USA 2012 - Originaltitel: The Hunger
Games - Regie: Gary Ross - Darsteller:
Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson, Lenny
Kravitz, Elizabeth Banks, Stanley Tucci, Lenny Kravitz - FSK:
ab 12 - Länge: 142 min.
In Susanne Collins Jugendbuchserie „The Hunger Games“ sind
die USA schlichtweg im Eimer. Der übrig gebliebene Rest nennt sich „Panem“, was
an Panem et circenses („Brot und
Spiele“) erinnern soll. Die Reichen und Mächtigen sind nämlich, ach ja, immer
noch reich und mächtig und regieren mit harter Hand 12 Provinzen, die
Dreizehnte ist nach einer Revolte vermeintlich ausgelöscht worden. Um daran zu
erinnern, dass wie bei den Borg Widerstand zwecklos ist, werden Jahr für Jahr
die Hunger Games veranstaltet, wobei
per Los jeweils zwei Kinder oder Jugendliche aus jedem Bezirk dazu bestimmt
werden, in den für’s TV prachtvoll inszenierten Gladiatorenkämpfen ihre Heimat
zu repräsentieren, besser gesagt: den anderen Kids möglichst schnell den Schädel
einzuschlagen. Natürlich sollen am Ende 23 der Kandidaten mit dem Tod bezahlen
und der Sieger kriegt alles: Reichtum, Ehre, auf jeden Fall aber genug zu
essen, denn das ist mittlerweile ein echtes Problem geworden.
Soweit der Plot einer der derzeit beliebtesten
Jugendbuch-Serien. Natürlich ist „The Hunger Games“ irgendwie eine Dystopie,
also eine Anti-Utopie oder besser gesagt: eine Endzeitgeschichte. Und dazu eine
erfolgreiche, die Trilogie wurde eine Bestseller.
Eine Verfilmung war nicht
mehr zu vermeiden.
Nur ein Plagiat? Keine Ahnung, auf jeden Fall ein schlechter Film!
Im Filmclub ist „Die Tribute von Panem“ gnadenlos gefoppt
und belegt die Liste der miesesten Filme des Jahres 2012 als bislang
drittschlechtester Film. Das liegt nicht daran, dass wir einen verwöhnten
Geschmack haben, sondern an der Machart des Films: die Adaption für’s Kino, die
sich eng an die Vorlage gehalten haben soll, ist einfach schlechtes Kino. Der
Plot ist eine weitgehend unoriginelle Variation bekannter Genremuster, die Glaubwürdigkeit
der Figuren irrlichtert zwischen humanistischen Idealen und greller Überzeichnung,
Kameraarbeit und Montage sind ein besonders übles Beispiel für offenbar
gewollten Dilettantismus. Da wir Vier inzwischen sehr belastbar geworden sind,
ist eine Gesamtnote von 4,1 schon ein Desaster – nicht für uns, sondern für den
Film. Um das zu verstehen, soll etwas ausgeholt werden...
Am Anfang einer Dystopie steht immer die Apokalypse. Die
bekannten desaströsen Verhältnisse auf unserem Globus (Kriege, Klimawandel,
Wirtschaftskriege usw. usw.) sorgen irgendwann für den Supergau und danach
regiert entweder der Pöbel oder andere Bösewichter greifen zur Macht. In der
Regel wollen sie natürlich bei der Ressourcenverteilung die Ersten am
Futternapf sein. Die Unterjochten und Ausgebeuteten wünschen dagegen ihren Teil
vom Kuchen oder sie wollen die Herrschaftsideologie überwinden, die ihnen das
Lesen verbietet („Fahrenheit 451“), die Emotionen unterdrückt („Equilibrium“),
schlichtweg faschistisch ist („V wie Vendetta“) oder genetische Selektion
betreibt („Gattaca“). Dsytopische Elemente enthalten auch viele
Sci-Fi-Klassiker wie „Metropolis“, „Clockwork Orange“ oder „Blade Runner“ und
natürlich der große alte Evergreen „1984“. Natürlich bieten sich in Dsytopien
auch patriotische Gegenentwürfe an. Kevin Costner hat dies in „Postman“
vorgeführt und ist böse baden gegangen.
„Die Tribute von Panem“ ist so gesehen ebenfalls eine Dystopie und die Verfilmung des ersten Teiles
der erfolgreichen Trilogie „The Hunger Games“. Der Buchreihe wurde neben einem
expliziten Sadismus auch mehr oder weniger offen vorgeworfen, ein Plagiat zu
sein. Stephen King hat dies in seiner ansonsten wohlwollenden Kritik[1]
dezent angedeutet.
