Montag, 18. Juli 2016

Serien für feuchte Sommertage - Teil 4

Platz 2: Wayward Pines – atmosphärisch dicht und geheimnisvoll


Wer in Wayward Pines lebt, muss sich an drei Regeln halten: „Sprechen Sie nie über die Vergangenheit. Beantworten Sie stets das Telefon. Arbeiten Sie hart und seien Sie glücklich.“ Das verheißt nichts Gutes, besonders wegen der Sache mit dem Telefon.

„Wayward Pines“ ist die TV-Adaption der „Wayward Pines Trilogy“ von Blake Crouch, der in den Jahren 2012-2014 mit „Pines“, „Wayward“ und „The Last Town“ einen beachtlichen Erfolg im Mystery-Genre verbuchen konnte. Mit FOX sicherte sich ein großes Network die Rechte, und das bedeutete aufgrund der Zensurbestimmungen in den Staaten eine eher familien-kompatible Adaption (1).
Entwickelt wurde die TV-Serie von Chad Hodge und M. Night Shyamalan, dessen temporärer Karriereknick nicht nur durch „The Visit“ (2015), sondern eben auch durch „Wayward Pines“ beendet wurde. Neben Hodge und Shyamalan gehörte u.a. auch Blake Crouch zu den Exekutive Producern der Serie.

„Wayward Pines“ ist ein Genremix: Mystery, Science-Fiction, Dystopie. Also etwas „Twilight Zone“, eine Prise „Twin Peaks“, ein Schuss „Akte X“ und – wie bei den meisten dystopischen Stoffen – deutliche Referenzen zu Aldous Huxleys „Brave New World“, einem Buch, das mittlerweile in jeder Kino-Teenie-Dystopie kräftig ausgeweidet wird.

Erzählt wird die Geschichte des Secret Service-Agenten Ethan Burke (Matt Dillon), der das Verschwinden von zwei Kollegen untersucht und nach einem Autounfall im idyllischen Wayward Pines in Idaho aufwacht. Neben kräftigen Gedächtnisstörungen irritiert Burke die beunruhigende Erfahrung, dass er zwar telefonieren kann, aber nie die Person erreicht, mit der er sprechen will. Zudem führen alle Straßen in Wayward Pines zurück in den Ort. Burke ist damit von der Außenwelt abgeschlossen.
Die Bürger der kleinen Gemeinde sind auffällig freundlich, glücklich und kooperativ. Jedenfalls so lange, bis man unangenehme Fragen stellt. Burke entdeckt, dass offenbar niemand in den paradiesischen Ort hineinkommt und erst recht niemand ihn verlassen kann.
Als Burke die beiden verschollenen Agenten findet, ist der eine tot und die andere, Burkes Kollegin und ehemalige Geliebte Kate Hewson (Carla Gugino), ist sichtbar gealtert und behauptet, Burke nicht zu kennen und bereits seit 12 Jahren in dem Ort zu leben.
Der beginnt an seinem Verstand zu zweifeln und wird zudem von Pamela Pilcher (Melissa Leo), der Krankenschwester des Wayward Pines Hospitals, und Dr. Jenkins (Tobey Jones), dem örtlichen Psychiater, bedrängt, Hilfe bei der Integration in die Gemeinschaft anzunehmen. Alles habe seine Ursache in Burkes Kopfverletzung und mit einer kleinen Operation könne man das schon richten. Burke lehnt ab und flieht aus dem Krankenhaus.

Arnold Pope (Terrence Howard:
„Empire“), der Sheriff von Wayward Pines, beobachtet den Neuankömmling mit zunehmenden Misstrauen. Nur von der Barfrau Beverly (Juliette Lewis) kann Burke Hilfe erwarten. Als ein gemeinsamer Fluchtversuch der beiden scheitert, wird Beverly von Sheriff Pope öffentlich exekutiert. Jeder, der sich Wayward Pines nicht an die Regeln hält, muss „die Rechnung begleichen“.

