Wenn Männer während der
Arbeit oder danach zusammen in einem Auto sitzen und ein Bier trinken, nimmt
der Smalltalk oft eine existenzielle Bedeutung an. Man soll daher nicht
glauben, dass in solchen Situationen Banales abgesondert wird. In „Take
Shelter“ sitzen gleich am Anfang Curtis LaForche und sein Freund und Kollege
Dewart in einem Auto. Dewart kündigt an, dass er und seine Frau einen „Dreier“
mit einer 120-Kilo-Frau planen und bescheinigt seinem Freund gleichzeitig, dass
dieser doch dagegen ein wunderbar normales Leben mit einer wunderbaren Frau
führt.
So etwas ist nicht gut, ganz
im Gegenteil: so kündigen sich im Kino richtig schlimme Katastrophen an. Man
erinnert sich prompt daran, dass in „The Walking Dead“ Rick und Shane, beide
auch beste Freunde, im Auto sitzen und über das Leben, die Familie und ihre
Frauen sinnieren. Und dann kommen die Zombies.
Portrait eines psychischen Zerfalls
In „Take Shelter“ gibt es
keine Untoten, aber eine Apokalypse biblischen Ausmaßes zieht herauf. Davon
ahnt Curtis (Michael Shannon) zunächst nichts. Er lebt mit seiner Frau Samantha
und seiner hörbehinderten Tochter Hannah in Ohio, weit draußen auf dem Land. Der
Alptraum schleicht sich in sein Leben auf leisen Sohlen ein. Wolken ziehen auf,
dunkel dräuend, von Blitzen durchzogen. Die Vögel gruppieren sich zu
merkwürdigen Schwärmen und die Normalität schleicht sich mit leisen Schritten
aus dem Leben des Vorarbeiters eines Sandgewinnungsunternehmens.
Dann kommen die Alpträume:
Curtis wird von seinem Hund angefallen, später wird in auch seine Frau im Traum
erscheinen, klatschnass steht sie in der Küche und schaut unverhohlen auf ein
Küchenmesser, das auf dem Spülbecken liegt. Wahnhaft beginnt Curtis damit, die
Bedrohungen beiseite zu schaffen: der Hund muss aus dem Haus, später will er
seinen besten Freund nicht mehr in seinem Team haben und für Samatha befürchtet
man schon das Schlimmste. Von innen heraus wird die Befindlichkeit der
amerikanischen Mittelstandsfamilie langsam ausgehöhlt, und währenddessen
beginnt Curtis damit, den Sturmschutzkeller im Vorgarten auszubauen.
Ein großer Sturm wird kommen und nur er weiß, dass Unvermeidliches geschehen wird.
Ein großer Sturm wird kommen und nur er weiß, dass Unvermeidliches geschehen wird.
Was Jeff Nichols („Shotgun
Stories“, 2007) in „Take Shelter“ inszeniert, ist zunächst das beklemmende
Porträt eines psychischen Zerfalls. Als Zuschauer beeilt man sich, mit der
gebotenen Rationalität die überdeutlichen Zeichen zu deuten: klar, hier wächst
eine Psychose heran, die unweigerlich in die Katastrophe münden wird.
Auch Curtis zieht das Naheliegende als Erklärung heran, ist seine Mutter doch in jungen Jahren an paranoider Schizophrenie erkrankt. Der Hausarzt rät zum Besuch eines Psychiaters, heraus kommen einige Sitzungen bei einer Psychologin, doch das, was von Curtis Besitz ergriffen hat, will sich nicht vertreiben lassen. Mit unerbittlicher Konsequenz illustriert Nichols in ruhigen Bildern den Niedergang eines Mannes, der nur für eine kurze Zeit Normalität und Wahnbilder ausbalancieren kann. Dann aber, man ahnt es als Zuschauer, wird er fast alles verlieren: seinen Job, seinen Freund, und beinahe auch das Vertrauen seiner Frau.
