Freitag, 28. Dezember 2007

Top Twenty 2007

Kategorie: Bester Film

1. Spider-Man 3 (Sam Raimi) 1,66
2. Letters from Iwo Jima (Clint Eastwood) 1,75
3. Babel (Alejandro Gonzalez Iñárritu) 1,75

4. Breakfast on Pluto (Neil Jordan) 1,87
5. The Last King of Scotland (Kevin Macdonald) 2
6. Stranger than fiction (Marc Forster) 2
7. Adams Äpfel (Anders Thomas Jensen) 2
8. The Good Shepherd (Robert de Niro) 2
9. 3:10 to Yuma (James Mangold) 2
10. The Simpsons - The Movie (David Silverman) 2
11. Road to Guantánamo (Michael Winterbottom) 2,12
12. Thank you for smoking (Jason Reitman) 2,12
13. Mein Führer (David Levy) 2,16
14. Zodiac (David Fincher) 2,25
15. Bobby (Emilio Estevez) 2,25
16. Snow Cake (Mark Evans) 2,25
17. American Gangster (Ridley Scott) 2,25
18. Flags of our fathers (ClintEastwood) 2,25
19. The Brave One (Neil Jordan) 2,25
20. Little Children (Todd Field) 2,33

In einem erstaunlichen Schlussspurt sicherte sich am ersten Weihnachtsfeiertag James Mangolds post-moderner Western „3:10 to Yuma“ noch ein Platz unter den Top Ten. Die Kritiker waren nicht ausnahmslos mit dem Film zufrieden, da das Remake des alten Delmer Daves-Klassikers anscheinend nicht in die großen Schuhe von Glenn Ford und Van Heflin passte. Aber Christian Bale, ein vorzüglicher Russell Crowe und sehenswerte Nebendarsteller sowie eine konzentrierte Dramaturgie reichten für einen runden Westernspaß, dessen „moralisches“ Ende zwar die psychologische Plausibilität arg strapazierte, aber auch verdeutlichte, dass sich die post-modernen Ableger des Genres an klassische Spielregeln kaum noch halten. Ganz daneben lagen wir aber nicht, denn Mangolds Film schaffte auf Anhieb und innerhalb weniger Wochen den Sprung in die Top 200 der Internet Movie Database (IMDB).

Nun aber zu den Spitzenreitern: „Spider-Man 3“, ebenfalls arg zerrupft von den Kritikern, schaffte es verblüffenderweise auf Platz 1 und der Chronist fragt sich betroffen, ob er mit seiner Höchstnote vielleicht mehr Schaden angerichtet hat als ihm lieb war. Denn bis zum Zerreißen angespannt war Sam Raimis Versuch, dem Spinnenmann psycho-pathologische Dimensionen zu verleihen und ein Schauerdrama aus Schuld und Sühne, Liebe und Hass auf eine Comicverfilmung zu projizieren. Aber auch wenn die Profikritiker hier eher Quark statt Sahne sahen, war der Filmclub der Überzeugung, dass Raimi im Genre „Comicverfilmung“ einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Allerdings: Hätte Mr. Mendez diesen Film gesehen, wäre es kaum zu dieser Platzierung gekommen.
Clint Eastwood ist einer von zwei Regisseuren, die es mit zwei aktuellen Filmen in die Top Twenty geschafft haben. Mittlerweile gibt es in der Fachwelt einen breiten Konsens in der Bewertung des Doppelprojektes: „Letters of Iowa Jima“ gilt als der gelungenere Film. So sah es auch der Filmclub, der „Flags of our Fathers“ auf Platz 18 einlaufen ließ. Der Chronist hatte beim zweiten Hinschauen durchaus Bauchschmerzen, denn mit Schlagwörtern à la „Wahnsinn des Krieges“ und einem streng ethischen Pazifismus wird man den historischen Zusammenhängen wohl nicht gerecht. Ich denke, dass die intuitive Menschlichkeit eines kleinen japanischen Bäckers, der seinen Offizieren moralisch haushoch überlegen ist, stärker berührt als alle Zweifel. Zumal diese von westlichen Werten nicht unberührt gebliebene intellektuelle Kaste fast konditioniert ihrem Codex folgt und damit einer tödlichen Starre verfällt.
Alejandro Gonzalez Iñárritu sicherte sich mit „Babel“ den dritten Platz, was angesichts der zwar sehr emotionalen, aber narrativ auch sehr sperrigen Suche nach den verschlungenen Pfaden der Wahrheit eine weitere Überraschung war. Ganz ehrlich: der mexikanische Regisseur, dessen Filme eigentlich nur von einer Handvoll Liebhaber goutiert werden, zeigte, dass Kino zunächst eine emotionale Angelegenheit ist. "Babel" ist ein Film, der sehr geschickt und streckenweise manipulativ seinen modernen Mystizismus und eine Spur Chaostheorie mit aktuellen und teilweise auch absonderlichen Themen verknüpft, aber auch ein zweites Hinschauen fast zwangsläufig notwendig macht.

Dass Neil Jordans „Breakfast on Pluto“ den vierten Platz erklomm, scheint mir im Rückblick auf das gesamte Filmjahr ein wenig fragwürdig zu sein, aber Note ist Note und der Chronist war mit seiner Bewertung letztlich der Hauptverantwortliche für diesen unerwarteten Durchbruch eines Transen-Märchens. Immerhin schaffte es auch Jordan mit zwei Filmen in die Top Twenty, wobei ich persönlich das Rachedrama „The Brave One“ (Die Fremde in Dir) zwar für deutlich mainstreamiger halte als „Pluto“, aber überzeugt bin, dass dieser Film aufgrund des brisanten Themas auf Dauer gesehen nachhaltiger sein wird. Überdies ist Jodie Foster brillant und den schnodderigen Vergleich mit „Deathwish“, den ein Filmclub-Mitglied ernsthaft in Erwägung zog, halte ich für mehr als gewagt.
Die nächsten fünf Platzierten erhielten eine glatte 2, wobei die besten Einzelnoten über die Reihenfolge entschieden: Im Vergleich zu einigen anderen Filmen der Spitzengruppe wirkt Kevin MacDonalds „The Last King of Scotland“ fast schon etwas bieder, aber erstens ist das Ansichtssache und zweitens ist das Thema „Verführung durch die Macht“ ein Evergreen. Zudem ist Forrest Whitaker (wieder einmal) schlichtweg brillant. Das sah auch Melonie so, deren Eins den Film ganz nach oben katapultierte. „Stranger than Fiction“ von Marc Forster ist eine der intelligentesten Komödien der letzten Jahre – Forster schaffte das Kunststück, einen sehr komplexen Film zu machen, der überdies vorzüglich amüsierte. Das schafft nicht jeder. „Adams Äpfel“ von Anders Thomas Jensen ist dagegen ein Außenseiterfilm: frech, zynisch, gewalttätig – und moralisch. Jensen erzählte die Geschichte eines Neo-Nazis, der sich mit dem Buch Hiob auseinandersetzen muss, auf typisch skandinavische Weise. „The Good Shepherd“ von Robert de Niro gehört zu den umstrittenen Meisterwerken dieses Jahres, weil Matt Damon einige Kritiker nicht überzeugen konnte. Viele Kinogänger wurden vermutlich auch durch die Komplexität des Films abgeschreckt, der zudem einiges an historischem Wissen voraussetzt. Die fast zölibatäre Männerwelt erinnert mich ein wenig an „Breach“ (Enttarnt) von Billy Ray, ebenfalls eine brillante Geheimdienststudie, aber eine Nummer kleiner. Über „3:10 to Yuma“ wurde eingangs berichtet. Und über die „Simpsons“ ist nur eins zu sagen: Wer den Zuschauer so boshaft lachen lässt und dies mit absoluten intelligenten Gags hinkriegt, der hat einen Platz unter den Top Ten verdient.

„Road to Guantánamo“ von Michael Winterbottom schaffte es auf Platz 11. Ich habe in den vergangenen Monaten in einigen Gesprächen gehört, dass die Internierung Verdächtiger einigen unserer Mitbürger offenbar als Beweis reicht. Sie alle hätten Kurnaz nicht wieder in die Republik gelassen, für den Rechtsgrundsatz „In Dubio Pro Reo“ haben sie nur Achselzucken und die Tatsache, dass ein FDP-Mitglied des Untersuchungsausschusses den Mann für unschuldig hält, löst bei ihnen blankes Entsetzen aus. So weit zu Rechtsverständnis einiger unserer Nachbarn. Winterbottoms Film werden sie vermutlich nie sehen.

Ich will nun nicht alle Filme Revue passieren lassen, nur einige Anmkerkungen noch: David Finchers „Zodiac“ schaffte es dank Klawers guter Note im letzten Moment unter die Top Twenty. Sonst wäre er, o Gott, glatt durchgerutscht. Dem Chronisten treibt dies die Tränen in die Augen, da Finchers Meisterwerk den Hannibal Lecter-Mythos gründlich dekonstruierte und gleichzeitig das Thema „Obsession“ so packend abhandelte, dass „Zodiac“ für viele Jahre bleibende Maßstäbe gesetzt hat. Klein, aber fein war Emilio Estevez’ Regiedebüt „Bobby“ und der Geheimtipp des Jahres ist aus meiner Sicht das stark an „Magnolia“ und „American Beauty“ angelehnte Vorortdrama „Little Children“.

Zu den Filmen, die es nicht schafften, gehörte nicht nur die Rosenmüller-Komödie „Wer früher stirbt ist länger tot“, Stephen Frears „The Queen“ oder das exzellente Hausfrauendrama „Irina Palm“ (ich vergaß, ALLE Noten einzusammeln), sondern auch Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“, was fast schon ein kleiner Filmclub-Skandal ist. Nicht nur, weil einige Kritiker diesen Film für einen der besten Streifen dieses Jahrzehnts halten, nicht nur, weil dieses Meisterwerk auf Anhieb den Sprung auf Platz 49 der kritischen IMDB geschafft hat (nur vier europäische Filme gelangten in die Top Fifty), sondern weil die kontroverse Benotung den Filmclub fast zerriss. Während ein Lager den Film des Mexikaners mit Bestnoten überhäufte, schüttete ihn die andere Hälfte mit erschütternden Abwertungen zu. Absurder Höhepunkt: selbst der Ekel-Splatterfilm „Planet Terror“ von Robert Rodriguez erhielt eine bessere Gesamtnote! Warum dies so ist? Darüber kann man lange Abhandlungen schreiben, aber del Toro bricht nicht nur alle tradierten Erzählmuster auf, sondern verletzt auch mit subversiver Gemeinheit grundlegende Gesetze der filmischen Fiktion. Das war wohl zuviel und ich schätze, dass einige in späteren Jahren diesen Ausrutscher zutiefst bereuen werden, zumal der Film beim zweiten Sehen nicht an Kraft verliert, sondern eher noch zulegt.

BigDocs Favoriten mit Note 1: Pans Labyrinth, Zodiac, Stranger than Fiction, Spider Man 3.
Mr. Mendez vergab nur einmal eine 1,5: Babel.
Klawer hielt sich mit einer Eins auch zurück und griff nur einmal zu: Letters of Iowa Jima.
Melonie hatte zwei Einser übrig: The Last King of Scotland, Mein Führer.

Insgesamt war es ein packendes Filmjahr, das an Qualität nur wenig zu wünschen übrig ließ.

