Dienstag, 5. Juni 2018

The Path - Season 3

Das Ende kam etwas überraschend: Der Streaming-Anbieter Hulu setzte im Ende April „The Path“ nach weiterhin schlechten Quoten ab. Das ist schade, denn nach einer durchwachsenen 2. Season präsentierten sich Eddie Lane und seine Meyeristen wieder in Bestform.
 
Immerhin folgte die Serie drei Staffeln lang einer logischen Story Arc. In der ersten Staffel verlässt Eddie Lane (Aaron Paul) die Meyeristen-Bewegung aufgrund tiefer Glaubenszweifel. In Staffel 2 erfährt der kritische Zweifler, dass er vom todkranken Guru der Bewegung, Dr. Stephen Meyer (Keir Dullea: „2001 – A Space Odyssee), zum legitimen Nachfolger bestimmt wurde. Dieses Machtwort nutzte Eddie für eine Machtübernahme. Nun will er die Bewegung von allen restriktiven Regeln befreien und transparenter zu machen.
In Staffel 3 erzählen Jessica Goldberg und ihr Autorenteam nun davon, wie Eddie Lane mit seiner neuen Rolle und einigen unerwarteten Herausforderungen umgeht. Kann er die Bewegung neu ausrichten oder verliert er sich und seine Überzeugungen?



„The Path“ hat schon immer Erwartungen durchkreuzt. Die Serie ließ sich nicht als scharfe Sektenkritik vereinnahmen und vermied, den Meyerismus als plattes Gegenstück zu Scientology zu entwerfen. Stattdessen sollte der Zuschauer begründete Zweifel haben: So schwebt in Season 2 Eddies Sohn Hawk (Kyle Allen) nach einer Meditation einen Meter über dem Erdboden, und als Eddie um das Leben eines todkranken Kindes betet, kommt es prompt zu einer Spontanheilung.
Wunder? Mystik? Ist doch etwas dran an der segenspendenden Kraft des „Lichts?“


Der neue Gott als viraler Hit

Die 3. Season knüpft geschickt daran an. In der ersten Episode „The Beginning“ rettet Eddie nach einer gewaltigen Gasexplosion eine Frau aus dem Feuermeer. Er schreitet mitten durch die Flammen, die Frau aus dem Inferno tragend, und das ohne eine einzige Schramme. Die Aktion wird zum viralen Hit im Internet, Eddie erhält einen gottähnlichen Status, neue Mitglieder überrennen die Bewegung, der Meyerismus verbreitet sich weltweit. 

Aber die 3. Season kehrt rasch zurück zum Charakterdrama. Eddie Lane, der neue „Hüter des Lichts“, erfährt, dass seine neue Agenda nicht so leicht umzusetzen ist, wenn sich eine globale religiöse Bewegung mit Kommerzialisierung, professioneller PR-Arbeit und kritischen Medien herumschlagen muss. Er stellt daher mit Vera Stephans (Freida Pinto) eine gewiefte PR-Agentin ein, die in der Lage ist, nicht nur diese, sondern auch delikatere Probleme mit gelegentlich schmutzigen Methoden zu beseitigen. Aber glücklich sieht Eddie dabei nicht aus.

Tatsächlich ist Vera aber auf einer Geheimmission. Sie ist die Tochter der mysteriösen Lilith (Sarita Choudhury), einer Meyeristin der ersten Stunde, die vor vielen Jahren von Stephen Meyer als „Gestörte“ aus der Bewegung geworfen wurde. Vera soll die Meyeristen auf den Gipfel des Erfolges führen. Dann muss Eddie umgebracht werden. Als Teenager war Lilith bei Stephen Meyer in psychologischer Behandlung und regte mit ihren halluzinatorischen Visionen ihren Therapeuten zu seinem religiösen Konzept an – der legendäre Gründer als Plagiator. 

