Wie man ein besserer Mensch wird
Norwegen,
1915. Auf Bastøy, einer rauen Insel vor Oslo, werden männliche Kinder und
Jugendliche, die auffällig oder kriminell geworden sind, einem rigorosen Regime
unterworfen. Angeführt von Heimleiter Bestyreren (Stellan Skarsgård)
organisieren die ruppigen Heimpädagogen und Aufseher das Leben der
Insassen: harte körperliche Arbeit, eiserne Disziplin und Frömmigkeit werden
durch das Fehlen einer angemessenen Ernährung folgerichtig abgerundet.
Als der
beinahe erwachsene Erling (Benjamin Helstad) zusammen mit dem schmächtigen Ivar
(Magnus Langlete) auf die Insel geschickt wird, erhalten beide zunächst eine
Nummer, dann werden ihnen die Haare geschoren
Der Verlust der Individualität und das Brechen des freien Willens sind auf Bastøy Programm, Schläge und Isolationshaft gehören zum pädagogischen Standard.
Der Verlust der Individualität und das Brechen des freien Willens sind auf Bastøy Programm, Schläge und Isolationshaft gehören zum pädagogischen Standard.
Regisseur Marius Holst nutzt den Antagonismus zwischen dem physisch robusten und rebellischen Erling und dem schwächlichen Ivar, um exemplarisch die sozialen Strukturen auf Bastøy abzuarbeiten. Erling kann auch nach einem vergeblichen Fluchtversuch nicht gebrochen werden, Ivar wird schon bald nach der Ankunft vom sadistischen Hausvater Bråthen (Kristoffer Joner) sexuell missbraucht. Als er die Chance erhält, dem Heimleiter davon zu berichten, wird er schweigen und jene verraten, die sich für ihn eingesetzt haben. Der Dritte im Bunde (und die eigentliche Hauptfigur) ist der angepasste, aber intelligente und feinfühlige Olav (Trond Nilssen), der kurz vor seiner Entlassung steht und eigentlich keine Konfrontation mit der Obrigkeit sucht. Als sich schließlich Ivar umbringt, schlägt Olav am Tag seiner Entlassung Bråthen nieder. Es kommt es auf der Insel zur offenen Rebellion, die vom Militär niedergeschlagen werden muss. Olav ist der Einzige, dem am Ende die Flucht übers Eis gelingt.
Authentischer Publikumserfolg
Es ist gut,
dass kurz nach dem Kinostart in Deutschland „King auf Devil’s Island“ nun auch auf
DVD und Bluray vorliegt. In Norwegen gehörte der Film 2010 nicht nur zu den
teuersten Produktionen der norwegischen Filmgeschichte, sondern schlug auch beim
Publikum wie eine Bombe ein. Der bewegende Film wurde nicht nur ein großer
Kassenerfolg, sondern deckte auch ein weitgehend in Vergessenheit geratenes
Kapitel der norwegischen Geschichte auf.
Dabei geht
Holst in seiner Inszenierung durchgehend auf Nummer Sicher: der trist
fotografierte, weitgehend farblos geratene Film erinnert mit seinem Plotkern
(drei Jugendliche, Gewalt, Vergewaltigung, Selbstmord, Aufstand) an einige
möglicherweise weniger bekannte Jugendknast-Filme. Zum Beispiel an Alan Clarkes
„Scum“ (GB 1977) und Kim Chapirons überaus beeindruckendes Remake „Dog Pound“
(FR, CAN, GB 2010), besitzt aber weder die nihilistische Trostlosigkeit Clarkes
noch die nuancierte Erzählkraft Chapirons.
Holst setzt vielmehr auf historische Genauigkeit und einen aufklärerischen Impetus. Das Ergebnis ist ein gradlinig erzählter, schnörkelloser und weitgehend vorhersehbarer Film, der seine drei Hauptfiguren nutzt, um die dialektische Beziehung zwischen dem fatalen reformpädagogischen Ansatz (strenger Verhaltenskodex, unbedingter Gehorsam, militärischer Drill etc.) und unvermeidlicher Gewalt fast lehrbuchhaft vorzuführen.
Dabei erinnert sein Erzählstil sehr stark an den spätbürgerlichen Naturalismus des 19. Jh., der von einer analytischen Durchdringung des Sujets zugunsten einer gewollten Oberflächenhaftung weitgehend absah.