Montag, 24. Dezember 2007

Die miesesten Filme 2007

Originaltitel

Regisseur


1. Im Schwitzkasten

Eoin Moore

4,5

2. Five Fingers

Laurence Malkin

4,5


3. Sommer ‘04

Stefan Krohmer

4,5


4. Dreamgirls

Bill Condon

4,25


5. Children of men

Alfonso Cuáron

4


6. Ocean´s Thirteen

Steven Soderbergh

4


7. The Sentinel

Clark Johnson

4


8. Wahrheit oder Pflicht

Arne Nolting

3,875


9. Spartan

David Mamet

3,375


10. Black Dahlia

Brian de Palma

3,37


11. Hannibal Rising

Peter Webber

3,33



In die Top Twenty wird es wohl nur die intelligente und witzige deutsche Komödie „Wer früher stirbt ist länger tot“ von Marcus H. Rosenmüller schaffen. Kein Wunder, erwiesen sich deutsche Filme in diesem Jahr wieder einmal als uninspiriert und langweilig. Ein gutes Beispiel war die Sauna-Komödie „Im Schwitzkasten“, die zwar einige gute Darsteller bot, aber überraschend hartnäckig demonstrierte, wie man ein nicht sonderlich aufregendes Thema zudem auch noch zu Tode quatschen kann. Laurence Fishburne konnte dagegen den ein wenig an die „Saw“-Philosophie erinnernden Terroristen-Folterfilm „Five Fingers“ nicht retten, der überambitioniert, sadistisch und kalt dafür sorgte, dass der Filmclub kopfschüttelnd den Daumen senkte.
Ebenfalls mit einem Notenschnitt von 4,5 fiel Stefan Krohmers grässlicher Thriller „Sommer `04“ völlig durchs Qualitätsraster. Krohmer, der hauptberuflich als Dozent deutschen Filmstudenten das Drehbuchschreiben beibringt, beachtete nicht den elementaren Grundsatz „Zeig’, was die Figuren tun“ und ließ seine Figuren dafür endlos in hölzernen Dialogen quatschen. Gut, bei Rohmer wird auch geredet wie ein Wasserfall, aber erstens sind diese Dialoge einige Nummern pfiffiger und zweitens zeigt Rohmer danach den Unterschied zwischen Reden und Handeln, was enorm spannend ist. Krohmers Film ist dagegen so langweilig, dass man wieder mal zu dem Schluss kommt, dass gute Theoretiker selten ihr Wissen in die Tat umsetzen können. Gelegentlich erinnere ich mich da an Hans C. Blumenberg…
Entsetzlich fanden wir alle die „Dreamgirls“, der weder als netter Gesangsfilm noch als kritisches Pamphlet gegen die Musikindustrie taugte. Offen gestanden: uns beschlich der Verdacht, dass dieser Film einfach nur kalkuliert und verlogen ist. Weg damit!
Dagegen enttäuschte mich besonders Alfonso Cuáron, da seine mexikanischen Kollegen Guillermon del Toro und Alejandro Gonzalez Iñárritu mit „Pans Labyrinth“ und „Babel“ absolute Spitzenfilme vorgelegt hatten, während man bei „Children of men“ nie so genau wusste, wo der Autor uns eigentlich hinführen will. Die anderen sahen das genauso und mit einer 4 kam das angestrengte Sci-Fi-Drama noch gut davon.
Dass Steven Soderbergh mal in dieser Rubrik landen würde, hätte ich mir nie träumen lassen, aber den Glanz seiner bereits fast klassischen Caper-Komödien konnte das ziemlich öde Sequel „Oceans 13“ nicht mehr verbreiten. Total gelangweilt verließen zwei Filmclubberer das Kino und die beiden anderen strichen angesichts der verheerenden Kritik schnell die Segel. Auch abgemahnt wurde mit einer glatten 4 der klischeehafte Thriller „The Sentinel“, den man nicht mal auf den DVD-Markt lassen dürfte. Vermutlich haben die meisten bereits den Hauptdarsteller vergessen…Na, wer war das denn noch?
Andere Filme landeten aufgrund der statistischen Notwendigkeit in dieser Kategorie, lagen aber wenigstens noch im Bereich „Befriedigend“: Arne Noltings „Wahrheit oder Pflicht“ wurde vor schlimmeren Folgen nur durch einen sentimentalen Gnadenakt des sonst so kritischen
Mr. Mendez gerettet. Ansonsten erreichte die stinklangweilige deutsche Komödie nicht einmal das Niveau einer Filmhochschul-Abschlussarbeit und zur Not kriegen wir das auch noch mit einer Consumer-Kamera selbst hin. Aber soweit wollen wir es erst nicht kommen lassen.
David Mamets „Spartan“ retteten dagegen eine glatte 2,5 von
Klawer und eine 3 von BigDoc vor dem Fall ins Bodenlose. Hier sieht man, dass ältere Cineasten mit Wehmut an die Paranoia-Thriller der 70er Jahre zurückdenken und gerne sentimental werden, wenn man das Genre noch mal wiederkäut. Auf passablem Niveau scheiterte dagegen der Film Noir-Versuch von Brian de Palma. Obwohl keiner die Handlung von „Black Dahlia“ verstand, was ja für „schwarze“ Filme eher ein Qualitätssiegel ist, erfreuten uns die Stimmung und die schöne Bilder. Na ja, aber mal ehrlich: das ist nicht gerade viel.
Um so erstaunter waren wir, dass die an sich eher sanft gestimmte
Melonie den kultivierten Splatter-Mix „Hannibal Rising“ mit einer 2,5 vor den Abgründen dieser Rubrik rettete. Aber da uns Hannibal Lecter bereits in Demmes „Lämmer“-Film so richtig ans Herz gewachsen ist, mussten wir nicht zwingend erfahren, dass er in seiner Jugend unfreiwillig seine Schwester verspeist hat. Immerhin: mit 3,33 P ist der Film nicht mal besonders weit vom gehobenen Mittelfeld entfernt und gehört somit eigentlich nicht in den Schredder.

Und demnächst an dieser Stelle: die Top Twenty!
Wegen der enormen Qualität des zurückliegenden Filmjahres verschwinden die Top Ten nämlich in der Versenkung. Da gibt’s die eine oder andere fette Überraschung und das ist auch gut so…

Freitag, 9. November 2007

Von Löwen und Lämmern

USA 2007 - Originaltitel: Lions for Lambs - Regie: Robert Redford - Darsteller: Robert Redford, Meryl Streep, Tom Cruise, Michael Peña, Peter Berg, Tracy Dali, Andrew Garfield, Derek Luke, Louise Linton, John Brently Reynolds - FSK: ab 12 - Länge: 92 min.

Man stelle sich vor, die Debatte um den deutschen Beitrag im Afghanistan-Konflikt würde einen deutschen Filmemacher zu einem politisch-didaktischen Diskurs in Spielfilmform anregen. Wäre ein solcher Film hierzulande denkbar, überhaupt finanzierbar? Käme vielleicht eine aus Filmförderungsmitteln finanzierte TV-Produktion im mittlerweile fast völlig quotenabhängigen öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Frage? Die Frage kann sich jeder selbst beantworten.
In den Staaten scheint so etwas möglich zu sein und es gehört zu den gerne unterschätzten Qualitäten der Traumfabrik, dass der politische Film in den USA auf eine längere und intensivere Tradition zurückblicken kann als unsere bundesrepublikanische Bilderproduktion. Noch entscheidender ist, dass die US-Autoren und –Regisseure es immer wieder schaffen, auch mit den Mitteln des Mainstream-Kinos sowohl nationale Traumata als auch eine patriotische Wertediskussion zu problematisieren. Natürlich braucht man dazu Sturköpfe wie den Traditionsliberalen Robert Redford, der immerhin Meryl Streep, Tom Cruise und sich selbst für eine Brechtsche Geschichtsbefragung vor die Kamera setzen kann. Dass er trotzdem auf hochintelligente Weise gescheitert ist, hat einen Grund: er lässt die von ihm gehasste Bush-Administration zu gut davon kommen.

Vom Mißbrauch der Tugend
„Von Löwen und Lämmern“ verzahnt in Echtzeit drei Erzählstränge: In Washington versucht der republikanische Senator Jasper Irving (Tom Cruise), der seine Absichten auf die US-Präsidentschaft fast so heftig dementiert wie Al Gore, einer liberalen TV-Journalistin (Meryl Streep) eine brisante Story zu verkaufen: die US-Streitkräfte wollen mit einer neuen Strategie den gordischen Knoten durchschlagen und den Krieg „um jeden Preis“ gewinnen. Die neue Taktik hat sich der frontunerfahrene Westpoint-Jahrgangsbeste selbst ausgedacht: kleine Platoons sollen zentrale Hochebenen besetzten, sich den totalen Überblick verschaffen und gezielte Schläge gegen die Taliban durchführen oder vorbereiten.

Gleichzeitig versucht der Politikprofessor Dr. Malley (Robert Redford) in seinem Büro, den begabten, aber fast schon zynisch-desillusionierten Studenten Todd (Andrew Garfield) davon zu überzeugen, dass seine charismatische Diskursfähigkeit ihn zu einem potentiellen Kandidaten der politischen Elite machen könne. Todd indes hat sich bereits geistig von einer aus seiner Sicht korrupten und verlogenen Gesellschaft zurückgezogen. Um ihn zu überzeugen, berichtet Malley von seinen ehemaligen Studenten Arian (Derek Luke) und Ernest (Michael Pena). Beide stammten aus der armen schwarzen Unterschicht und hatten sich bis zur Uni durchgekämpft. Doch inspiriert durch den engagierten Professor und (was die deutschen Kritiker unterschlagen haben) die Aussicht auf ein durch die Army finanziertes Studium melden sie sich freiwillig für den Einsatz in Afghanistan – der Vietnam-Vateran Malley ist entsetzt.

In der dritten Episode sehen wir Arian und Ernest als Mitglieder einer Spezialeinheit, die gerade dabei ist Jasper Irvings geniales Konzept in die Tat umzusetzen, was leider daran scheitert, dass die Hubschrauber schon beim Anflug auf die Hochebene von den Tabilan beschossen werden. Arian und Ernest bleiben schwerverletzt im Schnee zurück und müssen sich gegen eine Übermacht verteidigen.

Dialogtheater mit falscher Ikonographie
Filmisch gesehen ist Redfords Film reines Dialogtheater, das nur durch die im einem Studio gedrehten Kampfszenen unterbrochen wird. Die Figuren sind zwar nicht holzschnittartig, aber sie besitzen keinen dramatischen Kern. Sie transportieren lediglich die Thesen, die der Film verhandelt. Und die sind ambivalent und von einem nicht-amerikanischen Publikum kaum nachvollziehbar, denn Redford ist einerseits ein erbitterter Gegner des Irak-Kriegs, der durch die öffentliche Affirmation des Afghanistan-Einsatzes nach 9/11 betrügerisch eingeleitet werden konnte, andererseits lässt er den Zuschauer auch wissen, dass seine Sympathien den „Löwen“ gehören, jenen Soldaten, die amerikanische Tugenden verkörpern und von sinnlos von der „Lämmern“, den politischen Möchtegern-Führer an der Heimatfront, verheizt werden. Dazu gehört natürlich die uneingestandene Erkenntnis, dass der Pazifismus historisch kein Lösungsmittel ist und Kriege gegen totalitäre Regime gelegentlich unvermeidbar sind. Eine These, die übrigens auch der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer teilt, der bei der Deutschland-Premiere des „Löwen“-Films mit Redford debattierte.

Vielleicht aber verdankt Redford dieses Dilemma auch seinem Drehbuch-Autor Matthew Carnahan, der auch „Operation: Kingdom“ geschrieben hat, denn dieser schrieb ihm mit dem republikanische Senator Jasper Irving (Cruise) ein Figur ins Drehbuch, die in ihren besten Szenen nicht nur die liberale Journalisten (Streep), sondern auch den Zuschauer mit der unbequemen Frage konfrontiert, ob man einen mittelalterlich-inquisitorischen und totalitären Staat hinnehmen müsse, der zudem eine Keimzelle des Terrorismus ist. Wenn man weiß, dass Redford voller Inbrunst Cheney für einen Idioten hält, dann verblüfft es, dass ausgerechnet der intellektuell virtuose Irving-Charakter mit einem charismatischen Schauspieler besetzt wurde, der uns demnächst auch noch als „Stauffenberg“ im Kino begegnen wird.

Ansonsten zeigt der Film, was er aussagen will: die neue Afghanistan-Strategie geht beim ersten Einsatz in die Hose, weil die „Lämmer“ das Sagen haben, die Journalistin scheitert bei dem Versuch, die Propaganda-Story in ihrem Sender zu unterdrücken, nur der anfänglich feixenden Student verlässt Redfords Büro nachdenklich. Vielleicht zieht er aus der Einsicht seines Professors, dass nämlich Resignation und Politikverdrossenheit nur dem herrschenden Establishment dienen, die richtigen Konsequenzen. Man weiß es aber nicht.

Nur eins ist richtig peinlich: die Idealisten Arian und Ernest erheben sich am Ende, und nachdem sie ihre Munition verschossen haben, schwankend und blutend aus dem Schnee und lassen sich heroisch von den Taliban erschießen. Dies wirkt nicht nur angesichts der Tatsache, dass ein Kampfjet gerade mit Flächenbomben die angreifenden Taliban ausschaltet, völlig sinnlos. Das Bild ist auch sinnlos, weil es zur Ikonographie der Neo-Cons gehört, denen „Von Löwen und Lämmern“ eigentlich einen Schlag versetzen wollte.
Wären die beiden nur eine Minute länger im Schnee liegen geblieben, hätten sie überlebt.

Noten: BigDoc = 3

Dienstag, 9. Oktober 2007

Hannibal Rising

Frankreich / Großbritannien / USA 2007 - Originaltitel: Hannibal Rising - Regie: Peter Webber - Darsteller: Gaspard Ulliel, Gong Li, Rhys Ifans, Richard Brake, Kevin McKidd, Helena Lia Tachovska - FSK: keine Jugendfreigabe, nicht feiertagsfrei - Länge: 121 min.

Der deutsche Verleih gab dem Originaltitel den Zusatz „Wie alles begann“. Nun weiß also der Zuschauer, dass er im Kino lernen soll, wie aus einem hochintelligenten und ernsten Kind (Vorsicht: gefährliche Mischung!) ein Soziopath wird. Ganz einfach: indem böse Nazi-Schergen während der Zweiten Weltkriegs seine Schwester verspeisen. Das Ergebnis: Hannibal Lecter sieht rot.

