Freitag, 9. November 2007

Von Löwen und Lämmern

USA 2007 - Originaltitel: Lions for Lambs - Regie: Robert Redford - Darsteller: Robert Redford, Meryl Streep, Tom Cruise, Michael Peña, Peter Berg, Tracy Dali, Andrew Garfield, Derek Luke, Louise Linton, John Brently Reynolds - FSK: ab 12 - Länge: 92 min.

Man stelle sich vor, die Debatte um den deutschen Beitrag im Afghanistan-Konflikt würde einen deutschen Filmemacher zu einem politisch-didaktischen Diskurs in Spielfilmform anregen. Wäre ein solcher Film hierzulande denkbar, überhaupt finanzierbar? Käme vielleicht eine aus Filmförderungsmitteln finanzierte TV-Produktion im mittlerweile fast völlig quotenabhängigen öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Frage? Die Frage kann sich jeder selbst beantworten.
In den Staaten scheint so etwas möglich zu sein und es gehört zu den gerne unterschätzten Qualitäten der Traumfabrik, dass der politische Film in den USA auf eine längere und intensivere Tradition zurückblicken kann als unsere bundesrepublikanische Bilderproduktion. Noch entscheidender ist, dass die US-Autoren und –Regisseure es immer wieder schaffen, auch mit den Mitteln des Mainstream-Kinos sowohl nationale Traumata als auch eine patriotische Wertediskussion zu problematisieren. Natürlich braucht man dazu Sturköpfe wie den Traditionsliberalen Robert Redford, der immerhin Meryl Streep, Tom Cruise und sich selbst für eine Brechtsche Geschichtsbefragung vor die Kamera setzen kann. Dass er trotzdem auf hochintelligente Weise gescheitert ist, hat einen Grund: er lässt die von ihm gehasste Bush-Administration zu gut davon kommen.

Vom Mißbrauch der Tugend
„Von Löwen und Lämmern“ verzahnt in Echtzeit drei Erzählstränge: In Washington versucht der republikanische Senator Jasper Irving (Tom Cruise), der seine Absichten auf die US-Präsidentschaft fast so heftig dementiert wie Al Gore, einer liberalen TV-Journalistin (Meryl Streep) eine brisante Story zu verkaufen: die US-Streitkräfte wollen mit einer neuen Strategie den gordischen Knoten durchschlagen und den Krieg „um jeden Preis“ gewinnen. Die neue Taktik hat sich der frontunerfahrene Westpoint-Jahrgangsbeste selbst ausgedacht: kleine Platoons sollen zentrale Hochebenen besetzten, sich den totalen Überblick verschaffen und gezielte Schläge gegen die Taliban durchführen oder vorbereiten.

Gleichzeitig versucht der Politikprofessor Dr. Malley (Robert Redford) in seinem Büro, den begabten, aber fast schon zynisch-desillusionierten Studenten Todd (Andrew Garfield) davon zu überzeugen, dass seine charismatische Diskursfähigkeit ihn zu einem potentiellen Kandidaten der politischen Elite machen könne. Todd indes hat sich bereits geistig von einer aus seiner Sicht korrupten und verlogenen Gesellschaft zurückgezogen. Um ihn zu überzeugen, berichtet Malley von seinen ehemaligen Studenten Arian (Derek Luke) und Ernest (Michael Pena). Beide stammten aus der armen schwarzen Unterschicht und hatten sich bis zur Uni durchgekämpft. Doch inspiriert durch den engagierten Professor und (was die deutschen Kritiker unterschlagen haben) die Aussicht auf ein durch die Army finanziertes Studium melden sie sich freiwillig für den Einsatz in Afghanistan – der Vietnam-Vateran Malley ist entsetzt.

In der dritten Episode sehen wir Arian und Ernest als Mitglieder einer Spezialeinheit, die gerade dabei ist Jasper Irvings geniales Konzept in die Tat umzusetzen, was leider daran scheitert, dass die Hubschrauber schon beim Anflug auf die Hochebene von den Tabilan beschossen werden. Arian und Ernest bleiben schwerverletzt im Schnee zurück und müssen sich gegen eine Übermacht verteidigen.

Dialogtheater mit falscher Ikonographie
Filmisch gesehen ist Redfords Film reines Dialogtheater, das nur durch die im einem Studio gedrehten Kampfszenen unterbrochen wird. Die Figuren sind zwar nicht holzschnittartig, aber sie besitzen keinen dramatischen Kern. Sie transportieren lediglich die Thesen, die der Film verhandelt. Und die sind ambivalent und von einem nicht-amerikanischen Publikum kaum nachvollziehbar, denn Redford ist einerseits ein erbitterter Gegner des Irak-Kriegs, der durch die öffentliche Affirmation des Afghanistan-Einsatzes nach 9/11 betrügerisch eingeleitet werden konnte, andererseits lässt er den Zuschauer auch wissen, dass seine Sympathien den „Löwen“ gehören, jenen Soldaten, die amerikanische Tugenden verkörpern und von sinnlos von der „Lämmern“, den politischen Möchtegern-Führer an der Heimatfront, verheizt werden. Dazu gehört natürlich die uneingestandene Erkenntnis, dass der Pazifismus historisch kein Lösungsmittel ist und Kriege gegen totalitäre Regime gelegentlich unvermeidbar sind. Eine These, die übrigens auch der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer teilt, der bei der Deutschland-Premiere des „Löwen“-Films mit Redford debattierte.

Vielleicht aber verdankt Redford dieses Dilemma auch seinem Drehbuch-Autor Matthew Carnahan, der auch „Operation: Kingdom“ geschrieben hat, denn dieser schrieb ihm mit dem republikanische Senator Jasper Irving (Cruise) ein Figur ins Drehbuch, die in ihren besten Szenen nicht nur die liberale Journalisten (Streep), sondern auch den Zuschauer mit der unbequemen Frage konfrontiert, ob man einen mittelalterlich-inquisitorischen und totalitären Staat hinnehmen müsse, der zudem eine Keimzelle des Terrorismus ist. Wenn man weiß, dass Redford voller Inbrunst Cheney für einen Idioten hält, dann verblüfft es, dass ausgerechnet der intellektuell virtuose Irving-Charakter mit einem charismatischen Schauspieler besetzt wurde, der uns demnächst auch noch als „Stauffenberg“ im Kino begegnen wird.

Ansonsten zeigt der Film, was er aussagen will: die neue Afghanistan-Strategie geht beim ersten Einsatz in die Hose, weil die „Lämmer“ das Sagen haben, die Journalistin scheitert bei dem Versuch, die Propaganda-Story in ihrem Sender zu unterdrücken, nur der anfänglich feixenden Student verlässt Redfords Büro nachdenklich. Vielleicht zieht er aus der Einsicht seines Professors, dass nämlich Resignation und Politikverdrossenheit nur dem herrschenden Establishment dienen, die richtigen Konsequenzen. Man weiß es aber nicht.

Nur eins ist richtig peinlich: die Idealisten Arian und Ernest erheben sich am Ende, und nachdem sie ihre Munition verschossen haben, schwankend und blutend aus dem Schnee und lassen sich heroisch von den Taliban erschießen. Dies wirkt nicht nur angesichts der Tatsache, dass ein Kampfjet gerade mit Flächenbomben die angreifenden Taliban ausschaltet, völlig sinnlos. Das Bild ist auch sinnlos, weil es zur Ikonographie der Neo-Cons gehört, denen „Von Löwen und Lämmern“ eigentlich einen Schlag versetzen wollte.
Wären die beiden nur eine Minute länger im Schnee liegen geblieben, hätten sie überlebt.

Noten: BigDoc = 3