„Wayward Pines“ lebt besonders in den ersten Episoden von seiner atmosphärisch dichten Plotstruktur, die unübersehbar von Genreklassikern wie „The Prisoner“ (dts. Nummer 6, GB 1967-1968) beeinflusst wird. Ähnlich wie Patrick McGoohan als „Nummer 6“ wird Matt Dillon als Ethan Burke von einer geheimnisvollen Macht in eine neue Welt portiert, die von einem mysteriösen Codex reglementiert wird. In Wayward Pines wird allen eine glückliche und sorgenfreie Zukunft versprochen und trotzdem ein Tracking Sensor implementiert. Bei Ethan Burke verdichtet sich daher schnell der Eindruck, dass ‚die Glücklichen’ einer kompletten Hirnwäsche unterzogen worden sind, ohne die man in Pines nicht überleben kann. Huxley lässt grüßen. Aber auch M. Knight Shyamalans „The Village“.

Was die Serie zu einem beachtlichen Vergnügen macht, ist zum einen das langsame Drehen an der Spannungsschraube, alles mit unübersehbaren Shyamalan-Qualitäten, und zum anderen der mehrfache Genrewechsel, der zu verblüffenden Plot-Wendungen führt. Als Ethan Burke während eines erneuten Fluchtversuchs den Sheriff tötet, entdeckt er, dass Wayward Pines von einem gigantischen, durch Strom gesicherten Hochsicherheitszaun umgeben ist. Soll er verhindern, dass jemand fliehen kann, oder soll er die Bürger der Ortes vor etwas schützen, dass da draußen lebt? Wenig später wird Burke mit der grauenvollen Wahrheit konfrontiert. Das allerdings führt zu neuen Fragen: Wo befindet er sich wirklich? Und vor allen Dingen: in welcher Zeit?
Dank seiner abrupten und überraschenden Plot-Twists verwandelt sich „Wayward Pines“ von einem dystopischen Thriller mit gruseligen Horroreinlagen urplötzlich in Science Fiction, Zeitreisen inklusive. Und wer es noch nicht geahnt hat: natürlich ist Wayward Pines auch eine „Brave New World“ mit ziemlich verkorkster Gesellschaftsutopie.

Ästhetisch lässt die Serie wenig zu wünschen übrig: Die Locations in den undurchdringlichen kanadischen Wäldern und die Kleinstadt-Settings der Serie können ebenso überzeugen wie die exzellente Kameraarbeit (u.a. von Amy Vincent: „A Million Ways to Die in the West“, „Mr. Brooks“). 

Getragen wird das Ganze von einem gut aufgelegten Darstellerensemble: mit Matt Dillon, Juliette Lewis, Terrence Howard und Tobey Jones wurden bekannte Kinogesichter verpflichtet, die mit offensichtlichen Vergnügen bei der Sache sind.

Ungewöhnlich: FOX startete die Serie am 14. Mai 2015 mit Dutzenden von Synchronfassungen weltweit in 126 Ländern – „the world’s largert day-and-date launch for a scripted serie ever.“ Danach erreichten die zehn Episoden von „Wayward Pines“ beachtliche Spitzenwerte von bis zu 4.5 Mio. Zuschauern. Die zweite Season, die im May dieses Jahres on air ging, konnte die Ratings allerdings nicht halten und sank unter die 2.5 Mio.-Grenze. Möglicherweise lag dies daran, dass in der zweiten Season die Geschichte mit neuen Figuren und neuen Darstellern weitererzählt wurde.

Die erste Staffel von „Wayward Pines“ ist auf jeden Fall eine Must see. Über die Auflösung des trickreichen Plots kann man streiten, möglicherweise auch darüber, dass „Wayward Pines“ im Kern nichts Neues zu bieten hat. Aber der Weg zu dieser Erkenntnis bietet reichlich vergnügliche Zwischenstationen – und einige handfeste Überraschungen. Wer glaubt schon alles gesehen zu haben, sollte sich daher vertrauensvoll in M. Night Shyamalans Hände begeben. Er wird sein blaues Wunder erleben.

„Wayward Pines“ läuft bei Amazon Video kostenfrei im Prime Angebot. Die zweite Staffel (OmU = Original mit Untertiteln) ist kostenpflichtig.

Note = 2


Bislang vorgestellt wurde in Serien für feuchte Sommertage
Und demnächst auf Platz 1: 11.22.63 

(1) Zuletzt hatte die FCC (die Federal Communications Commission ist zuständig für über Antenne empfangenes TV; Kabel- und Satelliten-Programme bleiben außen vor) ihre Auflagen verschärft, vor sechs Jahren legte allerdings ein Berufungsgericht in New York ein energisches Veto ein und bezeichnete die amtlich verordnete Prüderie als Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.