Ausweglosigkeit und der Verlust jeglicher Hoffnung. Nic Pizzolatto ist nach „True Detective 2“ endgültig zum Hieronymus Bosch der Serienkultur geworden.

Löst man sich von der Unzugänglichkeit der Story und der melodramatischen Sprache, findet man in True Detective 2 immerhin eine elegant zelebrierte Schein- und Kunstwelt, die spätestens nach der vierten Episode atmosphärisch keinen Wunsch offen lässt. Retten kann dies Pizzolattos Geschichte leider nicht.
Das „Kunststück“ hätte gelingen können, wenn der Showrunner und Autor minimalistisch vorgegangen wäre: fokussiert, straight erzählend, einfach statt barock, ironisch statt pathetisch. So aber wirkt „True Detective 2“, als hätten sich David Lynch und Philip K. Dick getroffen, sich grinsend etwas Undefinierbares eingeworfen, dann das Script geschrieben und anschließend völlig stoned auf William S. Burroughs gewartet. Dessen „Cut-up“-Technik bestand darin, die Manuskriptseiten in kleine Zettel zu zerschneiden und nach dem Zufallsprinzip  neu anzuordnen.


Die Kritik wurde am 3. Dezember überarbeitet.

Noten: BigDoc = 3,5
 

True Detective (Season 2) – USA 2015 – Showrunner, Buch: Nic Pizzolatto – Regie: Justin Lin u.a. – Musik: T Bone Burnett – Opener: „Nevermind“ von Leonard Cohen – Main Title Design: Patrick Clair u.a. (Elastic) – D.: Vince Vaughn, Colin Farrell, Rachel McAdams, Taylor Kitsch, Ritchie Coster, Afemo Omilami, David Morse u.a.