Sonntag, 29. Juni 2014

Der Rückblick: Filme April – Juni (Teil 1)

Warum dürfen Mädchen in Riad nicht Fahrrad fahren? Was passiert Kampfrobotern, wenn sie Ritalin einwerfen? Neben einigem Ausschuss und x-beliebiger Ware von der Stange gab es im letzten Quartal einige angenehme Überraschungen. Dazu in Teil 1 und 2 dieser Retrospektive auch noch die Antworten auf die eben genannten Fragen.

Müder Aufguss: „Broken City“

Albert und Allen Hughes sind Allrounder. Regie, Drehbuch, Produktion – die Hughes-Brüder kennen sich aus. In den 1990er Jahren hatten beide mit „Menace II Society“ und „Dead Presidents“ kraftvoll vorgelegt. 2001 („From Hell“) sowie 2010 („The Book of Eli“) wurde beachtliche Einspielergebnisse erzielt. In „Broken City“ führte nun Allen Hughes allein Regie, Produzent des Conspiracy-Plots war u.a. Hauptdarsteller Mark Wahlberg. Gutes ist nicht dabei herausgekommen.
Mark Wahlberg spielt den ehemaligen Cop Billy Taggert, der als Private Eye arbeitet und im Auftrag des New Yorker Bürgermeisters Nicholas Hostetler (Russell Crowe) dem heimlichen Liebesleben von Gattin Cathleen Hostetler (Catherine Zeta-Jones) auf die Schliche kommen soll. Dass es sich bei den heimlichen Treffen mit einem Unbekannten keineswegs um ein romantisches Tête-à-tête handelt, bleibt  dem verbissen um etwas Noir-Profil kämpfenden Wahlberg nicht lange verborgen. Und tatsächlich: Es dreht sich alles um einen riesigen Immobilien-Schwindel, bei dem sich nicht nur der Bürgermeister die Taschen vollstopfen will.
Wie man es in Sachen Polit-Thriller richtig macht, konnte Russel Crowe 2009 in „State of Play“ aus nächster Nähe beobachten. Geholfen hat es nicht. Wahlberg und Crowe spielen ihren Part zwar routiniert herunter, aber gegen den arg konventionellen Plot können sie nichts ausrichten.
„Broken City“ funktioniert weder als Genre-Beitrag noch als Drama, auch wenn die ambivalente Beziehung der beiden Alpha-Tiere einige nette Momente bereithält. Das Script ist zu vorhersehbar und dies ist eigentlich das Schlimmste, was man einem Film vorwerfen kann. Am Ende siegt (wieder einmal) die Moral - noch das Beste an dem 08/15-Film.
Langweilig.

Überflüssige Remakes: „Carrie“ bleibt matt, „Robocop“ ist zumindest interessant

Remakes gehören nicht gerade zu den Lieblingsthemen der Filmkritiker. Nicht erst seit Gus van Sants „Psycho“ fragt man sich, ob sich das Publikum wirklich nicht an die Originale erinnern kann. Dabei sind Remakes nicht Schlimmes. Eigentlich. Ein paar der interessantesten Filme sind Remakes. King Kong, der Untergang der Titanic, auch Ben Hur – alles wurde mehrfach verfilmt. Und beinahe alle haben es getan, selbst Hitchcock hat ein Remake gedreht – von einem eigenen Film. Einige Regisseure hatten dabei sogar etwas zu erzählen, etwa John Carpenter mit „The Thing“. Andere auch, wie William Friedkin mit „12 Angry Men“, aber nur um herauszufinden, dass man den monolithischen Klassiker von Sidney Lumet doch nicht ausstechen konnte. Wie auch immer: Zum Business as usual beim wiederholten Durchkauen des sattsam Bekannten gehören auch die Prequels und Sequels, und dort natürlich auch das Prequel zum Remake und so weiter und so weiter. Fehlende Kreativität oder nüchternes Kalkül – beim Remake trennen sich die Geister. Aber wenn am Ende der Rubel rollt, hat man nichts falsch gemacht, oder?

