Dienstag, 19. Juni 2018

Professor Marston & The Wonder Woman

Ein verblüffender Film. Wer sich fragt, wie eine der beliebtesten Figuren in den DJ-Comics entstanden ist, wird sicher nicht auf die Idee kommen, dass der Schöpfer dieser Superheldin recht unkonventionelle Vorstellungen über Sex hatte. Liebe zu dritt, Spanking und Bondage einbegriffen. Angela Robinson hat daraus einen elektrisierend erotischen Film gemacht.

1945: William Moulton Marston wird auf Schärfste angehört. Er sitzt vor einem Komitee der Child Study Association of America, einer Ansammlung stockkonservativer Puristen. Ihnen soll er erklären, warum in seinen Comics die Superheldin „Wonder Woman“ gerne fesselt und gefesselt wird, warum den Figuren lustvoll der Hintern versohlt wird und warum Marstons Comic-Heldin offenbar ein Faible für lesbische Liebe entwickelt hat. Ein Verbrechen im prüden Amerika. Martons Verteidigungsrede ist also ein hoffnungsloses Unterfangen, denn in den USA werden Kinder angehalten, öffentlich ihre Comics zu verbrennen. Es sind Bilder, die unverkennbar an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten erinnern.



Drehbuchautorin und Regisseurin Angela Robinson hat sich für alles Weitere einen schönen Kniff ausgedacht. Während Marston den Moralhütern erklärt, warum „Wonder Woman“ so ist, wie sie ist, taucht der Film in Rückblenden ab und zeigt stattdessen, warum ihr Schöpfer so ist, wie er ist. Marstons Leben, seine Sexualität und seine Beziehung zu den beiden Frauen, die er liebt, wachsen unaufhaltsam mit seiner Comicfigur zusammen.


Erst der Lügendetektor deckt die Gefühle auf

1928: William Marston lehrt Psychologie an den Harvard und Radcliffe Colleges. Zur Seite steht ihm seine Frau Elizabeth (Rebecca Hall), eine leicht nervöse, hochintelligente und rhetorisch brillante Frau, deren Dissertation abgelehnt wurde. 
Dominance (D), Inducement (I), Submission (S), und Compliance (C) sind die Bestandteile von Marstons DISC-Theorie, die der charismatische Dozent besonders erfolgreich bei den weiblichen Teilnehmern seines Kurses ‚an die Frau‘ bringt, was Elisabeth allerdings nicht ohne Argwohn beobachtet. 


Die Ideen für diesen Persönlichkeitstest sind aber so schillernd wie ihr Vertreter. Dominanz, Initiative, Unterwerfung und Gewissenshaftigkeit regeln nach Marston Vorstellung nicht nur das soziale Leben, sondern entscheiden auch darüber, welche Rolle man in ihm einnehmen wird.
Was sich recht komplex anhört, wird bald Marstons Leben auf den Kopf stellen. Er stellt die junge Olive Byrne (Bella Heathcote) als Assistentin ein. Die ist Tochter und Nichte der berühmten Suffragetten Ethel Byrne und Margaret Sanger, scheint aber selbst ein scheues Reh zu sein. Gleich im ersten Gespräch mit Elizabeth Marston verdonnert diese das junge Mädchen, die Finger von ihrem Mann zu lassen.

Es kommt natürlich anders. Der Funke springt über, als William und Elizabeth heimlich einen Initiationsritus der jungen Studentinnen beobachten und William sexuell erregt wird, als einer leicht bekleideten Novizin der Hintern versohlt wird. Die Ménage-à-trois entsteht aber erst, nachdem William Marston mit Hilfe eines von ihm und seiner Frau entwickelten Lügendetektors die Wahrheit herausfindet. Nein, William ist nicht in Olive verliebt: Lüge. Olive ist in William verliebt: Wahrheit. Die junge Studentin fühlt sich stattdessen sexuell zu Elizabeth hingezogen. Es ist der Beginn einer Ehe zu Dritt, in der alle Beteiligten miteinander sexuelle Erfahrungen machen, wobei besonders Elizabeth die Erkenntnis schwer zu fallen scheint, dass sie bi-sexuell ist.