Lilith, die sich für die wahre Hüterin des Lichts hält, prophezeit ihren militanten Anhängern, dass Eddies Tod eine weltweite Apokalypse auslösen wird. Anschließend soll die Erde ein besserer Ort werden, denn die Überlebenden sind die wahren Gläubigen. Und sie werden den von Stephen Meyer versprochenen „Garten“ bauen –ein Paradies auf Erden statt im vagen Jenseits. 
Lilith ist der dunkle Antagonist des Hüters des Lichts. Ihre Version der Offenbarung ist finster, voller Schmerz und gewalttätiger Untergangsfantasien. Ihre Tochter wird sich aber von ihr abwenden. Sie fühlt sich zu Eddie hingezogen und beginnt mit ihm eine Affäre.


Sarah Lane (Michelle Monaghan), Eddies Ex, verliert sich immer stärker in einer spirituellen Krise. Als sie sich alte Filmaufnahmen anschaut, entdeckt sie ihr unbekannte Bilder, in denen sich der junge Stephen Meyer einem Bondage-ähnlichen Ritual unterzieht, der Hypoxischen Reinigung.
Sarah setzt sich selbst diesem masochistischen Ritual aus, aber ihre Zweifel werden dadurch nicht beseitigt.

Dann lernt sie den Religionswissenschaftler Jackson Neill (Raúl Esparza) kennen, der in alten Originalschriften von Stephen Meyer entdeckt, dass offenbar zwei Autoren an der Entwicklung der ‚Heiligen Schrift‘ des Meyerismus beteiligt waren. Sarah nimmt Kontakt zu Lilith auf, die ihr – offenbar unter Verwendung von Drogen - ihre Vision des Lichts zeigt: eine in Flammen stehende Welt, in der es nur Schrecken und Verdammnis gibt. Es sei denn, man gehört zu den wahren Gläubigen.

Auch Hawk, der sich immer mehr zu einem integren und kompromisslos ehrlichen Jungführer der Bewegung entwickelt hat, erlebt eine Krise, als er Caleb (Titus Makin Jr.) kennenlernt, den Sohn eines einflussreichen christlichen Predigers. Caleb ist homosexuell, Hawk fühlt sich zu ihm hingezogen und erfährt durch die Affäre, dass er offenbar bi-sexuell ist. Als Calebs Vater seinen Sohn zu einer Konversionstherapie nötigt, scheitert Hawk, als er seinen Freund zu befreien versucht. Caleb lehnt dies ab schlägt Hawk nieder, aber Hawk erfährt während diese Aktion, dass sein Vater ihn rückhaltlos unterstützt und Eddies Version des Meyerismus keine Homophobie duldet.

Cal Roberts (Hugh Dancy), der nach seinen gescheiterten Ränkespielen die Bewegung zusammen mit seiner Freundin Mary (Emma Greenwell) und ihrem Kind verlassen musste, schlägt sich als Coach und Wellness-Berater durch. In Episode 4 „De Rerum Natura“ kehren die Drei wieder zur Bewegung zurück, in der es aufgrund einer anonymen Bombendrohung zu massiver Panik gekommen ist. Cal inszeniert seinen ersten Auftritt rhetorisch so geschickt, dass Eddie ihn unter massiven Auflagen wieder aufnimmt. Der windige Intrigant erpresst wenig später Vera Stephans und erhält erneut eine privilegierte Position in der Bewegung. Heimlich plant er jedoch die Spaltung der Bewegung, um anschließend wieder die Führungsposition zu übernehmen.

Doch Cal wird nach einer Kindheitserinnerung, die ihn mit Vera verbindet, endgültig mit den
traumatischen Verdrängungen seiner eigenen Kindheit konfrontiert: Stephen Meyer hat ihn regelmäßig sexuell missbraucht. Zwar hatte Meyer versucht, seine pädophilen Neigungen mit der Hypoxischen Reinigung zu überwinden, aber Cal erkennt, dass dies misslang und dass er womöglich nicht das einzige Opfer war.