Carrie

Warum sich allerdings Kimberley Pierce, die 1999 den wunderbaren und originellen Film „Boys Don’t Cry“ gedreht hat, an Brian de Palmas Horrorklassiker „Carrie“ herangewagt hat, bleibt wohl ihr Geheimnis. Aber da die Produktion ankündigte, sich etwas mehr an der Vorlage von Stephen King zu orientieren und auch einigermaßen hielt, was sie versprochen hatte, kann man zumindest in der B-Note einige Punkte für die einigermaßen gelungene Literaturadaption vergeben.
Dennoch wird dieses Remake nicht gebraucht: Die Geschichte des telekinetisch bedrohlich begabten Mädchens Carrie, das unter dem religiösen Wahn der Mutter zu leiden hat und in der Schule ekelhaft gemobbt wird, traf 1976 in de Palmas Film auf ein Publikum, das an der Neuorientierung des US-Kino in den 1970er Jahren Gefallen gefunden hatte. Kein Wunder: Der stilistisch hochbegabte und mit opulenten Bildern und zum Teil neuen Montagetechniken provozierende Regisseur und selbsternannte Hitchcock-Epigone hatte mit „Carrie“ einen Schocker abgeliefert, den sein großes Vorbild so nie hätte drehen können.
So weit, so gut.

Das muss man trotzdem nicht wiederholen. Das Dilemma des Remakes von Kimberley Pierce ist aber weniger der blutarme Stil des Films, sondern die Hauptdarstellerin: Sie ist gut, aber definitv im falschen Film. Anders als die somnambule Sissy Spacek ist „Hit-Girl“ Chloë Grace Moretz als Carrie ein kritisches, selbstbewusstes Mädchen, dem man eigentlich nie so richtig abkaufen kann, dass sie immer wieder von ihrer wahnsinnigen Mutter (dabei allerdings ziemlich überzeugend: Julianne Moore) zum Beten gezwungen wird. Der Rollenumbau ist nicht übel, aber ansonsten funktioniert „Carrie“ wie das große Vorbild. Als die Außenseiterin von einem High School-Beau zum Abschlussball geführt und dort völlig überraschend zur Ballkönigin nominiert wird, entleeren boshafte Mitschülerinnen bei der Siegerehrung einen Eimer Schweineblut über der Arglosen, was zum obligatorischen Rachefeldzug der Gekränkten führt.
Dabei lässt es Pierce auch richtig krachen und Moretz spielt das wirklich nicht übel, aber wie gesagt: sie ist im falschen Film. Und in der falschen Rolle. Fernab von der gelegentlich schwülstig mit sexuellen Konnotationen spielenden Erzählweise Brian de Palmas ist die neue Version des Stephen King-Klassikers deutlich biederer und dabei kein Totalflop, aber auch kaum mehr als der Nachweis, dass man heuer die besseren Effekte aus dem Hut ziehen kann. Das reicht nicht. Fazit: Mittelmäßig.

RoboCop

Deutlich mehr vorgenommen hat sich indes José Padilha, der mit „Tropa de Elite“ 2008 den Goldenen Bären auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin gewann. Seine Neuauflage des gleichnamigen Paul Verhoeven-Klassikers „Robocop“ (1987) will satirisch sein wie das Vorbild, aber politisch und philosophisch etwas mehr bieten, kommentiert Padilha im Bonus-Material der DVD. Und dabei wollte er auch von der mentalen Ausnahmesituation des Androiden erzählen, der einst ein Cop war und dessen Kopf, Herz und Lungen das Einzige sind, was nach einem Sprengstoffanschlag von ihm übrig geblieben ist.
Reizvoll ist das Ganze schon. Padilhas Films liegt seit Anfang Juni auf DVD und Bluray vor, die lange indizierte Fassung von Verhoevens Film wird seit Ende 2013 als ungeschnittene FSK-18-Fassung angeboten. Allein das ist einen Vergleich wert.

