Freitag, 27. Juli 2012

The Dark Knight Rises

Mit „The Dark Knight Rises beendet Christopher Nolan seine grandiose „Batman“-Trilogie. Herausgekommen ist ein wuchtiges Stück Kino mit einem großen epischen Atem, das aber deutlich hinter Nolans Meisterwerk „The Dark Knight“ zurückbleibt. Und das liegt auch an einigen ideologischen Ungereimtheiten, die den dunklen Ritter diesmal in die Nähe einer post-faschistischen Ideenwelt rücken.

Der Titel von Christopher Nolans Schlussstrich unter die Batman-Trilogie erspart uns anders als die Comic-Vorlage „Knightfall“ den unangenehmen Teil: Nolans Held ‚erhebt’ sich. Dass davor aber der Absturz steht und dass ein erneuter möglicherweise bevorsteht, verschweigt uns der Filmtitel. 


Samstag, 21. Juli 2012

Halbjahres-Rückblick 2012


Das Ranking nach dem ersten Halbjahr ist natürlich deswegen spannend, weil in der zweiten Jahreshälfte noch einige Highlights auf den Kinofreund warten - sowohl im Kino als auch auf DVD / Bluray. Und am Ende des Jahres wird man dann sehen, welcher Hit der ersten Jahreshälfte auch in der Woche nach Weihnachten noch in den Top Twenty zu finden ist.

Hier also unsere Top Ten der Monate Januar – Juli (den halben Juli haben wir großzügig dazu genommen...).


Durchschlagenden Erfolg auf den letzten Metern hatte im Filmclub vor 14 Tagen das OSCAR-ausgezeichnete tragikomische Drama „The Help“ von Tate Taylor, das alle nachfolgenden Filme alt aussehen ließ. Die Note 1,5 dürfte schwer zu knacken sein.
Historische Filme über den Rassismus in den USA sind erfahrungsgemäß irgendwo zwischen  Zivilcourage à la Guter weißer Mann hilft unschuldigem schwarzen Mann (
WER DIE NACHTIGALL STÖRT (TO KILL A MOCKINGBIRD, Regie: Robert Mulligan, USA 1962) und hartem Realismus (MISSISSIPPI BURNING, Regie: Alan Parker, USA 1988) angesiedelt. Wenn man die Sicht der Schwarzen sehen wollte, hat man früher als Cinephiler die Filme von Spike Lee geschaut.
 
Tate Taylor, der in „The Help“ Regie führte, ist wiederum Weißer, aber wenigstens stammt er aus der Gegend, in der sein Film Anfang der 1960er spielt. Die Geschichte, die Taylor erzählt, basiert auf dem gleichnamigen Roman von Kathryn Stockett: zwei afroamerikanische Hausmädchen werden von einer jungen Journalistin dazu überredet, die komplexen Beziehungen zu ihren weißen Arbeitgeberinnen zu schildern. Als Eugenia „Skeeter“ Phelan (Emma Stone) dank ihrer schwarzen Freundinnen Abileen (Viola Davis) und Minny (Octavia Spencer, Golden Globe Award und OSCAR, jeweils als beste Nebendarstellerin) noch weitere Dienstmädchen interviewen kann, ist ein Buchprojekt reif und findet auch eine linksliberale Verlegerin. Natürlich ist das Buch, auch wegen einiger mehr als pikanter Details, ein Skandal.
Stilistisch ist Taylors Film mit seinen bunten Farben und der präzisen Darstellung des Lokalkolorits ein knalliges Portrait der 1960er Jahre. Der Südstaaten-Look mit seinen Heckflügel-Limousinen, den gewagten Frisuren der weißen Ladys und der allgegenwärtigen ‚netten’ Apartheid-Stimmung ist irgendwo zwischen „Grüne Tomaten“ und „Mad Men“ angesiedelt.
Den subtilen Zynismus und die ausgefeilt zeitkritische Reflexionskraft der TV-Serie erreicht „The Help“ aber nicht. Dazu ist der Film zu brav angelegt. Die weißen Frauen sind zu dämlich und zu dezent rassistisch, wenn sie während ihrer Kaffeekränzchen die nächste Hilfsaktion für arme hungernde Kinder in Afrika planen und ganz nebenbei von den armen schwarzen Hausmädchen Kaffee und Kekse serviert bekommen.
Hier wird keinem so richtig weh getan, auch nicht dem Zuschauer.

