Mittwoch, 31. Dezember 2014

Best of 2014

Im letzten Jahr hatte ich im Rückblick einige Fragen zur Zukunft des Kinos gestellt. So etwas verbindet man zum Jahreswechsel gerne mit Spekulationen, die man dann 12 Monate später natürlich checkt. Und wie lautet das Ergebnis? Es ist vieles anders gekommen, einige Prognosen trafen jedoch ins Schwarze.

Aber zunächst einmal die besten und miesesten Filme des Jahres 2014. 
Im Vergleich zum letzten Jahr gab es im Filmclub einen dramatischen Qualitätsanstieg – wenn man die Noten betrachtet. Reichte in 2013 ein Notenschnitt von 2,5, um in die Top Ten zu kommen, so fielen in 2014 bereits Filme mit einem Schnitt von 2,0 aus den Top Twenty heraus. Mit einer Noteninflation hat dies nichts zu tun, denn gleichzeitig wurde etwas häufiger als sonst über die Qualität der Filme gemeckert. Paradox, aber interessant.
Geändert wurde die +2-Regel. In den Top Twenty findet man nun auch Filme (kursiv), die lediglich von zwei Club-Mitgliedern gesehen wurden. Dies soll die Rangliste noch repräsentativer machen. Gesehen haben wir die Filme überwiegend auf DVD – nur zwei Filme lagen auf Bluray vor. Dies spiegelt aber nicht das übrige Sehverhalten wider: ‚privat’ liegt die Bluray eindeutig an der Spitze, auch im VoD-Segment wurden fast ausschließlich HD-Inhalte gestreamt.


Was war gut, was war mies?


Die großen Abräumer waren „Grand Budapest Hotel“ und „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz. Alles sozusagen „mit Ansage“ und nicht wirklich eine Überraschung, zumal die Filme von Wes Anderson bei uns immer sehr gut angenommen worden sind. Hierzu liegen Besprechungen vor (s. Links).

Jean-Pierre Jeunets „Die Karte meiner Träume“ überraschte ein wenig auf dem 3. Platz, aber der Film bietet überragende Schauwerte und eine witzige, weitgehend unproblematische Geschichte. Wellness-Kino. Das ist aber nicht abwertend gemeint.

Über „Mitternachtskinder“ habe ich in einem Quartals-Rückblick geschrieben. Über den „Geschmack von Rost und Knochen“ leider nicht. Der in 2012 produzierte Film dürfte eigentlich nicht ausgewertet werden, da aber die DVD in 2013 erschien, erfüllt der Film dann doch noch die „Best of“-Kriterien.

Zur „Bücherdiebin“ liegt eine Kritik vor. Zu dem außergewöhnlichen deutschen Spielfilm „Finsterworld“ nicht. Ganz ehrlich: Ich habe mich nicht getraut, was mir eigentlich noch nie passiert ist. Aber wenn es eine Variante des Absurden Theaters im Kino gibt, dann ist es der sehr irritierende, aber auch sehr berührende Film von Frauke Finsterwalder. Mit Preisen überhäuft, wird dieses außergewöhnliche Stück Kino aber wohl niemals mehrheitsfähig werden.
„The Secret Life of Walter Mitty“ gehört dagegen zu den Filmen, die beim ersten Hinsehen Eindruck schinden und auch einige schöne Momente bereithalten, aber bereits nach 14 Tagen wieder vergessen sind. Meine Meinung: Mit dem 8. Platz ist Ben Stillers Film doch ein wenig überbewertet.

„Boyhood“ war der letzte Film des Jahres und damit The Cream on the Coffee. Seine Kraft schöpft der Film nicht aus dem Reflexiven, das sich nach dem Sehen eines Films einstellt, sondern aus dem Sehen selbst. Fast drei Stunden lang erzählt der „Before Sunrise“-Regisseur die Geschichte eines Jungen, eine Coming-of-Age-Geschichte, die mit seinem 6. Lebensjahr beginnt und 12 Jahre später endet. Linklater hat ebenfalls 12 Jahre gedreht, einmal im Jahr und immer mit den gleichen Darstellern und immer eine kurze Episode, die danach sofort geschnitten wurde. 

Das Erstaunliche ist die Alltäglichkeit der Geschichte, die von den Darstellern zum Teil selbst entwickelt wurde – ein fiktionales Konzept, das einzigartig ist und beinahe an klassische Langzeitdokumentationen erinnert. Es gibt in „Boyhood“ keine großen Dramen, sondern all das, was viele Zuschauern möglicherweise selbst erlebt haben: eine Patchwork-Familie, emotionale Beziehungen zu Ersatzvätern und dem richtigen, der sich als der beste entpuppt; Kinder werden nicht verstanden, dann werden sie doch verstanden und am Ende müssen sie sich ihren Weg doch alleine suchen, und auch noch dort, wo man es am wenigsten erwartet hat. Alles muss organisiert und immer wieder neu bewertet werden. Dafür ist die umtriebige Mutter zuständig: die trinkenden und gewalttätigen Ersatzväter werden als biografische Randnotiz zurückgelassen, die motivierenden Ersatzväter manchmal nicht recht wahrgenommen.
Die erste Liebe, die erste Enttäuschung, das Ende der Highschool, der Einzug auf dem Collage-Campus, undeutliche Vorstellungen von der Zukunft und die Erkenntnis - all das muss die Hauptfigur allein in den Griff bekommen. Dass man das Meiste im Hier und Jetzt nicht herausfinden wird, aber erkennen kann, dass man im Hier und Jetzt den Moment genießen sollte, solange man jung ist, das ist die unaufdringliche Botschaft eines wahrhaft alltagstauglichen Films.

