Dienstag, 27. September 2016

The Path

Für das Streaming-Portal Hulu ist „The Path“ nach der exzellenten Stephen King-Adaption „11/22/63“ das zweite eigene Drama-Produkt, das in diesem Jahr für erhebliche Schlagzeilen sorgte. Zu Recht. Die sorgfältig erzählte Serie über eine Sekte glänzt mit exzellenten Darstellern, vermeidet stereotype Erzählmuster und durchkreuzt damit wohl auch die Erwartungen der Zuschauer.

Es könnte Soap oder eine beliebige Telenovela sein: ein knapp 40-jähriger Angestellter verliert nach einer umfangreichen Schulung im Ausland den Glauben an die Corporate Identity seines Unternehmens – er entdeckt, dass der legendäre Firmengründer sterbend auf der Intensivstation liegt. 
Seiner Frau, die im mittleren Management des Unternehmens arbeitet, entgeht nicht, dass sich ihr Mann nach seiner Rückkehr regelmäßig mit einer Anderen trifft: ein Fall von Ehebruch? 
Ihr gemeinsamer Sohn soll nach der Schulausbildung ebenfalls in das expandierende Unternehmen eintreten – er lernt aber ein attraktives Mädchen kennen. Und die arbeitet für die Konkurrenz. 
Endgültig kompliziert wird die Sache dadurch, dass der charismatische Regionalchef des Unternehmens einen Machtkampf voller Intrigen anzettelt – er weiß, dass der große Boss bald abtritt und versucht nun, die Führungsrolle als CEO zu übernehmen. Schlimm nur, dass er auch in die Frau der Hauptfigur verliebt ist, dort aber nicht landen kann und auf ziemlich verklemmte Weise seine sexuellen Bedürfnisse bei einer jungen Angestellten befriedigt, die ihrerseits sexuell ziemlich manipulativ ist.
Muss man das sehen?



Klischees werden clever vermieden

Bei diesem 08/15-Plot könnte man tatsächlich rasch abwinken. Aber „The Path“ ist keine Neuauflage von „Dallas“. Das ‚Unternehmen’, in dem sich die Akteure einen emotionalen und existenziellen Glaubens- und Führungskrieg liefern, ist nämlich ein Sekte. 

Die von Hulu produzierte Serie „The Path“ ist nicht nur wegen dieses Sujets alles andere als eine Soap Opera, auch die Erzählweise durchkreuzt alle gängigen Erwartungen. Showrunner Jessica Goldberg erzählt in den 10 Episoden von „The Path“ von einem außergewöhnlichen Familiendrama mit kriminalistischen Einschlägen, von Glaubenskrisen im freundlichen Korsett einer Bewegung, die sich selbst nicht als Sekte versteht. Und die kommt überhaupt nicht so daher, wie man sich derartige Gruppen gemeinhin vorstellt. Die Meyeristen sind keine Spinner, sagen immer gradlinig das, was sie denken und leben deutlich unaufgeregter und pragmatischer als so manche amerikanische Evangelisten-Gemeinde.

Alles dreht sich im idyllischen Upstate New York dennoch um ihren Glauben - den (fiktiven) Meyerismus. Ihren Gründer Dr. Stephen Meyer (Keir Dullea: „2001 – A Space Odyssee“) sieht man in der ersten Episode im peruanischen Cusco allerdings bewusstlos im Krankenbett, angeschlossen an zahlreiche lebenserhaltende Maschinen. Eine unumstößliche Tatsache, die Eddie Lane (Aaron Paul: „Breaking Bad“) eigentlich gar nicht hätte sehen dürfen, als er während einer Schulung, vollgepumpt mit bewusstseinserweiternden Drogen, im Haus herumstolpert. 
Das Problem: Meyer soll eigentlich die letzten Kapitel seines Buches „The Ladder“ (Die Leiter) schreiben und damit seinen Anhänger zum letzten Schritt in eine vom Licht erfüllte spirituelle Existenz verhelfen.
Nun liegt der Guru im Sterben und Eddie spürt nach seiner Rückkehr in die Staaten, dass seine Frau Sarah (Michelle Monaghan: „True Detective“) und alle anderen Mitglieder der Bewegung systematisch über den Zustand Meyers belogen werden. Eddie befallen ernste Zweifel am Wahrheitsgehalt seines Glaubens. Und die nehmen zu, als er beginnt, sich regelmäßig mit Alison Kemp (Sarah Jones) zu treffen. Das abtrünnige Mitglied der Meyeristen ist nämlich fest davon überzeugt, dass ihr Mann von der Bewegung umgebracht worden ist.