Aber „The Help“ hat einen unwiderstehlichen Humor, der sich zwar auch der ruhigen, fast melancholischen Off-Erzählerin Abileen verdankt, aber die alles überragende Octavia Spencer, die mit scharfzüngiger Intelligenz die Köchin Minny spielt, beherrscht den Film und hat sich mit dieser sehenswerten Performance wirklich einen OSCAR verdient.
„The Help“ ist ein gelungenes Rassismus-Drama zwischen Feel-Good-Movie und Melancholie. Die Bürgerrechtsbewegung dieser Jahre bleibt dezent im Hintergrund, nur einmal versammeln sich alle schwarzen Hausbediensteten vor dem Röhrenfernseher, als Martin Luther King spricht. Es ist vorsichtiges Herantasten an das, was sein könnte.
Gewalt gegen Schwarze streift der Film beiläufig, aber auch sie ist existent. Und zu den stillen Vorzügen des Films gehört auch die sozio-kuturelle Funktion der schwarzen Nannys, die ihre weißen Kinder mit viel Liebe aufziehen, wohl wissend, dass sie als Erwachsene möglicherweise ihre nächsten Peiniger werden können. So gewinnt „The Help“ am Ende doch ein erzählerisches Format, das aufgrund seiner undramatischen Menschlichkeit sehr viel Glaubwürdigkeit besitzt.

Die Nr. 2 wurde „War Horse“ (Gefährten) von Steven Spielberg. Der Film wurde in Blog rezensiert: http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/2012/03/war-horse-gefahrten.html.
Dies gilt auch für die Nr. 3, nämlich „Hotel Lux“: http://bigdocsfilmclub.blogspot.de/2012/05/deutsche-komodien-hotel-lux.html. Und das waren schon die Filme mit einer Eins Komma am Anfang.

Nr. 4: „Contagion“ von Steven Soderbergh.
„Ich werde nie so viel über Filme wissen wie Martin Scorsese. Ich bin (...) frustriert, wenn ich Filme von Leuten sehe, die überhaupt nichts wissen und gesehen haben. Sie glauben, sie haben etwas ganz Neues erfunden, dabei ist es nur die schlechtere Variante von etwas, das es schon gibt.“

Wer glaubt, dass Pandemie-Thriller mit „Outbreak“ durchdekliniert worden sind, muss Soderberghs Version sehen. Der Film ist nüchtern und realistisch, außergewöhnlich gut recherchiert und informativ und sentimentale Klischees sind ihm fremd – damit sind aber auch alle Kriterien erfüllt, um ein Megaflop zu werden. Jedenfalls war dies in den USA der Fall. Dass der Film (meiner Meinung nach) sauspannend ist, hat ihm auch nicht geholfen.

Soderbergh fährt ein Riesenaufgebot an Stars auf: Matt Damon, Kate Winslet, Gwyneth Paltrow, Laurence Fishburne, Jude Law und auch einige Neben-Nebenrollen sind exzellent besetzt. Auch das hat nicht geholfen.
 Was zum Teufel noch einmal ist da schief gelaufen?
Zum einen erzählt Soderbergh seine Geschichte unsentimental. Minuziös wird gezeigt, welche Sicherheitsprotokolle aktiviert werden und mit welchen Konsequenzen wir zu rechnen haben, nachdem ein Virus auftaucht, der das Potential für eine weltweite Katastrophe besitzt. SARS lässt grüßen.
Und: Pathos gibt es bei Soderbergh nicht. Ein Star überlebt die ersten Filmminuten nicht, aber der Film zeigt dies völlig unsentimental. Ein anderer ist ein ratloser Vater (selten hat man Matt Damon so hilf- und sprachlos gesehen), dem nichts einfällt, außer sich und seine Tochter im eignen Haus wegzuschließen, was nicht einmal das Schlechteste ist, aber nicht unbedingt den Publikumserwartungen entspricht.
Die Spannung des Films erwächst also nicht aus melodramatischen Strickmustern und den in Katastrophenfilmen üblichen ‚Ein Mann rettet die Welt’-Trivialitäten, sondern daraus, dass trotz aller Professionalität der Seuchenbekämpfer der Kampf gegen das Virus eigentlich aussichtslos ist und nur gewonnen wird, weil ein arroganter Wissenschaftler die Vorschriften ignoriert.
Und ganz am Ende sieht man, welche Verrenkungen die Natur vornehmen muss, um eine Mutation aus Schweine- und Fledermausviren zu produzieren. Allein diese Pointe rechtfertigt bereits den ganzen Film, den ich wärmsten empfehlen kann und der im Filmclub ein großer Erfolg war.

"Ich habe mal mit einem Freund darüber gestritten, wann die große Zeit des amerikanischen Films zu Ende ging. Er meinte, dass „Rocky“ der Wendepunkt war. Und das stimmt. Es gibt einfach kein Universum, in dem dieser Typ gegen den schwarzen Champion im Schwergewicht in den Ring steigt und nicht die Haut von den Knochen gezogen bekommt. Als die Studios merkten, dass sie den Zuschauern diesen Humbug verkaufen konnten, brachen alle Dämme" (Steven Soderbergh über die aktuelle Kinosituation).

