Dienstag, 27. September 2016

The Path

Für das Streaming-Portal Hulu ist „The Path“ nach der exzellenten Stephen King-Adaption „11/22/63“ das zweite eigene Drama-Produkt, das in diesem Jahr für erhebliche Schlagzeilen sorgte. Zu Recht. Die sorgfältig erzählte Serie über eine Sekte glänzt mit exzellenten Darstellern, vermeidet stereotype Erzählmuster und durchkreuzt damit wohl auch die Erwartungen der Zuschauer.

Es könnte Soap oder eine beliebige Telenovela sein: ein knapp 40-jähriger Angestellter verliert nach einer umfangreichen Schulung im Ausland den Glauben an die Corporate Identity seines Unternehmens – er entdeckt, dass der legendäre Firmengründer sterbend auf der Intensivstation liegt. 
Seiner Frau, die im mittleren Management des Unternehmens arbeitet, entgeht nicht, dass sich ihr Mann nach seiner Rückkehr regelmäßig mit einer Anderen trifft: ein Fall von Ehebruch? 
Ihr gemeinsamer Sohn soll nach der Schulausbildung ebenfalls in das expandierende Unternehmen eintreten – er lernt aber ein attraktives Mädchen kennen. Und die arbeitet für die Konkurrenz. 
Endgültig kompliziert wird die Sache dadurch, dass der charismatische Regionalchef des Unternehmens einen Machtkampf voller Intrigen anzettelt – er weiß, dass der große Boss bald abtritt und versucht nun, die Führungsrolle als CEO zu übernehmen. Schlimm nur, dass er auch in die Frau der Hauptfigur verliebt ist, dort aber nicht landen kann und auf ziemlich verklemmte Weise seine sexuellen Bedürfnisse bei einer jungen Angestellten befriedigt, die ihrerseits sexuell ziemlich manipulativ ist.
Muss man das sehen?

Montag, 12. September 2016

Stanislaw Lem und ‚seine‘ Filme

Essay und Annotationen zu „Solaris“

Vor 95 Jahren wurde der Philosoph und Schriftsteller Stanislaw Lem am 12. September im polnischen Lemberg geboren. Vielen ist Lem nur als Science Fiction-Autor bekannt, Lem sah sich in späteren Jahren nicht so, 1987 erschien sein letzter Roman. Allerdings nutzte er Fiction als Vehikel, um philosophische Fragen als Gegenstand empirischer Science zu diskutieren. „Solaris“ ist sein bekanntester SF-Roman. Welchen Nachhall dieses Buch hat, zeigen neben Hörspielen, Bühnenfassungen und sogar Opern auch die Verfilmungen: insgesamt dreimal wurde die Geschichte adaptiert, einmal für das russische Fernsehen, zweimal fürs Kino, und zwar von Andrej Tarkowski und Steven Soderbergh. Grund genug, um sich diese beiden Filme (die Lem übrigens verwarf) noch einmal gründlich anzusehen.
 

Solaris – das Buch

In seinen non-fiktionalen Büchern tauchten statt Kant und Hegel vielmehr Kybernetik, Informations- und Wahrscheinlichkeitstheorie auf. Auch als fiktionaler Autor blieb Lem Wissenschaftler. Auch in „Solaris“ ist das so, in anderen Büchern sogar noch prägnanter. Auf Steven Soderberghs gleichnamige Verfilmung reagierte er empört. Er schaute sich den Film nicht vollständig an.
 „Alles Interessante an meinem Roman bezog sich auf das Verhältnis der Menschen zu diesem Ozean als einer nicht-humanoiden Intelligenz – nicht auf irgendwelche zwischenmenschlichen Liebesgeschichten. Na, wenigstens haben sie mir ein anständiges Schmerzensgeld gezahlt.“

Da hatte er wohl Recht. Aber eben nicht ganz. Die Liebesgeschichte hat Lem in seiner Geschichte selbst platziert, für den Skeptiker und Pessimisten war sie wohl die beste Möglichkeit, die emotionalen, moralischen und wissenschaftlichen Grenzsituationen, in die seine Figuren geraten, plausibel vor Augen zu führen. Dass sich seine cineastischen Nachahmer keineswegs wie Adepten aufführten, sondern den Stoff für ihre Zwecke überwältigten, ist kaum eine Überraschung – die Textur von „Solaris“ war und ist bis heute einfach zu verführerisch, die epistemischen Fragestellungen sind so unsterblich wie der Planet Solaris. Was die Solaris-Verfilmungen anders gemacht haben, ist eines der Ziele dieser Untersuchung. Eine möglichst genaue Inhaltsangabe des Romans ist daher conditio sine qua non für einen kritischen Abgleich.


Der Psychologe Kris Kelvin fliegt zum Planeten „Solaris“, um einige Ungereimtheiten auf der wissenschaftlichen Raumstation zu überprüfen. Nach seinem Eintreffen erfährt er, dass sich sein Freund Gibarian unmittelbar vor seiner Ankunft das Leben genommen hat. Kelvin trifft nur noch den skurrilen Kybernetiker Snaut an, der abweisende Physiker Sartorius schließt sich meistens in seinem Labor ein. Nach kurzer Zeit stellt Kelvin fest, dass Gibarjan, Snaut und Sartorius Besuch von „Gästen“ bekommen haben. Der Gast des toten Gibarjan, eine fettleibige Schwarze, schlurft immer noch durch die Gänge. Über Snauts Nemesis erfährt man so gut wie nichts und Sartorius scheint ein Strohhut zu quälen. 

Dass alle Menschen auf der Station sich in der Begegnung mit den „Gästen“ mit Schuldgefühlen auseinandersetzen müssen, wie vielfach in der Lem-Rezeption behauptet wird und was auch bei der Analyse der Verfilmungen meist unwidersprochen unterstellt wird, ist im Text nicht zweifelsfrei zu erkennen. Lem hüllt sich in dieser Sache in Schweigen.