Ohne seine Vorgänger in Buchform und Zelluloid hätte dies einen bestenfalls zweitklassigen Splatterfilm abgegeben, über den man kein Wort verliert, aber da ich noch weiß, wie gut Thomas Harris anfangs geschrieben hat und ich die Masterpieces „Manhunter“ (Blutmond, 1988) von Michael Mann und „The Silence Of The Lambs“ (Das Schweigen der Lämmer, 1991) von Jonathan Demme kenne und auch nicht vergessen kann, kann dieses Lecter-Franchise-Produkt nur ärgern (was auch dem Buch gelang) und weder mich noch einen Hund hinter dem Ofen hervorlocken.
Routinier Webber versucht mit auf Hochglanz polierten Bildern einen Hauch von Major Production zu verbreiten. Den gibt die ziemlich blutrünstige Story aber nicht her. Konnte das Remake „Red Dragon“ (2002) von Manns Klassiker auch wegen der guten Darsteller trotz erkennbarer Überflüssigkeit noch einigermaßen gefallen, so kämpft Lecter-Darsteller Gaspard Ulliel trotz spürbaren Talents gegen den Mythos Anthony Hopkins und ein flappes Drehbuch vergeblich an. Alles nur Geschäft!
Noten: Melonie = 2,5, Mr. Mendez, BigDoc = 3,5

Number 23

USA 2007 - Originaltitel: The Number 23 - Regie: Joel Schumacher - Darsteller: Jim Carrey, Virginia Madsen, Logan Lerman, Danny Huston, Rhona Mitra, Lynn Collins, Michelle Arthur, Paul Butcher - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 98 min.

Walter Sparrows (Jim Carrey) Leben verwandelt sich in ein höllisches Chaos, als er das Buch „Die Zahl 23“ in die Hände bekommt. Das Buch handelt von einem schockierenden Mordfall und dem Detektiv Fingerling (auch von Carrey gespielt) – und alles erscheint wie ein Abziehbild von Walters eigenem Leben. Gequält von Halluzinationen, versucht Sparrow sein Leben in den Griff zu bekommen und muss dabei eine schreckliche Erfahrung machen.
Joel Schumacher ("Die unglaubliche Geschichte der Mrs. K", "Flatliners", "Falling Down", "Batman Forever") gelingt zwar ein formal durchaus sehenswerter Film, doch die verwirrenden Zahlenspiele konnten kein rechtes Interesse an den Nöten der Hauptfigur wecken. Also „Thumbs down“ im Filmclub!
Noten: Melonie = 3,5, Mr. Mendez = 3,5, BigDoc = 4

Snow Cake

Großbritannien / Kanada 2005 - Regie: Marc Evans - Darsteller: Alan Rickman, Sigourney Weaver, Carrie-Anne Moss, Emily Hampshire, James Allodi, David Fox, Jayne Eastwood - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 112 min.

Als der introvertierte Brite Alex (Alan Rickman) in der Schneelandschaft Ontarios in einen Autounfall verwickelt wird, stirbt die Anhalterin Vivienne, die bei ihm eingestiegen ist. Alex sucht voller Schuldgefühle die Mutter der jungen Frau auf. Doch Linda (Sigourney Weaver) ist Autistin und kann ihre Trauer nicht zeigen. Und so beschließt Alex bis zur Beerdigung bei Linda zu bleiben. Als er sich auf eine Affäre mit Lindas Nachbarin Maggie (Carrie-Anne Moss) einläßt, beginnt nicht nur der Schnee zu schmelzen.
Professor Snape meets Alien-Jägerin Ripley – das Ergebnis ist eine leichtfüßige Komödie mit guten Dialogen und einigen Überraschungen. Diese rundum unterhaltsame „Erziehung der Herzen“ wurde dafür im Filmclub mit ziemlich guten Noten belohnt und ist ein Favorit für die Top Ten.
Noten: Melonie = 2, Mr. Mendez = 3, BigDoc = 2, Klawer = 2 (Gesamt: 2,25)

Donnerstag, 4. Oktober 2007

Die Fremde in dir

USA / Australien 2007 - Originaltitel: The Brave One - Regie: Neil Jordan - Darsteller: Jodie Foster, Naveen Andrews, Terrence Howard, Mary Steenburgen, Jane Adams, Nicky Katt, Zoe Kravitz - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 16 - Länge: 119 min.

Selbstjustiz gefährdet die Grundlagen unserer Rechtsethik und Rache ist sowieso von Übel. Eigentlich ist damit Neil Jordans neuer Film „Die Fremde in dir“ spätestens dann moralisch erledigt, als die schießwütige Heldin am Ende mit einem raffinierten Deal konfrontiert wird, der ihr eine strafrechtliche Verfolgung erspart. Allerdings muss sie ein letztes Mal ihre Waffe abfeuern- auf einen Unschuldigen! Also keine symbolische Bestrafung der Rächerin: Das sieht ganz nach einem Plädoyer für Selbstjustiz aus.

Was zuvor in passiert, entspricht nicht ganz dem gängigen Schema einer „Eine Frau sieht rot“-Variante des alten Bronson-Klassikers: Erica Bain (in bewährter Form: Jodie Foster) verdient ihre Brötchen als literarisch-feinsinnige Großstadtpoetin in der Radioshow „Street Walk“. Sie liebt NY, obwohl es sich verändert, schleichend, mit einer Tristesse, die wahrscheinlich auch durch Nine Eleven in ihre Poeme getragen wird. Die Stadt ist beschädigt und wie das aussieht, ist auch nicht neu, weiß doch jeder Tourist, dass man in New Yorker Parks nicht in abgelegene Tunnel läuft. Nur Bain tut dies, mit ihrem Verlobten, auf der Suche nach ihrem Hund. Die Folge: beide werden mit äußerster Brutalität überfallen, ihr Verlobter, ein indischer Arzt, wird von den Bösewichtern erschlagen, Erica ins Koma getreten, während das Ganze mit dem Handy gefilmt wird. „Happy Slapping“ mit tödlichen Folgen.

Realismus statt Baller-Movie: Ist das politisch korrekt?
Was folgt, ist der Prozess der langsamen Verwandlung Ericas Bains in eine Fremde, einen Menschen, der die Wurzeln vollständig eingebüßt hat und schwer traumatisiert nach einer neuen Identität sucht, dabei zur Waffe greift und tötet. Diese Metamorphose nimmt den Zuschauer mit auf die Reise zu vertrauten Reiz-Reaktions-Schemata: natürlich ahnt er, dass Erica zurückschlagen wird, natürlich ist er emotional auf ihrer Seite, ob klammheimlich oder in offener Erregung sei dahingestellt und natürlich fragt er sich, etwas cineatische Intelligenz vorausgesetzt, wie denn der Film aus dieser moralischen Affäre herauskommen will, da Neil Jordan sein Sujet realistisch-psychologisch angeht und nicht einen zynischen Schenkelklopfer à la „Kill Bill“ oder eine maskuline Racheorgie wie „Man On Fire“ ins Bild gesetzt hat.
Ja, so eine Erzählhaltung ist schon eine Plage, da es in einem wirklichkeitsnahen Film ohne Differenzierung und subtile Zwischentöne nicht ganz abgeht. Autor und Regisseur scheinen zumal ob dieser latenten Intellektualität per se gehalten zu sein, eine moralische Aussage zu treffen, die politisch korrekt ist. Dies tut „The Brave One“ (Originaltitel) allerdings nicht und so reagierten die meisten Kritiker auf den Film ziemlich allergisch und erkannten in ihm ein Votum für Selbstjustiz. Bezeichnenderweise bekannte sich einer dieser Profischreiber ziemlich konsequent zu dem Ballerspektakel „Death Sentence“ mit Kevin Bacon, da dieser Rachefilm doch „einfacher und ehrlicher sei“. Und letzteres ist ganz schön perfide.

Ambivalente Inszenierung
Nun gehört es sicher zu den Angriffsflächen in Neil Jordans Film, dass er anders als Martin Scorsese in „Taxi Driver“ keine irritierende und leicht psychotische Grundstimmung herstellt, die den Zuschauer auf Distanz hält. Erica Bain ist aber nicht Travis Bickle und Neil Jordan ist nicht Martin Scorsese. Und so unternimmt Jordan alles nur Denkbare, um den Zuschauer emotional zu infiltrieren: als ob das bislang Gesehene nicht reichen würde, sorgen Ericas Erinnerungen an intime Liebesszenen als schmalzige Flashbacks für eine kitschige Textur, die der Film ganz und gar nicht verträgt.
Auch die Musik ist lästig: erinnert sie manchmal noch an Bernhard Hermanns Score aus "Taxi Driver", was sicher nicht originell, aber verständlich ist, so manipuliert sie in anderen Szenen das Gemüt des Zuschauers mit gewissenloser Suggestivität.

Alles Weitere sperrt sich psychologisch nicht gegen eine plausible Einfühlung in die Gefühlswelt einer Frau, der das Ur-Vertrauen abhanden gekommen ist. Und wer es nicht gut meint mit Jordans Film, könnte hier sogar von einer „Dramaturgie der Verführung“ sprechen. Nicht ganz unberechtigt: Erica Bain besorgt sich illegal eine Waffe, weil sie nicht mehr glaubt, ohne Schutz überleben zu können. Und sie macht von ihr Gebrauch: zuerst zögerlich in einem Supermarkt, wo sie einen Raubmörder in Notwehr erschießt, dann in der U-Bahn – dort erschießt sie mit bereits erkennbarer Hingabe zwei farbige Schläger, von denen einer bereits die Klinge an ihren Hals gesetzt hat. Die dritte Tat ist so gut wie affektfrei: Erica durchstreift das nächtliche New York, die riesige Waffe in ihrer Handtasche, immer auf der Suche nach neuen Ungerechtigkeiten. Sie befreit eine Prostituierte aus den Fängen eines Soziopathen, allerdings ohne diesen zu erschießen. Erst nachdem der üble Kerl die beiden Frauen überfahren will, greift Erica zur Waffe.

Fragwürdige Allianzen, ambivalente Verführungen
Mit ihrer vierten Tat betritt die Rundfunkjournalistin, die mittlerweile ihr Trauma recht glaubwürdig zum Thema ihrer Show gemacht hat, endgültig rechtsfreien Raum und das ist zweifellos der interessanteste Teil der Films. Erica hat im Rahmen der ergebnislosen Ermittlungen den farbigen Detective Mercer (ganz groß: Terrence Howard) kennen gelernt. Mercer ist kein ruppiger Cop. Einfühlsam interessiert er sich für Ericas Leiden und vertraut ihr an, dass es ihm unmöglich sei, einen führenden Kopf des organisierten Verbrechens dingfest zu machen, obwohl dieser vermutlich gerade erst seine Frau umgebracht hat und nun eine Gefahr für seine kleine Tochter ist, weil diese wahrscheinlich den Tathergang beobachtet.
Nach außen gefasst und streng der Legalität verpflichtet, gestattet der Cop ausgerechnet Erica diesen Blick in einen Abgrund, in dem schon die Zweifel an einem Rechtssystem lauern, in dem gut organisierte Verbrecher die Regeln der Justiz zu manipulieren gelernt haben.
Auf den Zuschauer wartet keine Überraschung: Erica plant mit recht kalter Entschlossenheit die Liquidierung des Gangsters und führt sie konsequent durch - die Metamorphose ist abgeschlossen, die Gefühle des Traumas haben sich Ideologie verwandelt. Nun ist nichts ist mehr Notwehr, alles ist Programm und es spielt keine allzu große Rolle mehr, dass Erica unter dem moralischen Konflikt leidet und sogar kurz vor der Selbstanzeige steht: sie tötet Verbrecher, weil sie nur so emotional überleben kann.
Am Ende von „Die Fremde in dir“ ist es klar, dass Mercer erkennen muss, wer und was Erica ist und wer seinen Herzenswunsch nach Gerechtigkeit erfüllt hat. Der finale Twist nach dem großen Show-down zeigt dann auch recht konsequent, dass beide schon längst die letzte Grenze überschritten haben. Das Töten wird wahrscheinlich enden, ob aber noch einmal ein Leben und eine Liebe beginnen können, wird sich zeigen. Und das ist – ganz nebenbei – auch eine sehr faszinierende Beziehungsgeschichte. Zumindest eine der schönsten, die ich seit langem in Kino gesehen habe.

John Ford hat es schon vorgemacht
Das Dilemma ist, dass Neil Jordans Films trotz einiger inszenatorischer Schwächen ein einigermaßen intelligenter Film ist. „The Brave One“ ist ein zunächst ein emotionales Plädoyer für die Tapferkeit, befriedigt aber auch den instinktiven Wunsch nach einem archaischen Rechtssystem, in dem das Machtmonopol nicht mehr dem Staat überlassen wird, wenn dieser bei seiner Aufgabe, den Bürger zu schützen, scheitert. Und die Täterin ist eine Frau: liebenswert, intellektuell, reflektiert und voller Skrupel. Dies ist nicht unproblematisch.