Als Fazit der ersten Staffel schrieb ich: „Showrunner Jessica Goldberg ist der Kunstgriff gelungen, diese Geschichte mit jederzeit authentisch wirkenden Figuren zu erzählen. Der fiktive Meyerismus wirkt dabei keineswegs unsympathisch und es dauert auch einige Zeit, bis der Zuschauer entdeckt, wie verhängnisvoll sich eine aseptische und doktrinäre Lebensphilosophie trotz ihres humanitären Anspruchs entwickeln kann. Die Kontaminierung der mit voller Überzeugung gelebten Ideale vollzieht sich schleichend, sie wird immer stärker dort sichtbar, wo sie eben jene Mechanismen entwickelt und reproduziert, die in der Welt der „Außenstehenden“ virulent sind: Macht, Gier, wirtschaftliche Interessen, Intoleranz und Verachtung Andersdenkender.“ 

Die 3. Season konzentriert sich nun noch entschiedener auf diese Kontamination. Es kommt zudem zu gewalttätigen Übergriffen, einer Bombendrohung und Klagen. Und im Inneren der Bewegung scheint der Erfolg seine Kinder langsam aufzufressen.

Schleichende Vergiftung auf dem Höhepunkt des Erfolgs

War es in den ersten beiden Staffeln der Undercover arbeitende FBI-Agent Abe Gaines (Rockmond Dunbar wurde überraschend nicht mehr für die 3. Season verpflichtet), der die Meyeristen ausspionierte, so sind es in der dritten und letzten Staffel nicht nur die Medien, sondern auch aufgebrachte Eltern, die Eddie Lane belagern. 

Auch die inneren Spannungen nehmen zu. Als Eddie versucht, einen gewalttätigen Jugendlichen zu integrieren (Episode 3: „Locusts“), erfährt er, dass seine Anhänger längst nicht so tolerant sind, wie er erhoffte. 
Der „Hüter des Lichts“ gerät trotz der überwältigenden Expansion der Bewegung immer mehr unter Druck. Er erfährt nicht nur sehr viel über Veras wahre Identität (sie ist die Tochter von Stephen Meyer), sondern auch alles über Liliths Theorien. Eddies Bedürfnis nach Sicherheit wird immer größer. Er umgibt sich mit Business-Experten und teuren Anwälten und zwingt seine Anhänger zur umfangreichen Haftungs- und Rechtserklärungen. In einer der letzten Szenen sieht man, dass die Meyeristen ihre eigene Security beschäftigen, die jeden Besucher gründlich untersucht.
Es ist das Ende der Politik der offenen Tür. 


Zeigt „The Path“ also den schleichenden Zerfall einer Sekte auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs? Showrunner Jessica Goldberg hat auf jeden Fall eine spannende Studie über die Psychodynamik moderne religiöser Bewegungen abgeliefert, deren Verfallsdatum offenbar absehbar ist. Wohl auch, weil der Schritt zur Weltreligion (wie es auch Eddie Lane vorschwebt) daran scheitert, dass die innere Psychodynamik und die Spannungen zwischen auferlegten Regeln, Kämpfen um Deutungshoheit und irrationalem Fanatismus auch dann nicht aufzuhalten sind, wenn dem Guru eine tolerante, weltoffene und transparente Religion vorschwebt. 

Eddie wird am Ende den Versuch unternehmen, die Meyeristen von ihren falschen Mythen zu befreien. Die Anhänger sollen alles über den pädophilen Stephen Meyer erfahren, allerdings funktioniert dies nur, weil Eddie Lane gleichzeitig einen neuen rigiden Dogmatismus einführt und sich selbst zum Führer ausruft, gegen den Widerspruch nicht mehr möglich ist.



Die Lüge im Systemkern

Eddie Lanes Metamorphose zum rigiden Guru, der keine Kompromisse mehr macht, ist daher auch eine Geschichte des Scheiterns. Sekten mit ihren Hierarchien, den Geschichten über Leitern, die in einen magischen Garten führen, und dem Versprechen von Glückseligkeit ziehen die Verzweifelten und Geschundenen in Scharen an, aber sie können ihre Versprechen nicht einhalten. 
Die Lüge gehört zum Systemkern, auch wenn an sie geglaubt wird
Konsequent ist daher das eigentliche Thema von „The Path“. Es ist der sexuelle Missbrauch, der kein Privileg von durchgeknallten Sektierern ist. Ganz so schlimm wie in der 1968 in Kalifornien gegründeten evangelikalen Sekte „The Family“ geht es bei den Meyeristen nicht zu. Für „Family“-Guru David Berg war sexuelle Ausbeutung ein Teil des spirituellen Programms. Aber auch die etablierten Kirchen und natürlich auch die fiktiven Meyeristen haben ihre Leichen im Keller. Und so stößt Eddie auf den größten Widerstand, als er ankündigt, den großen Guru Stephen Meyer zu dekonstruieren und seine Pädophilie öffentlich zu machen, was viele nicht mehr hören wollen.
Was „The Path“ dabei überzeugend gelingt, ist die Konsequenz der Erzählung. Denn die Verzweifelten und Geschundenen sorgen immer wieder dafür, dass es neue Verzweifelte und Geschundene gibt. Alle bewegen sich im Hamsterrad. Und alle sagen: Es gibt kein Hamsterrad.

