Freitag, 14. September 2007

Das Bourne Ultimatum

USA 2007. R: Paul Greengrass. B: Tony Gilroy, Scott Z. Burns, George Nolfi (nach dem Roman von Robert Ludlum). K: Oliver Wood. Sch: Christopher Rouse. M: John Powell. T: Kirk Francis. V: Universal. L: 115 Min. D: Matt Damon (Jason Bourne), Julia Stiles (Nicky Parsons), David Strathairn (Noah Vosen), Scott Glenn (Ezra Kramer), Paddy Considine (Simon Ross), Edgar Ramirez (Paz), Albert Finney (Dr. Albert Hirsch), Joan Allen (Pamela Landy)

Irrsinnige Handkamera und delirierende Schnitte
Es versetzte mich schon in großes Erstaunen, als ich nach dem ernüchternden Kinobesuch im Blätterwald die enthusiastischen Kritiken studieren durfte, die das „Bourne Ultimatum“ im deutschen Blätterwald ausgelöst hatte: Kritik an Bush, Kritik an Abu Ghraib, Kritik an den Brave-New-World-Überwachungsszenarios (ja, Videoüberwachung auf Bahnhöfen und Flugplätzen beraubt uns wirklich der letzten Bürgerrechte).
Haben die jungen Kritiker etwa komplett die Paranoia-Movies der Siebziger vergessen? Nehmen sie jeden Schuss Ideologiekritik ernst, den sie vorgesetzt bekommen. Haben wir wirklich etwas Neues gesehen? Haben wir überhaupt etwas gesehen?

An sich nicht, denn in der Vorstellung, die ich besuchte, war der Vorführer angesichts des Blitzgewitters aus irrsinniger Handkamera und delirierender Schnitte nicht in der Lage, den Film scharf zu stellen, was die zu visuell betäubten Lemmingen mutierten Zuschauer nicht mal ansatzweise registrierten und wie paralysiert über sich ergehen ließen. Vermutlich hielten sie die Unschärfe für einen Teil des ästhetischen Konzepts von Paul Greengrass, der uns schon in Flug 93 demonstrierte, wie er aufnehmen und anschließend schneiden lässt. „Suggestive Nähe“ nannte dies ein Kritiker. Ich habe dafür ein anderes Wort: Bildersalat. Man erreicht ihn allerdings nicht, wenn man die Kamera, festgebunden an einem Strick, über seinem Kopf kreisen lässt. Etwas raffinierter ist das Ganze schon, aber wenn ein Kritiker allen Ernstes die Einzelbildschaltung empfiehlt, um per DVD das geniale Bildkonzept von Greengrass zu studieren, dann gehen bei mir die Lichter aus.

Enthüllungswahn
Natürlich geht Matt Damon im dritten Teil der Bourne-Trilogie dem Geheimnis seiner Vergangenheit endgültig auf den Grund, was – wen überrascht es? – dazu führt, dass er herausfindet, wer er ist: eine von der CIA konditionierte Killermaschine in einem miesen Projekt namens „Treadstone“, das schon längst durch ein noch mieseres Projekt abgelöst worden ist. Botschaft: die CIA lässt weltweit Menschen ermorden, alles natürlich im Interesse der nationalen Sicherheit, der wiederum mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu tun hat, und natürlich besteht die Agency bis in die oberen Etagen ihrer Hierarchie aus kriminellen Psychopathen, die erst liquidieren lassen und dann fragen, ob sie den Richtigen erwischt haben.

Mal im Ernst: Würden Filme wie das „Bourne Ultimatum“ auch nur ansatzweise etwas über die Praktiken der CIA verraten, dann wäre Paul Greengrass wohl nicht mehr in der Lage gewesen, der Premiere seines Films beizuwohnen. Aber vielleicht sitzen die Jungs von der Agency auch nägelkauend in den dunklen Kinosälen und ärgern sich schwarz darüber, in einem Popcorn-Movie so schonungslos vorgeführt zu werden. Mein Tipp: einfach mal in der Wikipedia über die CIA recherchieren und dort vor allem die Quellen untersuchen – die Realität ist spannender und folgenreicher.

Wie uns Popcorn-Kino zum Narren macht
Einen „100-Millionen-Studentenfilm“ nannte Matt Damon das „Bourne-Ultimatum“. Und nicht ganz ironiefrei schilderte er in einem Interview, dass er während den Dreharbeiten nur selten wusste, in welcher Szene er sich gerade befand. Nicht dass er Greengrass vor’s Bein treten wollte, aber seine Ausführungen über die fast klassische Zusammenarbeit mit Robert de Niro und dessen Regietechnik in „The Good Shepherd“ verrät mehr, als es Damon recht sein kann. Aber wenigstens gibt er zu, dass die Gagen für die Bourne-Rolle ihm gestatteten, ganz entspannt zu Sparpreisen mit de Niro und Scorsese (The Departed) zusammenarbeiten zu können.

„Renn mit aller Kraft von A nach B“ – ein cleverer Kritiker kommentiert diese Regieanweisung von Greengrass möglicherweise mit dem Kraftwort „physisches Kino der Extraklasse“. Ich nicht. Dass macht mir Mut das Geheimnis eines anderen Kritikers zu enträtseln, der den Kamera- und Montagestil von Greengrass mit illustren Vokabeln bedachte. Eine da von war Flash Cut.
In Gottes Namen, was ist ein Flash Cut?

Eine Goggle-Suche brachte mich nicht weiter, allerdings fand ich in Foren händeringende und drängende Fragen junger Filmemacher – nämlich was denn ein Flash Cut sei. So kommt man nicht weiter, wenn sogar Insider nicht wissen, wovon die Rede ist. Mittlerweile, es deutet sich dunkel an, weist einiges darauf hin, dass ein Flash Cut ein Blitzeffekt zwischen zwei Einstellungen ist, der mit einem schrägen Geräusch unterlegt wird. Toll.

Doug Liman hatte mit „The Bourne Identity“ (2002) zumindest noch einen ansehnlichen Thriller hingelegt. Danach geriet die Serie in die Hände von Paul Greengrass, dem ich nichts Böses antun will, aber im Gegensatz zum Millionenheer enthusiastischer Kritiker sind für mich nicht alle Kamera- und Montageinnovationen der letzten Jahre ein Gewinn. Im Gegenteil: nachdem das amerikanische Kino die Standards in den Bereichen Kamera und Schnitt so hochgeschraubt hatte, dass man fast schon von einer Nivellierung auf allerhöchstem Niveau sprechen konnte, suchen einige Filmemacher nach Ressourcen, um den verloren geglaubten Individualismus des Stils zurückzugewinnen. Der technisch aufwändige und „perfekte“ Dilettantismus, der teilweise auch auf die „Dogma“-Bewegung zurückgeführt werden kann, ins für mich nichts anderes als Formalismus. Man gewinnt nichts, sondern verliert nur.

Note: BigDoc = 5, Klawer = o.A.