Mittwoch, 31. Dezember 2014

Best of 2014

Im letzten Jahr hatte ich im Rückblick einige Fragen zur Zukunft des Kinos gestellt. So etwas verbindet man zum Jahreswechsel gerne mit Spekulationen, die man dann 12 Monate später natürlich checkt. Und wie lautet das Ergebnis? Es ist vieles anders gekommen, einige Prognosen trafen jedoch ins Schwarze.

Aber zunächst einmal die besten und miesesten Filme des Jahres 2014. 
Im Vergleich zum letzten Jahr gab es im Filmclub einen dramatischen Qualitätsanstieg – wenn man die Noten betrachtet. Reichte in 2013 ein Notenschnitt von 2,5, um in die Top Ten zu kommen, so fielen in 2014 bereits Filme mit einem Schnitt von 2,0 aus den Top Twenty heraus. Mit einer Noteninflation hat dies nichts zu tun, denn gleichzeitig wurde etwas häufiger als sonst über die Qualität der Filme gemeckert. Paradox, aber interessant.
Geändert wurde die +2-Regel. In den Top Twenty findet man nun auch Filme (kursiv), die lediglich von zwei Club-Mitgliedern gesehen wurden. Dies soll die Rangliste noch repräsentativer machen. Gesehen haben wir die Filme überwiegend auf DVD – nur zwei Filme lagen auf Bluray vor. Dies spiegelt aber nicht das übrige Sehverhalten wider: ‚privat’ liegt die Bluray eindeutig an der Spitze, auch im VoD-Segment wurden fast ausschließlich HD-Inhalte gestreamt.


Was war gut, was war mies?


Die großen Abräumer waren „Grand Budapest Hotel“ und „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz. Alles sozusagen „mit Ansage“ und nicht wirklich eine Überraschung, zumal die Filme von Wes Anderson bei uns immer sehr gut angenommen worden sind. Hierzu liegen Besprechungen vor (s. Links).

Jean-Pierre Jeunets „Die Karte meiner Träume“ überraschte ein wenig auf dem 3. Platz, aber der Film bietet überragende Schauwerte und eine witzige, weitgehend unproblematische Geschichte. Wellness-Kino. Das ist aber nicht abwertend gemeint.

Über „Mitternachtskinder“ habe ich in einem Quartals-Rückblick geschrieben. Über den „Geschmack von Rost und Knochen“ leider nicht. Der in 2012 produzierte Film dürfte eigentlich nicht ausgewertet werden, da aber die DVD in 2013 erschien, erfüllt der Film dann doch noch die „Best of“-Kriterien.

Zur „Bücherdiebin“ liegt eine Kritik vor. Zu dem außergewöhnlichen deutschen Spielfilm „Finsterworld“ nicht. Ganz ehrlich: Ich habe mich nicht getraut, was mir eigentlich noch nie passiert ist. Aber wenn es eine Variante des Absurden Theaters im Kino gibt, dann ist es der sehr irritierende, aber auch sehr berührende Film von Frauke Finsterwalder. Mit Preisen überhäuft, wird dieses außergewöhnliche Stück Kino aber wohl niemals mehrheitsfähig werden.
„The Secret Life of Walter Mitty“ gehört dagegen zu den Filmen, die beim ersten Hinsehen Eindruck schinden und auch einige schöne Momente bereithalten, aber bereits nach 14 Tagen wieder vergessen sind. Meine Meinung: Mit dem 8. Platz ist Ben Stillers Film doch ein wenig überbewertet.

„Boyhood“ war der letzte Film des Jahres und damit The Cream on the Coffee. Seine Kraft schöpft der Film nicht aus dem Reflexiven, das sich nach dem Sehen eines Films einstellt, sondern aus dem Sehen selbst. Fast drei Stunden lang erzählt der „Before Sunrise“-Regisseur die Geschichte eines Jungen, eine Coming-of-Age-Geschichte, die mit seinem 6. Lebensjahr beginnt und 12 Jahre später endet. Linklater hat ebenfalls 12 Jahre gedreht, einmal im Jahr und immer mit den gleichen Darstellern und immer eine kurze Episode, die danach sofort geschnitten wurde. 