„Blood Moon“ heißt die Folge, in der alles zum Ende kommt. Den blutroten Mond sieht man als finale Metapher tatsächlich am Himmel, und im dunklen Wald steht Cal, der seinem Elend mit einem Suizid ein Ende bereiten will. Am Ende bringt sich Cal aber nicht um. Auch weil er in seiner perfiden Intrigenspinnerei den verzweifelten Versuch erkennt, das missbrauchte Kind zu vergessen, das er gewesen ist.
Der ausgezeichnet spielende Hugh Dancy avancierte mit einer grandiosen Performance zum heimlichen Star in „The Path“.
Auch diese Katharsis gelang den Serienmachern recht gut. Vielleicht auch weil sie illusionslos davon erzählten, dass Sekten und alternative Bewegungen trotz aller Psycho-Hygiene-Programme den neuen Menschen einfach nicht hinbekommen. Ideologien gelingt dies nicht, sie enden meistens im Elend der Verlierer. Und auch die etablierten Kirchen schaffen es nicht, sie bekommen in „The Path“ auch ihr Fett weg.
Vielleicht schaffen es Menschen wie Hawk Lane, der schon einen Schritt weiter ist und seinen jungen Anhängern am Flipchart erklärt, warum die Meyeristen keine Sekte sind und jeder die Freiheit habe, jederzeit alles zu hinterfragen, was behauptet wird.
Allerdings: Wer diese Freiheit nicht versteht, solle bitteschön morgen nicht mehr wiederkommen. Auch hier gibt es nur ein Ja oder Nein und nichts dazwischen.


„The Path“ entging allerdings nicht ganz den Fehlern der zweiten Season. Immer noch erzeugte das Drehen an der Spannungsschraube eine Reihe von inkonsistenten Handlungsvolten und und in den letzten Episoden kaum nachvollziehbare Plot Twists, die auch psychologisch nicht immer stimmig waren. 

Etwas kann man der Serie allerdings nicht vorwerfen: Nämlich, dass sie langweilig war. Das lag auch an den Darstellern. „The Path“ hat von Beginn an mit einem exzellenten Cast gepunktet, der dazu beigetragen hat, dass Produzent und Hauptdarsteller Aaron Paul („Breaking Bad“) nicht zum Alleinunterhalter wurde. Und nur so konnten einige hervorragend gespielte Szenen entstehen, in denen glaubhaft von Fürsorglichkeit, Ehrlichkeit und Empathie erzählt wurde. Das tolle Ensemble war die Hauptstärke der Serie.


Dass „The Path“ keine weitere Spielzeit bekommt, überraschte dann doch. Allerdings nur, wenn man Qualität zum Maßstab macht. Die scheint aber nicht immer entscheidend zu sein. Dem Quotendruck sind in diesem Jahr zahlreiche Serien zum Opfer gefallen. Trotzdem ist es verblüffend, dass eine ambitionierte und weitgehend klischeefreie erzählte Serie ausgerechnet in den USA, wo fast jeder seine eigene Kirche gründen kann, kein größeres Publikum binden konnte. Vielleicht wollen viele im Moment nichts von der Lüge im Systemkern wissen. 


The Path – HULU (USA 2016-2017) – 36 Episoden in drei Staffeln – Showrunner: Jessica Goldberg – D.: Aaron Paul, Michelle Monaghan, Hugh Dancy, Kyle Allen, Keir Dullea, Freida Pinto, Sarita Choudhury - Deutscher Streaming-Anbieter: AMAZON