Der Vorteil: das Thema wird in seiner Unmittelbarkeit für ein breites Publikum kompatibel.
Holst setzt vielmehr auf historische Genauigkeit und einen aufklärerischen Impetus. Das Ergebnis ist ein gradlinig erzählter, schnörkelloser und weitgehend vorhersehbarer Film, der seine drei Hauptfiguren nutzt, um die dialektische Beziehung zwischen dem fatalen reformpädagogischen Ansatz (strenger Verhaltenskodex, unbedingter Gehorsam, militärischer Drill etc.) und unvermeidlicher Gewalt fast lehrbuchhaft vorzuführen.
Dabei erinnert sein Erzählstil sehr stark an den spätbürgerlichen Naturalismus des 19. Jh., der von einer analytischen Durchdringung des Sujets zugunsten einer gewollten Oberflächenhaftung weitgehend absah.
Der Vorteil: das Thema wird in seiner Unmittelbarkeit für ein breites Publikum kompatibel.
Die Hintergründe bleiben zum Teil im Dunklen
Trotz aller
Sympathie für „King of Devils‘ Island“ möchte ich zumindest dezent darauf
hinweisen, dass dieser Erzählstil auch seine Ecken und Kanten hat. Holst und seine Drehbuchautoren
haben zwar sehr genau recherchiert und mit fast minimalistischem Stil eine
große Authentizität erreicht. Auch das Zusammenspiel der jugendlichen
Laiendarsteller und der professionellen Schauspieler ist über jeden Zweifel
erhaben. Dabei konnten die Macher weiterführende psychologische und besonders
soziologische Aspekte aber nur in dem Maße andeuten, wie es für den Transport
der Geschichte erforderlich ist.
Gut: am Rande wir angedeutet, dass Heimleiter Bestyreren hinter der Fassade des strengen Frömmlers korrupt ist. Er wirtschaftet in die eigene Tasche und wegen der finanziellen Abhängigkeit von kirchlichen Zuwendungen ist sein Interesse an einer öffentlichen Untersuchung der Missbrauchsfälle denkbar gering. Aber das überrascht nicht wirklich und die eigentlichen Gründe, warum für überwiegend nicht-kriminelle Kinder eine brutale Knastatmosphäre erforderlich sein soll, werden dadurch nicht klarer.
Gut: am Rande wir angedeutet, dass Heimleiter Bestyreren hinter der Fassade des strengen Frömmlers korrupt ist. Er wirtschaftet in die eigene Tasche und wegen der finanziellen Abhängigkeit von kirchlichen Zuwendungen ist sein Interesse an einer öffentlichen Untersuchung der Missbrauchsfälle denkbar gering. Aber das überrascht nicht wirklich und die eigentlichen Gründe, warum für überwiegend nicht-kriminelle Kinder eine brutale Knastatmosphäre erforderlich sein soll, werden dadurch nicht klarer.
Dadurch
entsteht eine Rezeptionslücke: man erfährt weder etwas über die
historischen noch über die soziologischen und religiösen Hintergründe
derartiger Einrichtungen. Lücken müssen aber geschlossen werden und der
Zuschauer kann entweder dicke Bücher wälzen oder er projiziert seine (modernen)
Moralvorstellungen und seine emotionale Empörung auf die bösen Sadisten, die
auf einer abgelegenen Insel ihre Zöglinge quälen. Das aber enthistorisiert das
Sujet und führt zu einer vordergründigen „Empört euch!“-Haltung.
Zweifellos dürfte die 1896 auf Bastøy gegründete Besserungsanstalt für Jungen fragwürdige und gestörte Persönlichkeiten angezogen haben, aber das, was auf Bastøy und bis in die jüngere Gegenwart auch in anderen Heimen geschah, ist nicht nur das Ergebnis von individuellem Sadismus und pädophilen Neigungen, sondern auch Teil einer christlichen Tradition in der Pädagogik, die nicht erst seit Luther („..der Kinder Eigenwille soll gebrochen, und sie demüthig und sanftmüthig werden“) Kinder als Feinde betrachtete und sie wie bei Johann Arndt bereits vor der Geburt als Sitz des Bösen betrachtete. Erziehung - ein Exzorzismus?