Das Erstaunliche ist die Alltäglichkeit der Geschichte, die von den Darstellern zum Teil selbst entwickelt wurde – ein fiktionales Konzept, das einzigartig ist und beinahe an klassische Langzeitdokumentationen erinnert. Es gibt in „Boyhood“ keine großen Dramen, sondern all das, was viele Zuschauern möglicherweise selbst erlebt haben: eine Patchwork-Familie, emotionale Beziehungen zu Ersatzvätern und dem richtigen, der sich als der beste entpuppt; Kinder werden nicht verstanden, dann werden sie doch verstanden und am Ende müssen sie sich ihren Weg doch alleine suchen, und auch noch dort, wo man es am wenigsten erwartet hat. Alles muss organisiert und immer wieder neu bewertet werden. Dafür ist die umtriebige Mutter zuständig: die trinkenden und gewalttätigen Ersatzväter werden als biografische Randnotiz zurückgelassen, die motivierenden Ersatzväter manchmal nicht recht wahrgenommen.
Die erste Liebe, die erste Enttäuschung, das Ende der Highschool, der Einzug auf dem Collage-Campus, undeutliche Vorstellungen von der Zukunft und die Erkenntnis - all das muss die Hauptfigur allein in den Griff bekommen. Dass man das Meiste im Hier und Jetzt nicht herausfinden wird, aber erkennen kann, dass man im Hier und Jetzt den Moment genießen sollte, solange man jung ist, das ist die unaufdringliche Botschaft eines wahrhaft alltagstauglichen Films.

Und meiner persönlichen Lieblingsfilme? Ganz klar und mit großem Vorsprung „Her“ von Spike Jonze, einer der sensibelsten und intelligentesten Film, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Wenigstens schaffte es mein Favorit noch in die Top Ten.
Und dann „Der blinde Fleck“ von Daniel Harrich, der wie ein Paukenschlag daherkam. Warum dies so ist, habe ich in einer sehr langen Kritik zu beschreiben versucht. Und alle, die dies in meinem Bekanntenkreis gelesen und auch den Film gesehen haben, waren schockiert: Beweismittelvernichtung nach dem größten Terroranschlag auf deutschem Boden! Geheimarmeen in Europa! Windige Allianzen von Nachrichtendiensten mit terroristischen Organisationen! Dunkle Machenschaften von Alt- und Neo-Nazis!
Und das wirklich Spannende: Der Film erzählt nur einen Bruchteil von all dem, den Rest kann man nachlesen in den Sitzungsprotokollen des Europäischen Parlaments und denen des Deutschen Bundestages. Und während im Osten Deutschlands Zehntausende aufmarschieren, um das Abendland zu retten, scheinen sich offenbar nur wenige dafür zu interessieren, dass anderenorts die Demokratie von Strippenziehern im Hintergrund bereits ausgehöhlt worden ist. „Der blinde Fleck“ ist ein Kinofilm, der sich erst über die gründliche Recherche verstehen lässt. So sollte Kino auch sein!

Natürlich gehören zu einem gepflegten Jahres-Rückblick auch die totalen Flops. Es waren wenige, aber waren spektakulär. Filme mit Notenschnitt von 3plus gehören eigentlich nicht in die Liste, aber sei’s drum – wir wollen ja vollständig sein:



Groß kommentieren will ich dies nicht. Nur so viel: Der 3. Teil von Sam Raimis „Spiderman“ war einmal Jahressieger bei uns – die Remakes erinnern nun daran, dass für so etwas die Filmindustrie verantwortlich ist, die am liebsten immer das Gleiche zeigen würde, wenn sie könnte.
Ich empfehle dazu das Buch „Die besten Filme, die Sie nie sehen werden“ von Simon Braund (Hrsg.). Dort werden Projekte beschrieben, die nie auf die Leinwand kamen. Und viele spannende Drehbücher sind im Reißwolf gelandet, weil die Studiobosse der Ansicht waren, dass man damit den ‚jungen Leute’ nicht das Geld aus der Tasche ziehen könne. Die Spiderman-Remakes gehören dazu: sie sind so sterbenslangweilig und kalt kalkuliert, dass wir es kaum geschafft haben, den 2. Teil zu Ende zu gucken.

Dass sich unter den Flops auch weitere populäre und erfolgreiche Filme befinden, überraschte dann auch mich. Im Niemandsland zwischen den beiden Kategorien sind zudem noch einige Filme versandet, von denen man es nicht erwartet hätte. Etwa Scorseses „The Wolf of Wall Street“, Ozons „Jung & schön“ oder Stephen Frears „Philomena“ – zum Teil mit guten Noten, aber es reichte nicht für die Top Twenty.


Neue Medien: Der Filmclub streamt!

„Hat das Kino überhaupt noch eine Zukunft oder wird es lediglich zu einem Teil einer großen medialen Verwertung, in der man Filme nur noch gelegentlich im Kino sieht? Sondern öfter im (...) im Internet auf YouTube oder iTunes, auf dem Smartphone oder gestreamt von einem Medienserver auf den großen Flatscreen“, fragte ich im Dezember 2013. Gemeint war damit nicht etwa das statistische Verhalten der bundesdeutschen Kinogänger, sondern die Veränderung unserer eigenen ganz persönlichen Sehgewohnheiten im und außerhalb des Filmclubs.