Das Raffinierte an „The Path“ ist, dass Jessica Goldberg clever alle denkbaren Klischees vermeidet, die man von einem Sektenthriller erwartet. Die Meyeristen sind weder semi-faschistische Fanatiker, die von einem sadistischen und pädophilen Soziopathen angeführt werden („Colonia Dignidad“), noch eine Ansammlung suizidgefährdeter Irrer, die sich irgendwann auf Wunsch ihres geistigen Führers gemeinsam das Leben nehmen. Ein wenig Scientology haben die Meyeristen dagegen schon zu bieten. In ihrer internen Hierarchie gibt es zehn Sprossen auf der „Leiter“, die sie durch rituell erklimmen können. Ganz ohne Macht und Hierarchie geht es offenbar nicht.
In der Öffentlichkeit  präsentieren sich die Meyeristen als eine humanitär ausgerichtete Bewegung. Sie vermeiden den Begriff Religion und sind immer dort vor Ort, wo zivile Katastrophen stattgefunden haben und Menschen Hilfe brauchen. Auch miteinander geht man einfühlsam um. Und im Gegensatz zu all den verklemmten Sektierern, die häufig ein pathologisches Verhältnis zur Sexualität haben, darf man bei den Meyeristen Spaß im Bett haben. Solange man unter sich bleibt.
Zwischen karitativer Ausrichtung und expansivem Wirtschaftsunternehmen angesiedelt, erhoffen die Anhänger Stephen Meyers für sich und ihre neu gewonnenen Mitglieder eine Reinigung von inneren Beschädigungen, Neurosen und Ängsten, um am Ende ihres Weges den mythenumwitterten „Garten“ zu erreichen – ein neues Paradies, in dem die Menschen endlich frei sind von den Zwängen einer egoistischen und innerlich kranken Gesellschaft. Und die besteht nun mal leider aus bemitleidenswerten „AS“, außenstehenden Systemanhängern, denen man besser aus dem Weg geht, wenn man ihnen nicht gerade aus humanitären Gründen hilft oder sie zu missionieren versucht. Aber nicht nur Eddie spürt, dass das Leben in der glücklichen Kommune langsam Risse bekommt.


Durchgehend hoher Spannungslevel

Wer nun von den zehn Episoden der ersten Staffel eine effektvolle Enthüllungs-Dramaturgie erwartet, die am Ende den sektiererischen Wahnsinn um die Ecke blicken lässt, wird angenehm enttäuscht. Jessica Goldberg zeigt ihre Figuren nicht als Spinner, sondern als Menschen, die an ihre Botschaft glauben und im täglichen Leben sehr konsequent eine Art von Nächstenliebe in die Tat umsetzen, die beinahe an die Kompromisslosigkeit der Bergpredigt erinnert. Nur ganz langsam schleicht sich in „The Path“ eine obsessive Dynamik ein, die erkennen lässt, dass hehre Ideale schlichtweg daran scheitern, dass sie ideologischer Natur sind. Und die macht bekanntlich blind.

Jessica Goldberg, die auch einige Scripts verfasst hat, erzählt diese Geschichte ohne spekulative Effekthascherei, meistens sehr glaubwürdig und nachvollziehbar. Während Eddie Lane seine Zweifel zunächst überwindet, dafür aber eine aggressive Psychotherapie über sich ergehen lassen muss, beobachtet seine Frau Sarah mit zunehmender Besorgnis, dass sich ihr Ex-Freund Cal Roberts (Hugh Dancy) zwar mit viel Charisma als neuer Führer der Bewegung stilisiert, aber nicht in der Lage ist, seine akuten Alkoholprobleme in den Griff zu bekommen. Immer mehr entwickelt sich die dogmatisch gläubige Sarah zum moralischen Gegenpol Cals, der erfolgreich versucht, mit intriganten Manövern Eddies Integrität in Frage zu stellen. Natürlich will er Sarah erneut erobern. Währenddessen verliebt sich Sarahs und Eddies Sohn Hawk (Kyle Allen) ausgerechnet in eine „AS“ – die nächste Glaubenskrise kündigt sich an, denn natürlich ist diese Liebe wie bei Romeo und Julia streng verboten.

Dramaturgisch hält „The Path“ den Spannungslevel durchgehend sehr hoch. Eindrucksvoll ist dies auch deswegen, weil die Serie sehr dialogorientiert ist und nur selten Actionelemente enthält. Die Sequenzen der Episoden besitzen einen ruhigen Rhythmus und führen die unterschiedlichen Handlungsstränge überschaubar zusammen. Interne Cliffhanger mit vorhersehbaren Spannungseffekten fehlen weitgehend.