Nun hat christliche Pädagogik zum Glück auch deutlich humanere Vertreter, aber wer sich mit der konfessionell geprägten (sowohl protestantisch als auch katholischen) Schwarzen Pädagogik (http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/2009/11/schwarze-padagogik.html) beschäftigt hat, wird wissen, dass es auch eine gnadenlose Traditionsgeschichte gegeben hat. Und diese Quälerei hatte System.
Tolles Bonusmaterial
Dass die Anstalt auf Bastøy
eben keine Jugendstrafanstalt gewesen ist, erfährt man erst in der sehr
sehenswerten Dokumentation „Bastøy – geordnete Erziehung“, die zum
Bonusmaterial der DVD gehört. Hier wird deutlich, dass im Norwegen des
beginnenden 20. Jh. bereits der einmalige Griff in einen Klingelbeutel
ausreichte, um für Jahre auf der Gefängnisinsel geschliffen zu werden. Aber
auch von ihren Eltern vernachlässigte Kinder oder sogar Jugendliche, die keine
Lehrstelle gefunden hatten, landeten in den Händen der sogenannten
Reformpädagogen. Mit anderen Worten: Bastøy war ein Heim für Kinder (zum Teil
Zehnjährige!) und Jugendliche, die in der Regel kaum mehr verbrochen hatten als
das Ungeschick, in problematische Familien hineingeboren zu werden. Das schlägt
auf den Magen, aber es bleibt der Eindruck, dass Michael Haneke mit „Das weiße
Band“ tiefer in die Eingeweide der bösen Pädagogik eingedrungen ist.
Trotz einiger Einwände: man kann froh sein, dass es diesen Film gibt. Nicht nur vor dem Hintergrund der nicht enden wollenden Skandale um die Heimerziehung. Sondern auch und besonders, weil die langjährige Ignoranz der Institutionen, aber auch der Politik und der Öffentlichkeit, die Opfer repressiver Erziehungsmethoden als Personen marginalisiert haben. Davon hat auch einer der noch lebenden ehemaligen Zöglinge in „Bastøy – geordnete Erziehung“ berichtet, nämlich dass niemand ihnen glaubte – weder während ihres Aufenthalts noch später. Wer einmal in Bastøy war, blieb stigmatisiert.
Marius Holst hat einen Film gegen das Vergessen gedreht. Zusammen mit dem exzellenten Bonusmaterial ist die DVD ein bemerkenswertes Medienpaket, das uneingeschränkt empfohlen werden muss.
Noten: Klawer, Melonie = 2; BigDoc,
Mr. Mendez = 2,5
Kritik
„Nicht
in den primären Übergriffen gegen die Jugendlichen, sondern in den Versuchen
des Leugnens und Vertuschens ist der wahre Schrecken dieses Films zu finden,
der einen dann doch ohne alle spekulativen Elemente an die
Missbrauchs-Enthüllungen in Deutschland erinnert. Wie sich der Zorn der Opfer
entlädt, das ist mit großer Wucht, aber ohne falsche Zuversicht inszeniert.
Auch ihr mutiger Aufstand wird den Gequälten nichts nützen“
(Thomas Klingenmaier, in: Stuttgarter Zeitung)
„Holst
hat eine bewährte Geschichte auf bewährte Weise fürs breite Publikum
inszeniert. Nimmt man diese nicht besonders hohen Ansprüche, die der Regisseur
damit an sich selbst stellt, ist ihm durchaus ein schöner, in sich stimmiger Film
gelungen: ein Coming-of-Age-Melodram vor historischem Setting, mit großen
Emotionen und einem kämpferischen Aufruf zur Zivilcourage“
(Michael Kienzl, critic.de).
„King
Of Devil’s Island gehört zu den Filmen, die ihr Publikum in den Bann ziehen und
auch dann noch beschäftigen, wenn der Abspann vorüber ist. Die subtile
Zeichnung der Figuren hat daran großen Anteil. Stellan Skarsgard ist ein
Direktor, der stets seine Nähe zu Gott behauptet und doch das Böse zumindest
toleriert. In Skarsgards Augen kann man eine Geschichte unauflösbarer
Widersprüche lesen…King Of Devil’s Island gilt als einer der erfolgreichsten
norwegischen Filme der vergangenen Jahre. Das Land kennt jetzt die Geschichte
von Bastoy. Erst 1970 wurde das Heim geschlossen. Heute befindet sich auf der
Insel eines der liberalsten Gefängnisse der Welt“
(Dietmar Kanthak, in: epd-film).