Anstatt aber reflexhaft dem Film eine inkorrekte Ideologie vorzuwerfen, sollte der eine oder andere Kritiker zur Kenntnis nehmen, dass die Diskussion um das so genannte Widerstandsrecht auf einen heftig umstrittenen Aspekt unserer Rechtskultur verweist, der schon von Philosophen wie Hobbes und Kant erregt diskutiert wurde. Während Kant jegliches Recht auf Selbstschutz und Gegenwehr gegen ungerechte Gesetze, aber auch gegen anarchistische Gewalt leugnete, räumte der englische Denker Thomas Hobbes dem Bürger das Recht auf Gegengewalt in Ausnahmesituationen ein.
Doch wie sehen solche Situationen aus? Organisiertes Vigilantentum führt ins Chaos, das lehrt die Geschichte, besonders die amerikanische. Der Schutz bedrohter Menschen vor Mord und Totschlag und die Vergeltung von Verbrechen führt dagegen unter Umständen in moralische Grenzsituationen, die uns ein (gelegentlich zynischer) Moralist des Kinos bereits gezeigt hat: in „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ lehrt uns John Ford wie notwendig Zivilcourage und Gewaltfreiheit sind, um ein verlässliches Rechtssystem und das Gewaltmonopol des Staates zu etablieren. Möglich wird dieser zivilisatorische Fortschritt aber nur, weil John Wayne den üblen Schurken, der dem Ganzen im Wege steht, kraft seiner persönlichen moralischen Überzeugungen ziemlich lapidar erschießt.

Noten: BigDoc = 2,5

Mittwoch, 26. September 2007

Shooter

USA 2007 - Regie: Antoine Fuqua - Darsteller: Mark Wahlberg, Michael Peña, Danny Glover, Kate Mara, Elias Koteas, Rhona Mitra, Rade Sherbedgia, Ned Beatty, Dean McKenzie, Jonathan Walker - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 120 min.

Man muss schon ziemlich naiv sein, wenn man glaubt, dass die mächtigen Männer des von Eisenhower warnend beschriebenen militärisch-industriellen Komplexes mithilfe von Regierungsbehörden und professionellen Söldnertruppen ein ganzes Dorf in Äthiopien liquidieren lassen, um die Ölversorgung zu sichern. Um dann auch noch einen hochrangigen äthiopischen Geistlichen in dem Moment abzuschießen, als er als Staatsgast des Präsidenten eine Enthüllungsrede halten will. Etwas mehr Raffinesse dürften die Machteliten schon allein aus Imagegründen walten lassen.
Aber genau die Vertuschung eines Massakers ist der Kern des Plots von „Shooter“ und der Elite-Scharfschütze Bob Lee Swagger (Mark Wahlberg) ist, nachdem er schon einmal übel gelinkt wurde, auch noch naiv genug, um sich nach Jahren des Exils vom zynischen Colonel Johnson (Danny Glover) zu einer Art von Machbarkeitsstudie überreden zu lassen: „Wie erschieße ich am besten den Präsidenten?“ Natürlich nur, um mit diesem Szenario Böses zu verhindern. Selbst die leutseligste Seele ahnt schon nach der ersten Viertelstunde, dass Swagger schon bald die Trottelrolle eine Lee Harvey Oswald einnehmen wird.

Angesichts des Bösen in der Welt gibt es wohl nur im Kino befriedigenden Lösungen.
Allerdings scheint sich im Gegensatz zu den liebenswerten und moralisch integren Capra-Helden à la James Stewart, die in „Mr. Smith goes to Washington“ die politische Moral kraft ihrer beschwörenden Rhetorik retten, gegenwärtig eine alternative Lösungsformel durchzusetzen: der Held lässt John Wayne alt aussehen und erschießt die Lumpen einfach, nachdem er erkannt hat, dass ihm das Rechtssystem nicht so recht helfen kann. Vielleicht ist dies die ehrlichere Variante, denn den Filmen des Moralisten Capra kann man nicht recht trauen: immerhin arbeitete der republikanische Konservative als Spitzel für’s FBI und hatte ein Faible für Diktatoren.

Dann schon lieber Antoine Fuqua („Training Day“), der mit tadellosen und eleganten Bildern sowie großer inszenatorischer Energie seinem Einzelgänger- und Rachefilm den Look großen Kinos verleiht, anstatt ein Ego-Shooter-Billig-Movie abzuliefern. Das gelingt auch, weil Mark Wahlberg seine Sache richtig gut macht und dem perfekten Killer durchaus weiche, aber nicht irritierende Züge verleiht. Trotzdem gewinnt der Film keine aufklärende Kraft, da Wahlbergs bornierte und zynische Gegenspieler einfach zu blöd sind. Oder glaubt jemand im Ernst, dass der alle Fäden ziehende amerikanische Senator (schön gespielt von Ned Beatty) allen Ernstes seine Motivation an der Überzeugung festmacht, dass es in der Politik nicht um Weltanschauung, Moral und Werte geht, sondern nur darum, dass es auf der einen Seite Reiche gibt und auf der anderen Seite Habenichtse? Kriege um des Profits willen - so kann unsere Welt doch nicht wirklich beschaffen sein? Oder sollte die FSK möglicherweise das Prädikat „keine Jugendfreigabe“ vielleicht an dieser Dialogpassage festgemacht haben? Fragen über Fragen.

Stattdessen zitiere ich liebe Dwight D. Eisenhowers 1961 gehaltene Abschiedsrede: “This conjunction of an immense military establishment and a large arms industry is new in the American experience. The total influence -- economic, political, even spiritual -- is felt in every city, every State house, every office of the Federal government. We recognize the imperative need for this development. Yet we must not fail to comprehend its grave implications. Our toil, resources and livelihood are all involved; so is the very structure of our society. In the councils of government, we must guard against the acquisition of unwarranted influence, whether sought or unsought, by the military-industrial complex. The potential for the disastrous rise of misplaced power exists and will persist.”

Noten: BigDoc =3, Klawer = 2, Melonie = 3, Mr. Mendez = 3

Freitag, 14. September 2007

Das Bourne Ultimatum

USA 2007. R: Paul Greengrass. B: Tony Gilroy, Scott Z. Burns, George Nolfi (nach dem Roman von Robert Ludlum). K: Oliver Wood. Sch: Christopher Rouse. M: John Powell. T: Kirk Francis. V: Universal. L: 115 Min. D: Matt Damon (Jason Bourne), Julia Stiles (Nicky Parsons), David Strathairn (Noah Vosen), Scott Glenn (Ezra Kramer), Paddy Considine (Simon Ross), Edgar Ramirez (Paz), Albert Finney (Dr. Albert Hirsch), Joan Allen (Pamela Landy)

Irrsinnige Handkamera und delirierende Schnitte
Es versetzte mich schon in großes Erstaunen, als ich nach dem ernüchternden Kinobesuch im Blätterwald die enthusiastischen Kritiken studieren durfte, die das „Bourne Ultimatum“ im deutschen Blätterwald ausgelöst hatte: Kritik an Bush, Kritik an Abu Ghraib, Kritik an den Brave-New-World-Überwachungsszenarios (ja, Videoüberwachung auf Bahnhöfen und Flugplätzen beraubt uns wirklich der letzten Bürgerrechte).
Haben die jungen Kritiker etwa komplett die Paranoia-Movies der Siebziger vergessen? Nehmen sie jeden Schuss Ideologiekritik ernst, den sie vorgesetzt bekommen. Haben wir wirklich etwas Neues gesehen? Haben wir überhaupt etwas gesehen?

An sich nicht, denn in der Vorstellung, die ich besuchte, war der Vorführer angesichts des Blitzgewitters aus irrsinniger Handkamera und delirierender Schnitte nicht in der Lage, den Film scharf zu stellen, was die zu visuell betäubten Lemmingen mutierten Zuschauer nicht mal ansatzweise registrierten und wie paralysiert über sich ergehen ließen. Vermutlich hielten sie die Unschärfe für einen Teil des ästhetischen Konzepts von Paul Greengrass, der uns schon in Flug 93 demonstrierte, wie er aufnehmen und anschließend schneiden lässt. „Suggestive Nähe“ nannte dies ein Kritiker. Ich habe dafür ein anderes Wort: Bildersalat. Man erreicht ihn allerdings nicht, wenn man die Kamera, festgebunden an einem Strick, über seinem Kopf kreisen lässt. Etwas raffinierter ist das Ganze schon, aber wenn ein Kritiker allen Ernstes die Einzelbildschaltung empfiehlt, um per DVD das geniale Bildkonzept von Greengrass zu studieren, dann gehen bei mir die Lichter aus.

Enthüllungswahn
Natürlich geht Matt Damon im dritten Teil der Bourne-Trilogie dem Geheimnis seiner Vergangenheit endgültig auf den Grund, was – wen überrascht es? – dazu führt, dass er herausfindet, wer er ist: eine von der CIA konditionierte Killermaschine in einem miesen Projekt namens „Treadstone“, das schon längst durch ein noch mieseres Projekt abgelöst worden ist. Botschaft: die CIA lässt weltweit Menschen ermorden, alles natürlich im Interesse der nationalen Sicherheit, der wiederum mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun hat, und natürlich besteht die Agency bis in die oberen Etagen ihrer Hierarchie aus kriminellen Psychopathen, die erst liquidieren lassen und dann fragen, ob sie den Richtigen erwischt haben.

Mal im Ernst: Würden Filme wie das „Bourne Ultimatum“ auch nur ansatzweise etwas über die Praktiken der CIA verraten, dann wäre Paul Greengrass wohl nicht mehr in der Lage gewesen, der Premiere seines Films beizuwohnen. Aber vielleicht sitzen die Jungs von der Agency auch nägelkauend in den dunklen Kinosälen und ärgern sich schwarz darüber, in einem Popcorn-Movie so schonungslos vorgeführt zu werden. Mein Tipp: einfach mal in der Wikipedia über die CIA recherchieren und dort vor allem die Quellen untersuchen – die Realität ist spannender und folgenreicher.

Wie uns Popcorn-Kino zum Narren macht
Einen „100-Millionen-Studentenfilm“ nannte Matt Damon das „Bourne-Ultimatum“. Und nicht ganz ironiefrei schilderte er in einem Interview, dass er während den Dreharbeiten nur selten wusste, in welcher Szene er sich gerade befand. Nicht dass er Greengrass vor’s Bein treten wollte, aber seine Ausführungen über die fast klassische Zusammenarbeit mit Robert de Niro und dessen Regietechnik in „The Good Shepherd“ verrät mehr, als es Damon recht sein kann. Aber wenigstens gibt er zu, dass die Gagen für die Bourne-Rolle ihm gestatteten, ganz entspannt zu Sparpreisen mit de Niro und Scorsese (The Departed) zusammenarbeiten zu können.

„Renn mit aller Kraft von A nach B“ – ein cleverer Kritiker kommentiert diese Regieanweisung von Greengrass möglicherweise mit dem Kraftwort „physisches Kino der Extraklasse“. Ich nicht. Dass macht mir Mut das Geheimnis eines anderen Kritikers zu enträtseln, der den Kamera- und Montagestil von Greengrass mit illustren Vokabeln bedachte. Eine da von war Flash Cut.
In Gottes Namen, was ist ein Flash Cut?

Eine Goggle-Suche brachte mich nicht weiter, allerdings fand ich in Foren händeringende und drängende Fragen junger Filmemacher – nämlich was denn ein Flash Cut sei. So kommt man nicht weiter, wenn sogar Insider nicht wissen, wovon die Rede ist. Mittlerweile, es deutet sich dunkel an, weist einiges darauf hin, dass ein Flash Cut ein Blitzeffekt zwischen zwei Einstellungen ist, der mit einem schrägen Geräusch unterlegt wird. Toll.

Doug Liman hatte mit „The Bourne Identity“ (2002) zumindest noch einen ansehnlichen Thriller hingelegt. Danach geriet die Serie in die Hände von Paul Greengrass, dem ich nichts Böses antun will, aber im Gegensatz zum Millionenheer enthusiastischer Kritiker sind für mich nicht alle Kamera- und Montageinnovationen der letzten Jahre ein Gewinn. Im Gegenteil: nachdem das amerikanische Kino die Standards in den Bereichen Kamera und Schnitt so hochgeschraubt hatte, dass man fast schon von einer Nivellierung auf allerhöchstem Niveau sprechen konnte, suchen einige Filmemacher nach Ressourcen, um den verloren geglaubten Individualismus des Stils zurückzugewinnen. Der technisch aufwändige und „perfekte“ Dilettantismus, der teilweise auch auf die „Dogma“-Bewegung zurückgeführt werden kann, ins für mich nichts anderes als Formalismus. Man gewinnt nichts, sondern verliert nur.

Note: BigDoc = 5, Klawer = o.A.

Mittwoch, 5. September 2007

Bilder des Bösen II: Pans Labyrinth

Mexiko / Spanien / USA 2006 - Originaltitel: El Laberinto del Fauno - Regie: Guillermo del Toro - Darsteller: Ivana Baquero, Doug Jones, Sergi López, Ariadna Gil, Maribel Verdú, Álex Angulo, Roger Casamajor, Sebastián Haro - FSK: ab 16 - Länge: 114 min.

Mitten im Deutungsloch
In einem Gespräch in der Charlie-Rose-Show fasste Guillermo del Toro die Quintessenz seines Films „Pans Labyrinth“ mit einem Kierkegaard-Zitat zusammen: „Die Herrschaft des Tyrannen endet mit dessen Tod und die Herrschaft des Märtyrers beginnt mit dessen Tod“. Es ist gut, wenn man prägnante Sprüche zur Hand hat, denn del Toros Film verstört nicht nur am Schluss durch den Tod der Hauptfigur und deren märchenhafter Metamorphose, sondern auch vorher durch eine komplexe und schwer verdauliche Erzählstruktur. Dies verlangt nach Deutungen.