Auch Curtis zieht das Naheliegende als Erklärung heran, ist seine Mutter doch in jungen Jahren an paranoider Schizophrenie erkrankt. Der Hausarzt rät zum Besuch eines Psychiaters, heraus kommen einige Sitzungen bei einer Psychologin, doch das, was von Curtis Besitz ergriffen hat, will sich nicht vertreiben lassen. Mit unerbittlicher Konsequenz illustriert Nichols in ruhigen Bildern den Niedergang eines Mannes, der nur für eine kurze Zeit Normalität und Wahnbilder ausbalancieren kann. Dann aber, man ahnt es als Zuschauer, wird er fast alles verlieren: seinen Job, seinen Freund, und beinahe auch das Vertrauen seiner Frau.
Take Shelter
heißt übersetzt ‚Schutz suchen’. Bloß vor was? Da drängt es sich auf, den
unterirdischen Bunker, an dem Curtis herumwerkelt, als Symbol zu deuten. Das
gelingt durchaus, wenn man die Heimsuchungen der Familie LaForche als
Krisensymptomatik des amerikanischen Mittelstands in unsicheren Zeiten der
globalen Finanzkrise liest.
Die Spuren werden von
Nichols allerdings unübersehbar gelegt: die verordnete Handvoll Tranquilizer,
die Curtis verordnet bekommt, kosten ihn 50 Dollar und die anstehende Operation
seiner behinderten Tochter ist nur möglich, weil Curtis einen ungewöhnlich
großzügigen Krankenversicherungsschutz genießt. Wenn sich Curtis bei seiner
Hausbank um einen Kredit bemüht, warnt ihn der Banker ganz offen und erwähnt unheilvoll
‚flexible Zinsen’, was sich ja auch in diesen Zeiten bereits wie ein
Vollstreckungsurteil anhört.
Alles recht naheliegend, doch warum hat man bloß beim Zuschauen das Gefühl, dass dies eine faule und bequeme Deutungsausrede ist? Bei allem Verständnis für eine allegorische und soziologisch motivierte Deutung des Films sollte man (bei aller Begeisterung) nicht vergessen, das die Finanzkrise eben kein mystisches Naturereignis, kein metaphysischer Sturm ist, sondern das Ergebnis kalten Kalküls – eben man-made. Was sollen wir vom Kino erhoffen, wenn schon die Erklärungen der Ökonomen fadenscheinig sind?
Alles recht naheliegend, doch warum hat man bloß beim Zuschauen das Gefühl, dass dies eine faule und bequeme Deutungsausrede ist? Bei allem Verständnis für eine allegorische und soziologisch motivierte Deutung des Films sollte man (bei aller Begeisterung) nicht vergessen, das die Finanzkrise eben kein mystisches Naturereignis, kein metaphysischer Sturm ist, sondern das Ergebnis kalten Kalküls – eben man-made. Was sollen wir vom Kino erhoffen, wenn schon die Erklärungen der Ökonomen fadenscheinig sind?
Weltuntergang als Kammerspiel
Tatsächlich ist „Take
Shelter“ eine Angstmaschine, ein prä-dystopischer Horrorfilm, wie man ihn lange nicht gesehen hat. Wie auch bei seiner Hauptfigur schleicht beim
Zuschauen eine Beklemmung ein, die sich peu à peu in eine anhaltend tiefe
Unruhe verwandelt.
„Take Shelter“ lebt dabei in erster Linie vom grandiosen Spiel Michael Shannons, der zu den Lieblingsschauspielern von Werner Herzog zählt und bereits in „Shotgun Stories“ für Jeff Nichols vor der Kamera stand. Einem breiteren Publikum ist Shannon als Agent Nelson van Alden aus „Boardwalk Empire“ bekannt : dort spielt er einen hochneurotischen und fast wahnhaft religiösen Bundespolizisten, der sich geißelt und auch nicht vor einem Mord zurückschreckt, um seine Überzeugungen durchzusetzen.
„Take Shelter“ lebt dabei in erster Linie vom grandiosen Spiel Michael Shannons, der zu den Lieblingsschauspielern von Werner Herzog zählt und bereits in „Shotgun Stories“ für Jeff Nichols vor der Kamera stand. Einem breiteren Publikum ist Shannon als Agent Nelson van Alden aus „Boardwalk Empire“ bekannt : dort spielt er einen hochneurotischen und fast wahnhaft religiösen Bundespolizisten, der sich geißelt und auch nicht vor einem Mord zurückschreckt, um seine Überzeugungen durchzusetzen.