In Sachen Kino behielt ich Recht. Dort tauchten wir relativ selten auf. Das Kino mutierte zur Popcorn-Zone, in die wir uns für ein 3 D-Spektakel locken ließen und/oder um sich ein saftiges Stück Mainstream wie den Hobbit, die X-Men oder Iron Man schmecken zu lassen. Mit dem Hobbit war das aber so eine Sache, man bekam in der letzten Etappe des dreiteiligen Sinkflugs eher Sodbrennen. Peter Jackson hat aus einer schönen Mythologie das Battlefield Middle-earth gemacht und die Tolkien-Saga in eine durchgeknallte Gelddruckmaschine verwandelt – ein herzloses Industrieprodukt, das sich aber verkauft wie geschnitten Brot.

Stattdessen verlagerten sich wie vermutet unsere Aktivitäten noch stärker ins Heimkino. Und auch ins World Wide Web. Und das war die eigentliche Überraschung des vergangenen Jahres: 75% der Filmclub-Mitglieder haben sich für Streaming-Portale und die entsprechende Hardware entschieden: 1x Apple TV, 2x Amazon Fire TV.
Dies war zunächst einmal eine technische Revolution, denn zuvor wurde bereits via Browser auf Inhalte von Amazon zugegriffen. So konnte man die vierte Staffel von „Game of Thrones“ sehen, lange bevor die dritte im Free TV ausgestrahlt wurde. Exklusivität macht Spaß.

Nun stehen seit einigen Wochen bei uns die kleinen, flachen Streamer vom Amazon und Apple im Regal, und tatsächlich überzeugen sie in Sachen Bildqualität ungemein, besonders dann, wenn sie direkt am Router hängen. Dies kurbelte in der zweiten Jahreshälfte den Konsum nachhaltig, aber nicht übermäßig an (dazu später mehr).

Video on Demand war also die spürbarste Zäsur in unserem Medienverhalten des letzten Jahres. Und es hat sich gelohnt: „True Detective“ entdeckte ich recht früh dank VoD, ein anderes Clubmitglied stürzte sich auf die aktuelle Staffel von „Downton Abbey“ und zum Jahresende konnte ich mich darüber freuen, dass die Episoden der 4. Staffel von „Homeland“ bereits einen Tag nach der US-TV-Ausstrahlung als OmU zu sehen waren. Und mit meiner Rezension von „The Strain“ tauchte zum ersten Mal auch eine VoD-Serie im Blog auf. 

Times They Are a Changin’ ...

Auch bemerkenswert: es wurde vieles gemeinsam geschaut. Dabei wurde auch diskutiert, welche Konsequenzen die Diversifikation des neuen Medienverhaltens hat. Und während laut einer Umfrage viele US-Konsumenten bereit sind, durchschnittlich 200$ pro Monat für Prime-Inhalte von Amazon auszugeben, war uns schnell klar, dass man am besten fährt, wenn man sich die exklusiven Inhalte gemeinsam anschaut und sich die Kosten teilt. 

Mein persönliches Portfolio sieht so aus: mit Fire TV sehe ich überwiegend interessante Serien, immer häufiger auch in der Originalsprache. Zusätzlich habe ich mit SkySnap und dessen unschlagbarem Pauschalpreis ein Portal, das ich via Browser nutze und das den Zugriff auf zahlreiche HBO-Serien ermöglicht. Als „The Wire“-Fan konnte ich so nicht mehr ganz so aktuelle Geheimtipps wie „Generation Kill“ von David Simon & Ed Burns, die Special Interest-Serie „Treme“ (David Simon) oder den leider zu früh gefloppten „Copper“ sehen kann.


Serien am laufenden Band

Der Schnellste wird gewinnen.

Noch eine Frage aus dem letzten Rückblick: „Ist der Film überhaupt noch ein mediales Event oder ist er bereits abgelöst worden von den Serien, vom viel beschworenen Quality TV?“
Das war natürlich eine kleine Provokation, sie spiegelt die raschen Trend- und Themenwechsel wider. Serien und Kinofilme konkurrieren aber schon längst nicht mehr im Fernsehen miteinander, sondern liegen plattformübergreifend im Clinch. Dabei spielen das öffentlich-rechtliche Fernsehen und auch die privaten Anbieter keine entscheidende Rolle mehr. 
Während ARTE das Finale von „Breaking Bad“ nach über einjähriger Pause (!) im Januar 2015 ausstrahlen wird, haben die Fans diesen Job bereits zum Jahreswechsel 2013/14 per Bluray, DVD oder Pay TV erledigt.
RTL II hat mit „The Walking Dead“ ein echtes Quotenpferd und kann es sich noch erlauben, alles mit einem Jahr Verspätung zu zeigen. Aber es ist wie es ist: die Contents werden erst im Pay TV und als VoD durchgenudelt, bis sie irgendwann den frei empfangenden Verbraucher erreichen.
Natürlich läuft der Erwerb der Lizenzen nicht so, wie es sich die normalen TV-Gucker wünschen, aber ich rechne damit, dass im Wettbewerb die VoD-Anbieter immer mehr Boden gegenüber dem Pay-TV gewinnen werden und dies die Abwendung vom herkömmlichen Fernsehen beschleunigt.