Angela Robinson gelingt in ihrem Film eine erste halbe Stunde, wie man sie lange nicht im Kino gesehen hat. Originell, witzig und mit intelligenten und pointierten Dialogen werden die Rollen in einer Dreiecksbeziehung verteilt, in der die Protagonisten erst mit Hilfe einer Maschine die Lügen und Halbwahrheiten beseitigen müssen, um sich und damit auch ihre sexuellen Präferenzen zu entdecken.

Luke Evans, im realen Leben ein bekennender Homosexueller, spielt den College-Professor als witzigen Erotomanen, bei dem man sich nie sicher ist, ob er sein Sexleben seiner DISC-Theorie anpasst oder ob diese vielmehr eine verschlüsselte Form seiner Sexualität ist. Verdrängung und Selbsterkenntnis spielen auch in Rebecca Halls Darstellung einer intelligenten Frau eine Schlüsselrolle. Hall spielt imponierend eine Frau, die vom etablierten Wissenschaftsbetrieb eine Abfuhr erhalten hat, obwohl sie intelligenter als ihr Mann ist, und die unter heftigem inneren Widerstand lernt, dass sie offenbar alles andere als hetero-sexuell ist. Sie wird in der komplizierten Beziehung von drei unkonventionellen Menschen die Vertreterin des Realitätsprinzips sein. Und das greift, als Williams, Elizabeths und Olives Beziehung auffliegt und alle ihren Job verlieren. Wie verdient man seinen Lebensunterhalt und wie verbirgt man eine Beziehung, die ein Skandal ist?
Bella Heathcote zeigt dagegen als Olive, dass sich hinter ihrer äußeren Zurückhaltung eine handfeste und kompromisslose Ehrlichkeit verbirgt, ohne die die beiden Akademiker bald nicht mehr leben können. Eine Eigenschaft, die später für Marstons Comicheldin essentiell werden wird.



Unbedingte Wahrheit: Entdecke, wer du bist!

Und „Wonder Woman“? Diese Figur entsteht, als das Trio Infernale nach New York zieht. Elizabeth beginnt als Sekretärin zu arbeiten und sichert damit das finanzielle Überleben, Olive zieht zusammen mit William die mittlerweile rasch angewachsene Kinderschar groß, während William Marston als Autor mit der Entwicklung einer weiblichen Comicfigur beginnt, und dies, obwohl derartige Stoffe bislang bei den Lesern gescheitert sind. Doch Marston ist davon überzeugt, dass die Welt ein besserer Platz wäre, wenn dort die Frauen das Sagen hätten. 

Der endgültige Durchbruch bei der Entwicklung seiner Figur gelingt, als William in einem Dessous-Shop Charles Guyette (JJ Feild) kennenlernt, den Pionier der Fetisch-Kultur. Während einer geschlossenen Veranstaltung demonstriert Guyette seinen Kunden erotische Kostüme und raffinierte Bondage-Techniken. William ist fasziniert, Elizabeth zunächst abgestoßen. Aber als Olive ihnen ihm strahlenden Licht in einem hautengen Kostüm entgegentritt, sind beide überwältigt: Das ist Wonder Woman!


„Professor Marston & The Wonder Woman“ fängt in seinen Settings die 1930er-1950er Jahre in eleganten Bildern ein. Noch mehr ist Angela Robinsons Film aber ein erotisierendes Abenteuer, in dem Bryce Fortners Kamera dezent, aber immer lustvoll über den Körper von Olive gleitet. 
Die ist zwar die Muse des Comicschöpfers, aber keineswegs das Rollenmodell der berühmten Superheldin. Während Robinsons Film immer wieder zur Rahmenhandlung zurückkehrt, der Anhörung Marstons, wird für den Zuschauer immer deutlicher, dass dessen Verteidigung seiner kämpferischen Amazone tatsächlich widerspiegelt, warum er zwei Frauen liebt und wie sie schließlich in einer Figur verschmelzen: das Reine und Unverdorbene von Olive, das Aggressive und Dominante von Elizabeth, das nach Unterwerfung verlangt, verbinden scheinbar Gegensätzliches im Entwurf einer Heldin, die auch politisch nach einer neuen Definition der Rolle der Frau in der amerikanischen Gesellschaft verlangt.