In „Take Shelter“ lässt
Shannon seinen Obsessionen dagegen keinen freien Lauf. Seine Figur legt er als
liebevollen Gatten und Vater an, frei von Aggressionen oder Wutausbrüchen.
Selbst wenn Curtis bereits jenseits von Gut und Böse ist, erlebt man keinen
Psychopathen, sondern einen Vater, der zärtlich mit seiner Tochter spielt, man spürt
seinen Willen zum Widerstand und den Glauben an eine Rationalität, die er nur
dann zurückbekommt, wenn er sich nur besonders heftig anstrengt. Und Shannon
strengt sich an, man sieht seinem zerquälten Gesicht an, was ihn umtreibt. Doch
wie in einer griechischen Tragödie zieht es seine Figur Curtis, und damit auch dessen
Familie, unweigerlich nach unten. Die Aporie der Figur wirkt beklemmend und
über weite Strecken ist es nicht leicht, den Film überhaupt auszuhalten.
Stilistisch befindet sich
Jeff Nichols mit seiner Endzeitstudie dabei ganz in der Tradition von M. Night
Shyamalan: auch Nichols setzt auf ruhige, lange Kameraeinstellungen, die sich
auf die Protagonisten konzentrieren und sich Zeit für die physiognomische Widerspiegelung
ihres Innenlebens nehmen. Und wie bei Shyamalan spielen auch Töne bei Nichols
eine wichtige Rolle, etwa wenn sich bedrohlicher Donner als Lärm einer
Baumaschine entpuppt oder dann, wenn Curtis bedrohliche Geräusche hört, die
sonst keiner hören kann. Dazu passt dann der minimalistische und wirklich
exzellente Score von David Wingo wie eine Faust aufs Auge.
Und auch ähnlich wie bei Shyamalan ist „Take Shelter“ tempoarm geschnitten und nicht nur das erinnert dann doch sehr an „The Happening“ und besonders an die stürmische Unruhe der Natur in Shyamalans „Signs“, der letztendlich auch eine familiäre Paranoiastudie gewesen ist. Für „Take Shelter“ gilt über weite Strecken das, was Roger Ebert über „Signs“ geschrieben hat: „When it is over, we think not how little has been decided, but how much has been experienced“. Recht hat er, auch "Take Shelter" wirkt durch seine pure Präsenz und weniger durch die anschließende Analyse.
Und auch ähnlich wie bei Shyamalan ist „Take Shelter“ tempoarm geschnitten und nicht nur das erinnert dann doch sehr an „The Happening“ und besonders an die stürmische Unruhe der Natur in Shyamalans „Signs“, der letztendlich auch eine familiäre Paranoiastudie gewesen ist. Für „Take Shelter“ gilt über weite Strecken das, was Roger Ebert über „Signs“ geschrieben hat: „When it is over, we think not how little has been decided, but how much has been experienced“. Recht hat er, auch "Take Shelter" wirkt durch seine pure Präsenz und weniger durch die anschließende Analyse.
Kurz vor dem Ende kommt dann
der erste Sturm. Die Familie begibt sich in den Bunker, der zum Erfüllungsort der
Visionen wird. Erlösen kann dies Curtis nicht, auch nicht das wieder gewonnene
Vertrauen seiner Frau: am nächsten Morgen wird es ihn viel Kraft kosten, die
schwere Bunkertür aufzuschließen, denn noch hört er, dass da draußen das
Inferno tobt. Doch draußen ist alles ruhig und die Nachbarn räumen nur eine
Handvoll abgebrochener Äste auf. Alles nur ein Protokoll einer
mitleiderregenden Psychose?