Irritation und Kopfschütteln daher auch im Filmclub, dazu ungläubiges Staunen und Sprachlosigkeit: der als Masterpiece angekündigte Film hatte einen mittleren Kulturschock ausgelöst. Dies lag nicht unbedingt an der Komplexität der Story (zwei Wochen später erhielt der aus meiner Sicht gewiss nicht einfachere Film „Babel“ von Alejandro González Iñárritu vortreffliche Höchstnoten), sondern war wohl eher dem Aufeinanderprallen zweier Erzählwelten zu verdanken: auf der einen Seite muss man die „realistische“ Darstellung des mörderischen Wütens faschistischer Franco-Truppen verdauen und auf der anderen Seite Feen und Faune in einer kindlichen, aber keineswegs harmlosen Märchenwelt, ohne genau zu wissen, ob diese „Welt“ innerhalb der Fiktion „real“ ist oder nicht. Starker Tobak.

Ofelia im Horrorland
Wir befinden uns im Spanien des Jahres 1944, kurz nach dem Sieg Francos gegen die Republikaner. Hauptmann Vidal reist mit seiner gerade geheirateten und hochschwangeren Frau Carmen und deren 12-jähriger Tochter Ofelia in ein armseliges nordspanisches Dorf. Dort, auf dem Gutshof der Familie, soll sein eigenes Kind geboren werden, während er gleichzeitig den Auftrag hat, die versprengten Reste der republikanischen Widerstandskämpfer zu bekämpfen.

Durch einen Zufall entdeckt die junge Ofelia (Ivana Baquero) in der Nähe des Gutshofes ein uraltes steinernes Labyrinth. Dort begegnet ihr nächtens ein Pan, der ihr eröffnet, dass sie unter Umständen die Prinzessin eines unterirdischen Reiches sein könnte. Vor langer Zeit habe sie dieses Reich verlassen und in der Welt der Menschen ihre Herkunft vergessen. Seit Jahrhunderten warte ihr Vater, der König, auf ihre Rückkehr. Um aber herauszufinden, ob sie wirklich die verlorene Prinzessin sei, müsse sie erfolgreich drei Aufgaben lösen.

Ofelia im Horrorland: während im realen Leben der Stiefvater (grandios: Sergi López) barbarisch Aufständische foltern lässt und die schwangere Mutter zusehends verfällt, taucht das Mädchen in eine mystische Parallelwelt ab, in der sie Feen sorgenvoll begleiten und grässliche Monster ihren Mut auf eine harte Probe stellen. Nur die Haushälterin Mercedes (Maribel Verdu), die in Wirklichkeit für die Widerstandskämpfer arbeitet, steht Ofelia zur Seite, ohne allerdings ihr Geheimnis zu kennen, und nimmt es mit dem faschistischen Hauptmann auf.

Fiktive Welten und das Problem der Ambivalenz
Fiktive Geschichten im Kino sind in der Regel verständlich. Sonst fallen sie an der Kasse durch. Was im Einzelnen als „verständlich“ durchgeht, ist in der Regel dem Bestand an erlernten Kulturtechniken zu verdanken, die bei der Masse des Publikums vorhanden sein müssen. Schwierig wird es aber immer dann, wenn die Fiktion sich selbst bespiegelt, zum Beispiel in einer „Film-im-Film“-Konstruktion.

Generell haben es Fiktionen, die dem Realitätsprinzip folgen, deutlich einfacher, da die „fiktive Welt“ den Mustern der realen Welt nachempfunden ist. „Realistische“ Fiktionen besitzen einen hohen Akzeptanzgrad, da man über die fiktiven Geschehnisse und Figuren so reden kann, als wären sie real: z.B. über eine problematische Handlung mit der Aussage „So etwas hätte ich nie getan!“, oder über ein fiktives Liebespaar mit der Frage „Was wird nur aus den beiden?“. Dies ermöglicht Interpretationen und Deutung via Einfühlung und Psychologisierung. Und es funktioniert sogar in Sci-Fi-Epen wie „Star Wars“, weil die die Figuren psychologisch kaum anders gestrickt sind als der Zuschauer. Auch wenn Luke Skywalker in fernen Welten mit skurrilen Aliens kämpfen muss, geht es doch um Liebe, Treue und Freundschaft, der Verrat, Gier und Machtlust gegenüberstehen. Das versteht man. Also: „Realistisch“ bedeutet eben nicht immer „genaue Abbildung unserer eigenen Lebenswelt“, auch wenn dies einige Kinofreunde aus ideologischen Gründen glauben müssen oder wollen.

Wie problematisch komplexere Konstruktionen werden können, bewies andererseits vor etlichn Jahren der keineswegs über-intellektualisierte, aber raffinierte „Last Action Hero“ von John McTiernan mit Arnold Schwarzenegger in zwei Hauptrollen. Der „Film-in-Film“, der zudem auch noch zitatenreich war (Shakespeare! Ingmar Bergman!) fiel zunächst an der Kinokasse durch, mauserte sich aber im Laufe der Zeit zum Geheimtipp und stellte damit unter Beweis, dass intelligentere Konzepte auf Dauer durchaus vermittelbar sind.

In „Pans Labyrinth“ geht es aber nicht um fiktive Verdoppelungen oder Metalepsen, in denen fiktiven Figuren bewusst wird, dass sie fiktiv sind, sondern um die uneindeutige Zuordnung des Realitätscharakters zweier grundverschiedener Erzählebenen.
Würde man beispielsweise in „Pans Labyrinth“ die beiden Erzählebenen „Spanien 1944“/“Märchenwelt“ deutlicher voneinander trennen und Ofelias Visionen formal und ästhetisch als Traum darstellen, wäre die erste Erzählebene, die „reale“, vor der zweiten gerettet und wir hätten alle kein Problem. Aber tatsächlich durchdringen sich beide Welten, die eine scheint in das Geschehen der anderen einzugreifen und umgekehrt.
Diese Deutung erledigt sich allerdings in der Schlussszene, als klar wird, dass alles, was Ofelia sieht, von den anderen nicht gesehen wird: Vidal kann, bevor er das Mädchen erschießt, den Faun, mit dem Ofelia spricht, nicht sehen und dies macht deutlich, dass das Märchen nur in Ofelias Kopf existiert.
Gut, auch dies wäre nicht wirklich ein Problem und könnte bequem mit dem Begriff „Genre-Mix“ erledigt werden, aber das Deutungsangebot, dass die Märchenwelt nur in Ofelias Kopf existiert und als regressive Fluchthandlung notwendig geworden ist, um den Schrecken der Wirklichkeit zu entkommen, ist ambivalent, denn wenn Vidal den Faun nicht sehen kann, dann kann dies auch bedeuten, dass Ofelia mystische Fähigkeiten besitzt und die Märchenwelt ebenso real ist wie die Erzählebene „Spanien 1944“.

Aus meiner Sicht besteht das Problem einzig und allein darin, dass wir kulturtechnisch so konditioniert wurden, dass wir uns innerhalb von Fiktionen nur orientieren können, wenn die Erzählebenen eindeutig (und nicht ambivalent) sind und die Konventionen der Zuordnung stimmen. Ambivalenzen und Konventionsbrüche räumen dagegen einen zu großen Deutungsspielraum ein. Das schafft Probleme.

Guillermo del Toro hat sich meiner Meinung nach als auktorialer (allwissend, allmächtig) Erzähler die Freiheit genommen, seine Welt so zu arrangieren, wie es ihm gefällt. Dabei besteht das auktoriale Moment nicht in der Art, mit der ein Erzähler in das Innenleben seiner Figur eindringt und eingreift (wie wir es aus der Literatur kennen), sondern in der Souveränität, mit der del Toro ästhetisch und formal seine Erzählwelten arrangiert und dabei bei der Sprengung von Konventionen die Imaginationsfähigkeit des Zuschauers bis an die Grenze ausreizt oder im ungünstigsten Fall restlos überfordert.

Tja, und jetzt dürfte dem einen oder anderen endgültig der Hut hochgehen, denn die aus der Literatur bekannte Problematik der Erzählperspektive oder des Erzählers („wer erzählt wem und vor allen Dingen was?“) ist keineswegs einfach auf das Kino und seine Fiktionen zu übertragen, da der Gestus des „als ob“ in der Kinofiktion scheinbar stärker dem Realitätsprinzip verpflichtet ist und der Erzähler völlig verschwindet, es sei denn, er wird formal (z.B. im Off) integriert. In „Pans Labyrinth“ haben wir es jedoch mit einem Filmemacher zu tun, der sich die Freiheit der Fantasie nimmt und uns (in aller Freiheit) überlässt, ob wir den Film als spirituelle Erfahrung konsumieren oder anderweitig zu Tode deuten.

Die Innenwelt des Bösen
Ungeachtet dieser theoretischen Probleme ist „Pans Labyrinth“ einfach ein fantastischer Film, der sich dem Zuschauer auch emotional erschließen soll und kann. Die Reise eines jungen Mädchens in eine unbekannte, bedrohliche Gegend fernab der urbanen Zivilisation, der Schrecken des Krieges, der ungeliebte Stiefvater, die Begegnung mit Terror und Folter – angesichts dieser Erfahrungen ist die Flucht in eine Märchenwelt auch ohne literatur- und kinotheoretische Diskussionen nachvollziehbar. Dabei kann man sich auch ruhig seinen Gefühlen und seiner Phantasie überlassen.
All dies wird zudem noch in eine sinnliche, überbordenden Filmsprache übersetzt, die durch opulente Szenarios den Zuschauer unwiderstehlich in die magische Welt Ofelias hineinzieht, ohne ihn völlig von den Schrecken der Außenwelt zu entlasten.

Dass in der Welt der Faune die Grausamkeit im selben Maße zunimmt wie in der Außenwelt zeigt zudem, wie beide Welten sich in den Fluchtphantasien Ofelias bespiegeln. Besonders in dem Moment, als ihre Mutter bei der Geburt stirbt und sie ihren gerade geborenen Bruder dem Faun übergeben soll, nur um von ihm zu erfahren, dass der Säugling als letzter Teil der Prüfung rituell geopfert werden soll.

Bei all diesen Grausamkeiten gibt es nur einen kleinen Unterschied: die Schrecken der Märchenwelt spiegeln die kulturell codierten Grausamkeiten der Märchen und der Initiationsriten wider, die Perversionen eines Hauptmann Vidal jedoch sind Guillermo des Toros ureigene Auslotung einer nihilistischen Ideologie, die der Moderne ihre Todessehnsucht und Barbarei entgegenschleudert und gleichzeitig die kathartische Funktion der Mythen verloren hat. Letzteres bietet del Toro mit seinem scheinbar infantilen Filmschluss an, den man sorgfältig bedenken sollte, bevor man ihn als sentimentalen Kitsch in die Tonne tritt.

Melonie = 3, Mr. Mendez = 3,5, BigDoc = 2, Klawer = 2,5

Noch eine Bemerkung: „Pans Labyrinth“ gewann drei Oskars – den für die beste Kamera, einen für die beste Maske und noch einen für die beste Ausstattung. Mehr hatte die Jury sich und dem Film nicht zugetraut.
Die dieser Kritik zugrunde liegende „3-Disc Collector’s Edition“ gehört zum Besten, was derzeit auf dem Markt ist. Das sechsstündige Bonusmaterial erschöpft sich nicht in den üblichen Making Of’s und Featurettes, sondern bietet klärende Dokumentationen und als Einführung in das mexikanische Kino ein cineastisch spektakuläres Studiogespräch zwischen Charlie Rose, Guillermo del Toro, Alejandro González Iñárritu und Alfonso Cuarón an. Und das wiederum ist schon fast alleine das Geld für das 3er-Set wert.

