Samstag, 27. Dezember 2014

Serien-Review: The Bridge

„Alles, was Vorstellungen von Schmerz und Gefahr hervorrufen kann, ist eine Quelle des Erhabenen“, schrieb der englische Schriftsteller Edmund Burke 1757. Damit meinte er allerdings den Schauerroman, über den DIE WELT ausgerechnet am 2. Weihnachtsfeiertag einen lesenswerten Rückblick schrieb.  

Dessen Erfinder, der vermögende Sir Horace Walpole, vertraute im ausgehenden 18. Jh. noch auf knarrende Dielen, unheimliche Verliese und bedrohliche Geräusche, wenn er seinen Lesern das Gruseln beibringen wollte.
Davon lässt sich der Horrorfan im 21. Jh. nicht mehr erschüttern. Es werden zwar noch Bücher gelesen, aber die sind nicht weniger explizit als die audiovisuellen Vertreter des Genres. Auch Krimis werden spätestens seit dem
Schweigen der Lämmer mit saftigen Horror- und Gore-Elementen aufgefrischt. 
„The Bridge - America“ fackelt da auch nicht lange und präsentiert gleich zu Anfang eine Frauenleiche auf der „Bridge of the Americas“, die Texas und Mexico verbindet. Fein säuberlich ist sie da abgelegt worden – allein, sie besteht aus zwei Hälften. Eine liegt in den USA, die andere in Mexiko. Die obere Hälfte gehört einer US-Richterin, die untere einer Mexikanerin, die zu einer Gruppe von über 20 Frauen gehörte, die in Mexico umgebracht und in einem „Todeshaus“ abgelegt wurden. Natürlich leben beide Frauen nicht mehr, wie sollte das auch gehen.

„The Bridge“ ist ein Remake der dänisch-schwedischen Erfolgsserie „Broen/Bron“ (dts. Die Brücke), die in zwei Staffeln von 2011-2013 gezeigt wurde und international zu einem großen Erfolg wurde. Produziert wurde die US-Serie für FX (The Shield, Nip/Tuck, Justified, Sons of Anarchy, The Strain, American Horror Story). Entwickelt wurde der Stoff von der bekannten Produzentin und Autorin Meredith Stiehm (NYPD Blue) zusammen mit Elwood Reid.
Der Horror des US-Remakes besteht allerdings nicht nur aus Splatter. Es geht um einen Serien- und Massenmörder, der die US-Ermittlerin Sonya Cross (Diane Krüger) und ihren mexikanischen Kollegen Marco Ruiz (Demián Bichir) systematisch terrorisiert und sie wie im Original in ein dichtes Netz undurchsichtiger Machenschaften zieht, an denen obskure und häufig auch sadistische Nebenfiguren beteiligt sind. Da bleibt schon mal eine Gruppe illegaler mexikanischer Einwanderer auf der Strecke, vergiftet ausgerechnet mit dem Wasser, das den halb Verdursteten mitten in die Wüste gestellt wurde. 
Ein Tunnel zwischen Mexico und den USA dient dunklen Geschäften, natürlich ist dabei das Leben eines Menschen nichts wert. Und last but not least geht es auch um die Abertausende junger Frauen, die im berüchtigten Ciudad Juárez verschwinden und danach als verstümmelte Leichen in der Wüste auftauchen. „The Bridge“ öffnet so dem Horror nicht nur einen Spalt breit die Tür, sondern reißt diese ganz weit auf. Kein Wunder, dass die meisten Episoden der deutschen DVD-Edition nur ab 18 Jahren freigegeben worden sind.



Reise ins Herz der Finsternis

Schmerz und Gefahr sind also reichlich vorhanden, aber ob dies im Sinne Edmund Burkes eine Quelle des Erhabenen sein kann, darf bezweifelt werden. „The Bridge“ zieht seinen eigentlichen Horror vielmehr aus der kalten Realität und seinen zynischen Chiffren, der grandiosen Brücke, die eher trennt als verbindet, und dem muffigen Tunnel, der genau das Gegenteil darstellt. Aber auch aus der abgrundtiefen moralischen Verdorbenheit des berüchtigten amerikanisch-mexikanischen Grenzgebietes, das nicht ohne Grund zur Topographie des modernen Genrekinos und der TV-Serien wie etwa „Breaking Bad“ gehört.
Sichtbar wird der Abgrund etwa, wenn in einer Nebenhandlung eine junge Mexikanerin auf einem Polizeirevier eine sexuelle Belästigung anzeigt, dann aber ausgerechnet von den vernehmenden Polizisten unter Drogen gesetzt wird, damit sie auf einer Party von den mexikanischen Cops massenvergewaltigt werden kann. Alles ist gut organisiert, es ist nicht das erste Mal. Es wird klar, dass das benutzte Fleisch von den Ordnungshütern anschließend in der heißen Wüste entsorgt werden soll. Wie auch all die anderen Frauen, die von all den anderen Männern aus all den verschiedenen Gründen getötet worden sind.