Nr. 5: „Warrior“ (2011) ist einer der besten Kampfsportfilme, die ich gesehen habe. Genau genommen geht es um Mixed-Martial-Arts, und dies ist nicht nur eine Art zu kämpfen, sondern auch ein kultureller Kosmos mit eigenen Gesetzen – und Outfits!
Gavin O’Connors Film war alles andere als ein Kassenerfolg und in Deutschland kam er erst gar nicht in die Kinos, obwohl er Nick Nolte eine OSCAR-Nominierung als bester Nebendarsteller einbrachte. Mittlerweile hat sich der Film auf dem DVD- und Bluray-Markt einen stabilen Ruf als Kultfilm erarbeitet. Und den verdient er auch, denn die Geschichte zweier ungleicher Brüder und ihres kaputten Vaters (Nolte) wird so straight erzählt, dass auch die heftigsten Emotionen von den noch heftigeren Eruptionen der Fights mühelos in den Schatten gestellt werden. Der Film ist schnell und genau, erreicht aber auch das Gemüt und bietet dann einen Showdown, wie man ihn lange nicht gesehen hat.
Joel Edgerton als Brendan Conlan hat nach „Warrior“ keinen Film mehr gemacht, während Tom Hardy als sein Bruder Tommy den innerlich Zerrissenen als so charismatisches Kraftpaket spielte, dass er danach u.a. für „Dame, König, As, Spion“ und „The Dark Knight Rises“ gecastet wurde. Grund genug, sich vor der Deutschland-Premiere von Nolans neuem Film noch einmal (oder zum ersten Mal) „Warrior“ anzuschauen.

Von den Filmen ab Platz 6 möchte ich nur noch einen erwähnen: „Confessions“ (2010) von Tetsuya Nakashima. Der Film ist hierzulande offenbar so unbekannt, dass er der deutschsprachigen Wikipedia nicht einmal eine kurze Erwähnung wert gewesen ist – schade! Dass der Film fast eine Nominierung für den Academy Award for Best Foreign Language Film geschafft hätte – geschenkt!
Interessieren sollte jenen Filmfreund, der im Übrigen vielleicht nicht so gerne asiatische Filme sieht, allerdings der Umstand, dass ihm möglicherweise ein kleines Meisterwerk entgeht, wenn er nicht bereit ist, eine Ausnahme zu machen. Das Risiko ist gering.

Nakashima, dessen Ausführungen im Bonusmaterial der DVD sehr hörenswert sind, erzählt die Geschichte einer Lehrerin, die ihrer Klasse nach einer von ihr langatmig und sorgfältig vorbereiteten Exposition das Geständnis vorträgt, dass sie die Milch von zwei Mitschülern mit HIV-Viren vergiftet hat. Und dass diese Schüler ihre kleine Tochter umgebracht haben.
Was sich nach einem der üblichen Schuldrama-Filmen anhört, ist sowohl formal wie auch inhaltlich nichts anderes als ein Clash of Civilizations. Und dieser findet zwischen der emotional völlig abgeklärten Lehrerin und ihrer tobenden Klasse genauso statt wie zwischen dem Film und seinen Zuschauern, denn ungeachtet der Tatsache, ob denn nun einer Japaner oder ein Deutscher "Confessions" Film  – es findet ein fürchterlicher und universeller Kampf um Moral, Rache und Schuld statt. Erzählt wird dies aus wechselnden Perspektiven, die  zentrale Figuren werden immer greifbarer und doch gleichzeitig fremd bis zum blanken Entsetzen, während Nakashima den Mord und die nicht weniger grauenhaften Folgetaten aus immer neuen Blickwinkeln betrachtet, ohne so etwas wie moralische Konsistenz zu gewinnen. Zu fremd sind sich Schüler und Lehrer, Adoleszenz und Erwachsensein geworden: Clash of Civilizations.
Stilistisch ist Tetsuya Nakashimas Film ein Meisterwerk: die raffinierte Montage aus schnellen Cuts, Flashbacks und Flash Forwards, Zeitlupen und kühlen Farben wirkt völlig unangestrengt und vermittelt nie das Gefühl des Artifiziellen. Das ist schon allein sehenswert.
Was noch hängen bleibt: Lehrer verstehen ihre Schüler nicht und haben zudem nicht den geringsten Schimmer von der Sub-Kultur, die vor ihren Augen existiert, aber nicht mehr dechiffriert werden kann und, das ist die Quintessenz: ehrlich gemeinter Idealismus ist unter gewissen Umständen nichts anderes als naiver Opportunismus.
Lehrer werden diesen Film entweder als Offenbarung oder als blanken Zynismus rezipieren und ihn beim zweiten oder dritten Mal vielleicht besser verstehen, denn die Kälte des Herzens hat eine Ursache, die so alt ist wie die Menschheit.
Mehr wird nicht verraten. Nur eins noch: „Confessions“ hätte durchaus Platz 1 in der Halbjahres-Bilanz verdient.