Andere Kritiker waren nicht ganz so einfühlsam und warfen Susanne
Collins vor, dass sie in der von 2008 bis 2010 erschienenen Reihe ziemlich
unverhüllt die hierzulande noch unter Verschluss gehaltene bzw. stark
geschnittenen Todesspiel-Orgie „Battle Ship“ von Kinji Fukasaku plagiiert habe.
Wie auch immer: ich habe weder Collins Bücher gelesen noch Fukasakus Film
gesehen, der – wen wundert’s – als Kultfilm gehandelt wird. Ein Plagiat
nachzuweisen, ist zudem nicht einfach. Das allerdings ein Buch einen Film
abgekupfert haben soll, ist nicht alltäglich. Aber eins ist klar: der Vorwurf
an die Autorin lässt sich ohne Begründung nicht auf die Filmemacher übertragen,
macht das Ganze aber in punkto Originalität zumindest verdächtig[2].
Konglomerat bekannter Versatzstücke
In der Literatur ist der Topos eine formale Kategorie, die
man im weitesten Sinne als thematische
Struktur erklären kann, und zwar häufig dann, wenn etwas zum Gemeinplatz,
zur stereotypen Wiederholung geworden ist. Das ist an sich noch nichts
Schlimmes, Filmgenres leben davon, aber zumindest sollte man wissen, wie sich
das Zeug, das wir im Kino sehen, zusammensetzt.
Die „Tribute von Panem“ basieren topologisch auf einem
universellen Baustein unserer Mythologien: dem Kampf von Auserwählten bis zum
Tode. Wir kennen dies aus den historisch verbürgten Gladiatorenkämpfe, die uns
über zwei Jahrtausende später z.B. als Wrestling-Show wiederbegegnen. Dieser
narrative Baustein ist nicht deswegen so erfolgreich, weil er an die
sogenannten niedrigen Instinkte appelliert, sondern weil er in seinen
verschiedenen Spielarten eine spannende Erzählung garantiert: der Held in der
Extremsituation, ständig vom Tode bedroht.
Gladiatoren kennen wir aus dem alten Rom, den Rest wie
gesagt aus dem Kino. Wobei das auch nicht ganz stimmt, denn das alte Rom kennen
wir schließlich auch nur noch aus sündhaft teuren Filmen oder wenigstens aus
der Glotze. Vielleicht hat man sich das schon vor Urzeiten an den Lagerfeuern
erzählt...
Der aufgeklärte moderne Medienmensch will 3000 Jahren später
natürlich einen moralischen Kern in der Geschichte, damit sich das Hinschauen moralisch
rechtfertigen lässt. Spaßig an dieser kritischen Reflexion ist, dass die
Medienmacher das schlimme Spektakel erst einmal ausführlich dem Publikum
vorführen, damit man hinterher die moralische Kohärenz prüfen kann. Das heißt
zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: man schaut einerseits genüsslich und
folgenlos dem tödlichen Thrill zu und andererseits erfährt man, dass Gladiatorenspiele
natürlich übel sind, gegen die Menschenwürde verstoßen und mindestens die Folge
einer faschistischen Herrschaftsideologie sind, womit der aufklärerische Teil
mitsamt seiner pädagogischen Nebenarme abgedeckt ist.
Und um das Ganze noch auf die Spitze zu treiben, wird unser
Voyeurismus auch noch im Medium verdoppelt und gespiegelt: wir sehen uns dann
einen Film an, in dem sich andere das Grauenhaften ihrerseits als Medienprodukt
reinziehen. Damit sollen wir dann zur Einsicht gebracht werden, dass die Medien
skrupellos sind, aber auch in uns das Böse zumindest als moralfreie Schaulust
existiert.
Das muss nun per se nicht schlecht sein (George A. Romero
hat dies in „Diary of the Dead“ ziemlich gut hingekriegt), aber in der Regel
ergibt dies zumindest und todsicher ein famoses Geschäft, bei dem nur darauf zu
achten ist, dass sich die Brutalitäten zumindest bei einer Jugendbuchverfilmung
soweit im Rahmen halten, dass man eine milde Altersfreigabe erhält. Im Falle
von „Die Tribute von Panem“ hat das gut funktioniert: mit fast schon billigen
78 Mio. US-Dollar wurde ein Film produziert, der bislang satte 685 Millionen
abgeworfen hat. Moralische Erbauung und Nervenkitzel rechnen sich und man
sollte sich daran gewöhnen, dass die Geschichten und ihr moralischer Kern,
Sujet und Stil, all das, am Ende halt Produkteigenschaften sind.
