Freitag, 26. Januar 2007
Flags Of Our Fathers
Der strategische Sinn dieses Schlachtens wird von Drehbuchautor Paul Haggis (L.A. Crash, Million Dollar Baby, Casino Royale) nicht ausführlich thematisiert. Also: Iwo Jima sollte als Stützpunkt für Kampfflugzeuge dienen, die in der Endphase des Krieges amerikanische Bomberverbände unterstützten. Tatsächlich hat das amerikanische Flächenbombardement in Japan unerhörte Schäden verursacht, aber erst der Abwurf der beiden Atombomben zwang Nippon zur Kapitulation. Dieser Hintergrund bleibt im Film verwaschen, aber dies macht fast schon Sinn, denn die US-Marines, die jede einzelne Verteidigungsstellung auf Iwo Jima mit hohem Aufwand ausschalten mußten, dürften sich nicht für militärstrategische Feinheiten interessiert haben.
Viel zu früh und eigentlich weit davon entfernt, eine symbolische Bedeutung zu haben (die Schlacht war längst noch nicht beendet), wurde auf dem Vulkan Suribachi eine US-Flagge gehisst. Tatsächlich wurde dieser Akt zu einer der symbolträchtigsten Aktionen des Zweiten Weltkrieges. Das Foto des Kriegskorrespondenten Joe Rosenthal ging millionenfach um die Welt und diente der amerikanischen Regierung als Aufhänger für eine gigantische PR-Offensive, die den Verkauf von Kriegsanleihen beflügeln sollte. Drei der an der Flaggenaktion beteiligte Marines wurden quer durch die Staaten geschickt, um vor tausenden von kriegsmüden Menschen den symbolischen Akt zu wiederholen.
Dumm nur, dass die Fahne zweimal gehisst wurde. Das später einsetzende Hick-Hack um die "wahre" und authentische Flaggenhissung erscheint im Rückblick völlig unverständlich, aber der Heldenmythos verlangte eine Manipulation der tatsächlichen Ereignisse, die bis heute nicht ganz geklärt ist.
Clint Eastwood erzählt die Geschichte der Schlacht und ihrer Folgen an der Heimatfront diskontinuierlich und ermöglicht durch die Flashbacks der drei Soldaten eine gewisse Ent-Mythologisierung des Geschehens. Aber wir ahnen es: Krieg ist häßlich und Helden wollen sie alle nicht sein, die auf Iwo Jima gekämpft haben. Es geht ums pure Überleben und Eastwood spart Jahre nach Spielbergs "Der Soldat James Ryan" nicht mit üblen Details, um zu zeigen, daß es bei diesem Gemetzel nur Verlierer geben konnte, denn wer im Dreck liegt, dürfte nicht allzu scharf auf Analysen der globalen Militärstrategien und des gerechtfertigten Kriegs gegen die faschistisch-hegemonialen Achsenmächte Deutschland und Japan sein.
Aber haben wir das alles nicht irgendwann schon einmal gehört und gesehen? Und was hat Eastwood zu sagen, was nicht schon Spielberg oder Terence Malick ("Der schmale Grat") zum Teil überzeugender (nicht zuletzt Malick) vorgetragen haben?
Eigentlich nur dies: Zwischen Mythos, Realität und Lüge klaffen manchmal Abgründe, dann verschwimmen die Grenzen wieder bis zur Unkenntlichkeit. Und daß die Medien natürlich Mythen manipulieren und ausbeuten. Auch nichts Neues. Und dies ist vor allen Dingen schon von John Ford in "The Man Who Shot Liberty Valance" deutlich anspruchsvoller abgehandelt worden...
Was aber wirklich stört (zumindest den europäischen Zuschauer) ist der hausbackene Off-Kommentar des Erzählers. Dies ist im Film James Bradley, der Sohn des flaggehissenden Marines John "Doc" Bradley. Nicht nur, daß dieser Erzähler ziemlich schlecht in den Film eingeführt wird, er hämmert dem Zuschauer auch platt-patriotische Einsichten in den Kopf, wo die Bilder schon längst alles erzählt haben. Ob diese Erklärungsdidaktik dem betulich-aufklärerischen und deutlich konservativen Fokus Eastwoods zu verdanken ist oder eher auf das Konto von Paul Haggis geht, ist nicht so entscheidend. Vielmehr dürften vor allen Dingen ältere Zuschauer, die noch einen Bogen von Vietnam zum Irak schlagen können, kein nachhaltiges Vergnügen an einem Film haben, der ein historisch allerdings nicht umstrittenes Kriegsengagement der Amerikaner aus national-patriotischer Sicht reflektiert.