Und meiner persönlichen Lieblingsfilme? Ganz klar und mit großem Vorsprung „Her“ von Spike Jonze, einer der sensibelsten und intelligentesten Film, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Wenigstens schaffte es mein Favorit noch in die Top Ten.
Und dann „Der blinde Fleck“ von Daniel Harrich, der wie ein Paukenschlag daherkam. Warum dies so ist, habe ich in einer sehr langen Kritik zu beschreiben versucht. Und alle, die dies in meinem Bekanntenkreis gelesen und auch den Film gesehen haben, waren schockiert: Beweismittelvernichtung nach dem größten Terroranschlag auf deutschem Boden! Geheimarmeen in Europa! Windige Allianzen von Nachrichtendiensten mit terroristischen Organisationen! Dunkle Machenschaften von Alt- und Neo-Nazis!
Und das wirklich Spannende: Der Film erzählt nur einen Bruchteil von all dem, den Rest kann man nachlesen in den Sitzungsprotokollen des Europäischen Parlaments und denen des Deutschen Bundestages. Und während im Osten Deutschlands Zehntausende aufmarschieren, um das Abendland zu retten, scheinen sich offenbar nur wenige dafür zu interessieren, dass anderenorts die Demokratie von Strippenziehern im Hintergrund bereits ausgehöhlt worden ist. „Der blinde Fleck“ ist ein Kinofilm, der sich erst über die gründliche Recherche verstehen lässt. So sollte Kino auch sein!

Natürlich gehören zu einem gepflegten Jahres-Rückblick auch die totalen Flops. Es waren wenige, aber waren spektakulär. Filme mit Notenschnitt von 3plus gehören eigentlich nicht in die Liste, aber sei’s drum – wir wollen ja vollständig sein:



Groß kommentieren will ich dies nicht. Nur so viel: Der 3. Teil von Sam Raimis „Spiderman“ war einmal Jahressieger bei uns – die Remakes erinnern nun daran, dass für so etwas die Filmindustrie verantwortlich ist, die am liebsten immer das Gleiche zeigen würde, wenn sie könnte.
Ich empfehle dazu das Buch „Die besten Filme, die Sie nie sehen werden“ von Simon Braund (Hrsg.). Dort werden Projekte beschrieben, die nie auf die Leinwand kamen. Und viele spannende Drehbücher sind im Reißwolf gelandet, weil die Studiobosse der Ansicht waren, dass man damit den ‚jungen Leute’ nicht das Geld aus der Tasche ziehen könne. Die Spiderman-Remakes gehören dazu: sie sind so sterbenslangweilig und kalt kalkuliert, dass wir es kaum geschafft haben, den 2. Teil zu Ende zu gucken.

Dass sich unter den Flops auch weitere populäre und erfolgreiche Filme befinden, überraschte dann auch mich. Im Niemandsland zwischen den beiden Kategorien sind zudem noch einige Filme versandet, von denen man es nicht erwartet hätte. Etwa Scorseses „The Wolf of Wall Street“, Ozons „Jung & schön“ oder Stephen Frears „Philomena“ – zum Teil mit guten Noten, aber es reichte nicht für die Top Twenty.


Neue Medien: Der Filmclub streamt!

„Hat das Kino überhaupt noch eine Zukunft oder wird es lediglich zu einem Teil einer großen medialen Verwertung, in der man Filme nur noch gelegentlich im Kino sieht? Sondern öfter im (...) im Internet auf YouTube oder iTunes, auf dem Smartphone oder gestreamt von einem Medienserver auf den großen Flatscreen“, fragte ich im Dezember 2013. Gemeint war damit nicht etwa das statistische Verhalten der bundesdeutschen Kinogänger, sondern die Veränderung unserer eigenen ganz persönlichen Sehgewohnheiten im und außerhalb des Filmclubs.

In Sachen Kino behielt ich Recht. Dort tauchten wir relativ selten auf. Das Kino mutierte zur Popcorn-Zone, in die wir uns für ein 3 D-Spektakel locken ließen und/oder um sich ein saftiges Stück Mainstream wie den Hobbit, die X-Men oder Iron Man schmecken zu lassen. Mit dem Hobbit war das aber so eine Sache, man bekam in der letzten Etappe des dreiteiligen Sinkflugs eher Sodbrennen. Peter Jackson hat aus einer schönen Mythologie das Battlefield Middle-earth gemacht und die Tolkien-Saga in eine durchgeknallte Gelddruckmaschine verwandelt – ein herzloses Industrieprodukt, das sich aber verkauft wie geschnitten Brot.

Stattdessen verlagerten sich wie vermutet unsere Aktivitäten noch stärker ins Heimkino. Und auch ins World Wide Web. Und das war die eigentliche Überraschung des vergangenen Jahres: 75% der Filmclub-Mitglieder haben sich für Streaming-Portale und die entsprechende Hardware entschieden: 1x Apple TV, 2x Amazon Fire TV.
Dies war zunächst einmal eine technische Revolution, denn zuvor wurde bereits via Browser auf Inhalte von Amazon zugegriffen. So konnte man die vierte Staffel von „Game of Thrones“ sehen, lange bevor die dritte im Free TV ausgestrahlt wurde. Exklusivität macht Spaß.