Immer wieder die gleichen Geschichten
Wer allerdings alt genug ist, hat dies alles schon 10-20-mal
gesehen oder gelesen. Wolfgang Menges Fernsehspiel „Das Millionenspiel“ setzte 1970
eine erste Duftmarke: etwa die Hälfte der Zuschauer reagierte entsetzt auf die
Show, in der ein Kandidat von einer Killerbande gehetzt wird. Die anderen
TV-Glotzer meldeten sich beim Sender flugs als Kandidat an! Entweder als
Gejagter oder als Jäger. Der weitsichtige Menge konnte mit dem
„Millionenspiel“, das draußen an der Mattscheibe von vielen für echt gehalten
wurde, durchaus ein Alleinstellungsmerkmal beanspruchen, hatte er doch sehr
prophetisch abgesteckt, was Quotendruck, Big Brother, Reality TV und
Casting-Shows danach in den folgenden Jahren recht verschämt zu Wege brachten.
Ach ja, im „Millionenspiel“ erhielt das gejagte Opfer Unterstützung durch „aufrichtige Bürger" – in „Die Tribute von Panem“ werden sie „Sponsoren“
geheißen.
1982 erschien dann Richard Bachmans (aka Stephen King) „The
Running Man“, was später natürlich ebenfalls verfilmt wurde („The Running Man“,
1987, R.: Paul Michael Glaser). Der Film wurde in Deutschland 1889 indiziert,
ist aber gegenwärtig in einer verstümmelten FSK 18-Fassung wieder auf dem
Markt.
Richard Bachman legte 1987 noch einmal das Sujet in einer
Variante auf: „Todesmarsch“ (The Long Walk) handelt von einer Spielshow (!),
bei der Jugendliche (!) erschossen werden, wenn sie bei einem Gewaltmarsch die
geforderte Mindestgeschwindigkeit nicht einhalten können.
Als Metzelfilm für
Erwachsene wurde das Thema, allerdings mit freiwilligen Auftragskillern, in
„The Tournament“ (GB 2009, R.: Scott Mann) durchdekliniert.
Platter Plot – das Scheitern des Geschichtenerzählens
„Die Tribute von Panem“ sind nichts anderes als die
weitgehend entschärfte Variante eines Sujets, das eher auf den erwachsenen Zuschauer aus ist, für die jugendliche Zielgruppe daher adäquat
entschärft werden musste. Man kann den Film auch marktkonform nennen.
Natürlich
gibt es Gewalt, aber Katniss (Jennifer Lawrence, u.a.: „X-Men – Erste Entscheidung“)
ist eine durch und durch moralisch saubere Heldin. Nicht nur, dass sie sich
freiwillig anstatt ihrer ausgelosten kleinen Schwester zu den Spielen anmeldet,
sie kümmert sich während der Wettkämpfe um die Schwachen und hat ein inniges
Verhältnis zur Natur. Klar, sie wird töten, aber es fällt ihr sichtlich schwer.
Etwas Love Interest gibt es auch: Peeta (Josh Hutcherson, u.a.: „The Kid are
All Right“), der sich schon früher in sie verliebt hat, wird ihr zur Seite
stehen, so wie Katness ihm später das Leben retten will. Das wird durchaus spannend
und auch psychologisch angemessen erzählt .
Auf der anderen Seite skizziert Gary Ross, der mit „Pleasantville“
(1989) eine ziemlich gelungene Mediensatire hinlegte und mit „Seabiscuit“
(2003) eher konservativ angehauchtes, aber ästhetisch rundes Familienkino
ablieferte, die Gesellschaft in „Die Tribute von Panem“ mit den Mitteln der
grotesken Überzeichnung: Mode und Frisuren sind geckenhaft, die herrschende
Oberschicht ist sichtbar mondän und dekadent, die Talkshows im Fernsehen noch
zynischer als gewohnt, und der böse Diktator Präsident Snow (Donald Sutherland)
ist trotz ausgesuchter Boshaftigkeit so schlicht angelegt, dass man ihn fast
nicht zu fürchten hat. Für den Comic Relief sorgt wieder einmal Woody Harrelson,
der als einer der Mentoren der Teilnehmer seine abgezockte Cleverness erneut
hinter schusseliger Lümmelhaftigkeit verbergen darf.