Mittwoch, 29. August 2007

Bilder des Bösen I: „Goyas Geister“

Spanien / USA / Frankreich 2006 - Originaltitel: Goya's Ghosts - Regie: Milos Forman - Darsteller: Natalie Portman, Javier Bardem, Stellan Skarsgård, Michael Lonsdale, Tomás Bilbatua, Mabel Rivera, Randy Quaid - FSK: ab 12 - Länge: 114 min.
Eigentlich ist es ein Rezeptionsfehler – aber ein perfider. Als die Kleriker der spanischen Inquisition darüber beraten, ob der Maler Francisco de Goya ein ketzerischer Feind der Kirche ist, macht sich Pater Lorenzo (Javier Bardem) für ihn stark: Goyas Bilder würden das Böse zeigen, so wie es ist. Lorenzos zynische Conclusio: die Verschärfung der Inquisition bis hin zur Wiedereinsetzung der peinlichen Befragung. Mit ihm an der Spitze. Wir sind im Jahre 1792, also mehr als fünf Jahrhunderte nach der Einführung der förmlichen Ketzerverfolgung und ihren bestialischen Folgen in Europa.Wie Lorenzos kalte Besessenheit in die Praxis umgesetzt wird, zeigt Milos Forman in „Goyas Geister“ auf exemplarische Weise am Beispiel der jungen Inés (Natalie Portman), die dem Hofmaler Goya als Muse dient: ihre fehlender Appetit auf Schweinefleisch macht sie bei den Schergen der Inquisition verdächtig. Das Tribunal, vor dem sie erscheinen muss, beschuldigt die Tochter einer alt eingesessenen christlichen Familie, heimlich jüdischen Glaubens zu sein und unterwirft sie mit großem Enthusiasmus der Folter, um sie danach in den Verließen der Inquisition verschwinden zu lassen.
Milos Forman („Einer flog über Kuckucksnest“, „Amadeus“), der gerne in opulenten Bildern schwelgt, verfolgt diese Geschichte in großen Zügen und lässt einen üppig inszenierten Historienfilm an uns vorüber ziehen, der zwischen großem Wurf und lässiger Geschichtsversimplifizierung hin und her schwankt. Dazu muss man allerdings wissen, dass die spanische Inquisition keineswegs Domäne der katholischen Kirche war, sondern in den Händen der Krone lag. Und Tribunale wurden keineswegs von Priestern und Angehörigen der Kirche durchgeführt, sondern von Rechtsgelehrten und Theologieprofessoren. Nicht einmal 2% der Befragten wurden zum Tode verurteilt und die Folter wurde nur in Ausnahmefällen eingesetzt.
Genauso zweifelhaft ist das Intro des Films, denn Goya geriet erst nach dem Einmarsch der napoleonischen Truppen ins Visier der Inquisition – und das wegen Pornografieverdachts („Nackte Maja“). Seine berühmten Drucke, die er unters Volk brachte, sind überdies deutungsbedürftig: waren sie anti-klerikal oder richteten sie sich gegen die Gräueltaten der französischen Besatzer, die im Film bestensfalls flüchtig skizziert werden?
Gelinde gesagt: Jean-Claude Carrière and Milos Forman, die gemeinsam für das Script verantwortlich sind, haben sich ihre Geschichte durchaus etwas „zurechtgebogen“, was besonders ärgerlich ist, wenn man sieht, wie grobschlächtig das komplizierte Verhältnis zwischen Spanien, Frankreich und England Anfang des 19. Jh. tatsächlich war.

Trotzdem fesselt der Film als Allegorie des Bösen. Einer der Höhepunkte ist zweifellos die Szene, in der der Vater von Inés nach einem gescheiterten, aber in dieser Zeit durchaus üblichen Bestechungsversuch, Pater Lorenzo ebenso grausam foltern lässt, wie dies mit seiner Tochter geschieht: als Lorenzo zusammenbricht und ein absurdes Geständnis unterzeichnet, bedeutet dies keineswegs eine Wende hin zur Vernunft, sondern nur dazu, dass Lorenzo selbst in Ungnade verfällt und fliehen muss.

Und Goya? So recht reicht es nicht zum Helden in diesem Film und dies ist auch gut so. Die Kunstgeschichte weiß immer noch recht wenig über den Maler, der als Vorbereiter der Moderne gilt. Stellan Skarsgård spielt ihn als etwas naiven, anpassungsbereiten, aber keineswegs opportunistischen Künstler, dem für den politischen Kampf sowohl Motivation als auch intellektuelles Format fehlen, der aber als intuitiver Moralist nicht anders kann als mit unbestechlichem Blick die Abgründe seiner Zeit festzuhalten. Und der für seine Muse kämpft bis an die Grenze des Möglichen. Eine Grenze, die er allerdings nie überschreitet.
Forman zeigt ihn als Einzelgänger (tatsächlich war Goya verheiratet und hatte Kinder), der wie jeder Künstler der Vergangenheit (bis zur Etablierung eines freien Kunstmarktes) den Launen seiner Mäzene und Auftraggeber ausgesetzt war. Dass wir heute eher von dem Bild beeinflusst werden, das die deutsche Romantik vom Künstler entwickelt hat, sollte man nicht verschweigen, denn Goya war eben nicht nur ein individualistisches Genie, sondern - den Gesetzen seiner Gesellschaft folgend - ein exzellenter Handwerker, der sich Trends und Moden anpassen musste, um überleben zu können. Der „wahre“ Goya, wie wir ihn heute aufgrund seiner berühmten Druckserien "Caprichos" und "Desastre de la Guerra" zu kennen glauben (die Serien kann man übrigens komplett über den Goya-Eintrag in der WIKIPEDIA als PDF abrufen kann), ist möglicherweise nur eine Stilisierung der Kunstgeschichte – dennoch hat es diesen Goya, den Portraitisten der schwarzen Abgründe gegeben. Deuten kann ihn Forman nicht, aber das wäre auch zu viel verlangt.

In „Goyas Geister“ spielt aber ein anderer die Hauptrolle – und dies ist trotz der erwähnten historischen Schludrigkeiten ein gelungener inszenatorischer Trick: Javier Bardem („Das Meer in mir“) gibt mit brillanter Präzision das Portrait eines unerbittlichen, aber auch ambivalenten Machtmenschen. Als Zuschauer weiß man nie so recht, ob Lorenzo das ideologisierte Kind seiner Zeit ist oder ein zynischer Opportunist mit erlesenem ästhetischem Geschmack.
Diese Frage wird auch nicht ganz beantwortet, nachdem Milos Forman einen gewaltigen Zeitsprung ins Jahr 1808 macht: Napoleons Truppen unterwerfen Spanien, proklamieren die bürgerlichen Rechte und beenden die Inquisition – und Lorenzo taucht als Sonderbeauftragter Frankreichs auf, der die verhassten Kleriker vor die Schranken des Gerichts zerrt. Mit der dramaturgischen Verlagerung von Goya hin zum fiktiven Lorenzo ist Forman dann doch der Coup gelungen, der „Goyas Geister“ rettet. In seinen besten Momenten verbreitet dieser eiskalte und höfliche Fanatiker des Grauens eine Kälte, die einem nachhaltig in die Glieder fährt: man spürt etwas von der Absurdität und der Grausamkeit menschlicher Geschichte, gegen die sich Kunst wohl vergeblich auflehnt, ohne dass man auf ihr moralisches Insistieren verzichten möchte.


Noch eine Anmerkung: wer mehr über Formans durchaus interessante Motive wissen möchte, sollte sich das Interview durchlesen, das man in der WELT ONLINE-Ausgabe vom 27. November 2006 findet. Die reflektierten Äußerungen über die Geschichte der Folter und die Vergleiche zwischen dem amerikanischen Einmarsch in den Irak und der Niederwerfung Spaniens durch die Franzosen dürften Kinofreunden ohne historische Kenntnisse aber ebenso unzugänglich bleiben wie Goyas berühmteste Bilder, vor allem sein Spätwerk, die ohne Erklärung sperrig bleiben.
Die im Filmclub aufkommende Kritik, man würde über Goya in dem Film nicht wirklich etwas erfahren, ist daher nicht von der Hand zu weisen. Entsprechend kontrovers war die Benotung.
BigDoc = 2,5, Klawer = 2, Melonie = 3, Mr. Mendez = 3,5
Vorschau: „Bilder des Bösen II“ wird sich mit „Pan´s Labyrinth“ beschäftigen, einem Film, der auf spannende Weise ganz anders funktioniert als Milos Formans doch eher konventioneller Realismus.

Freitag, 10. August 2007

Die Simpsons - Der Film

USA 2007 - Originaltitel: The Simpsons Movie - Regie: David Silverman - Darsteller: (Stimmen) Norbert Gastell, Anke Engelke, Sandra Schwittau, Sabine Bohlmann, Michael Rüth, Angelika Bender, Reinhard Brock - FSK: ab 6 - Länge: 87 min.

Eigentlich bin ich ja kein echter Simpson-Fan. Gut, ich habe schon mal das eine oder andere aus Springfield gesehen, aber nur, weil sich unser lieber Klawer als Simpson-Fan outete und ich danach zumindest ahnungsvoll einige Episoden sah, die mir signalisierten, dass ich einiges verpasse, wenn ich nicht weitermache. Leider kam es so, ich habe wohl einiges verpasst. Offen gestanden: die Versuchung ist größer geworden, denn „Die Simpsons“ (The Simpson Movie) sind so herausragend geraten, dass ich anfange, fast täglich und ganz vorsichtig nach der TV-Zeitschrift zu schielen.

„Warum guckt ihr euch das im Kino an? Im Fernsehen gibt’s das doch alles umsonst!“
Gleich am Anfang konfrontiert uns Homer mit dieser medienkritischen (?), naiven (?) oder gar philosophischen (?) Einsicht, die mittlerweile von Millionen Kinogängern weltweit ad absurdum geführt wurde. Vielleicht ist Homer ja doch kein Vollidiot und seine gelegentlichen Anflüge von Weisheit, die er vermutlich auf der Stelle wieder vergisst, sollte man sich möglicherweise ins kleine Handbuch der Simpson-Aphorismen eintragen. Auf jeden Fall werden Homer, Marge, Bart, Lisa und Maggie für die 20th Century Fox, und damit auch für Rupert Murdoch, Milliarden an den Kinokassen abräumen, was auch klappen wird, wenn sich wirklich alle an Barts kategorischen Imperativ halten (den er in bewährter Manier an die Schultafel schreibt): „I will not download this movie!“.

Aber bevor man dem dusseligen Oberhaupt der Simpsons zuviel Ehre erweist, sollte man wissen, dass es Homer ist, der in Springfield eine folgenschwere Katastrophe auslöst: er verklappt nämlich aus Faulheit die Fäkalien seines Hausschweins in den Kühlwassersee des Atomkraftwerks, wonach sich der See in eine DNA-verändernde Fäkalienbrühe verwandelt – und das obwohl Lisa in bester Al Gore-Manier vor der drohenden Apokalypse gewarnt hat. Was die Kirche in Springfield ziemlich lapidar mit den Worten "We told you so" kommentiert. Als daraufhin eine dubiose US-Umweltbehörde die verschlafene Heimatstadt der Simpsons unter einer riesigen Käseglocke hermetisch vor der Außenwelt versiegelt, drohen Lynchjustiz und Anarchie (man will Homer an den Kragen und seine Überlebenschancen dürften etwas geringer ausfallen als die von Jack Bauer in einer durchschnittlichen Episode von „24“). Homer und seine Lieben müssen also fliehen und dann trotzdem die Welt retten und die Story mäandert in einem raffinierten Feuerwerk boshafter Pointen, gemeiner politischer Anspielungen und selbst-referentiellen Späßchen seinem guten Ende entgegen.

„Was in einer guten Simpsons-Folge in 22 Minuten auf den Zuschauer einprasselt, lässt sich gerade noch verarbeiten. Für die vier- bis fünffache Menge ist das menschliche Hirn einfach nicht gebaut“ schreibt Jürgen von Rutenberg in der ZEIT. Tatsächlich aber weisen aktuelle Ergebnisse der Hirn- und Kognitionsforschung darauf hin, dass dem nicht so ist und einer allgemeinen Simpsonisierung des Kinogängers nicht viel im Wege steht. Und das ist durchaus positiv gemeint. Man muss ja nicht so doof wie Homer werden, sondern könnte mit Lisas subversiver Intellektualität auf das Absonderliche und Paradoxe unserer Lebensweise verweisen und sagen, was sonst keiner sagt.

Der französische Philosoph Michel Foucault hat zu den Regelns des gesellschaftlichen Diskurses folgendes geschrieben: „Man weiß, dass man nicht das Recht hat, alles zu sagen, dass man nicht bei jeder Gelegenheit von allem sprechen kann, dass schließlich nicht jeder Beliebige über alles Beliebige reden kann“. Nun, nicht nur Fußballfans, sondern auch die Simpsons beweisen tagtäglich, dass Foucault sich wohl irrte. Und vor dem heutigen Besuch bei meinem Lieblingsverein finde ich folgende Einsicht wesentlich erhellender: „Wenn man an so einer Sportveranstaltung teilnimmt, geht es nicht darum, ob man gewinnt oder verliert, sondern wie besoffen man wird“ (Homer Simpson).
Noten: Melonie = 1,5, BigDoc = 1,5

Samstag, 4. August 2007

Transformers

USA 2006 - Regie: Michael Bay - Darsteller: Shia LaBeouf, Tyrese Gibson, Josh Duhamel, Anthony Anderson, Rachael Taylor, Megan Fox, John Turturro, Jon Voight, Bernie Mac, Amaury Nolasco - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 143 min.