Dies gibt auch den Figuren ausreichenden Raum für eine überzeugende Entwicklung. Aaron Paul lässt seine „Jessie Pinkman“-Vergangenheit zwar nicht ganz vergessen, gibt seiner Rolle als zweifelnder Außenseiter und liebender Familienvater eine Ambivalenz, die zeigt, welches große Potential er als Darsteller besitzt. Michelle Monaghan, die in „True Detective“ bereits der heimliche Star war, spielt die aufrecht gläubige Meyeristin nicht als naive Frau, sondern mit Selbstbewusstsein und Härte – eine Frau, die auch mit den erforderlichen Machtinstinkten ausgestattet ist, um die Bewegung führen zu wollen. Hugh Dancy (bekannt als Will Graham in „Hannibal“) spielt den intriganten und zerrissenen Cal als narzisstische Persönlichkeit, die an sich verzweifelt, aber bereit ist, notfalls auch über Leichen zu gehen, um seine Führungsposition zu verteidigen.

Auch in den Nebenrollen ist „The Path“ hervorragend gecastet. Der serienerprobte Rockmond Dunbar („The Mentalist“, „Sons of Anarchy“) spielt den FBI-Agenten Abe Gaines, der die Meyeristen undercover ausleuchtet, dabei aber auch die Erfahrung macht, wie beeindruckend die soziale Kompetenz der Sektenmitglieder sein kann. Für die dunkle Seite der Erweckungsbewegung steht Mary Cox (Emma Greenwell: „Shameless“), die als Kind brutalen sexuellen Missbrauch erfahren hat und sich als Novizin bei den Meyeristen leidenschaftlich zu Cal hingezogen führt. Mary changiert zwischen engelsgleicher Freundlichkeit und der Kunst der sexuellen Manipulation, immer auf der Suche nach dem Guten, aber angezogen von der dunklen Seite Cals.

Die sexuell obsessive Beziehung zwischen Cal und Mary steht in „The Path“ metaphorisch für den Tenor der Geschichte: die Hulu-Serie, für die bereits die zweite Staffel geplant ist, ist eine nuancierte Reise vom Licht in die Dunkelheit. Showrunner Jessica Goldberg ist der Kunstgriff gelungen, diese Geschichte mit jederzeit authentisch wirkenden Figuren zu erzählen. Der fiktive Meyerismus wirkt dabei keineswegs unsympathisch und es dauert auch einige Zeit, bis der Zuschauer entdeckt, wie verhängnisvoll sich eine aseptische und doktrinäre Lebensphilosophie trotz ihres humanitären Anspruchs entwickeln kann. Die Kontaminierung der voller Überzeugung gelebten Ideale vollzieht sich schleichend, sie wird immer stärker dort sichtbar, wo sie eben jene Mechanismen entwickelt und reproduziert, die in der Welt der „Außenstehenden“ virulent sind: Macht, Gier, wirtschaftliche Interessen, Intoleranz und Verachtung Andersdenkender.

Nicht nur in metaphorischer Hinsicht wird dies spürbar, als Cal sich eine Strafaktion für Eddie ausdenkt, nämlich mitten im Winter 'The Walk' abzuwandern. Eddie soll die gleiche spirituelle Reise antreten, die einst Stephen Meyer ins Licht geführt. Hawk beschließt überraschend, seinen Vater zu begleiten. Vater und Sohn 'on the road'. In
The Shore“ (ep 8) erfahren dann beide, wie sich Realität anfühlt. Es ist eine Reise in die Armutsregionen des Landes, aber auch eine Reise in Eddies Vergangenheit. Am Strand von Coney Island hat Eddie dann auch eine Vision, und wenn später Eddie und Hawk gegrillte Muscheln essen, die Eddie früher so geliebt hat, weiß der Zuschauer, dass diese Reise und die mystische Begegnung mit seinem toten Bruder Eddie zu einem anderen Erkenne-dich-selbst geführt hat, als sich Cal gewünscht hat.
Wenn Eddie am Ende die Bewegung verlässt, sind die Machtstrukturen der Meyeristen sehr fragil geworden. Und Eddie hat erkannt, dass seine wahre Utopie immer nur die eigene Familie gewesen ist. Dennoch reist er ein letztes Mal nach Peru, immer noch auf der Suche nach der Wahrheit. Dort erlebt er eine Überraschung.
Dass „The Path“ in den letzten zwei Episoden das Tempo des subtilen Familiendrama mit einigen hektischen Plot Twists unnötig forciert und sogar den Anschein erweckt, als könne ausgerechnet der mit seinem Glauben hadernde Eddie dank seiner spirituellen Kraft ein medizinisches „Wunder“ bewirken, enttäuscht dagegen. Trotz solcher gelegentlichen Schwächen ist „The Path“ nicht nur für Aaron-Paul-Fans ein Must-See: ein Familiendrama mit faszinierenden Figuren.

Die Serie kann bei Amazon Prime kostenfrei gestreamt werden.

Note: 2

The Path – USA 2016 – 10 Episoden – Showrunner: Jessica Goldberg – D.: Aaron Paul, Michelle Manoghan, Hugh Dancy