Satirisch hat Padilhas kybernetischer Cop tatsächlich einiges zu bieten. Die erste Sequenz zeigt den Drohnen- und Roboter-Einsatz von US-Streitkräften während einer „Friedensmission Teheran“ (sic!). Während die Einheimischen gedemütigt aus ihren Häusern getrieben werden, kommentiert der kaum noch rechtskonservativ zu nennende TV-Journalist Pat Novak den Einsatz live und enthusiastisch für die heimischen Patrioten vor ihren Flatscreens. Bis sich verzweifelte Selbstmord-Attentäter von den Dächern auf die vermeintlich unbezwingbaren Kampfroboter werfen. Da hört der Spaß auf.

Novaks TV-Show ist in Padilhas Film ständig präsent und Samuel L. Jackson spielt den faschistischen Hetzjournalisten mit sichtbarem Vergnügen. Hier eifert Padilha dem großen Vorbild nach und wie die permanenten Medienzitate in Verhoevens Filmen sind auch die von José Padilha sehr trashig, direkt und auf beinahe grobschlächtige Weise satirisch, aber immer hart am Wind.

Natürlich geht es daneben auch im neuen „RoboCop“ um den Cop Alex Murphy (nicht wirklich überzeugend: Joel Kinnaman), der einigen korrupten Kollegen zu gefährlich wird und einem Attentat zum Opfer fällt. Viel ist danach nicht von ihm übrig geblieben, der Rest wird in den Laboren des Multis OmniCorp von Dr. Dennett Norton (Gary Oldman) in einen kybernetischen Battlesuit gesteckt, denn der clevere CEO Raymond Sellars (schön zynisch: Michael Keaton, ursprünglich sollte Hugh Laurie die Rolle übernehmen) will US-weit den Behörden unschlagbare Roboterpolizisten verkaufen. Doch es kommt, wie es kommen muss: Robocop funktioniert zwar, ist dem abgebrühten Sellars aber zu menschlich und damit zu langsam. Folglich muss der von Skrupeln gequälte Dr. Norton den Dopaminspiegel des Androiden herunterfahren, was diesen extrem auf seine Aufgaben fokussiert, aber auch restlos zur Maschine macht. Robocop ist quasi auf Ritalin!
Zudem bastelt Norton auch noch an anderen Features seiner Kreatur herum, sodass während der Kampfhandlungen, die es fortan reichlich gibt, eine Software die Entscheidungen in Robocops Gehirn übernimmt, während der arme Alex Murphy glaubt, dass er immer noch Herr im Hause ist.

Über so viel gut versteckte Satire werden natürlich die Kinogänger jubeln, die sich ein wenig mit der Biochemie des menschlichen Gehirns auskennen und auch recht gut darüber informiert sind, was die moderne Hirnforschung über den freien Willen denkt. Aber mit dieser witzigen Idee ist dann auch in philosophischer Hinsicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Mehr wollte (oder durfte) Padilha nicht in seinen Film packen, denn für US-Blockbuster gilt die Regel, dass der Plot immer noch auf das denkbar schlichteste Gemüt herunterzubrechen ist. Und diese Regel dürfen nur wenige missachten.
Jose Padilha gehört dagegen noch nicht zu diesem illustren Kreis.

Tatsächlich tauchte bereits während der Dreharbeiten ein Interview mit dem brasilianischen Filmemacher Fernando Mireilles auf, der mit Padilha gesprochen hatte, und eine weitere Quelle deckte ab, was Padilha mit MGM und SONY erlebte: „I talked to José Padilha for a week by phone. He will begin filming Robocop. He is saying that it is the worst experience. For every 10 ideas he has, 9 are cut. Whatever he wants, he has to fight. "This is hell here," he told me. "The film will be good, but I never suffered so much and do not want to do it again." He is bitter, but it's a fighter“ (1).

Der Rest ist – wen überrascht’s? - eine Ballerorgie, in der Murphy (der im Gegensatz zu Verhoevens Film mit einem weitgehend intakten Bewusstsein und einem ebenso gut funktionieren Gedächtnis durch die böse Comic-Welt von Detroit stapft) am Ende demonstriert, wozu der ewige Moralismus im US-Kino wirklich taugt: Im Showdown überwindet Robocop seine einprogrammierte Sperre und kann dank dieses Triumphs des freien Willens den Bösewicht erschießen. Aber mal ganz ehrlich: War das nicht klar? Fazit: interessante Ansätze, aber ein an die Leine gelegter Regisseur, dem von höherer Stelle sicher das gänzlich ironiefreie Ende verordnet wurde. Und der Rubel? Budget: $ 130 Mio., Einspielergebnis: $ 242 Mio. Er rollt.
 