Hi, ich bin Kraczin, ein Autobot. Ich wohne schon lange bei Melonie auf dem Parkplatz und da Melonie diese Kritik nicht schreiben wollte (die war nicht mal im Film), mache ich das mal für sie. Mir hätte das wirklich viel Spaß gemacht, mal endlich einen Film über uns bei euch im Kino zu sehen, aber leider kann ich mich da nicht blicken lassen. So ein echter Transformer passt ja überhaupt nicht in ein Kino rein. Ach ja, warum ich bei Melonie auf dem Parkplatz wohne? Nun, wir Autobots sind nicht alle so klug wie unser Anführer Optimus Prime und die etwas billigeren Modelle sind so schlau wie eure Zwölfjährigen und müssen schon mal als Oldtimer ihr Geld verdienen, um über die Runden zu kommen. Ich kann mich sogar in einen Rasenmäher verwandeln und nicht mal BigDoc hat das gemerkt, als er mit mir seinen Garten bearbeitet hat

Nun aber endlich zum Film, den habe ich mir von BigDoc erzählen lassen: es geht um unseren Kampf mit den Decepticons – das sind die bösen Transformers. Eigentlich wollen wir Autobots genauso wie die auch in echt Vorherrschaft im Universum, aber wir natürlich nur, weil wir dann in aller Ruhe mal auf deutschen Autobahnen Gas geben können, ohne dabei gestört zu werden. Die Decepticons wollen dagegen die Menschen vernichten, aber zum Glück haben wir sie besiegt und nun müssen die Decepticons zur Strafe als Autozubehör arbeiten. Die sind ganz schön sauer.

In dem Film, den dieser etwas komische Michael gemacht hat, geht es auch um den "Allspark" – das ist eine sagenhaft gigantische Energiequelle, mit der man ganze Planeten mit Strom versorgen kann, ohne dass es Ärger mit dem Klima gibt. Wer den „Allspark“ hat, der hat gewonnen, also wollen ihn die Deceptions natürlich koste es, was es wolle. Natürlich will Al Gore den auch, aber das ist eine andere Geschichte. Aber das ist ja dem Michael nicht so wichtig, der wollte ja mit seinem Freund Steven den Film nur machen, um den jungen Menschen auf eurem Planeten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und damit kaufen Michael und Steven dann ganz teure Autobots, nicht solche wie mich.

Ich glaube aber, dass der Steven schon genug Geld hat. Der spielt einfach gerne und möchte zeigen, was man so alles im Kino machen kann. Deswegen heißt der auch Spielberg. Aber mal ehrlich: wir Autobots haben in echt viel bessere Tricks drauf. Und wir hätten den Film auch besser gemacht, da wären dann nicht so viele Menschen vorgekommen, die ganz hohe Ämter haben, aber in Wirklichkeit so doof sind, dass sie dauernd blöde Sprüche aufsagen wie „Ohne Opfer kein Sieg!“ Das nur mal so..

Aber ich komme mal wieder vom Thema ab: leider ist in dem Film ein Mensch der Held und nicht einer von uns, das ist der junge Schauspieler Shia LaBeouf, der so gut wie Tom Hanks sein soll, aber das glauben nicht mal meine Kollegen, die anderen Autosbots, denn Tom Hanks wird ja gerade in den „Simpsons“ verarscht, da kann der ja nicht so ein tolles Vorbild sein. Und so gut hat der Shia LaBeouf ja auch nicht gespielt. Im Film heißt er Sam Witwicky, und weil Steven meint, dass es gut für das Publikum ist, wenn ein Kind die Welt rettet, macht er so was in fast all seinen Film, wenn er nicht gerade was mit Haien macht. E.T. fanden wir Autobots eigentlich ziemlich doof, aber neulich hat er einen Film über einen Androiden gemacht, der war echt gut.

Auf jeden Fall kracht und scheppert es ganz doll in dem Film von dem Michael. Der macht immer solche Filme, wo alles in die Luft geht und gleich immer die ganze Welt gerettet werden muss. Na ja, das ist ja in unserem Krieg mit den Decepticons auch wirklich so gewesen, aber Michael und Steven haben das gemacht, weil das bei euch ganz viele Leute im Kino sehen wollen. BigDoc hat mir das dann auch erklärt: die meisten Leute gehen in Filme, wo angeblich viel Popcorn gegessen wird, und ganz wenige gehen in so genannte Arthouse-Kinos, wo Films laufen, wo die klugen Autobots auch Spaß dran hätten. Die Film da sind aber meistens traurig, bis auf die „Simpsons“, da dürfen auch die mal lachen, die sonst immer ganz traurig im Kino sind. Und BigDoc hat mir erklärt, dass die eine Gruppe nie die „Transformers“ angucken würde und die andere Gruppe nie ins Arthouse geht. „Clash of the Cultures“ nannte er das und das ist so was Ähnliches wie der Krieg der Autobots mit den Decepticons.

Und das geht dann auch in euren komischen Zeitungen so weiter, wo es Leute gibt, die ihr „Filmkritiker“ nennt. Die erklären den Leuten dann, warum sie besser nicht in einen Harry Potter-Film gehen sollen, obwohl das vielen Menschen ganz toll Spaß macht. Diese Kritiker finden dafür Filme ganz toll, in denen fast alle einschlafen oder hinterher ganz traurig sind, weil sie wieder mal gesehen haben, wie doof die Menschen miteinander umgehen. „Kunst ist tragisch“, sagt BigDoc, aber ich glaube ihm das nicht, denn er hat so komisch mit den Augen gezwinkert und das nennen Menschen ja Ironie. Und der Michael, der den Film gemacht, der hat ja auch viel Ironie in den Film gepackt. Aber der BigDoc hat mir das auch erklärt, denn er meint, dass man das nicht macht, weil man dabei so viel lachen muss, sondern weil die Kritiker dann nicht ganz so böse werden, wenn ein Film ironisch ist. Und weil die Armee von dem Land, in dem Michael und Steven wohnen, für den Film Geld und Panzer gegeben haben, meinte BigDoc, dass das nur geht, wenn man´s ironisch macht. Das sehen wir Autobots aber anders: wir finden das gut, wenn Leute, die den ganzen Tag in fremden Ländern kämpfen, anderen Leuten im Kino ihr Werkzeug zeigen, damit man lernt, wie gut die sind beim Kämpfen und so.


„So, das war Kraczins Filmkritik. Eigentlich heißt er nicht Kraczin, aber ich habe ihn so genannt, weil es zwei Filmtheoretiker gegeben hat, die vor einigen Jahrzehnten noch der Meinung waren, dass Film eine Kunst ist, die uns die Wirklichkeit so zeigt wie sie ist: Siegfried Kracauer und André Bazin. Andere behaupten dagegen, Filme könnten uns zeigen, wie die Wirklichkeit sein sollte, also besser, aber ich glaube nicht, dass wir das hinkriegen. Zwischendurch schauen wir uns Komödien an, in denen wir lernen, wie wir ticken, im Alltag kommen solche Erkenntnisse dann leider selten zur Anwendung, aber wenigstens haben wir mal gelacht.
Und dann gibt es Leute wie Michael Bay, die fromm und frei sagen: „Ich mache Filme für Teenager. Oh Gott, was für ein Verbrechen“. Ja, da ist sie, diese Ironie, diese geistvolle Schlagfertigkeit. Humor hat er ja, während einige unserer Kritiker uns weismachen wollen, dass wir unrettbar der Dekompensation verfallen, wenn wir die „Transformers“ sehen. Und während in den Foren der großen Tageszeitungen die Laufkundschaft „ihre“ Filmkritiker für völlig weltfremd hält und sich weitgehend schadensfrei in den „Transformers“ amüsiert hat, halte ich mich in diesem Film-Blog fein aus diesem Streit heraus.
Also: wer sich kurzfristig auf das Niveau eines Zwölfjährigen beamen kann, wird in dem Film höllisch viel Spaß haben. Er sollte bloß nicht dauerhaft der Regression anheim fallen. Am besten am gleichen Abend noch einen Film von Ingmar Bergman anschauen und das mentale Gleichgewicht ist wieder gesichert. Ach ja, Ingmar Bergman wird mir fehlen. (BigDoc)“.


Note: BigDoc = 3,5

Samstag, 28. Juli 2007

Them (Ils)

Them (Ils), Frankreich 2006, Regie: David Moreau, Xavier Palud, Drehbuch David Moreau, Xavier Palud, Produktion: Richard Grandpierre. Darsteller: Olivia Bonamy, Michaël Cohen, Adriana Mocca, Maria Roman Camelia Maxim, Länge 77 min., FSK: 16.

Häuser, die einsam im Wald liegen, werden meistens von einem unschuldigen Pärchen bewohnt oder von einer Gruppe unschuldiger junger Leute fürs lustige Weekend besucht. In der Regel zieht dieses Verhalten den Auftritt eines psychopathischen Massenmörders nach sich, der alle abschlachtet.
Haben die oben angeführten Protagonisten zuviel Spaß an Sex und sonstigen Nebensächlichkeiten, tritt der psychopathische Massenmörder natürlich auch auf (oder besser gesagt: erst recht) und spaltet die Frivolen mit der Axt oder zersägt sie sonst wie. In solchen Fällen impliziert der Slasher-Film, dass die Bestraften doch irgendwie selbst schuld an ihrem Schicksal sind. Man nennt dies auch „repressive Pädagogik“ und da die Freaks mitten unter uns sind, werden sie als relevante Kino-Klientel auch regelmäßig mit maßgeschneiderten Produkten bedient.
„Them“, der für den DVD-Markt produziert wurde, ist kein Slasher-Film, funktioniert aber nach dem gleichen Prinzip der Vorhersehbarkeit: ein junges rumänisches Pärchen in einem einsamen Haus mitten im Wald wird nachts durch Geräusche aufgeschreckt und durch einige wenig subtile Grobheiten an die Grenze der Wahnsinns getrieben. Dass dies alles wohl kein Spaß ist, hat uns bereits der Prolog gezeigt, in dem eine harmlose Autopanne in eben diesem Wald zwei Frauen das Leben kostet. Und so laufen unsere Protagonisten, nachdem sie einen der Eindringlinge umgebracht haben, bald in die Finsternis und um ihr Leben. In den Kanälen eines unterirdischen Abwassersystems kommt es schließlich zum Show-down.

David Moreau und Xavier Palud haben nicht nur das Buch geschrieben, sondern bei ihrem Erstling auch Regie geführt. Produziert wurde der Film in einem Monat auf Digital-Video. Die Produktionskosten dürften sich in einem überschaubaren Rahmen bewegt haben und im über 20-minütigen „Making-Of“ erfährt man immer wieder, dass sehr effizient produziert wurde und die Darsteller dabei an ihre physischen Grenzen gingen. Gut.
Dass „Them“ auch sonst mit den Erwartungen des Publikums spielt, sollte besser nicht unterstellt werden, denn dazu gehört eine gewisse Originalität. Stattdessen klappern Fenster, der Fernseher geht an und aus, ein Auto verschwindet, man hört Schritte auf dunklen Treppen und spätestens dann, wenn ein Nagel durch ein Guckloch getrieben wird, hört der Spaß für die Bedrohten auf und leider auch für den Zuschauer. Denn das riesige Haus mit seinen labyrinthischen Gängen erinnert zwar ein wenig an „Shining“, aber das war´s dann auch mit dem großen Vorbild, denn der Film ist so grottenlangweilig, dass man doch einige Mühe hat, die 77 Minuten Laufzeit einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Es ist eben alles nur ein großes déja-vu.
Den eigentlichen Horror erlebt man kurz vor dem Prolog und am Ende unmittelbar vor den Credits, denn Text-Inserts weisen mit Nachdruck darauf hin, dass der Film auf einer wahren Begebenheit beruht und mit welchen Worten die Täter ihr Tun begründet haben. Spätestens an dieser Stelle macht sich das wirkliche Grauen im Kopf des Zuschauers breit. Falls diese Info kein Fake ist...
Noten: BigDoc = 4

Review 2: Déja-vu – Wettlauf gegen die Zeit

USA 2006 - Originaltitel: Déjà Vu - Regie: Tony Scott - Darsteller: Denzel Washington, Paula Patton, Val Kilmer, Jim Caviezel, Adam Goldberg, Erika Alexander, Elden Henson, Bruce Greenwood - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 126 min.

Denzel Washington macht immer Spaß, aber wenn man den Namen des Produzenten hört, kann man in der Regel den des Regisseurs vergessen – so lautet jedenfalls ein gängiges Kritiker-Vorurteil, denn Jerry Bruckheimer produziert High-End-Popcorn-Spektakel, in denen es immer richtig kracht und in denen kräftig zugelangt wird: u.a. „Beverly Hills Cop“ (1984), „Bad Boys – Harte Jungs“ (1995), „The Rock“ (1996), „Armageddon“ (1998), „Pearl Harbor“, „Black Hawk Down“ (2001), „Fluch der Karibik 1+2“ (2003, 2006). In all den Jahren, in denen Bruckheimer mit seinen Filmen 14 Mrd. Dollar umsetzte, hat mich einiges amüsiert, aber gut gefallen hat mir nur ein einziger Film: „Veronica Guerin“ (2003, Regie: Joel Schumacher) mit Cate Blanchett als „Die Journalistin“. Ein wirklich guter Polit-Thriller.
Insgesamt sollte man Bruckheimer aber nicht unterschätzen: im Bereich TV-Serien hat er mittlerweile eine Nase für clevere Jungs mit guten Konzepten entwickelt – so entstanden CSI samt allen Ablegern, aber auch „Close To Home“, „Without A Trace“ und die qualitativ hochwertige und ungewöhnlich innovative Serie „Cold Case“. Dort sind Déja-vus selten.