Quellen: „Wie erklärt sich eine Kinoflop, Mr Soderbergh?“ (FAZ 02.03.2012)

Montag, 16. Juli 2012

Bluray-Review: The Man Who Shot Liberty Valance


Wer sich rechts die Spalte „The Incredible Top Sixty Plus“ anschaut, wird feststellen, dass es nur zwei Filme aus unserem neuen Jahrtausend geschafft haben, sich in meinen Top Ten festzusetzen: „The Dark Knight“ von Christopher Nolan und „Das weiße Band“ von Michael Haneke. Der Rest meiner Lieblingsfilme ist betagter – deutlich betagter!
Das liegt daran, dass meiner Meinung nach das Kino im Wesentlichen in den 1950er und 1960er Jahren auserzählt war. Die 1970er/80er Jahre mit ihrem „New Wave“ waren in jeder Hinsicht dann noch einmal bahnbrechend. Viele der Regisseure, die damals das Kino auf den Kopf gestellt habe, sind heute allerdings ältere Semester oder Kinopensionäre.
Also: John Ford, Alfred Hitchcock (die Klassiker); Stanley Kubrick, Martin Scorsese, Clint Eastwood, David Fincher, Christopher Nolan (die Modernen, wobei Eastwood eigentlich auch gut in die 1950er Jahre gepasst hätte). Das war’s dann schon. Kein Europäer dabei, kein Jean Luc Godard, kein Rainer Werner Fassbinder. Aber ganz vorne John Ford!

Überragender Stil
Für Cinephile ist die Bluray des Ford-Klassikers natürlich Ostern und Weihnachten an einem Tag. Jüngere Kinogänger werden vermutlich nichts oder nur wenig mit dem Namen John Ford anfangen können. Aber es lohnt sich, die Arbeiten dieses zu Lebzeiten sehr schweigsamen und ganz und gar nicht intellektuellen Mannes zu studieren. Nicht nur wegen der Geschichten, die er erzählt, sondern auch wegen seines Stils. John Ford hat das klassische Continuity-Prinzip der 1930er/40er Jahre meisterhaft weiterentwickelt und zu einem fast (aus heutiger Sicht) spartanischen Stil entwickelt, der die Szenenauflösung und damit auch die spätere Montage auf das Notwendigste reduzierte. Möglicherweise werden dies die am 3 Sekunden-Schnitttakt geschulten und wohl auch ein wenig konditionierten Zuschauer nicht mehr zu würdigen wissen.

Pessimistische Geschichtslektion
In „The Man Who Shot Liberty Valance“ geht es um eine einfache und doch am Ende sehr komplexe Geschichte: James Stewart spielt den alten Staatsmann Rance Stoddard, der mit seiner Frau in jenes Nest zurückkehrt, in dem seine politische Karriere ihren Ursprung nahm und wo er nun seinen alten Freund Tom Doniphon (John Wayne) zu Grabe tragen will. Karriere und Mythos sind bei Stoddard miteinander verknüpft: Stoddard, und dies ist gesichertes Geschichtswissen, hat in einem Duell den berüchtigten Revolverhelden Liberty Valance erschossen und damit auch den Sieg des Rechts über die Ungesetzlichkeit davongetragen.
Tatsächlich aber war es Doniphon, der mit einem heimlichen Schuss aus dem Dunklen dem mit der Waffe unerfahrenen jungen Rechtsanwalt das Leben rettete. Die Wahrheit erzählt der alternde Stoddard der Lokalpresse, aber keiner will sie drucken.
“If the legend becomes fact, print the legend!” heißt der berühmte Schlüsselsatz am Ende des Films. Das kann man unterschiedlich deuten. Zum einen ganz unkompliziert: Karrieren, die im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen, haben ihre Geheimnisse, nicht alle Fakten stimmen, man muss sie vielleicht auch nicht kennen. Dinge, die sich als Legende entpuppen, werden lieber als pure Fakten wahrgenommen. Und so besteht in Fords Klassiker der fromme Betrug darin, dass sich die öffentliche Wahrnehmung (hier in Gestalt der Presse) bei der Umwandlung der Fakten in den Mythos für eine historische Interpretation entscheidet, an der sie deswegen festhalten will, weil sie ihr als die moralisch triftigere erscheint.