Nun gibt es in Kürze auch noch "Letters From Iwo Jima", der alles aus japanischer Sicht schildert. Das von Eastwood geplante Doppelprojekt dürfte erst nach Ansicht des abschließenden Teils endgültig bewertet werden. Persönlich hätte mich auch eine Geschichte aus der Perspektive des indianischen Marines Ira Hayes interessiert. Der "Häuptling" war einer der drei Marines, die durch die Staaten tourten. Als einziger zerbricht er an der Spannung zwischen Mythos und Realität. Was Indianer in einem amerikanischen Krieg zu suchen haben, wurde schon im reißerischen "Windtalkers" nicht griffig erklärt. Ein offenes Kapitel.
Aus dem Filmclub haben nur Klawer und BigDoc den Film gesehen. Übrigens in einem menschenleeren Kino. Von beiden gab es einheitlich die Note 3.
USA 2006 - Regie: Clint Eastwood - Darsteller: Ryan Phillippe, Jesse Bradford, Adam Beach, Barry Pepper, John Benjamin Hickey, John Slattery, Paul Walker, Jamie Bell, Robert Patrick - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 131 min.
Freitag, 12. Januar 2007
The Prestige - Die Meister der Magie
Wer dann genau hinschaut - und das ist nicht nur die eindringliche Aufforderung des altmodischen und moralisch integren Altmeisters Cutter (Michael Caine) - wird sehen, daß Angier der skrupellose Vertreter der beginnenden Moderne ist, in der die Illusionen des Varietés durch die erschreckenden Technologien der Neuzeit abgelöst werden. Und um diese möglichst perfekt einem sensationsgierigen Publikum verkaufen zu können, muß man seine Moral eben über Bord werfen und buchstäblich über Leichen gehen. Leider hat Nolan diesen H.G. Wells nachempfundenen Einbruch des Science Fiction-Genres in seinen viktorianisch ausgestatteten Film nicht konsequent zu Ende gedacht, sondern nur als Pointe serviert.
Stilistisch ist Nolans Film raffiniert genug, um zwei Stunden blendend zu unterhalten. Das gilt besonders für das Changieren zwischen den verschiedenen Erzählebenen, die durch die Off-Monologe der Protagonisten etabliert werden und die dafür sorgen, daß die Zweifel langsam die den Zuschauer infizieren - man braucht schon eine gewisse Zeit, um herauszufinden, wer hier eigentlich der Schuft ist.
Darstellerisch hat mich vor allen Dingen Michael Caine überzeugt, aber auch Cristian Bale ist vorzüglich, während Hugh Jackman den etwas leichteren Part zu spielen hatte.
Mr. Mendez: 2,5. BigDc: 2,5
Prestige - Die Meister der Magie (The Prestige), Großbritannien, USA 2006, 128 Minuten. Regie: Christopher Nolan, Drehbuch: Jonathan Nolan, Christopher Nolan.
Mit Christian Bale, Hugh Jackman, Michael Caine, Piper Perabo, Rebecca Hall, Scarlett Johansson, David Bowie, Andy Serkis.
Dienstag, 9. Januar 2007
Breakfast On Pluto
Der Film ist Jordans zweite Verfilmung eines Romans von Patrick McCabe und zeigt den typischen Jordan-Touch als Mischung von brutal-realistischer Zeitreise in die 70er Jahre (Nordirland-Konflikt, IRA, Terrorismus, Folter) und wirklichkeitsferner Märchenwelt, in der sogar Rotkehlchen den Ablauf der Handlung kommentieren dürfen. Ziemlich schelmisch, aber das literarische Vorbild kriegt man rasch mit, egal, ob man es Entwicklungs- oder Schelmenroman nennt - "Kiddens" Reise als tuntiger Simplizissimus ins pittoreske Leben - und das in 36 Kapiteln - hat mich mit all den kauzigen Typen, denen er/sie begegnet ständig an den Typenzoo eines Charles Dickens erinnert.
Cilian Murphy als Patrick "Kidden" Braden als irische Transe in London ist umwerfend. Auch die anderen Rolle sind phantastisch besetzt, wobei ich bei allem Respekt vor der gediegenen Spielweise eines Liam Neeson den ruppigen Brendan Gleeson wieder einmal köstlich fand. Pop-Ikone Brian Ferry gibt´s in einer Nebenrolle zu sehen. Viel Freude machte auch der tolle, absolut stimmige Soundtrack.
Fazit: Tragikomödie mit einem herrlich anti-militanten Plädoyer für schrägen Individualismus. Andere würden daraus eine Klamotte oder Nummernrevue machen, Jordan hat dagegen ein subtiles Gefühl für Geschichte und Kultur, wie man es in deutschen Filmen dieses Genres häufig vermisst.