Déja-vus hat ATF-Agent Doug Carlin (Denzel Washington). Nach einem Anschlag auf eine Fähre in New Orleans wird er von einem FBI-Spezialteam und dessen Leiter (Val Kilmer) mit der Möglichkeit konfrontiert, mit einem speziellen Computersystem einen begrenzten Ausschnitt der jüngeren Vergangenheit in Echtzeit visuell darzustellen. Schritt für Schritt wird der Zusammenhang zwischen dem Mord an Claire (Paula Patton) und dem Anschlag immer deutlicher und – wen überrascht es – unser Held ist gezwungen, selbst in die Zeit zu reisen.

Tony Scott macht aus dem Ganzen einen leidlich konsumierbaren Film, der allerdings kaum den Weg ins Langzeitgedächtnis finden wird. Aber gut: für einen Abend reicht es.
Am erstaunlichsten fand ich, dass die Rolle des Bösewichts mit Jim Caviezel doch arg fehlbesetzt war: Caviezel hat Ende der 90er mit Terrence Malick und Ang Lee einige schöne Filme gemacht: „Der schmale Grat“ (1998) und „Ride With The Devil“ (1999), danach fiel er ohne eigenes Verschulden unangenehm in Mel Gibsons „Die Passion Christi“ (2004) auf. Déju-vu ist sicher nicht sein Karrierehöhepunkt, aber eine Katastrophe ist es auch nicht.
Noten: Klawer = 2,5, BigDoc = 3, Mr. Mendez = 3, Melonie = 3

Review 1: Catch A Fire

USA / Großbritannien / Südafrika 2006 - Regie: Phillip Noyce - Darsteller: Derek Luke (Patrick Chamusso), Tim Robbins (Nic Vos), Bonnie Henna, Mncedisi Shabangu, Robert Hobbs, Terry Pheto, Tumisho K. Masha - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 101 min.

Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: Patrick Chamusso wurde 1991 aufgrund einer allgemeinen Amnestie aus der Haft entlassen, nachdem er Anfang der 80er Jahre einen Bombenanschlag auf eine Ölraffinerie begangen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Chamusso Aktivist der ANC.
Der Film von Philip Noyce erzählt, wie Patrick nach einem terroristischen Anschlag unschuldig verhaftet wird und vom Sonderermittler Nic Vos massiv unter Druck gesetzt wird. Die Folge: aus dem an Politik kaum interessierten Farbigen wird ein militanter Gegner der Apartheid. Ein Lehrstück in Sachen Self-fulfilling Prophecy.
So nobel die politisch-pädagogische Botschaft letztlich auch ist: Noyce (The Quiet American, 2002) gelingt kein wirklich packender Film. Das liegt auch daran, dass sich „Catch A fire“ nicht wirklich mit der Frage auseinandersetzt, ob es einen „guten“ und einen „bösen“ Terrorismus gibt und was beide unterscheidet.
Genretechnisch ist der Film kaum mehr ist als ein konventioneller Thriller, was nicht schlecht sein muss, aber der Plot ist einfach zu stereotyp und vorhersehbar, um Spannung zu erzeugen: zu sehr scheint sich Noyce darauf verlassen zu haben, dass die Authentizität der Geschichte die etwas langweilige und biedere Inszenierung aufwiegt.
Ohne Tim Robbins, der seiner Figur ein sehr ambivalentes Charisma verleiht, wäre alles vermutlich noch schlimmer geworden. So aber gelingt es dem Film aber wenigstens anzudeuten, von welchen Ängsten die weiße Minderheit des Landes beherrscht wurde. Natürlich foltert der höfliche Vos nicht selbst. Irgendwie kommt einem dies vertraut vor.

Noten: keine

Dienstag, 17. Juli 2007

Stranger Than Fiction

USA 2006. R: Marc Forster. B: Zach Helm. P: Lindsay Doran. K: Roberto Schaefer. Sch: Matt Chessé. M: Britt Daniel, Brian Reitzell. T: David Obermeyer. A: Kevin Thompson, Craig Jackson. Ko: Frank Fleming. Pg: Sony/Columbia/Mandate/Three Strange Angels. V: Sony. L: 113 Min. D: Will Ferrell (Harold Crick), Maggie Gyllenhaal (Ana Pascal), Dustin Hoffman (Prof. Jules Hilbert), Queen Latifah (Penny Escher), Emma Thompson (Kay Eiffel), Tony Hale (Dave), Tom Hulce (Dr. Cayly).

Es gibt einige ernste Fragen...
Irgendein intelligenter Mensch hat irgendwann einmal die These aufgestellt, dass der einzige wirklich nennenswerte Unterschied zwischen Mensch und Tier jener sei, der den Mensch in den Stand versetzt, sich Fiktionen auszudenken, in denen er bereit ist, sich permanent mit den Unpässlichkeiten des realen Lebens herumzuschlagen. Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir uns –angefangen mit den alten Griechen, weiter mit Shakespeare bis hin zu Quentin Tarantino – nie so recht entscheiden konnten, ob die Darstellung des Lebens in der Kunst nun eine Tragödie oder eine Komödie sein soll. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass wir nicht wissen, ob das Leben selbst eine Tragödie oder eine Komödie ist.
Immerhin: Aus der Kunst kurzweilige und intelligente Geschichten zu erzählen, die diesen Spagat trotz der beschriebenen Schwierigkeiten mehr oder weniger gut hinkriegen, haben sich so veritable Geschäftszweige wie Theater, Literatur und Kino abgespalten, die leider allzu häufig unter Beweis stellen, dass man die Kurzweiligkeit gerade eben noch hinbekommt, es mit der Intelligenz aber doch mitunter hapert. Bei Marc Forsters neuem Film ist das entschieden anders – seine brillante Komödie „Stranger Than Fiction“ gehört zu den besten Filmen des Jahres 2007.

Gibt es auch im wirklichen Leben Steuerprüfer, die Krawatten tragen?
Mal abgesehen davon, dass der deutsche Verleihtitel "Schräger als Fiktion" eine Mogelpackung ist, erfährt man in dem neuen Film von Marc Foster ("Monster's Ball", "Finding Neverland") zunächst, dass das Leben stinklangweiliger Steuerprüfer schon „an sich“ eine Tragödie ist: Harold Crick (Will Farrell) ist mit seinem auf die Minute genau durchorganisierten Leben ein Spießer wie er im Buche steht. Vom morgendlichen Binden der Krawatte bis zum pünktlichen Antritt der Nachtruhe gibt seine Uhr genau vor, was er tut. Richtig: das ist ganz schön langweilig. Aber plötzlich hört Harold Crick eine Stimme, die sein Leben kommentiert, nein, eigentlich sogar erzählt, was er gerade eben getan hat. Allein das ist schon ein Witz, aber dazu müsste man die aristotelische Poetik kennen, nach der sich Historiker und Dichter dadurch unterscheiden "…dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte." Aber nein, dieser spekulative Pfeil in die Zukunft fehlt völlig – Harold Cricks „Stimme“ nervt, weil sie (dies allerdings mit sehr schönen Formulierungen) zusammenfasst, was vor einigen Sekunden geschehen ist.
Dies kann einen Menschen schon ganz schön aus der Bahn werfen, besonders wenn eine Steuerprüfung bei einer hübschen Bäckerin ansteht (Maggie Gyllenhaal), die nur 78 Prozent ihrer Steuern bezahlt hat, weil sie mit dem Rest nicht Kinkerlitzchen wie Kriege und nationale Sicherheit finanzieren will, deren körperlichen Attribute den asexuellen Steuerprüfer aber überraschenderweise faszinieren.
Da alles auf eine Krise zusteuert, macht Harold erst einmal Urlaub. Die von einer Nervenärztin gestellte Diagnose „Schizophrenie“ weist er zurück, aber immerhin nimmt er dankbar die Empfehlung an, einen Literaturspezialisten aufzusuchen. Der Professor Jules Hilbert (Dustin Hoffman), im Nebenberuf sinnigerweise Bademeister, zeigt sich irritiert, fängt aber Feuer, als er aus Harolds Mund eine wunderschöne Formulierung hört, die dieser „Buchhalter des Lebens“ unmöglich selbst produziert haben kann. Hilbert fängt an, die „Stimme“ zu analysieren und konfrontiert Harold mit der nahe liegenden Schlussfolgerung, dass er wohl eine Romanfigur sei – allerdings sei noch unklar, ob er Teil einer Komödie oder einer Tragödie sei.

Sind Drehbuchautoren die besseren Philosophen?
Damit hat Drehbuchautor Zach Helm den Plot festgelegt: „Stranger Than Fiction“ ist nicht etwa eine simple fiktionale Geschichte, sondern eine fiktionale Geschichte, die sich über fiktionale Geschichten in fiktionalen Geschichten den Kopf zerbricht. Dass dies auf Dauer im Kino nicht zu vermeiden ist, war klar. Es ist halt wie bei „Star Trek“: irgendwann werden die Zeitreisen selbst zum Thema und wir stecken mittendrin in schier unlösbaren Paradoxien, über die man besser nicht nachdenken sollte. Mit Zack Helms haben wir uns nun in die Champions League der Scriptwriter begeben, nämlich in die Welt von Charlie Kaufman, der mit Being John Malkovich (1999) und Adaption (2002) einige Parameter dieses Genres definiert hat. Nicht zu vergessen Peter Weirs Die Truman Show (1998), die auf einem Roman eines weiteren schrägen Vogels basierte: Philip K. Dick, der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auch sehr flexibel behandelte. Mit anderen Worten: wir sind in guter Gesellschaft.

Doch zurück zur Geschichte: Harold folgt den genauen Anweisungen Professor Hilberts und versucht herauszufinden, ob er nun der Held einer Komödie oder einer Tragödie ist. Die zarten romantischen Bemühungen um die schöne Bäckerin Ana deuten eher letzteres an, bis Harold durch einen Zufall herausfindet, dass seine Stimme der Erfolgsautorin Kay Eiffel (Emma Thompson) gehört. Nun ist das Dilemma perfekt, denn Eiffels Bücher enden mit dem Tod des Helden. Ausnahmslos. Glücklicherweise leidet die die Autorin aber an einer akuten Schreibblockade, die sie hindert, das letzte Kapitel zu schreiben, sie aber an die übelsten Orte führt, wo sie darüber sinniert, wie sie ihren aktuellen Helden vom Leben zum Tode befördert. Es kommt wie es kommen muss: Harold findet die Adresse der zurückgezogen lebenden Kay und konfrontiert sie mit der Verantwortung für ihre Fiktionen, besonders wenn diese real sind und gerade ihre Traumfrau erobert haben.

Ist man immer tot, wenn man vor ein Auto läuft?
Das alles ist natürlich herrlich absurd, völlig abwegig und daher saukomisch. Und wie bei jeder guten Komödie schaut auch das Tragische um die Ecke und stellt philosophisch nicht ganz unbelasteten Zuschauer ernste Fragen: Haben die Konstruktivisten recht und die Welt existiert nur in unseren Köpfen? Aber warum ist man dann meistens tot, wenn man vor einer Auto läuft (was in Forsters Film tatsächlich eine entscheidende Bedeutung erhält)? Haben wir einen freien Willen und wenn nicht, warum glauben wir es trotzdem? Ist man nur Teil eines großen Masterplans und wie kann man dennoch Spaß dabei haben? Sind Filme wirklich so abgründig tiefsinnig oder wollen uns dies nur Filmkritiker weismachen, um auf diese Weise ihre Brötchen zu verdienen?

Bevor die letzte Frage weiter vertieft wird, möchte ich stattdessen auf die vorzüglichen Darsteller hinweisen, die ihr Bestes gegeben haben, um uns den Ernst und die Bedeutung dieser dräuenden Probleme klar zu machen: Emma Thompson als hyper-neurotische, ketten- und ritualrauchende Phobikerin (Prokrastination heißt ihre Krankheit übrigens und in meinem Bekanntenkreis leiden entschieden zu viele Individuen daran) hat mir am besten gefallen, aber auch Will Ferrell hat seine Qualitäten, besonders wenn er Gitarre spielt und seine Krawatte bindet. Maggie Gyllenhaal ist süß, anarchisch und auch sonst reizend und mehr kann man nun wirklich nicht verlangen. Und Dustin Hoffman spielt auf so unnachahmliche Weise, dass man die Frage vergisst, was Jack Nicholson wohl aus dieser Rolle gemacht hätte.

Ach ja: persönlich glaube ich schon, dass unser Leben eine Tragödie ist. Man liest einfach zu viel in der Zeitung. In jüngeren Jahren war ich vom Gegenteil überzeugt und habe zum Ausgleich Filme von Ingmar Bergman angeschaut. Weitergebracht hat mich das nicht. Deswegen habe ich Marc Forsters Film eine glatte Eins gegeben.

Der Rest des Filmclubs war von diesem Enthusiasmus doch etwas überrascht, konnte aber auch nicht ganz ausschließen, dass „Stranger Than Fiction“ doch eine tiefere Bedeutung hat.

Noten: Mr. Mendez = 2,5, Klawer = 2,5, Melonie = 2, BigDoc = 1