Dass „Take Shelter“ dann
doch etwas mehr sein will, das liegt am finalen Plot Twist. Nichols macht einen harten Schnitt, verlässt das Sozialdrama und wechselt das Genre. Vordergründig wird uns demonstriert, dass Curtis ähnlich wie die Vögel am Himmel, die eine
Bedrohung viel eher spüren als der Mensch, wohl der Einzige gewesen ist, der
ein Sensorium für das besessen hat, was nach dem harmlosen Vorspiel wirklich
heraufzieht. So suggeriert der fast schon paradoxe Schluss, dass ein Paranoiker am Ende eben doch Recht behalten kann und zudem weiß, dass auch seine
Familie dies weiß: im Angesicht des Todes ist man wieder ganz bei sich und
auch zusammen. Das ist fast schon eine Versöhnung, zumindest kann man das als
Zuschauer so sehen. Oder man reagiert genervt. Entscheidend ist dies nicht, denn „Take Shelter“
ist Suspense-Kino, das bereits vorher Angst gemacht hat. Sehr viel sogar.
Noten: BigDoc = 1,5
Kritiken
„Jeff
Nichols Film ist ein fintenreiches, geschickt inszeniertes und intelligentes
Porträt einer krisenerschütterten Gesellschaft ... Insofern darf
man den Film auch weniger direkt politisch, als universeller, nämlich
wirtschaftlich und soziologisch interpretieren: In der Weltfinanzkrise löst
sich gerade der amerikanische Traum in Luft auf: Hauskredite platzen, der
finanzielle Sturm hat noch schlimmere Folgen, als der schlimmste Tornado. Take Shelter ist sehr glaubhaft in seiner
Milieuzeichnung des kleinbürgerlichen Amerika, das alles richtig machen will,
ans Gute glaubt, und doch auf keinen grünen Zweig kommt“ (Rüdiger Suchsland in:
ARTACHOCK).
„Selten
hat ein Film so beklemmend und atmosphärisch dicht den Weg eines Menschen in
den psychischen Abgrund gezeigt. Langsam und bedächtig webt Regisseur Jeff
Nichols das Netz des Wahnsinns um seinen Hauptdarsteller und den Zuschauer
herum, bis man nicht mehr erkennen kann, was real ist und was Wahnvorstellung.
Allerdings konnte Regisseur Jeff Nichols zu guter Letzt wohl der Versuchung nicht
widerstehen und gibt mit der allerletzten Szene seinem Film eine Wendung, wie
man sie sonst nur aus reißerischen Horrorfilmen kennt. Und damit macht er
leider vieles kaputt, was „Ein Sturm zieht auf“ zuvor zwei Stunden lang
mühevoll und gekonnt aufbaut“ (Tobias Martin, Bayern 3).
„Nichols
bleibt immer sehr nahe an seinen Figuren. Und niemals ertränkt er seinen Film
in Effekten. Man kann auf die scheinbare Naivität des Endes hereinfallen – auf
den Sieg der Liebe über Wirklichkeit und Wahn gleichermaßen. Das tröstet
höchstens für den Augenblick. Oder als Traum. Den Sturm hält es nicht auf“ (Georg
Seeßlen in: DIE ZEIT).
„Take
Shelter ist wie ein kohärenter Körper, der zugleich mit leise rasselnden
Lungenflügeln die Folgen der Wirtschaftskrise atmet. Eine Parabel auf die Angst
des weißen Kleinbürgers vor dem Kontrollverlust genauso, wie die Beschreibung
eines im sterben liegenden Amerikas ohne Aussicht auf Heilung. Das wirklich
Bemerkenswerte an Nichols’ Leistung ist allerdings, daß sich diese im Subtext mitschwingende
Ebene nicht als Botschaft aufdrängt. Sie ist nicht das, worauf ein Regisseur
hinaus will, der nur tut, viel eher ergibt sie sich wie nebenbei aus der
organischen Konstruktion des Ganzen und aus der hochkonzentrierten Reduktion
auf die psychische Verfassung der Hauptfigur – und auch hier setzt Nichols noch
einen drauf: Nur selten bezog ein kommerzieller Horrorfilm seine Spannung aus
dem Psychogramm seines Helden, und noch seltener verdankte er dies einem
Hauptdarsteller, der, wie Michael Shannon, eine oscarwürdige Leistung in ein
solches Sujet hineinträgt“ (Martin Thomson in: SCHNITT).