Freitag, 16. Januar 2015

The Homesman

Mit dem Noir Western „The Homesman“ stellt Tommy Lee Jones erneut sein Talent für existenzialistisch angehauchte und zudem auch skurrile Themen unter Beweis. Entscheidend ist aber ein Plot Point, mit dem der deprimierenden Geschichte eine unerwartete Wendung gegeben wird. Dass dies wie ein Schlag in die Magengrube wirkt, ist ein anderes Thema.

In den Western von John Ford schwiegen die Frauen häufig. Sie standen herum und warteten auf die männlichen Hauptfiguren. Als Silhouetten, oft im berühmten Ford’schen Türrahmen. Und dort standen sie auch schweigend, wenn die Helden wieder davonritten. Man kann das zum Beispiel in „The Searchers“ sehen. Erst ganz am Ende seiner langen Karriere hat Ford, etwa in „Sieben Frauen“ (1966), dem anderen Geschlecht das Sprechen beigebracht. Manfred Bauschulte nannte diesen Film nicht ohne Respekt eine Travestie: Die Heldin in Cowboypose.
Und nun, in „The Homesman“, erzählt Jones die Geschichte einer Frau, die ganz allein auf sich gestellt nicht nur eine Farm bewirtschaftet, sondern auch gebildet ist und reiten und schießen kann, wenn es darauf ankommt.
Auf den Gedanken, dass dies eine Travestie, also eine Persiflage, sein könne, kommt man heute nicht mehr ohne Weiteres. Die soziale Rolle der Frau hat sich geändert, ihre Widerspiegelung in den narrativen Kinoentwürfen zeigt dies nicht nur, sie ist auch als Rückprojektion in ein von Männern dominiertes Genres formal sehr nützlich, um Geschichten zu erzählen, die (Genre-)Erwartungen durchkreuzen.



In der Hölle, jenseits der Zivilisation

Und das sieht so aus: die fromme Farmerin Mary Bee Cuddy (erneut reif für einen OSCAR: Hilary Swank, „Boys Don’t Cry“, „Million Dollar Baby“) ist die einzige Person in einer Gemeinde des Mittleren Westens, die den Mut aufbringt, drei wahnsinnig gewordene Frauen zu einer methodistischen Gemeinde in Iowa zu bringen. Eine Frau wurde von ihrem Mann sexuell misshandelt, eine andere hat ihre Kinder an die Diphtherie verloren, die dritte entsorgte ihr Neugeborenes einfach in der Scheiße des Aborts. In „The Homesman“ befinden wir uns in einer beinahe prähistorischen Hölle jenseits der Zivilisation. 

Den Männern in Mary Bees Gemeinde fehlt der Mut, die Zerbrochenen wegzubringen, die Frauen halten Mary Bees Unterfangen schlichtweg für unsittlich: Frauen tun so etwas nicht. Immerhin warten unterwegs Indianer.
 Mit einem vergitterten Gefängniswagen, in dem die ‚verrückten’ Frauen sitzen, bricht Mary Bee dennoch auf und trifft unterwegs den Gauner George Briggs (Tommy Lee Jones), der mit einer Schlinge um den Hals auf einem Pferd sitzt. Briggs hat sich den Besitz eines Mannes unter den Nagel gerissen, der in den Osten gereist ist, um sich eine Frau zu suchen. Mary Bee presst dem zum Tode Verurteilten das Versprechen ab, ihr bei der Überführung der kranken Frauen zu helfen. Briggs stimmt zu und wird abgeschnitten. Alles könnte nun auf eine zynische Buddy-Story wie in „Two Mules for Sister Sara“ („Ein Fressen für die Geier“, Don Siegel 1970) hinauslaufen, ein Film, der tatsächliche eine Travestie war. Aber es kommt anders.

Dazu muss man zum Anfang zurück. In einer der ersten Szenen versucht Mary Bee einen benachbarten Farmer, den sie zum Essen eingeladen hat, zur Heirat zu bewegen. Sie ist einsam, klug, erfolgreich und hat zudem Vermögen. Da müsste doch was gehen. Der ungebildete Proll lässt sich aber weder durch gutes Essen noch durch frommen Gesang dazu bewegen, eine ihm intellektuell und kulturell überlegene Frau zu heiraten. Sie sei zu trocken, stellt er fest. Dann sucht er das Weite.

Nun, in den flachen, unendlich erscheinenden Landschaften der Great Plains, findet Mary Bee in dem freiheitsliebenden Mittsechziger einen neuen Kandidaten. Es scheint ein sonderbarer Pragmatismus in den Zügen von Hilary Swank auf, wenn sie in einer bedrückenden, aber grandiosen Szene dem alten Streuner am Lagerfeuer die praktischen und ökonomischen Vorzüge einer gemeinsamen Zukunft in trockenen Worten schildert. Nie sah man eine Frau in einem Western so zielsicher, so abgeklärt, so männlich (!). Doch auch Briggs, der von Tommy Lee Jones nun wirklich nicht als verführerisches Sex-Symbol gespielt wird, lehnt ab. Dann, mitten in der Nacht, steht sie nackt vor dem alten Mann, der beinahe widerwillig der Einladung nachkommt, nicht ohne Mary Bee nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie es sei, die dies so gewollt habe. Dann vollzieht er den Beischlaf, anders kann man es nicht nennen.
Am nächsten Morgen findet Briggs die Frau unweit des Lagers. Sie hat sich erhängt.