So ist „The Bridge“ eine schauerliche Reise in das Herz der Finsternis. Soziopathische Kartell-Bosse, rachsüchtige Serienkiller, eine kaltschnäuzige Mörderwitwe und ein drogenabhängiger, alkoholsüchtiger und gänzlich empathiefreier Journalist steuern mehr oder weniger entscheidende Beiträge zu dieser Comédie Humaine bei. Lustig ist das nicht und alles wird nahezu ironiefrei bis zum bitteren Ende erzählt, das ähnlich wie im Original mit schlimmen Grausamkeiten aufwartet, bevor einer der Bösewichter zur Strecke, aber nicht ums Leben gebracht wird.



Besser als das Original

Inmitten dieser Hölle auf Erden, irgendwo zwischen Ciudad Juárez und El Paso, sind auch die Hauptfiguren fragil verortet: Diane Kruger spielt die am Asperger Syndrom leidende Polizistin nicht ganz so authentisch wie Sofia Helin im Original und damit auch nicht restlos überzeugend, aber so wird die Krankheit auch nicht zum narrativen Zentrum der Geschichte. Kruger deutet ‚ihr’ Asperger mit etwas starrer Mimik dezent an, eine Frau, die wie Temperance Brennan in „Bones“ damit zu kämpfen hat, dass sie nicht versteht, was im Inneren der Menschen vorgeht.
Während der Mainstream-Forensik-Krimi das aber humorig auf die Schippe nimmt, ist die Figur der Behinderten in „The Bridge“ trotz ihrer genialen Intuition eine Grenzgängerin, die ohne den väterlichen Beistand ihres Vorgesetzten Lieutenant Hank Wade (ich habe den tollen Ted Levine lange nicht mehr so überzeugend gesehen) in der Cop-Welt nicht existieren könnte.
Glatt an die Wand gespielt wird Diane Kruger allerdings von dem mexikanischen Schauspieler Demián Bechir (2011 bei den Academy Awards nominiert für seine Rolle in „A Better Life“ von Carlos Galindo). Bechir spielt mit enormem Charme einen ehrlichen Cop, der sich im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht schmieren lässt, aber gerne Informationen aus Verdächtigen prügelt und sein Machismo nicht in den Griff bekommt. Kleine sexuelle Abenteuern gefährden seine Ehe und sind auch für all das mitverantwortlich, was in „The Bridge“ geschieht. Am Ende wird er mitsamt seiner Familie wegen dieser Schwäche auch ins Fadenkreuz des Killers geraten.

„The Bridge“ ist summa summarum besser als das Original. Dessen verwirrende Plot-Twists funktionierten wie ein Perpetuum Mobile – einmal in Gang gesetzt, läuft es und will nicht aufhören. Das Remake bietet auch verzwickte Handlungsstränge, behält aber dabei die Ermittler mehr im Fokus. Der Unterschied zum Original ist auch daran zu erkennen, dass der sozialkritische Aspekt der dänisch-schwedischen Serie nur eine Behauptung gewesen ist. „The Bridge“ zeigt dagegen ziemlich realistisch eine Welt, die ganz gut zu dem in „Breaking Bad“ oder in „The Counselor“ gezeigten Erzählraum passt und von schwärzestem Pessimismus geprägt ist. Es ist schade, dass FX die Serie nach der 2. Staffel eingestellt hat.


Nachtrag zur zweiten Staffel (29.1.2015)

In der aktuell erschienenen 2. Staffel haben sich die Macher für eine etwas andere Gangart entschieden: Das Remake koppelt sich vom europäischen Original vollständig ab und erzählt eine eigene Geschichte. Dabei wird einerseits großen Wert auf die Figurenentwicklung gelegt, andererseits werden in punkto Brutalität und Sadismus alle Register gezogen. 

Sonya Cross muss sich abseits des Hauptplots nicht nur damit auseinandersetzen, dass der Mörder ihrer Schwester im Krankenhaus stirbt, bevor sie mit ihm sprechen konnte, sondern auch mit einer heftigen Affäre, die sie mit dem Bruder des Mörders eingeht. Der mexikanische Cop Marco Ruiz gerät dagegen in eine gefährliche Nähe zum Kartell und wird dadurch deutlich ambivalenter, was zwischen ihm und seiner Kollegin zunehmend für Entfremdung sorgt. Und Lieutenant Hank Wade gerät als Sonyas Mentor in einen gefährlichen Konflikt, als er ihr gestehen muss, dass er den Mörder von Sonyas Schwester liquidiert hat, obwohl dieser unbewaffnet war.