Beste Filme des Quartals:

Finsterworld (1,5), The Secret Life of Walter Mitty (1,6), Blue Yasmine (1,75), Jung & schön (2), Mr. Morgan’s Last Love (2), Sein letztes Rennen (2), The Company You Keep (2,25), Rush (2,6)

Die größten Flops des Quartals:

Broken City (4), Das Mädchen Wadja (3,25)


Broken City – USA 2013 – Regie: Allen Hughes – D.: Mark Wahlberg, Russel Crowe, Catherine Zeta-Jones - FSK: ab 12.




Carrie  – USA 2013 – Regie: Kimberley Pierce, D.: Chloë Grace Moretz, Juliane Moore – FSK: ab 16.



RoboCop  – USA 2014 – Regie: José Padilha, Buch: Joshua Zetumer – D.: Joel Kinnaman, Gary Oldman, Michael Keaton, Samuel L. Jackson, Michael K. Williams - FSK: ab 12.

Mittwoch, 18. Juni 2014

True Detective

HBO hat es wieder geschafft. Der Garant für Quality TV machte es wie so oft. Man ließ die Macher werkeln, griff nicht in die Produktion ein und präsentierte am Ende den achtteiligen Höllenritt zweier kaputter Ex-Cops in die finsteren Sümpfe von Südlouisiana, der in den USA wie eine Bombe einschlug. 
„True Detective“ ist die Serienentdeckung des noch jungen Sommers. Für deutsche Zuschauer absolut ungeeignet.

Am Anfang finden Hart und Cohle, zwei Cops wie Hund und Katze, die Leiche der Prostituierten Dora Kelly Lange. Gefesselt, in betender Position. Auf dem Kopf ist ein Geweih befestigt. Ein merkwürdiges Tattoo auf dem Rücken und geflochtene Ruten neben der Toten deuten ein rituelles Arrangement an. Schon bald wird den beiden Cops klar, dass die Tote nicht zufällig dort abgelegt wurde.
Wir befinden uns in Louisiana, irgendwo im Niemandsland zwischen dem Golf von Mexico und den großen Sümpfen, wo elend lange Straßen durch eine feindliche Landschaft führen, in der verlassen einige Raffinerien stehen. In dieser Gegend verschwinden Menschen. Frauen und Kinder. Richtig ermittelt wird anscheinend nicht. Der White Trash wohnt in heruntergekommenen Hütten, die Oberschicht in weißen Herrenhäusern. Alle sind irgendwie verbandelt, ein Hauch von Inzest und Morbidität liegt über dem Ganzen. Und Louisiana wird sich immer mehr in einen Vorhof der Hölle verwandeln. Wir befinden uns im Jahr 1995.


Der lange Atem des Erzählens

„True Detective“ wurde 2012 von HBO in Auftrag gegeben. Showrunner ist der relativ TV-unerfahrene Nic Pizzolatto, der alle Drehbücher für die insgesamt acht knapp einstündigen Episoden geschrieben hat. Nun ist es für HBO keineswegs neu, einige Risiken einzugehen. Bereits 1997 hatte sich das Pay-TV-Network mit „Oz“ weit nach vorne gewagt, ehe mit „The Sopranos“ das Quality TV zu einem Zeitpunkt erfunden wurde, als es Begriff noch gar nicht gab. Nach weiteren Serienhits folgten dann „The Wire“ (2002) und gegenwärtig räumt der Sender mit „Game of Thrones“ Zuschauerrekorde ab. „True Detective“ ist als Anthologie angelegt, die geplante zweite Staffel wird eine neue Geschichte mit neuen Darstellern erzählen.