Ein Selbstmord in einer absurden Welt

Mein Freund Klawer zitierte am nächsten Tag den englischen Philosophen Thomas Hobbes, der über das Leben im rohen Naturzustand geschrieben hat, es sei „einsam, armselig, scheußlich, viehisch und kurz“. Zitiert wurde dies vor einigen Monaten ebenfalls von einem deutschen Journalisten, dem in den USA in letzter Minute das Leben gerettet wurde und der hernach daran erinnerte, dass Menschen in ihrer überwiegenden Mehrzahl eben keine irren islamistischen Terroristen oder durchgeknallten Nazis sind. Sie seien vielmehr freundlich, besonders dann, wenn die Not groß ist. Tommy Lee Jones hat sich in seiner zweiten Regiearbeit eher dazu entschlossen, die misanthropischen Einsichten eines Thomas Hobbes zu bebildern.

Bereits 2005 legte Jones mit „The Three Burials of Melquiades Estrada“ einen anderen meisterhaften Noir-Western vor, der ebenfalls als moralische Erzählung gelten kann. Damals spielte Jones den schweigsamen Noir-Helden als hartnäckigen Querkopf, diesmal überlässt er als amoralischer Gauner in der ersten Hälfte des Films Hilary Swank das Feld. „The Homesman“, der eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Glendon Swarthout (1988) ist, präsentiert sich allerdings als Film fernab von jeglicher Freundlichkeit. Kaum hat sich das Comic Relief in der Geschichte breit gemacht, wird es ruppig zerstört – selten hat sich die existenzielle Not einer Figur so kraftvoll wie eine schwarzes Nichts über eine Geschichte gelegt wie in „The Homesman“. Der Suizid ist verstörend, grausam - und ratlos bleibt der Zuschauer zurück, dessen Erwartungen nun wirklich durchkreuzt werden.

Sich beim Schreiben einer Filmkritik, die mehr sein will als eine Inhaltsbeschreibung für Verbraucher, an dem ewigen Lamentieren über Spoiler zu orientieren, hieße eben vor diesen Erwartungen zu kapitulieren. Erinnert sei vielmehr an Albert Camus, der nicht nur dem Begriff des Absurden eine neue Bedeutung gegeben hat, sondern auch den Selbstmord für das einzige wirklich ernste Problem der Philosophie gehalten hat. 

„Eine Welt, die sich - wenn auch mit schlechten Gründen - deuten und rechtfertigen lässt, ist immer noch eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusion und des Lichtes beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Verstoßensein gibt es für ihn kein Entrinnen, weil er der Erinnerungen an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist“, schrieb Camus in „Der Mythos von Sisyphos“, und damit benannte er nicht nur das Gefühl der Absurdität, sondern auch die Gewissheit des Verlustes von Heimat, die sich in einer kalten Welt breit macht.

Aber in einem Western, zu dessen Kerndefinitionen auch jene der Heimat gehört, bringt man sich aber nicht um. Das Glücksversprechen, das die Frontiers selbst inmitten tiefster Gesetzlosigkeit angetrieben hat, bleibt in diesem Genre nämlich meist ungebrochen. Man hält an seinen Illusionen fest, es sei denn, man lebt in Deadwood.
Der brutale Plot Point in „The Homesman“ definiert die Spielregeln derartiger Western-Geschichten neu. Briggs, der nun allein mit den drei Frauen ist, will zunächst davonreiten, dann besinnt er sich und bringt sie widerwillig zum Zielort, nicht ohne unterwegs mit einer Handvoll bigotter Bürger abzurechnen, die mit dem Prinzip Nächstenliebe nichts anfangen können. Dies sorgt in einem ansonsten action-freien Western für etwas Rabatz, scheint aber wie in einer Art von Katharsis anzudeuten, dass da jemand auf den letzten Metern seines Lebens wenigstens etwas Moral gelernt hat und noch nicht recht weiß, was er mit ihr anfangen soll.



Sicher kann man sich nicht sein. Ganz am Ende, nachdem sich Briggs von seiner Prämie einige schicke Klamotten gekauft hat und dann auch mitfühlend einem armen Mädchen das erste Paar Schuhe, beschließt er, mit einem hölzernen Grabstein in die Plains zurückzukehren. Dorthin, wo er Mary Bee begraben hat. Als er auf einer Fähre betrunken randaliert und wild um sich schießt, um danach ein fröhliches Solo-Tänzchen zu wagen, befördert ein achtloser Tritt den Grabstein ins Wasser. Tröstendes gibt dieser Film kaum her, das Wenige sucht man lange.

Der Film erhielt die „Goldene Palme“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2014.

Noten: BigDoc = 1,5, Klawer, Melonie = 2

The Homesman – USA 2014- Regie: Tommy Lee Jones – D.: Hilary Swank, Tommy Lee Jones, Meryl Streep, James Spader, John Lithgow – Laufzeit: 122 Minuten – Altersfreigabe: FSK 16.