Im Mittelpunkt der 2. Staffel stehen aber nicht mehr die sozialen Verwerfungen der Brennpunkte El Paso und Juarez, auch nicht das Asperger-Syndrom der weiblichen Hauptfigur, sondern die Auseinandersetzung mit dem Kartell, dessen Boss Fausto Galvan (Rámon Franco) bald selbst auf der Abschussliste der politischen Strippenzieher steht. Alle Hauptfiguren der ersten Staffel geraten nämlich in einen monströsen Konflikt, in dem sich die Drogenbehörde DEA und die CIA wütend bekämpfen. Offenbar protegiert die Agency die global organisierte Geldwäsche der mexikanischen Drogenkartelle, die im Gegenzug keine Morde in den USA begehen. Und zwischen allen Fronten geistert Franka Potente als Eleanor Nacht herum - eine verstoßene Mennonitin, die zunächst als weiblicher "Fixer" für Fausto Galvan aufräumt und eine Spur von Leichen hinterlässt, sich dann aber auf die Seite der wirklich Mächtigen schlägt.
"The Bridge America" büßt in der 2. Staffel weder Spannung noch Tempo ein. Auch der scheinbar an den Haaren herbeigezogene Main Plot erweist sich als wasserdicht, wenn man weiß, dass die CIA seit fast 40 Jahren immer wieder beschuldigt wurde, ihr Geld mit aktiver Teilhabe am Drogenhandel und an der organisierten Geldwäsche zu verdienen. Der prominenteste Ankläger der CIA ist übrigens der heutige US-Außenminister John Kerry.

Etwas irritierend wirkt dagegen die beinahe dramatische Steigerung der Gewaltdarstellung in der Serie. Sie geht wohl auf das Konto des Executive Producers Elwood Reid. Im Bonusmaterial erklärt er programmatisch, dass man den Zuschauer bewusst mit seiner Ekelgrenze konfrontieren wollte, um ihn noch stärker in die auf realen Missständen basierende Geschichte einzubeziehen. Dies hört sich fadenscheinig an und dies ist es auch wohl auch. 
Verblüffend ist die Altersfreigabe der FSK. Wurde die deutlich gewaltärmere 1. Staffel noch mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren belegt (allerdings nur wegen einer einzigen Episoden, alle anderen Episoden hatten eine Freigabe ab 16 Jahren), so ist die exzessiv brutale 2. Season komplett ab 16 Jahren freigegeben. Nachzuvollziehen ist das nicht.

Obwohl die 2. Staffel nichts von dem realistischen Potential der Story einbüßt, laufen nicht alle Handlungsfäden befriedigend zusammen. Einige Nebenfigur verschwinden für längere Zeit aus dem Plot, tauchen wieder auf, aber kompakt wirkt dies nicht. Unterm Strich ist "The Bridge" also dunkler, brutaler und beinahe trostloser geworden, hat dafür aber etwas an inhaltlicher Konsistenz eingebüßt.
Dass die Macher trotz mäßiger Quoten davon ausgegangen sind, dass FX eine dritte Staffel bestellt, zeigt auch das offene Ende: Die meisten Protagonisten haben die Gewaltexzesse überlebt, auch die Bösewichter leben noch, es kann weiter gehen. Tat es aber nicht.

Technik und Ausstattung

Bildtechnisch lässt die DVD nur wenig zu wünschen übrig. Auf einem Player mit gutem Upscaler ist sogar durchgehend Hi Def-Qualität zu erkennen. Serien müssen also nicht schmuddelig aussehen, auch wenn die Welt es ist, in der sie spielen.

Im Bonusmaterial der 1. Staffel gibt es neben dem obligatorischen Making of auch eine Dokumentation, in der Damien Cave, Mexiko-Korrespondent der New York Times über die Hintergründe der Frauenmorde in Ciudad Juárez spricht: „The Other Side Of The Bridge“. Cave sieht eine der Hauptursachen für das Morden in der Straflosigkeit, bedingt durch die Unfähigkeit des Polizeiapparates. Mittlerweile zieht, so Cave, eine Rächerin mordend durch die Stadt. Sie erschießt Busfahrer, die bereits von Beginn an auch zu den Verdächtigen gehört haben.
In einer 9-minütigen Doku lässt sich nicht viel berichten. Wer etwas recherchiert, findet heraus, dass 2003 ein Mörder, der beim Verstauen einer weiblichen Leiche festgenommen wurde, nur zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, obwohl das Opfer vor seinem Tod massiv gefoltert wurde.
Die Erklärung des Täters: Er habe das Opfer in Notwehr getötet.
Dies spiegelt recht anschaulich die Atmosphäre der Serie wider.


Die 2. Staffel bietet im Bonusmaterial 3-minütige Clips, in denen jede einzelne Episode kommentiert wird. Das erhellt tatsächlich die psycholgischen Aspekte der Handlung, aber auch einige Plot-Twists. Die Clips sollte man sich nach jeder Episode ansehen, denn die 2. Staffel ist noch komplexer als die erste.

The Bridge – America (USA 2013-2014) – Executive Producers: u.a. Meredith Stiehm, Elwood Reid – D.: Diane Kruger, Demián Bichir, Ted Levine, Annabeth Gish, Thomas M. Wright, Matthew Lillard, Emily Rios – Staffel 1 und 2 (13 + 13 Episoden)