Auf den zweiten Blick enthüllt Ford ein pessimistisches Geschichtsbild: der Sieg des Rechts wird mit einem Streit um territoriale Rechte verbunden, der zwar demokratische Ziele verfolgt, im Kern aber auch ökonomischen Interessen dient. Das siegreiche Duell mit Liberty Valance ist lediglich Symbol der Zeitenwende. Aber das, was kommt, so zeigt es Ford, ist im Kern sehr ambivalent. Der Sieg der Demokratie wird bezahlt mit politischen Dummschwätzern, egoistischem Populismus und Wahlveranstaltungen, die den Wählerwillen mit Fälschungen und Manipulationen in die Irre führen wollen.
Kommt uns das nicht bekannt vor?
Und John Ford zeigt in „The Man Who Shot Liberty Valance“ auch, dass am Ende  die Zivilcourage den moralischen Sieg davonträgt, aber die Gewalt den faktischen. Der Fortschritt hat seinen Preis.
„Möglich wird dieser zivilisatorische Fortschritt aber nur, weil John Wayne den üblen Schurken, der dem Ganzen im Wege steht, kraft seiner persönlichen moralischen Überzeugungen ziemlich lapidar erschießt“ (vgl. meine Kritik über „Die Fremde in dir“). Dies ist keine Plädoyer für die Gewalt, aber eine sehr komplexe Reflexion Fords über die Uneindeutigkeit historischer Absichten und Prozesse. Und alles verpackt in einen Western – das ist schon eine Menge!

Exzellent gemastert
 Der Film liegt im Format 1920x1080p (1.78:1) und im Video-Cdec MPEG-4/AVC vor. Das fast völlig von Filmkorn befreite Bild ist sehr scharf und plastisch und nahezu perfekt. Im Vergleich mit anderen s-w-Restaurierungen würde ich „Psycho“ allerdings noch einen Vorsprung einräumen. Ein deutlicher Mehrwert ist die englische Tonspur. Sie liegt in Dolby True HD 5.1 vor und ist -gelinde gesagt- spektakulär. Es lohnt sich auch wegen einiger sprachlicher Feinheiten den Originalton zu hören. Dass die Bluray keine Extras enthält, ist allerdings eine massive Enttäuschung. Erinnert man sich daran, dass in den grauen Vorzeiten der DVD wenigstens noch Texttafeln zur Ausstattung gehörten, ist das ein Manko, das nur schwer zu akzeptieren ist. Insgesamt aber kann die Bluray uneingeschränkt empfohlen werden. In jeder Hinsicht ein Masterpiece. Und mit den Referenzniveau erreichenden „The Searchers“ liegen nun zwei Ford-Klassiker in phantastischer Qualität vor.

Donnerstag, 12. Juli 2012

Drive

USA 2011 - Regie: Nicolas Winding Refn - Darsteller: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston, Albert Brooks, Oscar Isaac, Ron Perlman, Christina Hendricks, Tina Huang, Joe Pingue -  FSK: (Bluray US-Uncut-Version ab 18 / Sonstige: ab 16 (geäFs) - Länge: 101 min.

Der Driver (Ryan Gosling) arbeitet in L.A. tagsüber in einer Autowerkstatt und gelegentlich als Stuntman. Sein Geheimnis ist die professionelle Nebentätigkeit als Fluchtfahrer für Gangster. Driver hat einen präzisen geschäftlichen Codex: er bietet seinen Auftraggebern ein Zeitfenster von fünf Minuten, um ihren Job zu erledigen und das Fluchtfahrzeug zu erreichen. Schaffen sie es nicht, sind sie sich selbst überlassen, schaffen sie es, gehört der Driver ihnen – er muss seinen Job ohne Rücksicht auf die Konsequenzen erledigen. Driver arbeitet ohne Waffen, er beteiligt sich nicht an den Jobs, er ist auch nicht cool, sondern einfach nur selbstbewusst, schweigsam und distanziert. Als er seine Nachbarin Irene (Carey Mulligan) und deren kleinen Sohn kennenlernt, zeigt er seine einfühlsam Seite. Pech ist nur, dass Irene Manns bald aus dem Knast kommen wird und eine Menge Probleme mitbringt.

Kein Neo-Noir
Der dänische Nicolas Winding Refn hat mit „Pusher“ 1-3 (1996-2005) sein Interesse an Gangster- und Milieustudien unter Beweis gestellt. Sein Wikinger-Drama „Valhalla Rising“ (2009) schien eine Zäsur zu bedeuten, blieb thematisch aber mit einem zentralen Thema in den Filmen Refns verbunden: der expliziten Gewaltdarstellung.
In „Drive“ dauert es fast unheilschwangere 35 Minuten, ehe der Driver seine andere, gewalttätige Seite andeutet und noch länger, bis er sie exerziert. Als er einen Job für Irenes Manns übernimmt, gerät er in einen Komplott: Es geht um Millionen, die zwei Gangster (Ron Perlman, Albert Brooks) der Ostküsten-Mafia abjagen wollen. Driver erkennt, dass nicht nur er, sondern auch sein Freund und Arbeitgeber Shannon (Bryan Cranston, „Breaking Bad“), aber auch Irene auf der Abschussliste stehen. Driver begibt sich schweigend auf einen Rachefeldzug, der zu einem Blutbad wird.