Nun stehen seit einigen Wochen bei uns die kleinen, flachen Streamer vom Amazon und Apple im Regal, und tatsächlich überzeugen sie in Sachen Bildqualität ungemein, besonders dann, wenn sie direkt am Router hängen. Dies kurbelte in der zweiten Jahreshälfte den Konsum nachhaltig, aber nicht übermäßig an (dazu später mehr).

Video on Demand war also die spürbarste Zäsur in unserem Medienverhalten des letzten Jahres. Und es hat sich gelohnt: „True Detective“ entdeckte ich recht früh dank VoD, ein anderes Clubmitglied stürzte sich auf die aktuelle Staffel von „Downton Abbey“ und zum Jahresende konnte ich mich darüber freuen, dass die Episoden der 4. Staffel von „Homeland“ bereits einen Tag nach der US-TV-Ausstrahlung als OmU zu sehen waren. Und mit meiner Rezension von „The Strain“ tauchte zum ersten Mal auch eine VoD-Serie im Blog auf. 

Times They Are a Changin’ ...

Auch bemerkenswert: es wurde vieles gemeinsam geschaut. Dabei wurde auch diskutiert, welche Konsequenzen die Diversifikation des neuen Medienverhaltens hat. Und während laut einer Umfrage viele US-Konsumenten bereit sind, durchschnittlich 200$ pro Monat für Prime-Inhalte von Amazon auszugeben, war uns schnell klar, dass man am besten fährt, wenn man sich die exklusiven Inhalte gemeinsam anschaut und sich die Kosten teilt. 

Mein persönliches Portfolio sieht so aus: mit Fire TV sehe ich überwiegend interessante Serien, immer häufiger auch in der Originalsprache. Zusätzlich habe ich mit SkySnap und dessen unschlagbarem Pauschalpreis ein Portal, das ich via Browser nutze und das den Zugriff auf zahlreiche HBO-Serien ermöglicht. Als „The Wire“-Fan konnte ich so nicht mehr ganz so aktuelle Geheimtipps wie „Generation Kill“ von David Simon & Ed Burns, die Special Interest-Serie „Treme“ (David Simon) oder den leider zu früh gefloppten „Copper“ sehen kann.


Serien am laufenden Band

Der Schnellste wird gewinnen.

Noch eine Frage aus dem letzten Rückblick: „Ist der Film überhaupt noch ein mediales Event oder ist er bereits abgelöst worden von den Serien, vom viel beschworenen Quality TV?“
Das war natürlich eine kleine Provokation, sie spiegelt die raschen Trend- und Themenwechsel wider. Serien und Kinofilme konkurrieren aber schon längst nicht mehr im Fernsehen miteinander, sondern liegen plattformübergreifend im Clinch. Dabei spielen das öffentlich-rechtliche Fernsehen und auch die privaten Anbieter keine entscheidende Rolle mehr. 
Während ARTE das Finale von „Breaking Bad“ nach über einjähriger Pause (!) im Januar 2015 ausstrahlen wird, haben die Fans diesen Job bereits zum Jahreswechsel 2013/14 per Bluray, DVD oder Pay TV erledigt.
RTL II hat mit „The Walking Dead“ ein echtes Quotenpferd und kann es sich noch erlauben, alles mit einem Jahr Verspätung zu zeigen. Aber es ist wie es ist: die Contents werden erst im Pay TV und als VoD durchgenudelt, bis sie irgendwann den frei empfangenden Verbraucher erreichen.
Natürlich läuft der Erwerb der Lizenzen nicht so, wie es sich die normalen TV-Gucker wünschen, aber ich rechne damit, dass im Wettbewerb die VoD-Anbieter immer mehr Boden gegenüber dem Pay-TV gewinnen werden und dies die Abwendung vom herkömmlichen Fernsehen beschleunigt.

Auf der Strecke bleiben dann die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen. Und solange Letztere das horizontale Erzählen intern als Schimpfwort nutzen, weil sie den deutschen TV-Normalo nicht ganz zu Unrecht als überfordert einschätzen, wird sich am Bedeutungsverlust der Anstalten nicht viel ändern. Als Lizenznehmer hinken sie der Konkurrenz längst hinterher und bedienen entweder nur noch die Gruppe der Spätberufenen oder präsentieren mit überaus guten Nischenprodukten wie „The Returned“ wenigstens einen kleinen Kreis von Kennern. 


Hat das Quality TV den Zenit überschritten?

Viele Medienexperten halten das Quality TV für ein Phänomen, das seinen Zenit überschritten hat. So weit möchte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen, aber nach dem Ende von „Breaking Bad“ und dem bevorstehenden Finale von „Mad Men“ sind potente Nachfolger nicht leicht zu finden.