Auf der Strecke bleiben dann die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen. Und solange Letztere das horizontale Erzählen intern als Schimpfwort nutzen, weil sie den deutschen TV-Normalo nicht ganz zu Unrecht als überfordert einschätzen, wird sich am Bedeutungsverlust der Anstalten nicht viel ändern. Als Lizenznehmer hinken sie der Konkurrenz längst hinterher und bedienen entweder nur noch die Gruppe der Spätberufenen oder präsentieren mit überaus guten Nischenprodukten wie „The Returned“ wenigstens einen kleinen Kreis von Kennern. 


Hat das Quality TV den Zenit überschritten?

Viele Medienexperten halten das Quality TV für ein Phänomen, das seinen Zenit überschritten hat. So weit möchte ich mich nicht aus dem Fenster lehnen, aber nach dem Ende von „Breaking Bad“ und dem bevorstehenden Finale von „Mad Men“ sind potente Nachfolger nicht leicht zu finden.

Und HBO? Natürlich setzte „True Detective“ ein dickes fettes Ausrufezeichen, es gibt weiterhin „Game of Thrones“, „Girls“ läuft seit 2012 recht erfolgreich, hinzu kommen noch einige Comedyserien und seit 2014 „The Leftovers“, aber man darf gespannt sein, ob HBO auch in den kommenden zwei, drei Jahren das glückliche Händchen hat, um neue Showrunner vom Kaliber eines Vince Gilligan („Breaking Bad“ für AMC) oder Matthew Weiner („Mad Men“ für AMC) zu finden. Immer deutlicher wird, dass es nicht nur die clevere Firmenpolitik von HBO ist, die Erfolgsserien garantiert, sondern dass es Kreative wie Nic Pizzolatto sind, die starke Ideen haben und dann auch noch exzellent umsetzen.


Über allen thront die AMC-Serie „The Walking Dead“, die auch in Deutschland sagenhafte Quoten generiert, obwohl das Free TV mit elender Verzögerung an den Start geht und zum Beispiel die vierte Staffel dann zeigt, wenn sich die Fans bereits die Hälfte der fünften sonst wo angeschaut haben.
Unsere (inoffiziellen) Serienhits in der Reihenfolge der quantitativen Nutzung:

  1. True Detective
  2. Downton Abbey
  3. Game of Thrones 4
  4. Homeland 4

Mediale Übersättigung

Die nachhaltigen Veränderungen im Medienjahr 2014 führten aber auch zu ganz unerwarteten Ergebnissen. Dem Filmclub standen im Laufe des Jahres ca. 150 Kinofilme auf DVD und Bluray zur Verfügung. Gesehen wurde nur knapp ein Drittel. Das ist nicht schlecht.
Die zunehmende Bedeutung der TV-Serien und die Nutzung der Streaming-Portale haben aber zu einem Überangebot geführt, das man beinahe schon als Erschöpfung erlebt. 
Immer kritischer werden die Angebote und Inhalte im Club geprüft. Und immer häufiger schleicht sich das Gefühl ein, dass dies alles zu viel des Guten ist.
Der moderne Film- und Serienjunkie wird die Frage zu beantworten haben, was er mit seiner Freizeit anfängt und wie er sie sich einteilt. Beherrschbar wird dies nur mit konsequenter Selektion und viel Disziplin, aber ausgerechnet dies sind Fähigkeiten, die dem Junkie von Natur aus fehlen. Und wenn auch noch nach langen Jahren der HBO-Klassiker „Oz“ auf dem deutschen DVD-Markt erscheint, verdreht man gequält die Augen – und legt kurz danach los.
Im Filmclub hat dies irritierende Konsequenzen gehabt. Häufiger als früher wurden schlechte Film bemängelt, noch häufiger wurden Termine abgesagt. Man hat keine Zeit mehr für riskante Experimente, der alltägliche Stress nimmt zu und an der nächsten Ecke wartet ja die spektakuläre Alternative. Die Zeit wird knapper, das Murren nimmt zu.
 Sicher ist aber nur eins: Noch nie haben wir so viele gute Filme gesehen wie im letzten Jahr. Der Beweis: Der Notenschnitt. Das Kino ist also gerettet. Der Filmclub auch. Vorläufig.

Ich wünsche allen Lesern ein überraschendes und spannendes Kino-, Film- und Serienjahr 2015!