„Freshman“ Pizzolatto, ein Literaturprofessor, der bislang nur zwei Episoden für „The Killing“ geschrieben hatte, und Regisseur Cary Fukunaga („Sin Nombre“, 2009, Buch und Regie; „Jane Eyre“, 2011, Regie) haben mit „True Detective“ dem horizontalen Erzählen keine neuen Erkenntnisse hinzugefügt, es aber mit einigen brillanten Facetten ausgestattet und in einen anderen, mehr literarisch geprägten Erzählraum verlegt. Eine Geschichte ohne Subplots in acht Stunden, die eloquent vorführt, was mittlerweile die Spatzen von den Dächern pfeifen: Gute Serien haben einen anderen epischen Atem als Kinofilme – und es gibt in ihnen mehr Raum für formale Experimente und, was wohl entscheidender ist, den Mut zur Länge.

Viel experimentiert wird in „True Detective“ aber eigentlich nicht, auch wenn eine minutenlange ungeschnittene Kamerafahrt am Ende der 4. Episode auf atemberaubende Weise einen Shoot-out einfängt, wie man es seit Brian de Palma nicht mehr gesehen hat. Auch der kongeniale Vorspann erfindet das Rad nicht neu, aber er transzendiert mit seinen zahlreichen transparenten Layern seine Figuren sehr geschmackvoll in die Settings aus Sümpfen, Industrieanlagen, Cajuns und Kirchenzelten evangelikaler Randgruppen. Er ist das Beste, was man seit „Seven“ und „The Wire“ zu sehen bekommen hat. Dazu passt der Opener „Far From Any Road“ von „The Handsome Family“ mit seiner melancholischen Lyrik dann wie die Faust aufs Auge.

Vorbilder lässt „True Detective“ also keineswegs aus. Anders gesagt: Die Bilder und Topoi sind vertraut. Das Geweih an der Toten erinnert ein wenig an eine Szene aus der TV-Serie „Hannibal“, die unheilverkündende Landschaft mit ihren dunklen Geheimnissen an „Texas Killing Fields“, die Gespräche der Cops an „The Counselor“ und ihr tiefschwarzer Pessimismus an „No Country for Old Men“. 


Lange Autofahrten und tiefschwarze Gespräche: Schopenhauer lässt grüßen

Für das Schwarz und die Abgründe des Denkens sorgt Detective Rustin „Rust“ Cohle (Matthew McConaughey) im Alleingang. Der nach dem Tod seiner Tochter und jahrelanger Undercover-Arbeit im Drogenmilieu traumatisierte Cop ist ein psychischer Grenzgänger, der sich einige Male zu oft zugedröhnt hat, an Schlaflosigkeit leidet, synästhetische Erfahrungen macht, gelegentlich halluziniert und dank einer unheimlichen Mischung aus Empathie und Intuition aus Verdächtigen innerhalb kürzester Zeit ein Geständnis herausholt. Erst seit kurzer Zeit arbeitet er mit Martin „Marty“ Hart (Woody Harrelson) zusammen, den er in langen Autofahrten in tiefgründige philosophische Gespräche verstrickt.
Hart ist dagegen der robuste Pragmatiker, kein Mann des Wortes und erst recht keiner, der Bücher liest – ein Familienmensch, ein Wertkonservativer, der versucht, das Auto, das die beiden Cops zu den scheußlichen Tatorten führt, in eine Zone des Schweigens zu verwandeln. Vergeblich. Denn während in David Finchers „Seven“ der Serienkiller den beiden Ermittlern die Konfrontation mit einer nihilistischen Weltsicht aufzwingt, ist es in „True Detective“ der misanthropische Cop, der die Welt verachtet und den Gedanken, dass auf den Tod noch etwas folgen könne, für schier unerträglich hält. Dazu noch das menschliche Bewusstsein für einen Fehler der Evolution, da sich die Natur einen Blickwinkel außerhalb ihrer selbst geschaffen hat. Das ist, so stellt Cohle fest, nicht zu ertragen und die Lösung für die degenerierte Spezies sei es, den Geschlechtsverkehr einzustellen und einfach auszusterben. Die Welt gehört abgeschafft und Schopenhauer lässt grüßen.