Im Wesentlichen ist „Drive“ eine Mixtur aus Splatter, Post-Noir und klassischem Gangster-B-Movie. Der Begriff Neo-Noir, der im Zusammenhang mit Refns Film oft genannt wird, gefällt mir nicht. Die Übernahme klassischer Noir-Motive (Private Eye, komplexe Narrationen, Bad Women, strikter Pessimismus, Implosion des American Dream, Schwarz-Weiß-Ästhetik u.a.) durch Adaptionen in den späten 1970er Jahren (Chinatown) und danach vereinzelt bis in die 1990er Jahre (Heat) war motivisch nicht so locker an den Film noir angelehnt, wie dies heute der Fall ist (Departed, Memento, History of Violence, Gone Baby Gone, The Town, No Country for Old Men). Die zuletzt genannten Filme sollte man, wenn überhaupt, dem Post-Noir zuordnen – oder ganz einfach dem Gangsterfilm mit seinen Sub-Genres. Dazu gehört eigentlich auch „Drive“. Der Film erinnert durch die Eindimensionalität der Hauptfigur an die Gangster bei Melville, vielleicht auch ein wenig an Stanley Kubricks „The Killing“ und natürlich auch an Michael Mann, hat aber – auch aufgrund seiner straighten Erzählweise – eigentlich wenig Noir in sich.
Was „Drive“ so interessant macht, ist aber nicht seine kinematographische Bedeutung, sondern sein Alleinstellungsmerkmal: Refn setzt auf splatterige Gewalteinlagen, ohne dieses Thema so interessant zu verhandeln, wie dies David Cronenberg mit „A History of Violence“ gelungen ist. Nach eigenen Aussagen war Refn sehr auf die Beziehung zwischen dem Mechanischen und dem Menschlichen seiner Hauptfigur fokussiert. Die Autoverfolgungsjagden dienten dagegen eher als Metaphern für die emotionale Verfassung des „Driver“. Restlos überzeugen kann dies nicht, aber „Drive“ besitzt durchaus, auch dank seines unkonventionellen Scores, über sehenswerte Qualitäten, auch wenn der Film meiner Meinung nach keinen Kultstatus verdient.

Technik
Die Bluray ist technisch State of The Art, verärgert aber durch einen ungewünschten Download zu Beginn, ohne dass man weiß, was da runtergeladen wird. Auch das langatmige Laden eines Trailers sollte man besser durch temporäres Abschalten der Netzwerkverbindung vermeiden, sonst kann es lange dauern, bis der Hauptfilm läuft. Die Extras bieten neben dem ‚Making of’ auch eine B-Roll, einige Interviews mit den Darstellern und natürlich längere Ausführungen von Nicolas W. Refn, die aber nicht sonderlich erhellend sind.

Noten: BigDoc = 3

Mittwoch, 11. Juli 2012

The Amazing Spider-Man


USA 2012 - Regie: Marc Webb - Darsteller: Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans, Denis Leary, Campbell Scott, Martin Sheen, Sally Field, Chris Zylka, Irrfan Khan, Embeth Davidtz, Denis Leary, C. Thomas Howell, Annie Parisse - FSK: ab 12 - Länge: 136 min.


Am Ende des gefälligen Franchise-Produkts aus dem Marvel-Universum landen wir wieder in der High-School. Die Dozentin spricht davon, dass es in der Literatur zehn Plots gäbe, die festlegen, wie man Geschichten erzählt. Tatsächlich aber, so merkt sie an, gäbe es nur einen. Welche Pointe sie nun aber den Zuhörern präsentiert, ist hier nicht wichtig. Spannender ist die Sache mit den zehn Plots: sie stimmt nämlich eher, nur dass bereits seit einigen Jahren nicht mehr die Plots variiert werden, sondern nun auch die kompletten Geschichten wiederholt werden. „The Amazing Spider-Man“ gehört zu diesen Remakes, die eigentlich niemand braucht, aber scheinbar funktionieren diese Filme beim Publikum.
Halt wie die Brötchen am Samstag: sie schmecken immer gleich, aber verzichten möchte man auf sie nicht.