Was so ärgerlich daran ist? Ganz einfach: die Geschichte,
die uns erzählt wird, bedient sich muffiger Klischees und einer nicht
sonderlich originellen Mischung aus ‚hartem’ Realismus und einer überzogen infantilen
Medienshow. 12-Jährige dürfte dies amüsieren, aber inhaltlich ist das auch ein generelles Problem der Dystopie. Als negativer
Gegenentwurf zur keimfreien Utopie, in der die Gesellschaft ihre Probleme
gelöst hat, sind die Ausgangsbedingungen in einer Dystopie willkürlich gesetzt, ihre
historische Genese bedarf offenbar keiner weiteren Erklärung. Es ist immer das Gleiche: Katastrophen,
Wirtschaftskrisen und andere apokalyptische Katastrophen führen zu repressiven
und korrupten Gesellschaften, in denen die Helden oft beim Versuch
scheitern, das System von innen aufzubrechen. Dabei möchte man doch eigentlich
etwas differenzierter erfahren, wie es zu ‚so etwas’ kommen kann. Leider ist
dies selten der Fall und in „Die Tribute von Panem“ auch nicht. Wenn es Dystopien in Literatur
und Film nicht gelingt, das Neue in einer repressiven Gesellschaft als das
bereits vorhandene Alte vorzuführen, sind sie gescheitert. Mit anderen Worten:
eine Dystopie, die nicht den Erfahrungshorizont des Lesers oder Zuschauers
einbezieht, ist ein entgrenztes Schauermärchen.
Chaos Cinema
Wer bis jetzt durchgehalten hat, muss nun auch noch den
letzten Schlag aushalten: „Die Tribute von Panem“ ist miserabel gefilmt und
geschnitten. Es schien den Machern nicht zu reichen, die Wackelkamera („Shaky
Cam“) durchgehend einzusetzen, die Szenen wurden auch so geschnitten, dass der
Zuschauer in einen Zustand diskontinuierlichen Sehens versetzt wird. Und das
nicht nur in Actionszenen. Ein schauriges Beispiel sind Schnitte in die
Bewegung, nach denen die neue Einstellung deutlich unter den üblichen 30 Grad
bleibt, die in der ‚altmodischen’ Continuity-Montage gefordert sind. Dies und
ähnliche Verfahren führen zu einer Hektik, die in voller Absicht die
Wahrnehmung von Details und kontinuierliche Bewegungsabläufen verhindert.
Selbst Dialoge werden durch absurde Zwischenschnitte so zerhackt, dass die
Einstellungen unter 3 Sekunden bleiben (was übrigens dazu führt, dass man
hinterher nicht mehr daran erinnern kann, was man gesehen hat).
Wer mehr über die Prinzipien und Absichten des Chaos Cinema erfahren möchte, sollte den
gleichnamigen Aufsatz des deutschstämmigen Filmwissenschaftlers Matthias Stork
lesen (Warnung: etwas Englisch ist vonnöten), der sehr detailliert und anhand
konkreter Beispiele analysiert hat, wie sich das Actionkino in den letzten
Jahren ästhetisch verändert hat.[3]
Fazit: "Die Tribute von Panem" ist ein grottiger Film, dessen Erfolg an den Kassen nur
dann nachzuvollziehen ist, wenn man seinen Blick auf weitere desaströse Trends
in der Kinokultur richtet. Ich erspare mir das. Zumindest heute.
Noten: Melonie, BigDoc, Mr. Mendez = 4, Klawer = 4,5
[2] Durchaus
erwähnenswert ist, dass Susanne Collins für den ersten Teil „Tribute von Panem
– Tödliche Spiele“ in Deutschland mit einem der begehrtesten
Jugendliteratur-Preise ausgezeichnet wurde (2009) - dem Buxtehuder Bulle.
2010 erhielt die Autorin zudem beim Deutschen
Jugendliteraturpreis den Preis der Jugendjury in der Altersgruppe zwischen
14 und 15 Jahre. Hier entschieden sich eine Jury aus Kids für das angesagte
Stück Literatur. Wichtiger für das Franchise ist aber weniger ein deutscher
Buchpreis als die harten Marktfakten: zum Zeitpunkt des Film-Release hatte
Collins in den Staaten über 50 Millionen Bücher an den Mann ... respektive
Mädchen und Jungs gebracht und belegte hinter Harry Potter den zweiten Platz im
Ranking der Top 100 Teen Novels.
[3] Chaos cinema is a never-ending crescendo of flair and
spectacle. It’s a shotgun aesthetic, firing a wide swath of sensationalistic
technique that tears the old classical filmmaking style to bits. Directors who
work in this mode aren’t interested in spatial clarity. It doesn’t matter where
you are, and it barely matters if you know what’s happening onscreen. The new
action films are fast, florid, volatile audiovisual war zones. http://blogs.indiewire.com/pressplay/video_essay_matthias_stork_calls_out_the_chaos_cinema