Freitag, 5. Januar 2007
Tsotsi
Best of 2006
Die besten Filme und DVDs 2006
Erneut setzte sich eine Komödie gegen „ernsthaftes“ Arthouse-Kino durch: die Geschichte des kleinen Jungen in der großen Schokoladenfabrik heimste die geteilte Bestnote bei 4 Nominierungen ein, während Hirschbiegels One-Man-Show nur von 3 Gutachtern gesehen wurde, aber 2x eine Eins erhielt! Sentimentales Kino der gehobenen Klasse war in 2006 zwar „in“, aber mit „Alles ist erleuchtet“ setzte sich nur ein Vertreter dieses Genres durch. Dagegen dominierten harte Sozial- und Geschichtsdramen wie „Kaltes Land“, „Knallhart“, „Das Leben der anderen“ oder „Elementarteilchen“. Bemerkenswert: Mit „Wal Mart“ schaffte es wieder einmal ein sehr guter Dokumentarfilm in die Top Ten.
1. Charlie und die Schokoladenfabrik (Tim Burton) 1,5
2. Ein ganz gewöhnlicher Jude (Oliver Hirschbiegel) 1,5
3. Alles ist erleuchtet (Leiv Schreiber) 1,75
4. Wal Mart (Robert Greenwald) 1,90
5. House of the flying daggers (Zheng Yimou) 2,0
6. Das Leben der anderen (F. Henckel v. Donnersmarck) 2,0
7. Kaltes Land (Niki Caro) 2,0
8. Elementarteilchen (Oskar Roehler) 2,0
9. Knallhart (Detlev Buck) 2,0
10. Deutschland – ein Sommermärchen (Sönke Wortmann) 2,25
Lobende Erwähnung:
Einige der besten Filme des Jahres wurden nur von einem bzw. zwei Gutachter(n) gesehen: „Volver“ von Pedro Almodovar sollte in 2007 noch einmal eine Chance bekommen! Exzellent war auch „Manderlay“ (Lars von Trier) oder „Der freie Wille“ von Matthias Glasner. Zu dieser Gruppe gehörte auch die wunderbare italienische TV-Serie „Die besten Jahre“ (Marco Tullio Giordano) und das stilistisch provozierende „The new world“ (Terence Malick): sie bewegten nur einen Gutachter. Das Jonny Cash-Biopic „Walk the line“ (James Mangold) hatte ebenfalls zu wenige Nominierungen. Auch „Dear Wendy“ (Thomas Vinterberg) hätte angesichts der exzellenten Noten mehr Zuschauer verdient. Mr. Mendez schlief bei „Good night, good luck“ (George Clouney) ein.
Qualitätsabstriche gab es dagegen bei anderen Filmen: "Wie im Himmel" (Kay Pollak) und die witzige "Populärmusik aus Vittala" (Reza Bagher) wurden nur aufgrund von 0,05 Punkten von Platz 10 verdrängt, den im Schlussspurt Sönke Wortmanns Fußball-Doku einnahm. Das Drogendrama „Maria voll der Gnaden“ (Joshua Marston) blieb ebenso knapp unter dem erforderlichen Notenschnitt wie „Mean Creek“ (Jacob Estes) und „Die große Verführung“ von Jean-Francois Pouliat. Zweischneidig blieben „Casanova“ (Lasse Hallström) und „Lady Henderson präsentiert“ (Stephen Frears).
Der Chronist hat eine persönliche Hitliste: für mich sind im Rückblick auf alle Filme „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ und „Volver“ die besten Filme des Jahres. Es folgen „Wal Mart“ und die „Die besten Jahre“.
Die schlechtesten Filme und DVDs 2006
Schlechte Filme gab es diesmal kaum. Sehr ärgerlich war das hermetische „Seom – Die Insel“ von Kim-Ki-Duk. Albern war „Nicotina“ von Hugo Rodriguez, während grauenhaftes Mainstream-Kino in „Brüder Grimm“ von dem enttäuschenden Terry Gilliam zu sehen war. Lachhaft war „Das Spiel ihres Lebens“ von David Anspaugh.
News
Es gibt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit: wir benoten, was wir sehen und was wir sehen, benoten wir!
Und wer sind diese Experten? Mr. Mendez, dem nichts gut genug ist, Klawer, unser kluger Mentor, Melonie mit dem reizenden Hang zum sentimental movie und BigDoc, der mal seine Brötchen (leider nicht mehr) mit Filmkritiken verdient hat.