2012: Cohle, ein mittlerweile heruntergekommener Barmann, und Hart, der aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist und als Privatermittler arbeitet, werden voneinander getrennt von den Ermittlern Papania und Gilbough verhört. 17 Jahre nach der Aufklärung des Mordes Dora Kelly Lange wurde ein totes Mädchen gefunden und der Tatort wurde so arrangiert wie damals. Cohle und Hart haben seit 2002 nach einem massiven Streit keinen Kontakt mehr gehabt, aber die Ermittlungsgespräche führen beide immer tiefer zurück in die Mittneunziger und am Ende auch wieder zusammen.

Die ständig ineinander verschränkten Zeitstränge in „True Detective“ bilden ein Narrativ, das den Spannungsdruck eines kurz vor dem Auseinanderfliegen stehenden Dampfkessels erzeugt. Eine Mischung aus Psychotherapie und Beichte. Papania und Gilbough, die immer wieder bedeutungsschwere Blicke austauschen, sind wider Willen und allein durch ihr Schweigen Therapeuten und Priester. Denn Cohle und Hart
entblättern ihre Seelen. In dem von Matthew McConaughey brillant gespielten Misanthropen beginnt man immer mehr die typische Noir-Figur zu erkennen, hinter dessen Unzugänglichkeit eine Mischung aus rigidem Moralismus und ein beinahe zwanghaftes Gerechtigkeitsgefühl durchscheinen. Sein Antagonist Marty Hart entpuppt sich dagegen als nicht weniger obsessiver Grenzgänger, ein Sexjunkie, der seine Frau betrügt, wenn er mal „Druck abbauen“ will, aber den verhassten „Buddy“ dann doch nicht hängen lässt. Woody Harrelson brilliert als Gescheiterter nicht weniger herausragend als McConaughey und die Performance der beiden Männer gehört absolut zum Besten, was man in den letzten Jahren zu sehen bekommen hat.
Ein existenzielle Parforcejagd mit Ecken und Kanten: Während Cohle und Hart nicht nur zu den Ermittlern sprechen, sondern auch in eine stumme Kamera, werden die Ereignisse des Jahres 1995 in Flashbacks gezeigt, in denen Fakten, Deutungen und Manipulationen der wahren Geschehnisse vermischt werden. Und dann ist es mitunter wieder die Kamera, die eine objektivierende Position einnimmt und zeigt, wie beide Cops einen Mord begehen und erfolgreich vertuschen. Nur was ist die Wahrheit? Kommen die Ermittler den beiden zu nahe oder werden sie, wie Hart lakonisch fragt, bereits von Cohle brillant manipuliert?


Die Philosophie in „True Detective“

Man kann sich darüber streiten, aber „Rusty“ Cohle ist sicher die spannendere Figur in dem Duo. Nic Pizzolatto hat die Figur nicht am Reißbrett entworfen. Einige Textzeilen des pessimistischen Cops stammen mehr oder weniger aus der Feder von Thomas Ligotti, einem Kultautor der Weird Fiction, jener düsteren Mixtur aus Horror und Science Fiction, die von Autoren wie Ambrose Bierce, H.P. Lovecraft und Robert W. Chambers vor über 100 Jahren begründet wurde. Moderne Autoren der Weird Fiction haben alles dann gehörig auf die Spitzen getrieben. Wenn Cohle, über Fotos der malträtierten toten Frauen gebeugt, über den Moment des Todes räsoniert, dass „unser Ich nicht anderes ist als pure Anmaßung und purer Willensdruck und das man loslassen kann“ und den Moment der letzten Qual zur Erkenntnis der Erlösung umdeutet, dann ist das starker Tobak und natürlich setzte es Kritik. Aber anders als bei „The Counselor“ fiel sie recht verhalten aus und besonders in den US-Medien schien sich sogar eine Begeisterung an der Auslegung dieser morbiden Philosophie breit zu machen, angesichts derer sich selbst der Skeptiker Kierkegaard im Grabe umdrehen würde.