The same Procedure as every Year
Junger Mann wird von einer Spinne gebissen und entdeckt plötzlich ganz neue Fähigkeiten. Junger Mann probiert sie aus und stellt fest, dass er ein Superheld ist, der sich in die Tiefen zwischen den Wolkenkratzer von Lower Manhattan werfen kann und sich wie eine Spinne an langen Fäden blitzschnell fortbewegen kann. Junger Mann zwängt sich ein Kostüm und entwickelt dazu das passende Branding. Junger Mann entdeckt ein Love Interest, was recht nett werden könnte, wäre da nicht der bornierte Herr Papa. Und junger Mann muss zumindest die Stadt, wenn nicht gar die ganze Welt, vor einer Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Echse retten, die den ärmlichen Rest der Menschheit in reptilartige Supermutanten verwandeln will.
Schon mal gesehen? Natürlich, jedenfalls so ähnlich! Gerade mal zehn Jahre sind seit Sam Raimis Spider-Man ins Land gegangen. Zusammen mit Teil 2 und 3 setzte  Raimis erfolgreiche Trilogie neue Maßstäbe bei Comic-Verfilmungen und sammelte 2,5 Mrd. US-Dollar ein, dann beendeten Streitigkeiten über das Drehbuch für Teil 4 die Zusammenarbeit der Erfolgscrew und ihrer Geldgeber. SONY musste aus lizenzrechtlichen Gründen dennoch nachlegen und beschloss kurzerhand, alles auf null zu setzen. Mit „The Amazing Spider-Man“ erzählen nun SONY und Marc Webb (in seinem zweiten Spielfilm nach „(500) Days of Summer“, 2009) die Geschichte einfach von vorne -  ohne Toby Maguire, Kirsten Dunst und Regisseur Sam Raimi. Im Wesentlichen ähnelt das Remake damit dem ersten Teil, nur dass Spider-Man sich diesmal in Gwen Stacy statt in Mary Jane Watson verliebt, was der Comic-Vorlage durchaus entspricht, und dass nun auch Spider-Mans Gegenspieler einige Nummern blasser geraten ist.

With great Power comes great Responsibility
Sam Raimi hatte in seiner Trilogie ein spannendes Ensemble um sich versammelt. Von einem Remake erwartet man natürlich frischen Wind. Dies ist beim Casting durchaus gelungen. Auch das Drehbuch von James Vanderbilt („Zodiac“), überarbeitet von dem 85-jährigen Veteran Alvin Sargent, der auch im Script-Team von Sam Raimis „Spider-Man“ 2 und 3 war, hat in diesem Punkt erkennbar an der Schraube gedreht.

War der Spider-Man von Toby Maguire noch ein introvertierter und etwas moralinsaurer Typ, so gibt Andrew Garfield (u.a. „Boy A“, 2007; „Yorkshire Killer“, 2009, „Das Kabinett des Dr. Parnassus“, 2009, „The Social Network“, 2010) den Spinnenmann deutlich hipper.
Am Anfang entschuldigt sich sein Spider-Man noch höflich, als er auf obligatorische Weise böse Jungs in der U-Bahn verdrischt, dann aber entwickelt er seine Fähigkeiten mit offenkundig narzisstischer Begeisterung und einer Menge cooler Sprüche.

Eher auf ambivalente Charaktere festgelegt, gibt Garfield seiner Figur nicht nur eine frische und unverbrauchte Lässigkeit, für die Toby Maguire in Spider-Man 3 noch mutieren musste, um sie fröhlich genießen zu können, sondern er muss sich auch mit einem alten Familientrauma herumschlagen: den jungen Peter Parker haben dereinst die Eltern in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei Onkel Ben und Tante May zurückgelassen, bevor sie aus mysteriösen Gründen verschwanden und später ums Leben kamen.
Die Mischung aus kindlicher Verwundbarkeit und juveniler Begeisterung bekommt der 29-Jährige recht ordentlich hin. Anfangs noch ein wenig verdruckst und ständig mit dem Skateboard unterwegs, entwickelt sich Spider-Man zu einem verspielt selbstbewussten Helden, dessen freches Grinsen verrät, dass er durchaus um seine Wirkung beim anderen Geschlecht weiß. Andrew Garfield ist alles andere als ein moralischer Saubermann und für das notwendige Comic Relief im Film sorgt er selbst.

Emma Stone („Zombieland“, 2009, „Crazy, Stupid, Love“, 2011, „The Help“, 2011) als Gwen Stacy passt dagegen aus anderen Gründen in den Film Zum einen ist sie zurzeit auch privat mit Andrew Garfield liiert, aber die 24-jährige mit dem Schuss fröhlicher Naivität entspricht auch sonst einem Plot, der eher auf ein pubertierendes Publikum abzielt und daher wenig Tiefenschärfe in der Figurenzeichnung benötigt.
Die Nebenfiguren sind stimmig besetzt: Martin Sheen sammelt als „Onkel Ben“ kräftig Punkte bei dem Versuch, Peters moralisches Gewissen zu sein, während die zweimalige Oscar-Preisträgerin Sally Field als Peters Tante May sehr nuanciert spielt.