Und HBO? Natürlich setzte „True Detective“ ein dickes fettes Ausrufezeichen, es gibt weiterhin „Game of Thrones“, „Girls“ läuft seit 2012 recht erfolgreich, hinzu kommen noch einige Comedyserien und seit 2014 „The Leftovers“, aber man darf gespannt sein, ob HBO auch in den kommenden zwei, drei Jahren das glückliche Händchen hat, um neue Showrunner vom Kaliber eines Vince Gilligan („Breaking Bad“ für AMC) oder Matthew Weiner („Mad Men“ für AMC) zu finden. Immer deutlicher wird, dass es nicht nur die clevere Firmenpolitik von HBO ist, die Erfolgsserien garantiert, sondern dass es Kreative wie Nic Pizzolatto sind, die starke Ideen haben und dann auch noch exzellent umsetzen.


Über allen thront die AMC-Serie „The Walking Dead“, die auch in Deutschland sagenhafte Quoten generiert, obwohl das Free TV mit elender Verzögerung an den Start geht und zum Beispiel die vierte Staffel dann zeigt, wenn sich die Fans bereits die Hälfte der fünften sonst wo angeschaut haben.
Unsere (inoffiziellen) Serienhits in der Reihenfolge der quantitativen Nutzung:

  1. True Detective
  2. Downton Abbey
  3. Game of Thrones 4
  4. Homeland 4

Mediale Übersättigung

Die nachhaltigen Veränderungen im Medienjahr 2014 führten aber auch zu ganz unerwarteten Ergebnissen. Dem Filmclub standen im Laufe des Jahres ca. 150 Kinofilme auf DVD und Bluray zur Verfügung. Gesehen wurde nur knapp ein Drittel. Das ist nicht schlecht.
Die zunehmende Bedeutung der TV-Serien und die Nutzung der Streaming-Portale haben aber zu einem Überangebot geführt, das man beinahe schon als Erschöpfung erlebt. 
Immer kritischer werden die Angebote und Inhalte im Club geprüft. Und immer häufiger schleicht sich das Gefühl ein, dass dies alles zu viel des Guten ist.
Der moderne Film- und Serienjunkie wird die Frage zu beantworten haben, was er mit seiner Freizeit anfängt und wie er sie sich einteilt. Beherrschbar wird dies nur mit konsequenter Selektion und viel Disziplin, aber ausgerechnet dies sind Fähigkeiten, die dem Junkie von Natur aus fehlen. Und wenn auch noch nach langen Jahren der HBO-Klassiker „Oz“ auf dem deutschen DVD-Markt erscheint, verdreht man gequält die Augen – und legt kurz danach los.
Im Filmclub hat dies irritierende Konsequenzen gehabt. Häufiger als früher wurden schlechte Film bemängelt, noch häufiger wurden Termine abgesagt. Man hat keine Zeit mehr für riskante Experimente, der alltägliche Stress nimmt zu und an der nächsten Ecke wartet ja die spektakuläre Alternative. Die Zeit wird knapper, das Murren nimmt zu.
 Sicher ist aber nur eins: Noch nie haben wir so viele gute Filme gesehen wie im letzten Jahr. Der Beweis: Der Notenschnitt. Das Kino ist also gerettet. Der Filmclub auch. Vorläufig.

Ich wünsche allen Lesern ein überraschendes und spannendes Kino-, Film- und Serienjahr 2015!


Samstag, 27. Dezember 2014

Serien-Review: The Bridge

„Alles, was Vorstellungen von Schmerz und Gefahr hervorrufen kann, ist eine Quelle des Erhabenen“, schrieb der englische Schriftsteller Edmund Burke 1757. Damit meinte er allerdings den Schauerroman, über den DIE WELT ausgerechnet am 2. Weihnachtsfeiertag einen lesenswerten Rückblick schrieb.  

Dessen Erfinder, der vermögende Sir Horace Walpole, vertraute im ausgehenden 18. Jh. noch auf knarrende Dielen, unheimliche Verliese und bedrohliche Geräusche, wenn er seinen Lesern das Gruseln beibringen wollte.
Davon lässt sich der Horrorfan im 21. Jh. nicht mehr erschüttern. Es werden zwar noch Bücher gelesen, aber die sind nicht weniger explizit als die audiovisuellen Vertreter des Genres. Auch Krimis werden spätestens seit dem
Schweigen der Lämmer mit saftigen Horror- und Gore-Elementen aufgefrischt. 
„The Bridge - America“ fackelt da auch nicht lange und präsentiert gleich zu Anfang eine Frauenleiche auf der „Bridge of the Americas“, die Texas und Mexico verbindet. Fein säuberlich ist sie da abgelegt worden – allein, sie besteht aus zwei Hälften. Eine liegt in den USA, die andere in Mexiko. Die obere Hälfte gehört einer US-Richterin, die untere einer Mexikanerin, die zu einer Gruppe von über 20 Frauen gehörte, die in Mexico umgebracht und in einem „Todeshaus“ abgelegt wurden. Natürlich leben beide Frauen nicht mehr, wie sollte das auch gehen.