„True Detective“ ist und bleibt bei all dem aber eine Copserie. Zunächst jedenfalls. Aber je tiefer die Cops in die Vergangenheit der Opfer und ihrer Familienangehörigen blicken, desto weiter müssen sie in der Zeit zurückgehen und dort wartet nichts Gutes. Denn als die mutmaßlichen Mörder von Dora Kelly Lange bereits in Episode 5 gestellt werden, finden Hart und Cohle auch misshandelte Kinder in einem Verschlag. Einige sind tot und böse Andeutungen über einen „Gelben König“ verweisen auf einen mächtigen Pädophilenring und auf eine Verschwörung, die weit in die 1980er Jahre zurückführt und schließlich mit einer einflussreichen fundamentalistischen Kirche in Verbindung gebracht werden kann.
„The King in Yellow“ geht wiederum auf einen Geschichtenzyklus von Robert W. Chambers zurück. Hart und Cohle, und damit auch der Zuschauer, sind mitten in der wahnsinnigen Welt Chambers und in der bizarren Mythologie Cthulhus, der Shoggothen und Yog-Sothoth gelandet, jener geheimnis- und grauenvollen Wesen, die Lovecrafts Bücher beeinflusst haben.
Das Geheimnis im Geheimnis führt 17 Jahre nach dem ersten Fall die beiden Cops wieder zusammen und endet in einem alptraumartigen Finale, bei dem man am Ende nicht weiß, ob man Cohles halluzinierte Visionen gesehen hat oder eine Realität, die noch fürchterlicher ist als die Grausamkeiten, die zuvor geschehen sind. Die Cop-Serie ist in der Weird Fiction gelandet und am Ende geht es dann wohl um den ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkelheit.

Man muss das nicht ernst nehmen, aber merkwürdigerweise gelingt dies nicht. Die Spannung, die „True Detective“ mitsamt der ausgeklügelten Plo-Twists über acht Stunden lang auf einem konstant hohen Level hält, ist schlichtweg atemberaubend. Und das liegt nicht nur an der Geschichte, sondern eigentlich an Matthew McConaughey und Woody Harrelson, die Pizzolattos bizarre Geschichte kongenial umsetzen: Große Schauspielkunst.
Nic Pizzolatto und Cary Fukunaga haben eine Serie geschaffen, die sich mühelos in die Reihe der Global Player der Serienkunst einreiht. Und dafür haben sie sich die perfekten Darsteller ausgesucht. Und die langen philosophischen Diskurse? Nun, man kann Schokolade nicht vorwerfen, dass sie schmeckt.


Nachtrag: Mehr über die versteckten Anspielungen in "True Detective" erfährt man in meinem Beitrag über die Geheimnisse der Serie.


Postscriptum: Cohles Einsichten

  • I think human consciousness is a tragic misstep in human evolution.
    We became too self aware; nature created an aspect of nature separate from itself. We are creatures that should not exist by natural law. We are things that labor under the illusion of having a self, a secretion of sensory experience and feeling, programmed with total assurance that we are each somebody, when in fact everybody’s nobody. I think the honorable thing for our species to do is deny our programming, stop reproducing, walk hand in hand into extinction, one last midnight, brothers and sisters opting out of a raw deal.


Pressespiegel

„Die Serie ist ein visueller Rausch, eine Meisterleistung der Hollywood-Stars Matthew McConaughey und Woody Harrelson. Vor allem: eine Erzählung, so eigenartig verstrickt zwischen Philosophie-Hauptseminar, Gruselgeschichte und roher Gewalt, dass die Zuschauer sich nicht anders zu helfen wussten, als das halbe Internet zu füllen mit Interpretationsversuchen, Querverweisen, Aufschlüsselungen. Andere Sender fanden es unfair, dass True Detective in diesem Jahr bei den Emmys, dem wichtigsten Fernsehpreis der USA, eingereicht wird. Weil die Mitbewerber dann sowieso chancenlos seien“ (DIE ZEIT).

„Es ist der beste Krimi des Jahres“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

True Detective – HBO, USA 2014 – Länge: 8x 60 Minuten – Idee und Buch: Nic Pizzolatto – Regie: Cary Fukunaga – Kamera: Adam Arkapaw – D.: Matthew McConaughey, Woody Harrelson, Michelle Monaghan