Das gute Ensemble kann natürlich nur begrenzt gegen einige Simplifizierungen des Drehbuchs, dafür sind einige Figuren einfach zu holzschnittartig angelegt. Und so geht es in  Marc Webbs Version nur scheinbar erneut um das Problem der Verantwortlichkeit: Was fängt man mit seinen Superkräften an, wann man gerade mitten in der Adoleszenz steckt? Tatsächlich aber interessiert sich „The Amazing Spider-Man“ eher für die Frage: Wie erklärt man es seinen Freunden und wie bringt man danach den Bösewicht zur Strecke?

Frage 1 wird verblüffend schnell beantwortet. Bemühte sich Sam Raimis Spider-Man noch um eine gewisse Diskretion, so wissen in Marc Webbs Version die wichtigsten Protagonisten recht schnell, wer Peter Parker in Wirklichkeit ist. Dies nimmt der Story natürlich etwas Wind aus den Segeln, richtet aber dadurch ablenkungsfrei den Focus auf den Gegenspieler Peter Parkers, den „Lizard“ aka Dr. Curt Connors, der nicht nur in Peters düsteres Familiengeheimnis verstrickt ist, sondern auch ganz persönliche Motive hat, um dank genetischer Manipulationen dauerhaft abgetrennte menschliche Gliedmaße nachwachsen zu lassen. Leider geht einiges schief und Connors verwandelt sich in eine intelligente Mag-Echse, die eine verquaste Übermenschen (oder Über-Reptilien?) -Philosophie vertritt.
Bei der Antwort auf Frage 2 verliert der Film allerdings nach Punkten – und das bereits in der zweiten Runde, denn „The Amazing Spider-Man“ präsentiert uns kindlich und hausbacken, aber damit vermutlich zielgruppengerecht, mit seinem Bösewicht ein Auslaufmodell. Waren die boshaften, schlagfertigen und charismatischen Antagonisten der großen Superhelden in den letzten Jahren nicht stets auf Augenhöhe? An Marc Webbs Film scheint dies spurlos vorbeigegangen zu sein. Der Versuch, den Gegenspieler von Spider-Man als getriebenen, aber nicht unsympathischen Mad Scientist zu präsentieren, kommt über die üblichen Genreklischees nicht wesentlich hinaus, und auch der „Lizard“ ist eher ein polteriger Godzilla im Schrumpfformat. So gesehen ist Marc Webbs von einigen Filmkritikern beschworener psychologischer Mehrwert beim zweiten Blick auf Figuren und Handlung eher ein Rückfall in längst verbrauchte Erzählmuster.
Dabei hätte sich SONY einfach nur an Onkel Bens Motto halten müssen: With great Power comes great Responsibility.
Bleibt nur noch die Technik.

Schön, dass alles auch in 2D klappt!
Nimmt man versuchsweise mal die Brille im Kino ab, so überlebt man eine Überraschung: einige Szene, die so schön räumlich aussehen, sind schlicht und einfach zweidimensional produziert worden. Ganz solide mit den klassischen Bordmitteln der geringen Tiefenschärfe umgesetzt und nicht weniger überzeugend.
Und das ist auch das große Plus von Webbs Comic-Remake: 3D wird sparsam eingesetzt und nur dort, wo die Technik wirklich einen erkennbaren Mehrwert für die Inszenierung des Raums abwirft. Das ist angenehm, plakative 3D-Effekte auf Rummelplatz-Niveau bekommt man also nicht um die Ohren gehauen. Und es zeigt eine angenehme Zurückhaltung und Distanz der Macher, die erkennen lässt, dass man den filmischen Raum auch ohne die dritte Dimension ins Bild setzen kann.
Kräftige Abzüge in der B-Note gibt es dafür beim CGI: sowohl das animierte Reptil als auch Spider-Man wirken nicht bewegungsgetreu, sondern überdreht und unrund. Alles ein wenig zu schnell, alles ein wenig zu ruckelig. Das geht besser und SONY sollte wissen, dass auch der Kinogänger dies weiß.
Fazit: Jüngere Kinogänger ohne Interesse für die jüngere Kinogeschichte bekommen ihr Popcorn-Kino. Ältere müssen eine Portion Humor und Gelassenheit mitbringen, um ihren Frieden mit „The Amazing Spider-Man“ zu machen. Richtig schlecht ist der Film nicht, aber wirklich brauchen tun wir ihn nicht.

Noten: BigDoc = 4

Postskriptum: Ärgerlich war die Beobachtung, dass einige deutsche Kritiker über den Film so geschrieben haben, als hätten sie den aktuellen SONY-Flyer in die Hand gedrückt bekommen. Eigentlich habe ich noch nie so viele Kritiken gelesen, die in Stil und Inhalt so klangen, als seien sie von der Marketing-Abteilung des deutschen Verleihes vorformuliert worden. Man sollte dies im Auge behalten.