„The Bridge“ ist ein Remake der dänisch-schwedischen Erfolgsserie „Broen/Bron“ (dts. Die Brücke), die in zwei Staffeln von 2011-2013 gezeigt wurde und international zu einem großen Erfolg wurde. Produziert wurde die US-Serie für FX (The Shield, Nip/Tuck, Justified, Sons of Anarchy, The Strain, American Horror Story). Entwickelt wurde der Stoff von der bekannten Produzentin und Autorin Meredith Stiehm (NYPD Blue) zusammen mit Elwood Reid.
Der Horror des US-Remakes besteht allerdings nicht nur aus Splatter. Es geht um einen Serien- und Massenmörder, der die US-Ermittlerin Sonya Cross (Diane Krüger) und ihren mexikanischen Kollegen Marco Ruiz (Demián Bichir) systematisch terrorisiert und sie wie im Original in ein dichtes Netz undurchsichtiger Machenschaften zieht, an denen obskure und häufig auch sadistische Nebenfiguren beteiligt sind. Da bleibt schon mal eine Gruppe illegaler mexikanischer Einwanderer auf der Strecke, vergiftet ausgerechnet mit dem Wasser, das den halb Verdursteten mitten in die Wüste gestellt wurde. 
Ein Tunnel zwischen Mexico und den USA dient dunklen Geschäften, natürlich ist dabei das Leben eines Menschen nichts wert. Und last but not least geht es auch um die Abertausende junger Frauen, die im berüchtigten Ciudad Juárez verschwinden und danach als verstümmelte Leichen in der Wüste auftauchen. „The Bridge“ öffnet so dem Horror nicht nur einen Spalt breit die Tür, sondern reißt diese ganz weit auf. Kein Wunder, dass die meisten Episoden der deutschen DVD-Edition nur ab 18 Jahren freigegeben worden sind.



Reise ins Herz der Finsternis

Schmerz und Gefahr sind also reichlich vorhanden, aber ob dies im Sinne Edmund Burkes eine Quelle des Erhabenen sein kann, darf bezweifelt werden. „The Bridge“ zieht seinen eigentlichen Horror vielmehr aus der kalten Realität und seinen zynischen Chiffren, der grandiosen Brücke, die eher trennt als verbindet, und dem muffigen Tunnel, der genau das Gegenteil darstellt. Aber auch aus der abgrundtiefen moralischen Verdorbenheit des berüchtigten amerikanisch-mexikanischen Grenzgebietes, das nicht ohne Grund zur Topographie des modernen Genrekinos und der TV-Serien wie etwa „Breaking Bad“ gehört.
Sichtbar wird der Abgrund etwa, wenn in einer Nebenhandlung eine junge Mexikanerin auf einem Polizeirevier eine sexuelle Belästigung anzeigt, dann aber ausgerechnet von den vernehmenden Polizisten unter Drogen gesetzt wird, damit sie auf einer Party von den mexikanischen Cops massenvergewaltigt werden kann. Alles ist gut organisiert, es ist nicht das erste Mal. Es wird klar, dass das benutzte Fleisch von den Ordnungshütern anschließend in der heißen Wüste entsorgt werden soll. Wie auch all die anderen Frauen, die von all den anderen Männern aus all den verschiedenen Gründen getötet worden sind.

So ist „The Bridge“ eine schauerliche Reise in das Herz der Finsternis. Soziopathische Kartell-Bosse, rachsüchtige Serienkiller, eine kaltschnäuzige Mörderwitwe und ein drogenabhängiger, alkoholsüchtiger und gänzlich empathiefreier Journalist steuern mehr oder weniger entscheidende Beiträge zu dieser Comédie Humaine bei. Lustig ist das nicht und alles wird nahezu ironiefrei bis zum bitteren Ende erzählt, das ähnlich wie im Original mit schlimmen Grausamkeiten aufwartet, bevor einer der Bösewichter zur Strecke, aber nicht ums Leben gebracht wird.



Besser als das Original

Inmitten dieser Hölle auf Erden, irgendwo zwischen Ciudad Juárez und El Paso, sind auch die Hauptfiguren fragil verortet: Diane Kruger spielt die am Asperger Syndrom leidende Polizistin nicht ganz so authentisch wie Sofia Helin im Original und damit auch nicht restlos überzeugend, aber so wird die Krankheit auch nicht zum narrativen Zentrum der Geschichte. Kruger deutet ‚ihr’ Asperger mit etwas starrer Mimik dezent an, eine Frau, die wie Temperance Brennan in „Bones“ damit zu kämpfen hat, dass sie nicht versteht, was im Inneren der Menschen vorgeht.
Während der Mainstream-Forensik-Krimi das aber humorig auf die Schippe nimmt, ist die Figur der Behinderten in „The Bridge“ trotz ihrer genialen Intuition eine Grenzgängerin, die ohne den väterlichen Beistand ihres Vorgesetzten Lieutenant Hank Wade (ich habe den tollen Ted Levine lange nicht mehr so überzeugend gesehen) in der Cop-Welt nicht existieren könnte.
Glatt an die Wand gespielt wird Diane Kruger allerdings von dem mexikanischen Schauspieler Demián Bechir (2011 bei den Academy Awards nominiert für seine Rolle in „A Better Life“ von Carlos Galindo). Bechir spielt mit enormem Charme einen ehrlichen Cop, der sich im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht schmieren lässt, aber gerne Informationen aus Verdächtigen prügelt und sein Machismo nicht in den Griff bekommt. Kleine sexuelle Abenteuern gefährden seine Ehe und sind auch für all das mitverantwortlich, was in „The Bridge“ geschieht. Am Ende wird er mitsamt seiner Familie wegen dieser Schwäche auch ins Fadenkreuz des Killers geraten.