Schön wie Aphrodite, klug wie Athena, stärker wie Herkules und schneller wie Hermes, so wurde Wonder Woman in den Comics beschrieben. Und siegreich bleibt sie auch, weil sie mit ihrem goldenen Lasso die Menschen zwingt, die Wahrheit zu sagen – und weil sie lieben kann. So entstand aus zwei Frauen der Archetypus einer Superheldin, die nicht nur Marstons sexuelle Präferenzen ausdrückte, sondern auch zum Rollenmodell vieler junger Frauen in den Nachkriegsjahren wurde.
„The new type of woman who should, I believe, rule the world“, beschrieb Marston sein Geschöpf. Und die Unterwerfung des Mannes unter eine kluge, starke und liebende Frau würde eine bessere Welt schaffen. So entstand gegen alle Widerstände eine Ikone der Comic-Kunst, die auch durch heftige Widerstände nicht aufzuhalten war.


Verschmerzen kann man dabei, dass Angela Robinson bei der Stoffentwicklung die von Jill Lepore in ihrem Buch The Secret History of Wonder Woman präsentierten Fakten nicht berücksichtigte. So soll William Marston seine Ehefrau zur Dreiecksbeziehung mit Olive Byrne genötigt haben. Es spricht also einiges dafür, dass Marston nicht der edle, aber sympathisch-lüsterne Ritter war, wie ihn „Professor Marston & The Wonder Woman“ zeichnet. Zudem kritisierte Marstons Enkelin nach dem Kinostart, dass die lesbische Beziehung zwischen Elizabeth und Olive reine Fiktion sei.

Ignoranz gegenüber biografischen Fakten ist selten eine lässliche Sünde. Aber der Film folgt vollständig der Agenda seiner Autorin und Regisseurin, die in ihrer Umsetzung die Fiktion über die Fakten triumphieren lässt. Und das durchaus konsequent, da William Marstons Superheldin
wenigstens in Comics fiktiv über das Faktische einer patriarchalischen Gesellschaft triumphieren soll, in der Frauen die sexuelle Freiheit und die berufliche Anerkennung systematisch verwehrt wurde.

Und so erinnert „Professor Marston & The Wonder Woman“ in einigen Aspekte entfernt an Francois Truffauts Klassiker „Jules und Jim“, aber noch stärker an den Kampf der Frauen in „Mad Men“ und an eine weitere Serie, nämlich „Masters of Sex“. Dort ist zu sehen – auch nicht immer historisch korrekt-, dass die Entwicklung einer empirischen und bahnbrechenden Sexualtheorie nicht möglich ist, ohne dass zuvor die eigene Sexualität erfahren und verstanden wird.
In Angela Robinson Film wird diese wundersame Dynamik nicht kopflastig präsentiert, sondern sinnlich nachvollziehbar: ein erotisierender Film. Wenn man die Botschaft des Films beiseiteschiebt, so bleibt immer noch eine faszinierende und außergewöhnliche Kinogeschichte übrig, die verblüfft, aber auch blendend unterhält. Dabei kann man durchaus noch einmal neugierig auf Patty Jenkins „Wonder Woman“ (2017) werden, den man nun aber garantiert mit anderen Augen sehen wird.


Noten:

BigDoc = 1, Melonie, Klawer = 1,5

Professor Marston and the Wonder Woman (dts.: „Professor Marston & The Wonder Woman“) – USA 2017 – Buch, Regie: Angela Robinson – Kamera: Bryce Fortner - Laufzeit: 108 Minuten – FSK: ab 12 Jahren – D.: Luke Evans, Rebecca Hall, Bella Heathcote, Oliver Platt, JJ Feild u.a.