Dienstag, 1. März 2011

Wir sind sauber!

Das tun doch alle!
Wer immer in diesen Tagen etwas schreibt, muss darauf gefasst sein, dass ihm mit vermeintlich wohlwohlendem Grinsen die Frage gestellt wird, wo und wie man mit "Copy & Paste" seine Texte zusammenklaubt. Auch der arglose Filmkritiker kann seinen Blog offenbar nicht mehr pflegen, ohne dass ihm Anzüglichkeiten zu Ohren kommen. Da hilft auch nicht der Rücktritt des Haupt-Übeltäters - der soziale und kulturelle Schaden ist angerichtet: Schreiben wird besonders von denen, die selbst nicht schreiben können, als Patchwork erkannt. Und endlich können sie sich Luft machen, immerhin haben sie es ja schon immer gewusst. Jene, die alles zu wissen glauben und doch nichts wissen, konnten sich schon früher nicht vorstellen, dass Schreiben etwas mehr sein kann als das Zusammenklauben von Vorgefundenem, das man bestenfalls etwas umformuliert als sein eigenes Gedankengut ausgibt. Nun ist es offenkundig geworden. Alles Betrug.

Hätte man einen Seismographen für öffentliches Denken, würde dieser im Moment unterschwelliges Beben registrieren. All das, was 'alle' schon längst gewusst haben, darf nun endlich offen ausgesprochen werden. "Ich verstehe die Aufregung nicht", erklärte mir ein Bekannter. "Das tun doch alle!"
Gemeint ist das systematische Plagiieren.
So sprechen im Moment viele und der Schreiber dieser Zeilen, der vor dreißig Jahren seine Promotion redlich und nach mehrjähriger Arbeit gemeistert hat, erfährt nun durch Vox Populi, dass allein sein akademischer Titel die folgende Bedingung erfüllt: "Mitgegangen, mitgefangen". Oder meinetwegen auch 'mitgehangen'. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus: Menschen, die nicht den geringsten Schimmer vom Wissenschaftsbetrieb in dieser Republik haben, offenbaren urplötzlich intime Kenntnisse des wissenschaftlichen Arbeitens: "Das tun doch alle!"

"The Stammtisch rules!"
Mitunter kommt es gar schlimmer. Da trifft man einen weitläufigen Bekannten, der einem wohlwollend auf die Schulter klopft und dröhnend erklärt: "Glück gehabt, was?" Wenn man fassungslos nachfragt, wobei man denn in Gottes Namen Glück gehabt hat, dann hört man die zur Gewissheit betonierte Aussage, dass wohl jeder, der einen akademischen Appendix in seinem Namen führt, ganz automatisch und mit frivoler Genugtuung dem vermeintlichen Heer der Plagiateure zugeschlagen wird. Man selber habe wohl das Glück gehabt, nicht erwischt worden zu sein. Plagiieren ist so gesehen kein Übel, sondern gängige Methode.
Der Stammtisch wusste es ja schon immer: die Klugscheißer, die Besserwisser, alle jene, die ihrer Meinung nach vorgeben, etwas 'Besseres zu sein', haben mit Sicherheit ihr Oberschichgetue ähnlichen Methoden zu verdanken, denen sich unser tragischer Freiherr bedient hat. Alles nur abgeschrieben.

Kein Vorsatz? Blödsinn!
Aber die Rückzugsgefechte des heute zurückgetretenen Freiherrn haben bei allen, die es wirklich besser wissen, nur Kopfschütteln ausgelöst. Er habe nicht mit Vorsatz gehandelt, durfte er behaupten. Welch eine Schmierenkomödie! Jeder, der irgendwann einen Wissenschaftstext verfasst hat, weiß genau, dass vor der Niederschrift das Exzerpieren steht, jene methodische Form der Vorbereitung, in der man Thesen und gängige Positionen, die in der akademischen Diskussion und in der Fachliteratur vertreten werden, zusammenfasst. Bereits in dieser Phase treten auch eigene Überlegungen und Thesen hinzu und so ist es zwingend notwendig, die für die spätere Niederschrift der Arbeit relevanten Zitate methodisch zu erfassen und unter genauester Angabe der Quelle in den "Zettelkasten" zu übernehmen. Wer in dieser Phase seitenweise Fremdtexte ohne Quellenangabe in seine Exzerpte übernimmt oder wortähnlich Zusammengefasstes ohne Literaturverweis niederlegt, der handelt definitiv mit Vorsatz oder er ist so abgrundtief blöde, dass es schon an Imbezilität grenzt. Da Letzteres nur schwer anzunehmen ist, jedenfalls im vorliegenden Fall, darf vermutet werden, dass das raumgreifende Schummeln bereits bei der Materialzusammenstellung und den methodischen Vorbereitungen systematisch betrieben wurde. Es gibt unterschiedliche Formen der Vorbereitung: Précis, Konspekt, Exzerpt. Für alle gilt: Fremdes ist von Eigenem auf das Genaueste zu trennen!
Dererlei Feinheiten dürften dem Stammtisch in diesen Tagen wohl herzlich egal sein. Endlich darf frank und frei drauflos geledert werden und für alle, die ehrlich gearbeitet und gewissenhaft geforscht haben, gilt schon längst nicht mehr die Unschuldsvermutung. Alle in einen Sack und mit dem Knüppel drauf, da trifft man gewiss keinen Falschen!
Mir bleibt an dieser Stelle nur eins: Lieber Blog-Leser, Du darfst Dir sicher sein, dass Du an dieser Stelle saubere Texte zu lesen bekommst! Hier wurde nichts zusammengeschustert und mit CRTL+V in die Kritiken eingefügt. Blättere ruhig zurück und schaue Dir die letzte Kritik zum Film "Welcome" an und Du findest am Ende des Textes alle erforderlichen Quellenangaben, wobei sich der Autor auch die Mühe gemacht hat, die Quellen gegenzuchecken. Dieser Blog ist sauber!