„The Bridge“ ist summa summarum besser als das Original. Dessen verwirrende Plot-Twists funktionierten wie ein Perpetuum Mobile – einmal in Gang gesetzt, läuft es und will nicht aufhören. Das Remake bietet auch verzwickte Handlungsstränge, behält aber dabei die Ermittler mehr im Fokus. Der Unterschied zum Original ist auch daran zu erkennen, dass der sozialkritische Aspekt der dänisch-schwedischen Serie nur eine Behauptung gewesen ist. „The Bridge“ zeigt dagegen ziemlich realistisch eine Welt, die ganz gut zu dem in „Breaking Bad“ oder in „The Counselor“ gezeigten Erzählraum passt und von schwärzestem Pessimismus geprägt ist. Es ist schade, dass FX die Serie nach der 2. Staffel eingestellt hat.


Nachtrag zur zweiten Staffel (29.1.2015)

In der aktuell erschienenen 2. Staffel haben sich die Macher für eine etwas andere Gangart entschieden: Das Remake koppelt sich vom europäischen Original vollständig ab und erzählt eine eigene Geschichte. Dabei wird einerseits großen Wert auf die Figurenentwicklung gelegt, andererseits werden in punkto Brutalität und Sadismus alle Register gezogen. 

Sonya Cross muss sich abseits des Hauptplots nicht nur damit auseinandersetzen, dass der Mörder ihrer Schwester im Krankenhaus stirbt, bevor sie mit ihm sprechen konnte, sondern auch mit einer heftigen Affäre, die sie mit dem Bruder des Mörders eingeht. Der mexikanische Cop Marco Ruiz gerät dagegen in eine gefährliche Nähe zum Kartell und wird dadurch deutlich ambivalenter, was zwischen ihm und seiner Kollegin zunehmend für Entfremdung sorgt. Und Lieutenant Hank Wade gerät als Sonyas Mentor in einen gefährlichen Konflikt, als er ihr gestehen muss, dass er den Mörder von Sonyas Schwester liquidiert hat, obwohl dieser unbewaffnet war.

Im Mittelpunkt der 2. Staffel stehen aber nicht mehr die sozialen Verwerfungen der Brennpunkte El Paso und Juarez, auch nicht das Asperger-Syndrom der weiblichen Hauptfigur, sondern die Auseinandersetzung mit dem Kartell, dessen Boss Fausto Galvan (Rámon Franco) bald selbst auf der Abschussliste der politischen Strippenzieher steht. Alle Hauptfiguren der ersten Staffel geraten nämlich in einen monströsen Konflikt, in dem sich die Drogenbehörde DEA und die CIA wütend bekämpfen. Offenbar protegiert die Agency die global organisierte Geldwäsche der mexikanischen Drogenkartelle, die im Gegenzug keine Morde in den USA begehen. Und zwischen allen Fronten geistert Franka Potente als Eleanor Nacht herum - eine verstoßene Mennonitin, die zunächst als weiblicher "Fixer" für Fausto Galvan aufräumt und eine Spur von Leichen hinterlässt, sich dann aber auf die Seite der wirklich Mächtigen schlägt.
"The Bridge America" büßt in der 2. Staffel weder Spannung noch Tempo ein. Auch der scheinbar an den Haaren herbeigezogene Main Plot erweist sich als wasserdicht, wenn man weiß, dass die CIA seit fast 40 Jahren immer wieder beschuldigt wurde, ihr Geld mit aktiver Teilhabe am Drogenhandel und an der organisierten Geldwäsche zu verdienen. Der prominenteste Ankläger der CIA ist übrigens der heutige US-Außenminister John Kerry.

Etwas irritierend wirkt dagegen die beinahe dramatische Steigerung der Gewaltdarstellung in der Serie. Sie geht wohl auf das Konto des Executive Producers Elwood Reid. Im Bonusmaterial erklärt er programmatisch, dass man den Zuschauer bewusst mit seiner Ekelgrenze konfrontieren wollte, um ihn noch stärker in die auf realen Missständen basierende Geschichte einzubeziehen. Dies hört sich fadenscheinig an und dies ist es auch wohl auch. 
Verblüffend ist die Altersfreigabe der FSK. Wurde die deutlich gewaltärmere 1. Staffel noch mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren belegt (allerdings nur wegen einer einzigen Episoden, alle anderen Episoden hatten eine Freigabe ab 16 Jahren), so ist die exzessiv brutale 2. Season komplett ab 16 Jahren freigegeben. Nachzuvollziehen ist das nicht.

Obwohl die 2. Staffel nichts von dem realistischen Potential der Story einbüßt, laufen nicht alle Handlungsfäden befriedigend zusammen. Einige Nebenfigur verschwinden für längere Zeit aus dem Plot, tauchen wieder auf, aber kompakt wirkt dies nicht. Unterm Strich ist "The Bridge" also dunkler, brutaler und beinahe trostloser geworden, hat dafür aber etwas an inhaltlicher Konsistenz eingebüßt.
Dass die Macher trotz mäßiger Quoten davon ausgegangen sind, dass FX eine dritte Staffel bestellt, zeigt auch das offene Ende: Die meisten Protagonisten haben die Gewaltexzesse überlebt, auch die Bösewichter leben noch, es kann weiter gehen. Tat es aber nicht.

Technik und Ausstattung

Bildtechnisch lässt die DVD nur wenig zu wünschen übrig. Auf einem Player mit gutem Upscaler ist sogar durchgehend Hi Def-Qualität zu erkennen. Serien müssen also nicht schmuddelig aussehen, auch wenn die Welt es ist, in der sie spielen.

Im Bonusmaterial der 1. Staffel gibt es neben dem obligatorischen Making of auch eine Dokumentation, in der Damien Cave, Mexiko-Korrespondent der New York Times über die Hintergründe der Frauenmorde in Ciudad Juárez spricht: „The Other Side Of The Bridge“. Cave sieht eine der Hauptursachen für das Morden in der Straflosigkeit, bedingt durch die Unfähigkeit des Polizeiapparates. Mittlerweile zieht, so Cave, eine Rächerin mordend durch die Stadt. Sie erschießt Busfahrer, die bereits von Beginn an auch zu den Verdächtigen gehört haben.
In einer 9-minütigen Doku lässt sich nicht viel berichten. Wer etwas recherchiert, findet heraus, dass 2003 ein Mörder, der beim Verstauen einer weiblichen Leiche festgenommen wurde, nur zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, obwohl das Opfer vor seinem Tod massiv gefoltert wurde.
Die Erklärung des Täters: Er habe das Opfer in Notwehr getötet.
Dies spiegelt recht anschaulich die Atmosphäre der Serie wider.


Die 2. Staffel bietet im Bonusmaterial 3-minütige Clips, in denen jede einzelne Episode kommentiert wird. Das erhellt tatsächlich die psycholgischen Aspekte der Handlung, aber auch einige Plot-Twists. Die Clips sollte man sich nach jeder Episode ansehen, denn die 2. Staffel ist noch komplexer als die erste.

The Bridge – America (USA 2013-2014) – Executive Producers: u.a. Meredith Stiehm, Elwood Reid – D.: Diane Kruger, Demián Bichir, Ted Levine, Annabeth Gish, Thomas M. Wright, Matthew Lillard, Emily Rios – Staffel 1 und 2 (13 + 13 Episoden)

Dienstag, 2. Dezember 2014

Serien-Review: The Strain

Ein Wurm, der in ein menschliches Auge eindringt? Als im Sommer der Cable TV-Anbieter FX mit großflächigen Plakaten entschlossen Werbung für seine neue Horrorserie „The Strain“ machte, war die Detailansicht des invasiven Parasiten einigen Passanten zu viel des Guten. FX musste die Plakate entfernen. Amazon zeigt die Serie im Original (OmU) – kostenpflichtig im Instant Video Shop. Den Wurm gibt es auch zu sehen.

Ein Flugzeug landet auf dem JFK Airport in New York. Aus dem Inneren kein Lebenszeichen. Und auch sonst scheint nichts mit diesem Flug zu stimmen, denn an Bord sind alle tot. Bis auf drei Passagiere und den Kapitän. Gesund sehen die Vier aber auch nicht aus. Seuchenexperte Dr. Ephraim Goodweather (Corey Stoll: House of Cards) rät, die scheinbar von einer mysteriösen Krankheit Befallenen in Quarantäne zu schicken und die Toten gründlich zu untersuchen. Natürlich geschieht dies nicht.



Gepflegter Trash

Um einen Outbreak in Zeiten von SARS und Ebola reibungslos zu ermöglichen, müssen alle Verantwortlichen entweder völlige Idioten oder wenigstens mittelschwer korrupt sein. In „The Strain“ werden beide Bedingungen erfüllt. Während der Zuschauer bereits nach zehn Minuten ahnt, dass eine Pandemie ins Haus steht, demonstrieren Goodweathers Vorgesetzte im Center for Desease Control (CDC), Politiker, Polizei und Stadtverwaltung entschlossen ihre Beratungsresistenz. Selbst als Goodweather irgendwann mit schicken Handyvideos beweist, dass ein monströses Supervirus die Infizierten in Zombie-Vampire verwandelt, glaubt ihm niemand. Verschwörung? Natürlich. Man hetzt das FBI auf ihn. Und wer nicht korrupt ist, ist strohdumm und macht garantiert immer das Falsche, was garantiert tödlich endet.

Dumm und korrupt: Guillermo del Toro und Chuck Hogan, die ihr gemeinsames Serienprojekt zunächst als dreiteiligen Roman veröffentlichten und nun mit Produktionsleiter Carlton Cuse („Lost“) drei bis vier Seasons planen, haben mit „The Strain“ wortwörtlich und ziemlich lustvoll Trash („Müll“) produziert. Der Plot funktioniert in der Millionenstadt New York aber nur, weil der ‚mächtigste Mann der Welt’, der todkranke Milliardär Eldritch Palmer (Jonathan Hyde), und der Nazi-Vampir Thomas Eichhorst (Richard Sammel) die Rückkehr des „Meisters“ ins Auge gefasst haben. Palmer möchte bei dem Deal von dem uralten und übermächtigen Vampir die Unsterblichkeit erhalten und das menschliche Genom durch Vampzombifizierung verbessern, der Altnazi ist dagegen seit seiner abrupt beendeten SS-Karriere im KZ Treblinka mit dem großen Sauger verbandelt. Damit alles reibungslos funktionieren kann, besticht Palmer eine Handvoll Politiker und die Seuchenkontrolle und lässt von einer Hacker-Gruppe das Internet abstellen, damit bloß keiner mitbekommt, was auf den Straßen los ist. Und während im nächtlichen
N.Y. bereits Scharen finsterer Zombie-Vampire auf die Jagd gehen, berichten die Medien immer noch von merkwürdigen Erkältungskrankheiten.


The Walking Zompires

Wer sich mit Plausibilität und Handlungslogik nicht lange aufhalten möchte, wird in „The Strain“ mit insgesamt mittelmäßiger Horrorlust belohnt. Del Toro, der nicht nur „Hellboy“ gemacht hat, sondern auch den brillanten Film „Pan’s Labyrinth“ und als Regisseur und Autor auch für einige der jüngsten Hobbit-Events verantwortlich zeichnet, hält sich zusammen mit Co-Autor Chuck Hogan nicht lange mit raffinierten Wendungen auf. Die Serie des Kabelsenders FX (The Shield, Justified, American Horror Story, The Bridge (US-Version), Fargo) 
ist eine am Reißbrett entworfene Kopie von „The Walking Dead“ mit den bekannten Ingredienzien: dystopisches Grundmuster; keine eleganten Vampire à la Christopher Lee, sondern wankende Zombies, denen ein zwei Meter langer Saugarm aus dem Mund schnellt; wie in TWD ist die erforderliche schnelle Zerstörung ihres Hirnstamms dringend erforderlich und wie in TWD gibt es die mutig entschlossene Kleingruppe, die zu diesem Zweck in den Krieg zieht, die obligatorischen schmerzvollen Verluste mental verarbeiten muss, aber garantiert pro Episode etliche „Zompires“ (so nannte „Entertainment Weekly“ die Neuzombies) köpft oder sonstwie ins Jenseits befördert.
 

Bei der Figurenentwicklung wird nicht etwa wie in TWD regelmäßig am Charakter und an moralischen Grundsatzfragen gewerkelt, sondern lediglich eine einigermaßen funktionierende Grundstruktur skizziert. Nur der Treblinka-Überlebende Professor Abraham Setrakian (David Bradley: „Argus Filch“ in den Harry-Potter-Verfilmungen) und der städtische Schädlingsbekämpfer (!) Vasily Fet (Kevin Durand) sorgen regelmäßig für zynischen und rustikalen Charme. Alle anderen Figuren bleiben blass wie die Vampire, die sie jagen. Auch Corey Stoll kämpft vergeblich gegen diverse Rollenklischees an - wie etwa die Rettung seiner von gewaltigen Eheproblemen belasteten Familie. Mal ehrlich: Welche Hauptfigur, egal wo, kämpft nicht um die Rettung seiner von gewaltigen Eheproblemen belasteten Familie?

Auch sonst bleibt „The Strain“ der Konvention treu und auch
tricktechnisch mit nicht sonderlich überzeugenden Gore-Effekten eher minimalistisch. Großzügige Settings gibt es im 70-minütigen Piloten und danach nur selten. Die Jagd nach den Monstern findet in Häusern, Tankstellen, Kanalisationen statt. Informationen aus der Außenwelt werden durch regelmäßige TV-Einspieler gegenwärtig. Dies erklärt aber nicht, warum die Nationalgarde nicht schon längst im nächtlichen New York unterwegs ist, wo doch bereits massenhaft hässliche Sauger die Straßen bevölkern. Etwas mehr hat man sich von Guillermo del Toro schon erhofft.

Allein die Rückblenden ins KZ Treblinka erinnern auf makabre Weise an die phantasievollen Trashideen, die man von del Toro gewohnt war. Ob die nächtliche Verfütterung von Juden an einen Vampir wirklich politisch korrekt ist, wage ich zu bezweifeln. Die allegorische Umbesetzung von Adolf Hitler durch einen nicht minder größenwahnsinnig nach Weltherrschaft strebenden Supervampir, der seine Jünger zudem telepathisch steuert, ist allerdings tiefschwarzer Humor vom Feinsten. Etwas mehr davon wäre notwendig gewesen, um „The Strain“ aus dem Mittelmaß herauszuheben. 

 

Fazit: Mit „The Strain“ bietet Amazon seinen Prime-Kunden zeitnah eine in den USA erfolgreiche Horrorserie an, die in Maßen unterhaltsam ist. Guillermo del Toro und sein Team fügen dem Genre nichts Neues hinzu, „The Strain“ gehört aber auch nicht in den Mülleimer. Trash-Mainstream.
Einigen Fans von „The Walking Dead“ ist von „The Strain“ allerdings abzuraten, denn die neue Serie bietet keine unscharfen und verrauschten Bilder. Also kein „Dirty Look“, sondern alles richtig scharf und in bestem HDTV. Gruselig.
 
Note: 3,5

The Strain – FX, USA 2014 – 13 Episoden - Amazon Instant Video Shop: Original mit deutschen Untertiteln - Showrunner: Guillermo del Toro, Chuck Hogan – Executive Producer:  Carlton Cuse, Gary Ungar, Guillermo del Toro, Chuck Hogan – D.: Corey Stoll, David Bradley, Mía Maestro, Kevin Durand, Jonathan Hyde, Richard Sammel, Miguel Gomez.